29.09.2009 | St. Lukas 10, 17-20 (St. Michaelis)

ST. MICHAELIS – 29. SEPTEMBER 2009 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 10,17-20

Die Zweiundsiebzig aber kamen zurück voll Freude und sprachen: Herr, auch die bösen Geister sind uns untertan in deinem Namen. Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden. Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

Seit einem Jahr gibt es in dem Neubau der „Zehlendorfer Welle“ gleich bei uns hier um die Ecke ein großes neues Fitness-Center. „Fitness first“ – Fitness zuerst, so lautet der Name der Einrichtung, der zugleich Programm ist und zudem genau die Erwartungshaltung seiner möglichen Kunden widerspiegelt: Das Wichtigste im Leben ist die Fitness, die Gesundheit, das Wichtigste im Leben ist, dass ich mich im meinem Körper wohlfühle. Und genau dafür kann man etwas, so wirbt das Fitness-Center, in dieser Einrichtung tun; ja, dafür stehen sogar persönliche Fitness-Trainer zur Verfügung, die einem bei der Erreichung dieses Ziels helfen, die Fitness an die erste Stelle im Leben zu setzen und sich dadurch entsprechend gut zu fühlen.

„Fitness first“ – Das ist in gewisser Weise auch die Erwartungshaltung, die viele Menschen heutzutage gegenüber dem Glauben und der Kirche hegen. Nein, nicht Muskelaufbau erwartet man unbedingt vom Kirchbesuch, wohl aber Wellness für die Seele, dass Kirche einem hilft, sich gut zu fühlen, ja, dass der Kirchbesuch einem auch schlicht und einfach dazu hilft, gut durchs Leben zu kommen. Und auch dabei liegen nun persönliche Trainer hoch im Kurs: die Engel, die die Aufgabe haben, einen im Leben zu begleiten und zu beschützen und dafür zu sorgen, dass es einem im Leben immer gut geht.

Das Heilige Evangelium dieses Festtags macht uns deutlich, wie beschränkt unsere Wahrnehmung ist, wenn wir in unserem Leben, wenn wir gerade auch im Glauben und in der Kirche nicht mehr erwarten als körperliche oder seelische Fitness. Denn in Wirklichkeit stehen wir, so macht es uns Christus hier deutlich, in einem großen Kampf, in dem zwei sehr gegensätzliche Mächte darum ringen, wer denn nun die Nummer eins ist – in der ganzen Welt und auch in unserem Leben. Nein, wir können uns aus diesem Kampf nicht heraushalten, denn auch um uns wird dieser Kampf geführt.

Da schickt Christus auf seinem Weg von Galiläa nach Jerusalem 72 Jünger aus, die in seinem Namen das Evangelium verkündigen und die Mächte des Bösen bekämpfen sollen. Nein, die 72 werden nicht bloß dazu losgeschickt, ein paar Werbeflyer zu verteilen, um für das Unternehmen, das Jesus da gestartet hat, zu werben. Und das Ziel der Aussendung der 72 besteht auch nicht darin, dass sich die Leute, zu denen sie gesandt sind, anschließend besser oder fitter fühlen, geschweige denn, dass die Leute von den Jüngern irgendwelche Abos käuflich erwerben sollen. Sondern indem die 72 Jünger zu den Menschen gehen, bringen sie mit ihrer Verkündigung das Reich Gottes zu ihnen, entreißen sie damit dem Machtbereich der Mächte des Bösen. Und genau das geschieht, so stellen es die 72 fröhlich und staunend fest, als sie von ihrer ersten Runde zu Jesus zurückkehren: „Herr, auch die bösen Geister sind uns untertan in deinem Namen.“

„Böse Geister“ – das mag für uns jetzt erst mal sehr mittelalterlich klingen oder vielleicht auch nach einem Bericht aus dem Urwald von Neuguinea. Doch was die 72 Jünger hier erfahren und ansprechen, hat in Wirklichkeit mit Aberglauben oder einem längst überholten Weltbild nichts zu tun: Christus selber greift nämlich auf, was die Jünger gerade erfahren haben: „Die ganze Zeit, als ihr unterwegs wart, sah ich den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.“ Nicht um spektakuläre Aktionen geht es in dem Dienst der Jünger, nicht um Stoff für Gruselfilme fürs Kino, sondern darum, dass dort, wo das Evangelium verkündigt wird, die gottfeindlichen Mächte weichen müssen, sich geschlagen geben müssen. Satan, der versucht hatte, sich gegen Gott aufzulehnen, dessen Ziel darin bestand und besteht, die Herrschaft über die Menschen endgültig an sich zu reißen, muss sich geschlagen geben, hat keinen Platz mehr in der Nähe der Kommandozentrale dieser Welt. Gewiss, geschlagen ist er zwar, aber jetzt ist er umso eifriger hier auf Erden am Werk, so haben wir es eben ja auch in der Epistel dieses Festtags gehört, versucht, auch wenn er seiner sicheren Niederlage entgegengeht, immer noch, Menschen von Christus abzubringen und sie mit sich ins Verderben zu stürzen. Doch diese Rückzugsgefechte ändern nichts daran, dass er, der Gegenspieler Gottes, immer wieder klein beigeben muss, wo Menschen im Auftrag Christi tun, was Christus befohlen hat: Taufen, Vergeben, Verkündigen.

Ja, mitten in einem Kampf stecken wir; das ist eine Erfahrung, die wir mitunter beinahe handgreiflich machen können, die auch ich selber immer wieder in meinem Dienst mache. Wie oft habe ich das schon bei der Vorbereitung von Taufen erlebt, vor allem bei Jugendlichen und Erwachsenen, dass der Teufel da nicht einfach kampflos aufgibt, wenn ihm Menschen aus seinem Herrschaftsbereich entrissen werden sollen! Da setzt er sich zur Wehr, geht diese Menschen vor ihrer Taufe noch einmal mit besonderer Heftigkeit an, versucht Hindernisse in den Weg zu legen, versucht alles, was er kann, um zu verhindern, dass diese Taufe stattfinden kann. Und natürlich gibt er auch nach der Taufe nicht auf, hat seine eigenen Tricks auf Lager, um Menschen wieder dazu zu bewegen, sich aus der Gemeinschaft mit dem Sieger Jesus Christus zu lösen und sich ihm, dem Verlierer, anzuschließen. Ja, da spielt dann das Wohlfühlen oft genug in der Tat eine Rolle, dass man sich doch sonntags morgens im Bett viel wohler fühlt als im Bus auf dem Weg zur Kirche, dass man doch Spaß im Leben haben will und dann für Christus einfach keine Zeit hat, dass Geld und Hobby und Familie an der ersten Stelle im Leben landen und Christus auf hintere Plätze im Leben verweisen, wo er letztlich völlig unwichtig wird.

Nein, unterschätzen wir nicht den Kampf, von dem Christus hier spricht, den Kampf, in den wir als Kirche und Gemeinde, in den wir auch als einzelne Christen immer und immer wieder gestellt sind, unterschätzen wir nicht den Gegner, auch wenn der heutzutage weitgehend nur noch belächelt und nicht mehr ernst genommen wird! Aber unterschätzen wir noch viel weniger ihn, den Sieger Jesus Christus, ihn, der seinen Jüngern, der seiner Kirche die Vollmacht gegeben hat, den Mächten des Bösen entgegenzutreten und Menschen ihrer Herrschaft zu entreißen. Unterschätzen wir nicht, was geschieht, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher oder ein Erwachsener getauft wird, dem Machtbereich des Teufels entrissen wird. Gewiss wird der Teufel versuchen, sich diesen Menschen zurückzuholen. Aber dass dieser getaufte Mensch ein Kind Gottes ist, dass sein Name im Himmel geschrieben ist, das kann der Teufel nicht mehr rückgängig machen, das bleibt bestehen, was auch geschieht. Unterschätzen wir nicht, was geschieht, wenn im Vorkonfirmandenunterricht, wenn bei der Kinderbibelwoche, wenn bei einer Jugendfreizeit Kindern und Jugendlichen das Wort Gottes verkündigt wird, wenn sie dort von Christus hören und sie zum verbindlichen Leben in seiner Gemeinschaft eingeladen werden. Ja, manchmal frage ich mich ja auch selber, ob die Kinder und Jugendlichen denn davon auch nur irgendetwas mitnehmen, ob dieser ganze Aufwand etwas bringt. Doch, das tut er, so ermutigt uns Christus hier. Da geschieht an den Herzen dieser Kinder und Jugendlichen mehr, als man zunächst wahrnehmen und erkennen kann, da kämpft Christus gemeinsam mit seinen Engeln, gerade auch da, wo unsere menschlichen Kräfte oft nicht sehr weit reichen, da hält er junge Menschen dadurch in seiner Gemeinschaft fest, auch wenn die Mächte des Bösen noch so sehr an ihnen ziehen mögen. Und unterschätzen wir natürlich auch nicht, was hier in jedem Gottesdienst geschieht. Das ist eben nicht eine Routineveranstaltung, die ja immer gleich abläuft und die man sich darum auch nur in größeren Abständen anzutun braucht. Sondern auch hier im Gottesdienst findet er statt, der Kampf, den Christus hier schildert, da stürzt der Satan immer wieder von Neuem herab, wenn die Botschaft von Christus verkündigt, wenn Vergebung zugesprochen wird, wenn Christus hier auch für unseren Körper etwas tut, was kein „Fitness first“ zu bewirken vermag, wenn er in unserem Körper mit seinem Leib und Blut Wohnung nimmt und ihn damit vorbereitet auf seine Auferstehung am jüngsten Tag.

Unterschätzen wir darum bloß Christus nicht, ja, lassen wir uns von daher aber auch nicht dazu verleiten, zu sehr auf den Teufel und seine Möglichkeiten zu starren oder auch auf unsere Möglichkeiten und Kräfte, ihm zu widerstehen.

Da jubeln die 72 Jünger, weil sie etwas davon erfahren haben, was für eine Kraft das Wort hat, das sie verkündigt haben, dass auch die Mächte des Bösen diesem Wort nicht widerstehen konnten. Doch Christus holt die 72 hier zugleich auch wieder ganz auf den Teppich herunter. Ja, es stimmt, so macht er deutlich: In dem, was ihr tut, geschieht in der Tat Spektakuläres, auch wenn man das mit den Augen nicht gleich wahrnehmen kann; in dem, was ihr tut, geschieht in der Tat Menschenunmögliches, Wunderbares. Doch darauf sollt ihr euch selber gar nicht so sehr konzentrieren. Euer Glaube soll nicht an den Erfolgen hängen, die mein Wort hervorzurufen vermag, euer Glaube soll nicht an irgendwelchen spektakulären Erscheinungen hängen. Sondern euer Glaube soll sich allein beziehen auf die Zusage, die ihr von mir doch schon erhalten habt, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind, dass ich dort für euch im Himmel schon einen Platz reserviert habe.

Was Christus damals seinen Jüngern gesagt hat, gilt auch für uns heute in gleicher Weise: Unser Glaube, unsere Freude im Glauben soll nicht daran hängen, dass wir uns als Christen gut oder glücklich fühlen, dass in unserem Leben alles so gelingt, wie wir uns das erhoffen. Unser Glaube, unsere Freude im Glauben soll sich nicht daran orientieren, wie voll unsere Kirche ist, wie sehr unsere Gemeinde wächst, erst recht nicht an dem, was wir zu schaffen und zu erreichen vermögen. Christus gewinnt seinen Kampf mit den Mächten des Bösen oft genug gegen allen Augenschein, gegen alle Erfahrung. Da gibt es oft herzlich wenig zu sehen; da scheint oft genug auch in der Kirche alles dagegen zu sprechen, dass Christus wirklich der Sieger über den Teufel ist. Auch davon sollen wir uns nicht irre machen lassen. Denn fest steht doch auch für uns dies eine: Dass auch unsere Namen im Himmel geschrieben sind. Das gilt auch für uns seit dem Tag unserer Heiligen Taufe, als Christus uns bei unserem Namen gerufen und damit zugleich die Tischkarte mit diesem Namen an seinem Tisch im Reich Gottes aufgestellt hat. Dein Platz im Himmel ist und bleibt reserviert, komme was da wolle; der Teufel ist aus dem Himmel rausgeschmissen worden; der kann diese Tischkarte nicht mehr wegnehmen und entfernen. Ja, darüber freue dich, darauf richte dein Leben aus, damit ja dies eine nicht passiert, dass dein Platz im Himmel reserviert war und du von dieser Reservierung am Ende doch nichts wissen wolltest. Mach darum von dieser Reservierung schon jetzt immer wieder Gebrauch, lass dich schon jetzt immer wieder am Tisch im Reich Gottes platzieren, wenn du hierher nach vorne kommst, um teilzuhaben am himmlischen Freudenmahl, um dich mit Christus selber verbinden zu lassen, ihm, dem Sieger über Tod und Teufel. Ja, Grund zur Freude hast du deswegen allemal, zu einer Freude, die viel tiefer reicht als alles Wellness-Feeling, zu einer Freude, die dir einmal endgültig nie mehr vergehen wird. Ja, freue dich, dass dein Name im Himmel geschrieben ist.

Und was hat das heute am St. Michaelisfest alles mit den Engeln zu tun? Eine ganze Menge! Nein, die sind eben viel mehr als bloß ein persönlicher Fitnesscoach oder als ein Aufpasser, damit du auch sicher über die Straße kommst. Stark sind die Engel; darum hat Christus ihnen die Aufgabe anvertraut, den Satan aus dem Himmel zu werfen. Stark sind die Engel; darum hat Christus ihnen befohlen, euch zu dienen, dir und mir, nein, nicht bloß uns vor manchem Unfall zu bewahren – das tun sie dann, Gott sei’s gedankt, auch noch. Nein, so dienen euch die Engel, dass sie euch geleiten und euch helfen, bei ihm, Christus, zu bleiben, immer wieder dorthin zurückzukehren, wo sich jetzt schon hier auf Erden die Stimmen der Menschen und die Stimmen der Engel vereinigen in der Feier des Heiligen Mahls. Ganz im Hintergrund wirken sie, so sehr, dass sie hier im Heiligen Evangelium kein einziges Mal erwähnt werden. Aber sie sind da für euch, kämpfen für euch, stellen sich schützend vor euch, dass der böse Feind keine Macht an euch findet, dass ihr schließlich dort ankommt, wo ihr hingehört, in den Himmel. Das ist das Erste und Wichtigste in eurem Leben, und genau dafür sind die Engel da. Mensch, wenn das kein Grund zur Freude ist! Amen.