03.05.2009 | St. Johannes 15, 1-8 (Jubilate)

JUBILATE – 3. MAI 2009 – PREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 15,1-8

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie müssen brennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

„Was ist dir wichtig?“ Diese Frage sprang uns in den vergangenen Wochen von zahlreichen Plakatwänden und Bushaltestellen ins Auge. „Was ist dir wichtig?“ – Was zunächst wie eine kirchliche Werbeaktion wirkte, stellte sich bei näherem Betrachten als Initiative der IG Metall heraus, die unter der Website www.gutes-leben.de die Bevölkerung befragen will, was ihr wichtig ist und was sie unter einem guten Leben versteht. Klickt man die entsprechende Website an, dann ist die Auswahl dessen, was nach Auffassung der IG Metall ein gutes Leben ausmacht, allerdings reichlich begrenzt. Man kann sich entscheiden, ob es einem wichtig ist, von seinem Einkommen gut leben zu können, bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit materiell gut abgesichert zu sein, genügend Zeit für Familie und Privates zu haben oder aber mit seiner Rente im Alter gut auszukommen.
Nun ist die IG Metall natürlich keine Missionsgesellschaft. Doch das Spektrum dessen, was sie unter einem guten Leben alles versteht, ist dennoch interessant, denn dieses Spektrum beschreibt in der Tat den Erwartungshorizont sehr vieler Menschen in unserem Land, einen Erwartungshorizont an ein gutes Leben, der in der Tat nicht weiter reicht als bis zu einer anständigen materiellen Absicherung und ein wenig privatem Glück.
Was ist dir wichtig, was ist für dich ein gutes Leben? Um diese Fragen geht es auch im Heiligen Evangelium dieses Sonntags Jubilate. Die Antworten, die St. Johannes, nein, mehr noch: die Antworten, die Christus selber hier auf diese Fragen gibt, finden sich allerdings nirgendwo auf dem Fragebogen der IG Metall; sie eröffnen uns den Blick auf eine Wirklichkeit, die weit über das hinausreicht, was Menschen üblicherweise in unserem Land beschäftigt und bewegt.
Nun geht es weder Christus noch mir darum, in irgendeiner Weise das Bemühen der IG Metall um soziale Gerechtigkeit zu kritisieren; wohl aber wollen wir uns durch die Worte des Heiligen Evangeliums dieses Sonntags davor warnen lassen, das Entscheidende zu verpassen, was ein gutes Leben, ein gelingendes Leben wirklich ausmacht. In einem solchen Leben geht es, so zeigt es uns St. Johannes hier,

- um unser Sein in Christus
- um unser Bleiben
- um unsere Frucht

I.

Als Weinstock bezeichnet sich Christus hier in diesen Versen gleich mehrfach. Nun ist der Weinbau an Spree und Havel nicht sonderlich weit verbreitet, sodass wir nicht unbedingt tagtäglich solch einen Weinstock vor Augen haben, von dem Christus hier spricht. Doch das Bild, das er hier gebraucht, ist nichtsdestoweniger so eindrücklich, dass wir nicht erst in irgendwelche wärmeren Gefilde reisen müssen, um einen Eindruck davon zu bekommen, was Christus hier wohl meint:
„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ – Offenkundig geht es also um eine ganz enge Gemeinschaft zwischen Christus und denen, die er anspricht, und damit auch um eine ganz enge Gemeinschaft zwischen Christus und uns. Reben sind ja nicht bloß irgendeine überflüssige Verzierung eines Weinstocks, sie werden nicht künstlich an einen längst schon bestehenden Weinstock angefügt, sondern die Reben machen den Weinstock ganz wesentlich mit aus; ein Weinstock hat, wenn er denn Weinstock ist, immer auch Reben. Und umgekehrt ist völlig klar: Eine Rebe, die nicht an einem Weinstock hängt, hat keinerlei Überlebenschancen, hat, mit den Worten der IG Metall gesprochen, keine Chance auf ein wirklich „gutes Leben“.
Ja, eine entscheidend wichtige Antwort gibt Christus selber damit auf die Frage, was denn unser Leben eigentlich ausmacht, was ein gutes Leben wirklich ausmacht: Mein Leben, wenn es denn ein gutes ist, gründet sich nicht in mir selber, bekommt seinen Inhalt und seinen Wert nicht durch das, was ich tue, was ich zu leisten vermag, nicht durch das, was ich verdiene. Sondern mein Leben gründet sich ganz und gar in Christus, besteht in der Verbindung mit ihm, erhält von daher seinen Inhalt, seinen Sinn, seine Fülle.
Ja, ungeheuer befreiend und entlastend ist dieses Bild, das uns Jesus hier vor Augen stellt: Christus hat schon längst dafür gesorgt, dass mein Leben ein gutes Leben ist, hat dafür die Grundlage gelegt, als er am Kreuz für mich gestorben ist, als er am Ostermorgen den Tod besiegt hat. Christus hat schon längst dafür gesorgt, dass mein Leben ein gutes Leben ist, als er sich mit mir verbunden hat in meiner Heiligen Taufe; ja, seitdem lebt er in mir, und ich lebe in ihm, bin mit ihm verbunden, wie Weinstock und Rebe miteinander verbunden sind. Und immer wieder wird mein Leben zu einem guten Leben, wenn Gott, mein Vater im Himmel, anfängt, Reinigungsarbeiten an mir vorzunehmen, wenn er mir immer wieder alle Schuld meines Lebens vergibt, wenn Christus immer wieder von Neuem in mir lebt mit seinem Leib und Blut im Heiligen Mahl. Ja, Christus macht mein Leben gut, und ich darf mich einfach an ihm hängen lassen, brauche mir mein gutes Leben nicht mehr zu erarbeiten, zu erkämpfen. Christus durchströmt mich mit seinem unvergänglichen Leben, wie die Rebe vom Lebenssaft des Weinstocks durchströmt wird.
Nein, es geht in unserem Leben als Christen zunächst einmal überhaupt nicht um „Verstehen“, um „Entscheiden“, um „Handeln“, um „Umsetzen“; Glaube ist unendlich mehr als bloß ein intellektuelles Begreifen dessen, was Christus für mich getan hat; er ist keine menschliche Entscheidung, und er ist auch nicht bloß die Motivationsgrundlage dafür, dass ich als anständiger Mensch lebe. Sondern Glauben heißt einfach: in Christus sein, in ihm leben, wie Christus in mir lebt. Dadurch habe ich Anteil an seinem Leben, an einer Wirklichkeit, die unendlich über das hinausreicht, was Menschen sich selber von sich aus als gutes Leben wünschen mögen. Ja, Schwestern und Brüder, wir haben es als Christen wirklich gut!

II.

So einfach kann das doch gar nicht sein, mag so mancher einwenden, der diese Worte Christi hier im Heiligen Evangelium hört: Ich muss doch auch etwas tun; christliches Leben kann doch nicht darin bestehen, dass ich mich einfach in eine Hängematte lege und es genieße, in Christus zu sein!
In der Tat: Christus begnügt sich hier in seinen Worten nicht bloß mit einer Beschreibung dessen, was ist, sondern er gebraucht auch Imperative, also Aufforderungen an seine Hörer, an uns. Bezeichnend ist allerdings, wozu Christus hier auffordert: Er sagt nicht: Nun tut doch endlich etwas, nun kämpft für eine bessere Welt, nun entscheidet euch doch endlich für mich! Sondern er sagt schlicht und einfach: Bleibt! Bleibt in mir!
Also doch wieder Hängematte: Bleibt liegen, tut nichts!? O nein, darum geht es Christus hier gar nicht. Was er aber zunächst einmal damit ganz deutlich herausstellt, ist dies: Euer Heil steht schon fest; das müsst ihr nicht erst noch erarbeiten, das müsst ihr nicht erst noch ergänzen, dafür müsst ihr euch auch nicht erst noch entscheiden. Wenn ihr in mir seid und ich in euch, dann steht das Entscheidende schon fest, was auch einmal das ewige Leben ausmachen wird, ja, was es jetzt schon ausmacht: Die Gemeinschaft zwischen mir, Jesus, und euch, die ihr zu mir gehört.
Doch so selbstverständlich ist das mit dem Bleiben eben nun auch wieder nicht. Gewiss, vom Bild her, das Jesus hier gebraucht, klingt es geradezu widersinnig, dass sich eine Rebe aus dem Weinstock ausklinken sollte, versuchen sollte, ohne Weinstock allein klarzukommen. Doch genau mit diesem Widersinn hatte Christus selber, hatte Johannes, haben wir auch heute immer wieder zu tun: Menschen, die mit Christus verbunden waren durch die Taufe, die mit ihm verbunden blieben durch das Heilige Mahl, klinken sich schließlich doch wieder aus dieser Gemeinschaft aus, gründen ihr Leben schließlich doch wieder auf Anderes statt auf die Gemeinschaft mit Christus, finden ihr gutes Leben dann doch lieber in der Arbeit, im trauten Familienleben, im Hobby. Nein, das ist ja keine Ausnahme, sondern das ist für Menschen heute der Normalzustand, ja, leider auch für so viele, die getauft sind, die früher einmal in der Kirche zu Hause waren. Die IG Metall hat schon recht: Mit ihrer großen Umfrage, mit dem Spektrum dessen, was sie als gutes Leben bestimmt, erreicht sie tatsächlich weite Teile der Bevölkerung. Menschen, für die das Wichtigste im Leben ist, in der Gemeinschaft mit Christus zu sein, sind auch heute die Ausnahme. Ja, bei Christus zu bleiben, wenn so viele von ihm nichts wissen wollen, wenn so viele sich wieder von ihm entfernen, das ist wahrlich etwas Anderes, als in einer Hängematte zu liegen; das kann ganz schön schwerfallen, wenn so vieles uns von ihm, Christus, wegzuziehen versucht. Bei Christus zu bleiben, immer wieder seine Gemeinschaft im Heiligen Mahl zu suchen, ihn immer besser kennenzulernen in seinem Wort, das kann ganz schön anstrengend sein. Nein, allein könnten wir das niemals schaffen; aber allein brauchen wir es eben auch nicht zu schaffen: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ – So stellt es Christus selber ganz eindeutig fest. Wenn ich bei Christus, ja in ihm bleibe, dann liegt das nicht an meiner Willensstärke, nicht an meiner Sturheit, sondern einzig und allein, dass Christus mich bei sich festhält, dass er mich gerade dadurch immer wieder bei sich festhält, dass er es mir ganz kurz und knapp zuruft: Bleib bei mir, in mir; klink dich nicht aus!

III.

Spielt sich gutes Leben also letztlich nur im Gottesdienst ab, darin, dass wir hier immer wieder mit Christus verbunden werden und uns dieser Gemeinschaft erfreuen?
Nein, Christus selber weiß darum, dass dieses Leben in der Gemeinschaft mit ihm weiterführt in den Alltag und sich dort auswirkt. Darum führt er das Bild von dem Weinstock und den Reben weiter und spricht von der Frucht, die die Reben bringen.
Nun wüssten wir ja gerne, worin denn diese Frucht genau besteht, die die Reben bringen sollen – nein, die die Reben tatsächlich bringen, so müsste man im Sinne der Worte Jesu formulieren. Was soll ich denn nun alles als Christ tun, was für Früchte erwartet denn Gott der Vater, der Weingärtner, von mir? Schwestern und Brüder: Es ist ganz bezeichnend, dass Christus genau auf diese scheinbar so naheliegende Frage uns keine Antwort gibt. Das Leben als Christ, im Sinne dessen, was Christus hier sagt, also ein gutes Leben besteht nicht darin, dass ich diese oder jene Forderung erfülle, dass ich dieses oder jenes Pensum schaffe, dass ich irgendwo nachgucken könnte, in welcher Situation ich mich wie zu verhalten habe. Sondern Christus geht ganz selbstverständlich davon aus, dass das Leben in seiner Gemeinschaft nicht ohne Folgen bleibt, dass da etwas wächst, ganz selbstverständlich, auch ohne einen Katalog von Vorschriften und Ausführungsbestimmungen. Zwei Beispiele nennt er hier selber im 15. Kapitel des Johannesevangeliums: Zum einen redet er von der Liebe als Frucht des Lebens in der Gemeinschaft mit Christus. Liebe zu Christus, Liebe zu den Brüdern und Schwestern in der Gemeinde, Liebe zu Menschen, die Christus noch nicht kennen – nein, die kann man nicht befehlen, die erwächst aus der Erfahrung, von Christus getragen, in ihm verwurzelt zu sein. Und zum anderen redet Christus hier vom Gebet. Nein, auch das Gebet ist nicht ein gutes Werk, das wir möglichst eine bestimmte Zahl von Malen jeden Tag verrichten müssen. Sondern das Gebet, das Gespräch mit Gott, dem Vater, erwächst ebenfalls ganz selbstverständlich aus dem Leben in der Gemeinschaft mit Christus. Ich muss nicht mit Gott reden; ich tue es – und je mehr ich von Christus, vom Leben mit ihm und in ihm geprägt werde, desto mehr wird das, was ich von ihm erbitte, auch dem entsprechen, was Gottes Wille für mein Leben ist. Und so erleben andere Menschen uns Christen eben auch gerade nicht in der Hängematte liegend, desinteressiert an allem, was um sie herum vorgeht, sondern in der Tat höchst aktiv, und doch zugleich gegründet in einer Wirklichkeit, von der die meisten keine Ahnung haben.
Frucht bringen wir; nein, wir müssen sie nicht bringen; wir bringen sie – und zwar einzig und allein, weil wir am Weinstock hängen, weil der Lebenssaft des Weinstocks diese Frucht in uns hervorbringt. Nein, da gibt es keine Leistungsanforderungen, keinen Druck, keine Zielvorgaben. In dem guten Leben, das Christus hier beschreibt, hängt alles, hängen auch wir allein an ihm, Christus, selber, an dem, was er in uns und durch uns tut.
Was ist dir wichtig? Wenn du auf diese Frage nicht bloß mit einem Verweis auf deine Rente, dein Privatleben, deine Hobbys und dein Einkommen antwortest, sondern von Christus erzählst, dann ist das auch Frucht, die Christus selber in dir gewirkt hat.
Ja, es ist schon richtig, dass das Leben in der Gemeinschaft mit Christus nicht auf dem Fragebogen der IG Metall mit zur Abstimmung gestellt wird. Die Wahrheit des Anspruchs Christi hängt nicht daran, dass möglichst viele ihm zustimmen, dass er auf mehrheitliche Begeisterung stößt. Jesus macht uns hier bei Johannes kein unverbindliches Angebot, sondern er beschreibt, was längst Wirklichkeit ist, auch wenn so viele von dieser Wirklichkeit nichts wissen wollen, sondern sich vielleicht gar aus ihr ausklinken. Christus, der wahre Weinstock, läuft in der Tat außer Konkurrenz, denn er stellt einen Absolutheitsanspruch auf, der heute nicht mehr sehr beliebt ist. Doch er hat das Recht dazu; denn er, Christus, ist eben der einzige, der den Tod besiegt hat, der tatsächlich beanspruchen darf, dass Menschen in seiner Gemeinschaft Leben finden, das diesen Namen wirklich verdient, gutes Leben, ewiges Leben, Leben, dessen Qualität nicht bedroht ist und auch nicht bedroht werden kann. Darum bleibt bei ihm, ja in ihm – denn dort habt ihr es wirklich gut! Amen.