19.12.2010 | St. Lukas 1,26-38 | 4. Sonntag im Advent

Noch fünf Tage sind es bis zum Heiligen Abend. Schwestern und Brüder: Bricht bei euch jetzt gerade der kalte Schweiß aus, wenn ihr daran denkt: Fünf Tage noch – wie soll ich denn in dieser kurzen Zeit noch all das schaffen, was bis dahin erledigt sein muss? Geschenke kaufen, Klausuren schreiben, Predigten verfassen, das Weihnachtsessen vorbereiten! Oder aber auch: Fünf Tage noch – dann bricht wieder der große Krampf aus, dann muss ich wieder einen auf fröhliche Weihnachten machen, obwohl mir doch so überhaupt nicht danach zumute ist. Ja, allenthalben bricht er in diesen Tagen wieder aus – der vorweihnachtliche Stress, der doch in Wirklichkeit so gar nicht zu der Botschaft des Advent passt. Wie soll ich das bloß alles schaffen? – So fragen wir. Doch während wir noch in unseren Gedanken um das kreisen, was wir in den kommenden Tagen zu leisten haben, tritt uns an diesem Vierten Sonntag im Advent Maria, die Mutter Gottes, in der Predigtlesung dieses Tages entgegen, um uns aufatmen zu lassen, um uns zu helfen, wieder einen klaren Kopf zu gewinnen, um uns wieder neu wahrnehmen zu lassen, was wirklich wichtig ist: eben gerade nicht das, was wir tun und leisten.

Gewiss, was uns St. Lukas hier in seinem Evangelium schildert, ist ein absolut einmaliges Ereignis, eines, das sich in der ganzen Weltgeschichte niemals mehr wiederholen wird: Maria, das junge Mädchen aus Nazareth, wird von Gott zur Mutter Gottes erwählt und gemacht, trägt den unter ihrem Herzen, der die ganze Welt geschaffen hat. Ja, daran, dass dies in der Tat geschehen ist, dass das nicht nur eine schöne Legende ist, sondern sich tatsächlich ereignet hat, dass Gott Mensch geworden ist, geboren von der Jungfrau Maria, daran hängt nicht weniger als unser Heil, als unsere Rettung, als unser ewiges Leben. Ja, nur staunen, jubeln und anbeten können wir, wenn wir diese Worte vernehmen, die wir eben gehört haben, wenn uns darin geschildert wird, wie Gott mit seinem Kommen in unsere Welt auch unser Heil gewirkt hat.

Doch was Maria hier in so einmaliger Weise erfährt, kann uns zugleich doch auch noch in einer anderen Hinsicht ein ganz großer Trost sein, kann uns aufatmen lassen, gerade auch jetzt in diesen Tagen vor dem Christfest. Maria, sie ist eben nicht nur Mutter Gottes, sondern zugleich auch Urbild der Kirche, Urbild aller Glaubenden; ja, an dem, was sie erfährt, können wir zugleich doch auch wahrnehmen, wie Gott mit uns in unserem Leben verfährt. Dreierlei ruft uns Maria, die Mutter Gottes, in den Worten unserer heutigen Predigtlesung zu:

Du brauchst vor Gott nichts zu leisten.
Du brauchst dich nicht immer gut zu fühlen.
Du brauchst nichts zu sehen.


I.
In den letzten Jahren erfreuen sich sogenannte Casting Shows im Fernsehen immer größerer Beliebtheit: Menschen träumen davon, einmal berühmt zu werden, einmal richtig groß rauszukommen – und dafür sind sie bereit, sich vor Millionen von Menschen zum Affen zu machen. Und so erleben die Fernsehzuschauer mit, wie im Laufe des Auswahlverfahrens immer mehr Träume von Kandidaten zerplatzen, wie letztlich von den vielen, die am Anfang angetreten sind, nur einer oder eine gewinnt, mutmaßlich der oder die Beste.

Um Mutter Gottes zu werden, musste Maria keine Casting Show durchlaufen, musste sie nicht zeigen, dass sie die Allerbeste, die Allerschönste, die Allervollkommenste ist. Ganz im Gegenteil: Für diese Aufgabe hatte sich Maria selber überhaupt nicht beworben. Nicht im Traum wäre sie auch nur auf die Idee gekommen, dass noch zweitausend Jahre später Menschen überall auf der Welt sie als Mutter Gottes verehren würden; nicht im Traum wäre sie auch nur auf die Idee gekommen, dass Gott sie, ausgerechnet sie auswählen würde, um durch sie das Heil zur Welt zu bringen. Nichtsahnend stand sie da in ihrem kleinen Raum in Nazareth, als der Engel Gabriel mit einem Mal vor ihr stand und sie mit dem Ave Maria begrüßte: Sei gegrüßt, du Begnadete! Nein, begnadet war Maria nicht, weil sie irgendwelche besonderen Fähigkeiten besaß, weil sie vielleicht gar eine besondere Lebensleistung vorweisen konnte. Sondern begnadet war und ist Maria einzig und allein, weil Gott nun einmal entschieden hat, sie zu begnaden, sie zu erwählen, ohne jeglichen Anhaltspunkt auf ihrer Seite. Gott wählt Maria aus, nicht Dieter Bohlen tut dies, nicht ein Studiopublikum. Gott kommt einfach in Marias Leben hinein, ohne dass sie sich darum bemüht hätte, ohne dass ihr zunächst überhaupt klar war, was das eigentlich bedeutete.

An Maria können wir ablesen, wie Gott auch mit uns umgeht: Unglaubliches hat Gott hat auch in unserem Leben geschehen lassen, hat uns zu Menschen gemacht, die seine Kinder sind und für immer in seiner Gemeinschaft werden leben dürfen. Auch dazu haben wir nichts, aber auch gar nichts beigetragen – ebenso wenig wie Maria damals. Gott hat uns nicht darum erwählt und berufen, weil wir so gute Menschen mit solch einem guten Charakter sind, weil wir doch vergleichsweise ganz anständige Leute sind, weil wir uns doch auch hier in der Kirche so sehr engagieren. Unsere Erwählung und Berufung zum ewigen Leben beruht überhaupt nicht auf dem, was wir in unserem Leben geleistet haben oder vielleicht einmal leisten werden. Im Gegenteil: Längst bevor wir überhaupt darüber nachdenken konnten, ist Gott einfach in unser Leben eingetreten, wie sein Bote Gabriel damals auch, hat nicht um Erlaubnis gebeten, sondern hat einfach Fakten geschaffen in unserer Heiligen Taufe, hat da auch in uns Wohnung genommen, hat auch uns zu einem Tempel Gottes gemacht, ohne dass wir uns darum irgendwie beworben hätten. Begnadet hat uns Gott, nicht etwa belohnt, hat nicht erst darauf gewartet, dass wir uns dieser Gnade würdig erweisen. Lieber Bruder, liebe Schwester: Ist dir das klar, was das für dich bedeutet, gerade auch jetzt in diesen Tagen vor Weihnachten? Da spricht dich Gott mitten in deinem vorweihnachtlichen Rotieren an und sagt: Weißt du eigentlich noch, was du da in den kommenden Tagen feierst, weißt du eigentlich noch, wer du bist? Du feierst zu Weihnachten, dass deine Zukunft, dein Heil und auch dein Wert nicht von dir, nicht von deiner Leistung abhängen, sondern allein von dem, was ich, Gott, für dich getan habe. Begnadet bist du, ein Mensch, dem das größte Glück seines Lebens schon längst zuteil geworden ist. Mensch, atme auf, du brauchst vor mir nichts mehr zu leisten, du brauchst mich nicht zu beeindrucken. Du bist und bleibst mein Kind, auch wenn du jetzt in diesen kommenden Tagen wieder einmal an deinen eigenen Erwartungen scheitern solltest. Ich bin und bleibe mit dir – genau wie bei Maria damals auch.

II.
Nun machen wir uns, Schwestern und Brüder, vielleicht aber auch viel zu wenig klar, was diese Botschaft, die der Engel damals Maria überbrachte, für sie zunächst einmal bedeutete. Sie bedeutete für Maria nämlich zunächst einmal nichts Anderes als Ärger, als Probleme und Verleumdungen.

Davon, dass der Erzengel Gabriel bei Maria ins Zimmer mit ausgeklappten Flügeln geflogen wäre, berichtet uns St. Lukas nichts, und dass es sich bei der Feder, die in der Schatzkammer der gotischen Kathedrale von Oviedo in Spanien gezeigt wird, tatsächlich um eine Feder handelt, die der Erzengel Gabriel damals beim Landeanflug in Nazareth verloren hat, wage ich, ehrlich gesagt, doch auch stark zu bezweifeln. Für die Bewohner des kleinen Dorfes Nazareth, die da aus ihren Fenstern hinter der nicht vorhandenen Gardine schielten, sah die Geschichte jedenfalls ganz anders aus: Da ging ein unbekannter Mann einfach so in das Haus, in dem Maria wohnte – das war eigentlich unglaublich, denn dass ein Mann einfach so eine unverheiratete Frau in ihrem Haus besuchte, das war ein absoluter Tabubruch. Und bald darauf kommt er da dann wieder raus. Und siehe da: Kurz darauf ist Maria schwanger. Da konnte man sich ja wohl zwei und zwei zusammenzählen. Und dann erzählt die Maria doch allen Ernstes etwas davon, sie sei vom Heiligen Geist schwanger geworden – als ob man nicht als aufgeklärter Israelit genau wusste, wie Kinder zustande kommen! Und so wird sich Maria wohl mehr als einmal Worte wie „Schlampe“ oder „Hure“ angehört haben müssen, als sie mit dem Kind unter ihrem Herzen durch Nazareth ging. Nein, kein Mensch wäre damals auf die Idee gekommen, sie als Mutter Gottes, vielleicht gar als Himmelskönigin zu verehren.  So wirkte sich also Gottes Begnadung zunächst einmal in ihrem Leben aus, dass diese Begnadung ihr scheinbar nur Nachteile und Kummer einbrachte.

Und nicht anders ist es auch oft genug in unserem Leben: Dass du ein Kind Gottes bist, dass Gott in der Taufe auch in dir Wohnung genommen hat, das kannst du auch nicht unbedingt daran in deinem Leben ablesen, dass es dir immer nur gut geht, dass du immer nur Erfolg hast und dich immer nur wohlfühlst. Im Gegenteil mag es auch bei dir so sein, dass Gott dich in deinem Leben gerade auf ganz schweren Wegen führt, dass du vielleicht überhaupt nicht begreifen kannst, was Gott dir da gerade in deinem Leben antut, dass dir von daher nach Weihnachten und nach „O du fröhliche“ überhaupt nicht zumute ist.

Schau auf Maria, die Mutter Gottes, und lies es an ihr und ihrem Leben ab: Da läuft nicht etwas schief bei dir, wenn du dich in deinem Leben ganz schlecht fühlst, wenn du vielleicht auch um deines Glaubens willen blöde angemacht und angefeindet wirst. Mach dir darum bloß keinen Stress, denke ja nicht, du müsstest als Christ immer ein künstliches Lächeln aufsetzen und so tun, als ob du immer nur glücklich wärst. Gottes Erwählung und Berufung können dich durchaus auch auf ganz dunkle, finstere Wege führen, auf Wege, bei denen du mitunter auch gar nichts von Gottes Nähe spüren magst. Und wenn dir jetzt in der kommenden Woche zu Weihnachten eher die Tränen über die Backen laufen, als dass dir nach Frohlocken zumute wäre, dann denke daran: Du hast Maria an deiner Seite, Maria, deren Begnadung sie in ihrem Leben im Folgenden in tiefes Leid führte, bis sie schließlich sogar unter dem Kreuz dessen stehen musste, den sie nun zunächst noch als Fötus in ihrem Leib trug.

III.
Doch selbst von diesem Fötus spürte Maria noch nichts, als der Engel Gabriel ihr damals ankündigte, dass dieses Kind, mit dem sie nun schwanger sein würde, einmal Gottes Sohn genannt, ja wahrhaftig Gottes Sohn sein werde. Sie hört nur die Worte des Engels, die bewirken, was sie sagen, hört nur, dass sie nun schwanger ist – und sieht doch nichts. Und doch reicht ihr das, was sie hört, um darauf glaubend zu antworten: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.

Dass wir uns nicht missverstehen, Schwestern und Brüder: Es sind nicht die Worte Mariens, die ihre Schwangerschaft bewirken oder beim Zustandekommen dieser Schwangerschaft auch nur mitwirken. Maria kann nur staunend bedenken und für sich annehmen, was Gott durch sein Wort schon zuvor an ihr und in ihr gewirkt hat. Es verhielt sich damals bei ihr nicht anders als bei dem Wunder, das wir in jedem Gottesdienst hier auf dem Altar erleben: Das wirkmächtige Wort Christi wird laut – und dieses Wort allein bewirkt, dass Brot und Wein wirklich und tatsächlich Leib und Blut Christi werden, dass sich in ihnen genauso real und leibhaftig Christus selber finden lässt wie damals im Leib der Gottesmutter. Ja, diese Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Gestalten von Brot und Wein ist eben nicht abhängig von unserem Glauben oder gar von unserer Vorstellungskraft. Und wenn du auch hierher nach vorne kommen solltest und – was Gott verhüte! – denken solltest, du würdest hier nur eine Art von Keks und einen Schluck Wein empfangen – es ändert doch nichts daran, dass du wirklich und wahrhaftig Christus selber empfängst und berührst, genau wie damals das Wort des Engels und nicht etwa das Ja Mariens die Gegenwart des Gottessohnes in ihrem Leib hervorrief.

Schau darum auf Maria, lass dich durch ihr Vorbild ermutigen und trösten: Maria hat sich damals ohne jeden Beweis auf das Wort des Engels eingelassen, hat ihr Ja gesprochen, ohne dass sie auch nur irgendetwas sehen oder fühlen konnte. Und sie hat erfahren, dass Gott ihr Vertrauen nicht enttäuscht hat, dass sein Wort tatsächlich bewirkt hat, was es sagte. Nicht anders ist es auch bei dir: Du kannst es nicht sehen, dass du Kind Gottes und Erbe des ewigen Lebens bist. Du kannst es nicht fühlen, dass es wirklich der Herr der ganzen Welt ist, den du gleich wieder mit deinem Mund im Heiligen Mahl empfängst. Du hast keine Beweise dafür in der Hand, dass es sich lohnt, sich auf dieses Wort Christi einzulassen, auf ihn ganz zu vertrauen. Doch Maria ruft es dir zu: Du kannst dich auf dieses Wort deines Herrn verlassen; es bewirkt tatsächlich, was es sagt. Deine Taufe ist nicht bloß eine schöne Zeremonie gewesen, sondern da bist du tatsächlich neu geboren worden; das Heilige Mahl ist nicht bloß ein Gedächtnismahl, sondern wirklich und wahrhaftig Medizin des ewigen Lebens. Nichts, aber auch gar nichts hängt dabei von deiner Glaubensstärke ab. Das stimmt alles, ob du es glauben kannst oder nicht. Aber gerade darum tust du gut daran, diesem Wort zu glauben, ganz von dir selber wegzuschauen hin auf den, bei dem kein Ding unmöglich ist. Mache darum die Antwort Marias immer wieder zu deinem eigenen Gebet, wenn du dich an deine Taufe erinnerst, wenn du hier vom Altar zurückkehrst: Mir geschehe, wie du gesagt hast. Genau so wird es dann auch bei dir Weihnachten werden – nein, nicht bloß in fünf Tagen, sondern heute schon, genauso wie nächste Woche – und auch dann noch, wenn unser Weihnachtsbaum schon wieder von der BSR entsorgt worden ist. Nichts hängt an dir, alles hängt an ihm, der damals in Nazareth als Embryo in diese Welt gekommen ist, jawohl, auch für dich. Amen.