30.11.2010 | St. Johannes 1,35-42 | Tag des Apostels St. Andreas

51 Jahre sind es heute her, dass dem Vikar Jobst Schöne unter Gebet und Handauflegung das apostolische Hirtenamt übertragen wurde, 19 Jahre sind es heute her, dass dasselbe bei mir geschehen ist. Als ich heute vor 19 Jahren ordiniert wurde, da habe ich über die Worte Jesu aus dem Matthäusevangelium gepredigt: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“ Wie groß diese Ernte tatsächlich sein könnte und sein würde, habe ich heute vor 19 Jahren noch nicht einmal annähernd geahnt. Nur eines wollte ich sein und nur eines bin ich gewesen, nicht anders als Bischof Schöne auch: Gemeinsam sind wir Arbeiter in einer Ernte gewesen, die nicht auf unserem Mist gewachsen ist, die nicht wir hervorgerufen haben, sondern in der wir einfach immer wieder einsammeln durften, was der Herr der Ernte uns vor die Füße legte.
Was heißt es, Arbeiter in der Ernte Gottes sein zu dürfen? Genau das zeigt uns St. Johannes im Heiligen Evangelium des heutigen Festtags. Drei Personen stellt er uns hier vor Augen, an denen wir bestimmte Aspekte dieses Dienstes eines Arbeiters in der Ernte Gottes erkennen können.

I.
Da ist zunächst einmal Johannes der Täufer. Zweierlei können wir an ihm erkennen: Zunächst einmal hören wir seinen Ruf: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ Genau darum und letztlich um nichts Anderes geht es auch in dem Dienst, der Menschen in der Heiligen Ordination übertragen wird; genau darum geht es in der Arbeit in der Ernte: Auf Christus sollen wir hinweisen, nein, nicht auf einen großen Lehrer und Propheten, nicht auf einen Kuschel-Wohlfühl-Jesus, der mir bei der Steigerung meines emotionalen Wohlbefindens hilft, sondern auf ihn, Christus, als das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt und damit wegnimmt. Um den gekreuzigten Christus geht es im Amt der Kirche, darum, dass die, die in dieses Amt gerufen sind, auf ihn allein hinweisen, auf das, was er für uns getan hat. Nicht was wir tun sollen, soll im Mittelpunkt der Verkündigung stehen, sondern einzig und allein, was er getan hat und tut: Er, das Lamm Gottes, der seinen Weg ans Kreuz gegangen ist und der zugleich als das Lamm Gottes leibhaftig mit seinem Leib und  Blut in unserer Mitte gegenwärtig ist im Heiligen Mahl. „Seht, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ So habe ich es euch die letzten 19 Jahre hier vom Altar aus immer wieder zugerufen – und genau so will ich es auch weiter tun.
Das andere, was an Johannes dem Täufer auffällt, ist dies, dass er seine Jünger von sich wegschickt, hin zu Jesus. Nein, Johannes dem Täufer geht es eben gerade nicht darum, seine Jünger an sich, an seine Person zu binden. Ziel seines Wirkens ist es nicht, einen Fanclub um sich zu sammeln, der ganz toll findet, was er tut. Sondern ihm geht es in seinem Wirken gerade darum, Menschen von sich weg hin zu Christus zu weisen, selber in den Hintergrund zu treten, damit sie ganz an Christus und nicht an ihn, Johannes, gebunden werden. Um nichts Anderes geht es auch im Dienst aller Arbeiter in der Ernte Christi: Niemals sollen sie Menschen an sich selber binden, von sich abhängig machen, sie vielleicht gar zum Mittel der eigenen Selbstbestätigung machen. Immer wieder geht es in diesem Dienst darum, Menschen von sich selber wegzuweisen hin auf Christus, ja, wenn nötig, auch Menschen geradezu von sich wegzuschicken, damit sie sich mit ihrem Glauben ja nicht an den Falschen klammern: an den Boten statt an den, auf den der Bote hinzuweisen hat. Wie gut, dass uns der Evangelist Johannes heute Abend den Täufer in seinem Dienst hier so deutlich vor Augen stellt!

II.
Und da ist als zweites der Andreas, dessen Gedenktag wir heute feiern. Dreierlei können wir an ihm erkennen:
Zunächst einmal schildert uns der Evangelist Johannes, wie Jesus sich zu Andreas und dem anderen Jünger umdreht und sie anspricht. Damit geht die Christusbeziehung des Andreas los, dass Jesus sich ihm zuwendet, dass er auf ihn zugeht, dass er das erste Wort spricht. Andreas kann sich nicht selber zu einem Jünger Jesu machen; da muss schon Jesus kommen und ihn in seine Gemeinschaft rufen. Genau dasselbe gilt für einen jeden Christen, genau dasselbe gilt noch einmal in besonderer Weise für die, die Christus in das Amt der Kirche gerufen hat: Wir werden nicht dadurch Christen, dass wir uns entscheiden, Jesus nachzufolgen, sondern wir werden dadurch Christen, dass Christus sich uns zuwendet, uns bei unserem Namen ruft und uns einlädt, bei ihm zu Hause zu sein. Genau so ist es bei uns in unserer Taufe geschehen. Und auch in den Dienst der Kirche kann ich mich nicht selber rufen. Es geht nicht darum, ob ich mich dazu berufen fühle, diesen Dienst zu versehen. Sondern es geht darum, dass Christus mich anspricht, dass er mich ruft und mir auf den Kopf zusagt, was ich tun soll.
Das Zweite, was uns Andreas zeigt, ist dies, was es eigentlich heißt, ein Christ zu sein. Ein Christ bin ich nicht dadurch, dass ich mir so meine Gedanken über Jesus mache. Ein Christ bin ich nicht dadurch, dass ich Jesus gut finde und mit ihm sympathisiere. Sondern das kennzeichnet mich als Christen, dass ich bei Christus wohne, mit ihm zusammen bin, mit ihm zusammen lebe. Genau so erfuhr es der Andreas damals. Jesus lädt ihn ein zu sich: Komm und sieh! Und Andreas kommt und sieht – und bleibt. Nichts weiter schildert St. Johannes hier, nichts von dem, worüber Jesus möglicherweise mit Andreas und dem anderen Jünger gesprochen hat, nichts von dem, was sie an diesem Tag möglicherweise miteinander gemacht haben. Wichtig ist nur dies allein: Andreas ist bei Jesus, erfährt seine Nähe, erfährt seine Gegenwart. Das reicht, um sein ganzes Leben zu verändern. Das reicht, um Andreas dies eine klarzumachen: Dabei soll es bleiben, dass ich bei Jesus bin, bei ihm zu Hause. Genau darum geht es, wie gesagt, auch in unserem Christsein: Hauptsache, ich folge der Einladung Jesu in sein Haus, an seinen Tisch. Hauptsache, ich bin da mit ihm zusammen, erfahre hier immer wieder neu seine Gegenwart. Das wird dann nicht ohne Folgen bleiben für mein Leben. Was für einen jeden Christen gilt, das gilt in besonderer Weise noch einmal für die, die Christus in seinen Dienst als Arbeiter in seine Ernte gesandt hat: Darum geht es, dass sie zunächst einmal selber bei Christus zu Hause sind, an seinem Altar, dass die Begegnung mit ihm im Sakrament die entscheidende Kraftquelle ihres eigenen Lebens bleibt. Und dann geht es im Dienst derer, die Christus gerufen hat, darum, diesen Ruf Christi nun auch für andere hörbar zu machen: Komm und sieh, kommt und seht, lasst euch einladen in die Gemeinschaft mit Christus! Ja, darauf dürfen wir immer wieder von Neuem vertrauen, dass das nicht ohne Folgen bleibt, wenn Menschen in die Tischgemeinschaft mit Christus gerufen werden, wenn sie seine Gegenwart erfahren und immer wieder neu in seiner Gegenwart leben. Darauf muss immer wieder der Dienst der Arbeiter in der Ernte Christi zielen, Menschen dahin zu leiten, dass sie dort sind, wo Christus zu Hause ist. Über alles Weitere braucht man dann gar nicht mehr viele Worte zu verlieren.
Der Andreas konnte das, was ihm in der Begegnung mit Christus aufging, anschließend nicht mehr für sich behalten. Der musste sofort losziehen und das in seiner Umgebung, in seiner Familie weitererzählen: Wir haben den Messias gefunden! Genauso läuft das im Prinzip auch bei uns in unserer Gemeinde ab: Menschen kommen zu uns, entdecken, wie wunderbar es ist, bei Christus zu Hause zu sein. Und dann können sie es nicht für sich behalten, erzählen es weiter, führen dann wieder die nächsten Menschen zu Christus, hier zu uns in unsere Gemeinde. Nein, dieses Weitererzählen, dieses Einladen ist eben nicht bloß Pastorendienst; das können Gemeindeglieder oftmals viel besser als der Pastor. Gemeindewachstum geschieht eben nicht dadurch, dass der Pastor alles alleine macht. Im Gegenteil: Seine Aufgabe ist es, Menschen dazu zuzurüsten, dass sie selber gerne und fröhlich losziehen wie der Andreas damals und von dem erzählen, was sie selber entdeckt haben.

III.
Und dann ist da schließlich der Simon Petrus. Ganz am Ende der Geschichte taucht er erst auf. Selber tut er gar nichts: Sein Bruder führt ihn zu Jesus, und Jesus erkennt ihn, schon bevor sich Petrus überhaupt vorgestellt hat, gibt ihm einen neuen Namen und damit einen Auftrag, ja, befähigt ihn mit dieser Namensgebung dazu, diesen Auftrag auch auszuführen. „Kephas“, „Fels“, soll Simon künftig heißen, und ein Fels, auf dem er, Christus, seine Kirche, künftig gründet, soll und wird dieser Simon künftig sein. Nein, dass er Fels ist, liegt nicht daran, dass er selber solch ein starker, zuverlässiger Charakter gewesen wäre. Wir wissen aus den Evangelien, dass dies gerade nicht der Fall war. Doch Christus nimmt diesen wenig felsenmäßigen Simon in seinen Dienst, macht ihn trotz all seiner Schwächen und Unzulänglichkeiten, trotz all seines Versagens zu seinem Apostel, gibt ihm mit seinem Namen eine ganz besondere Aufgabe, die sonst kein anderer hat.
Was für ein Trost ist es für die, die Christus als Arbeiter in seine Ernte gesandt hat, immer wieder auf diesen Petrus blicken zu dürfen, darauf, wie Christus ihn hier anschaut und ihm eine Aufgabe gibt, zu der er eigentlich doch gar nicht fähig ist! Genau darum geht es doch letztlich auch in jeder Ordination: Sie ist nicht eine Bestätigung der Fähigkeiten eines Menschen, der sich für den Arbeitsdienst in der Ernte Christi selber beworben hat und sie sich entsprechend auch zutraut. Sondern in der Ordination blickt Christus einen Menschen an und beurteilt ihn ganz anders, als er selber sich beurteilen würde und als andere ihn beurteilen würde. Er sieht ihn als den an, zu dem er ihn durch sein Wort macht, sieht ihn an als einen, der etwas vermag, was er aus eigener Kraft doch gar nicht kann. Der Petrus war kein Fels, und doch hat Christus ihn zu einem Felsen gemacht. Und ebenso wenig wäre ich von mir aus dazu in der Lage gewesen, Hirte einer Gemeinde, Arbeiter in der Ernte Christi zu sein, wenn Christus nicht in der Ordination sein Wort gesprochen hätte, wenn er mich nicht zu etwas gemacht hätte, was ich eigentlich gar nicht war und sein konnte. Werkzeuge Christi sind all diejenigen, die Christus ins Amt der Kirche gerufen hat, einzig und allein durch seinen Auftrag bestimmt. Schaut darum nicht auf unsere Fähigkeiten, schaut nicht auf unser Versagen. Schaut auf den, der uns schickt und der uns allen Ernstes gebrauchen will und gebraucht: auf ihn, Christus, der doch nur dies eine für euch will: Dass auch ihr bei ihm bleibt und eben so selig werdet. Amen.