24.12.2010 | Johannes 3,16-21 | Christvesper II

Nun ist es nicht mehr lange hin bis zur Bescherung. Auch wenn an dieser zweiten Christvesper jetzt nur noch wenige Kinder teilnehmen, weil die meisten eben schon in der ersten Christvesper waren, mag es durchaus sein, dass auch ihr der Bescherung, die noch vor euch liegt, mit einer gewissen Spannung entgegenblickt. Ja, vielleicht seid ihr sogar weniger gespannt darauf, was für Geschenke ihr selber bekommen werdet, als darauf, wie wohl die Geschenke, die ihr für andere ausgesucht habt, bei den Beschenkten ankommen werden. Werden sie sich darüber freuen oder sie nur mit einem gequälten Lächeln zur Kenntnis nehmen? Ja, lieber gar nicht vorstellen wollt ihr es euch, dass jemand euer Geschenk, das ihr mit viel Liebe für ihn ausgesucht habt, am Ende des Heiligen Abends einfach liegen lässt, in ausgepacktem oder vielleicht sogar unausgepacktem Zustand, und deutlich zu erkennen gibt, dass ihn dieses Geschenk überhaupt nicht interessiert.

Schwestern und Brüder, falls ihr es noch nicht mitbekommen habt: Die Bescherung des Heiligen Abends beginnt nicht gleich erst, wenn ihr diese Kirche wieder verlassen habt, sondern sie beginnt jetzt schon – jawohl, jetzt, in diesem Augenblick. Da möchte euch einer beschenken, hat mich losgeschickt, damit ich euch dieses Geschenk in seinem Namen überreiche – und nun wartet er darauf, was ihr wohl mit diesem Geschenk macht, wie ihr auf dieses Geschenk wohl reagiert. Und mir geht es jetzt in diesen kommenden Minuten eigentlich auch nur um eins: Ich möchte euch dieses Geschenk lieb machen, dass ihr euch tatsächlich von Herzen darüber freut und es nicht hier in der Kirchenbank liegen lasst, wenn ihr nachher wieder aus der Kirche herausgeht.

I.
Was kann Menschen dazu veranlassen, sich über ein Geschenk, das ihnen gemacht wird, nicht zu freuen, sondern darauf eher ablehnend zu reagieren? Das kann beispielsweise geschehen, wenn die Beschenkten merken, dass der Schenkende ihnen mit dem Geschenk etwas hinten durch die Brust ins Auge aufzwingen will, wenn der Schenkende mit dem Geschenk sich letztlich seine eigenen Wünsche befriedigen will. Das kann geschehen, wenn die Beschenkten merken, dass der Schenkende mit dem Geschenk letztlich nur pädagogische Hinterabsichten verfolgt und den Beschenkten damit nun zu etwas verpflichtet, was er freiwillig nie täte. Und das kann auch geschehen, wenn man dem Geschenk deutlich anmerkt, dass es so groß dimensioniert ist, um den Beschenkten zu verpflichten, sich mit einem mindestens ebenso großen Geschenk zu revanchieren.

Für das Geschenk, das ich euch heute von meinem Auftraggeber zu überreichen habe, trifft das alles nicht zu. Dieses Geschenk ist nicht mit List und Tücke ausgesucht worden, es ist mit keinen pädagogischen Hintergedanken verbunden und soll uns auch nicht zu irgendeiner Form von Wohlverhalten verpflichten, geschweige denn, dass der Schenkende von uns erwarten würde, dass wir uns nun auch mit einem entsprechenden Geschenk bei ihm revanchieren. Denn das ist schlechterdings unmöglich. Dieses Geschenk ist so groß und so einmalig, dass es von uns überhaupt nicht zu toppen ist, dass alle Versuche, es durch eine entsprechende Gegenleistung auszugleichen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Nein, das will der Schenkende eben auch überhaupt nicht – der Schenkende, der kein Geringerer ist als der lebendige Gott selber. Der will euch heute Abend beschenken, und alle Geschenke, die ihr heute Abend noch austauschen werdet, sind von ihrem ursprünglichen Sinn her eine Erinnerung, ein Abglanz dessen, was euch von dem großen Geber zuerst und vor allem anderen geschenkt wird.

Nur einen einzigen Beweggrund für sein Geschenk, das er euch heute überreicht, hat Gott, der Geber, und dieser Beweggrund ist seine Liebe zu euch, jawohl zu euch, so betont es Christus selber in der Predigtlesung des heutigen Abends. „Also hat Gott die Welt geliebt“ – so beginnt diese Predigtlesung. Und wenn im Johannesevangelium, aus dem dieser Satz entnommen ist, von der Welt die Rede ist, dann ist damit immer wieder die gottfeindliche Welt gemeint, die Welt, die von Gott nichts wissen will, ihn ablehnt, sich ihm verschließt. Diese Welt liebt Gott. Gott liebt nicht nur die Menschen, die jeden Sonntag hier in der Kirche sitzen, er liebt nicht nur die Menschen, die immer brav und anständig sind. Sondern er liebt auch die, die sich vielleicht nur einmal im Jahr am Heiligen Abend dazu aufraffen, in die Kirche zu gehen, und den Rest des Jahres über den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, mit dem man sich weiter nicht zu befassen braucht. Er liebt auch die, die in ihrem Leben schwere Schuld auf sich geladen haben, ja, die es vielleicht selber ahnen, wie sehr sie ihr eigenes Leben und vielleicht auch das Leben anderer verpfuscht haben. Ja, auch die liebt Gott, auch denen will er heute Abend sein Geschenk überreichen.

Und dieses Geschenk ist nicht bloß ein Etwas, sondern dieses Geschenk hat Gott selber sich vom Herzen gerissen, ja, dieses Geschenk war und ist für ihn das größte Opfer seines Lebens: Seinen einzigen Sohn Jesus Christus schenkt Gott dir, und wenn ich sage: Er schenkt ihn dir, dann heißt das in der Tat: Gott hat auf ihn verzichtet, hat zugelassen und zugesehen, wie sein einziger Sohn, den er für dich hat Mensch werden lassen, wie der zu Tode gefoltert und umgebracht worden ist. Ja, das hat er nicht nur zugelassen, genau dazu hat er ihn als ein kleines Kind im Stall von Bethlehem zur Welt kommen lassen, damit er am Kreuz auf sich nimmt, was du und ich eigentlich verdient haben, damit er die Strafe trägt, die eigentlich uns mit unserer Gleichgültigkeit gegenüber Gott gegolten hätte. Mit heißem Herzen hat Gott dir dieses Geschenk gemacht – und nun hofft er sehnlich darauf, dass du das nicht bloß mit einem gelangweilten Gähnen zur Kenntnis nimmst, sondern dass du merkst, was das für ihn und für dich bedeutet, dass Gott auf sein Allerliebstes verzichtet, um dir seine Liebe zu schenken, Liebe, die selbst vor dem Tod nicht Halt macht.

II.
Es kann natürlich auch noch einen anderen Grund geben, weshalb sich die Freude eines Beschenkten über ein Geschenk in Grenzen hält: wenn es sich schlicht und einfach um ein überflüssiges Geschenk handelt, mit dem er in seinem Alltag überhaupt nichts anfangen kann: die Krawatte in scheußlichem Farbton, der Aschenbecher für den leidenschaftlichen Nichtraucher, das 53. Paar dunkelgrauer Wollsocken. Ja, manche Geschenke fordern vom Beschenkten in der Tat schon beinahe heroische Akte der Selbstbeherrschung.

Doch auch dies trifft auf das Geschenk, das ich euch heute im Auftrag Gottes überreichen darf, nicht zu. Das ist nicht überflüssig, das ist nicht daneben, sondern das braucht ihr dringender als alles andere in eurem Leben, auch wenn euch das selber vielleicht gar nicht immer so ganz klar ist. Nein, Gott verspricht euch nicht bloß ein paar romantische Stunden bei Kerzenschein; sein Geschenk zielt auf nicht weniger als darauf, dass ihr nicht verloren geht, dass euer Leben nicht in der Finsternis des ewigen Todes endet. Sein Geschenk zielt darauf, dass Menschen nicht für immer und ewig ein Leben führen, in dem Gott keine Rolle spielt. Und die Entscheidung darüber, ob wir unser Leben verpennen und verfehlen, ob es einmal in alle Ewigkeit ein Leben ohne Gott oder ein Leben mit Gott sein wird, die Entscheidung darüber, sie fällt hier und jetzt, so macht es Christus selber uns in den Worten unserer heutigen Predigtlesung deutlich: Die Entscheidung darüber vollzieht sich in unserem Umgang mit dem Geschenk, das Gott uns, das er auch dir hier heute Abend macht: Nein, Gott will von dir keine Gegenleistung; er wünscht sich nur, dass du dir dieses Geschenk von ihm gefallen lässt, dass du es nicht links liegen lässt oder es ihm wieder in die Hand drückst. Er wünscht sich nur, dass das Geschenk, das er dir macht, dort bleibt, wo er es hinpackt: bei dir, in deinem Leben. Anders formuliert: Gott möchte einfach nur, dass du ihm glaubst, wenn er dir seinen Sohn schenkt, dass du ihm das abnimmst, dass dieser Jesus Christus auch für dich in der Krippe gelegen und am Kreuz gehangen hat. Nein, Gott will nicht, dass dein Leben in der Dunkelheit des Todes endet, und er hat auch seinen Sohn eben nicht in die Welt gesandt, damit der ein wenig nachhilft, Menschen in die Hölle zu befördern. Im Gegenteil: Gott will, dass alle Menschen das ewige Leben haben; Gott will, dass auch du für immer mit ihm lebst, dass auch du gerettet wirst. Mach nur diesen einen Fehler nicht in deinem Leben und lege dieses Geschenk ungeöffnet zur Seite; mach nur diesen einen Fehler nicht in deinem Leben und glaube, du könntest auf diese liebende Zuwendung Gottes verzichten. Nein, dann ist es nicht Christus, der dich am Ende deines Lebens verurteilt, dann richtest du dich schon hier und jetzt selber, dann verpennst du in der Tat dein Leben, auch wenn es dir scheinbar doch auch ohne Christus in deinem Leben ganz passabel gehen mag.

III.
Ja, eins kann und will dir Gott, der große Schenker, in der Tat nicht ersparen: Dass sich durch das Geschenk, das er dir macht, dein Leben verändert: Ja, das will er in der Tat, dass du zu einem Menschen wirst, der seinen Wert und seine Bedeutung nicht mehr durch das bestimmt, was er zu leisten vermag, sondern der erkennt, dass sein Wert darin besteht, dass er von Gott unendlich geliebt ist, so sehr, dass Gott auch für ihn seinen Sohn in den Tod gegeben hat. Dass du ein reich beschenkter Mensch bist, das soll nicht bloß eine Erfahrung des Heiligen Abends für dich sein, sondern das soll dich in deinem ganzen Leben bestimmen, soll dich aufatmen lassen, soll dir eine Freude ins Herz geben, die nicht schon in 24 Stunden wieder vergangen ist.

Hab also keine Angst vor diesem Geschenk, vor dieser Bescherung, die Gott dir hier und jetzt bereitet; etwas Besseres als diese Bescherung kann dir in deinem Leben gar nicht passieren. Christus, deinen Herrn, sollst und darfst du nun mitnehmen in diese Heilige Nacht, in die Weihnachtsfeiertage, ins neue Jahr, ja in dein ganzes weiteres Leben. Und dieser Christus, der will dir dann auch die Angst nehmen, dass du in deinem Leben etwas Wichtigeres verpassen könntest, wenn du immer wieder gemeinsam mit ihm hier in seinem Haus feierst, wenn du ihm hier immer wieder begegnest im Heiligen Mahl. Dieser Christus wird dir helfen, es zu erkennen und es zu erfahren, wie gut es für dich ist, ein Christ sein zu dürfen, ein Christ, der aus Gottes vergebender Liebe lebt.

So, jetzt habe ich euch das Geschenk im Auftrag Gottes überreicht. Ich hoffe, ihr findet es morgen noch wieder, wenn ihr all die anderen Geschenke heute Abend ausgepackt habt. Es bleibt doch das größte und wichtigste Geschenk eures Lebens! Amen.