21.03.2010 | Hebräer 5, 7-9 (Judika)

JUDIKA – 21. MÄRZ 2010 – PREDIGT ÜBER HEBRÄER 5,7-9

Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.

Ist diese Welt noch zu retten? Diese Frage wird in den letzten Jahren und Monaten nicht nur hier in Deutschland, sondern überall auf der Welt in vielfältiger Weise diskutiert. Ist diese Welt noch zu retten? Um nicht weniger als um diese Frage schien es beispielsweise im Dezember letzten Jahres bei der Weltklimakonferenz in Kopenhagen zu gehen: Wenn die verantwortlichen Politiker nicht endlich konkrete, verbindliche Entscheidungen zum Schutz des Weltklimas treffen, dann ist diese Welt wohl nicht mehr zu retten, so befürchteten nicht wenige.
Wie rettet man also die Welt? Das hängt natürlich davon ab, worin man die größten Bedrohungen für diese Welt sieht: Ist es das Weltklima, sind es die Atomwaffen, sind es tödliche Seuchen, ist es der Kapitalismus, ist es der internationale Terrorismus? Und je nachdem, worin man nun die größten Bedrohungen sieht, werden Maßnahmen vorgeschlagen und gefordert, mit denen wir Menschen trotz all dieser Bedrohungen diese Welt vielleicht doch noch zu retten vermögen: Wenn wir alle an einem Strang ziehen, dann müssten wir es doch am Ende eigentlich noch schaffen!
Um nicht weniger als um die Rettung der Welt geht es auch in der Epistel dieses Sonntags Judika. Der Verfasser des Hebräerbriefes weiß auch um eine tiefgreifende Gefährdung unserer Welt, von der kein Mensch ausgenommen ist, um eine Gefährdung, die noch viel tiefer und weiter reicht als die Gefährdung, die uns durch Klimakatastrophen, Krankheiten, Kriege und Anschläge droht, um eine Gefährdung, die die Zukunft aller Menschen, die auf diesem Planeten leben, grundlegend bedroht. Harmlos klingt diese Gefährdung scheinbar im Vergleich zu den Horrorszenarien, die uns angesichts der Klimaveränderungen oder der Möglichkeit von terroristischen Anschlägen mit Atomwaffen vor Augen gestellt werden. Doch in Wirklichkeit ist diese eine Gefährdung die Ursache für all die anderen Gefährdungen, mit denen wir in den Nachrichten beinahe tagtäglich konfrontiert werden: Das zerstörte Verhältnis von uns Menschen zu Gott – das ist es, was uns Menschen die Zukunft raubt, für die wir doch eigentlich geschaffen sind.
Ach, was rede ich von Gefährdung in diesem Zusammenhang?! Da braut sich nicht erst etwas über unseren Köpfen zusammen, sondern diese Katastrophe ist schon längst Realität geworden, auch wenn sie die meisten Menschen nichtsdestoweniger immer noch gut und beruhigt schlafen lässt. Nichts, aber auch gar nichts können wir Menschen gegen diese Katastrophe unternehmen, können sie nicht rückgängig machen, können sie nicht abmildern. Da helfen keine Konferenzen, keine Appelle, da hilft kein guter Wille des Einzelnen, da hilft kein Beschluss der Vereinten Nationen und auch kein Eingreifen der G8-Staaten: Der Mensch hat sich von Gott abgewandt, hat die Gemeinschaft mit ihm aufgekündigt, hat sich damit getrennt von seiner Lebensquelle. Nein, das kann er nicht mehr ungeschehen machen; daran kann er nichts mehr retten.
Und erst auf diesem Hintergrund beginnen wir zu erahnen, was der Verfasser des Hebräerbriefs in der Epistel dieses heutigen Sonntags uns eigentlich schildert: Es ist ein Drama, bei dessen Schilderung wir eigentlich die ganze Zeit die Luft anhalten müssten, weil vom Gelingen dessen, was er hier beschreibt, tatsächlich nicht weniger als die Rettung der Welt abhängt: Ein Einziger macht sich daran, diese verlorene Welt doch noch zu retten – nein, das ist kein billiger Science-Fiction-Thriller, das ist Realität, Beschreibung eines unfasslichen Geschehens, von dem der Hebräerbrief zu berichten weiß. Entweder schafft es dieser eine, die Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen wiederherzustellen – oder wir sind endgültig verloren, können uns auch mit der Rettung des Weltklimas nicht aus dieser aussichtslosen Lage befreien!
Auf den Gottesdienst im Tempel in Jerusalem bezieht sich der Verfasser des Hebräerbriefes in der Beschreibung dieser Rettungsaktion, um die es hier geht: Was da im Tempel in Jerusalem geschah, soll uns helfen zu verstehen, wie diese größte Rettungsaktion der Menschheitsgeschichte abgelaufen ist:
Im Tempel in Jerusalem, da erlebten es die Menschen damals schon mit, dieses Prinzip, dass einer allein für sie handelte, dass sie nur zuschauen und warten konnten, während der eine, der Hohepriester, sich ans Werk machte, um nach Gottes Vorgaben das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk wiederherzustellen. Zunächst einmal musste der Hohepriester im Tempel ein Opfer für sich selber, für seine eigene Schuld darbringen. Dann erst war er dazu in der Lage, nun auch ein Opfer für die Sünden des Volkes darzubringen, Sühne zu schaffen für all das, was das Volk in diesem Jahr wieder von neuem von Gott getrennt hatte. Ganz genau hielt sich der Hohepriester im Tempel an die Vorgaben Gottes, an seinen Willen, trat ganz allein ins Allerheiligste und vollzog mit dem Opfer, das er dargebracht hatte, die Versöhnung, wie Gott ihm dies ermöglicht hatte. Das rechte Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk Israel war damit wieder für das eine Jahr, bis zum nächsten Versöhnungstag hergestellt – länger nicht, und es galt eben auch nur für dieses eine Volk, nicht für alle anderen Völker.
Und nun, so schildert es der Hebräerbrief, kommt Christus. Er tritt an, um unendlich Größeres zu schaffen als bloß die Entsühnung eines Volkes für ein Jahr. Ihm geht es darum, das zerbrochene Verhältnis der gesamten Menschheit zu Gott wieder in Ordnung zu bringen – nicht bloß vorübergehend, sondern für immer. Ja, als großer Hoherpriester fungiert auch er, macht, was auch der Hohepriester in Jerusalem tat – und macht es zugleich doch auch ganz anders.
Das geht schon los mit dem Opfer, das der Hohepriester in Jerusalem für sich selber darbringen musste. Der, der nun antritt, nicht weniger als die ganze Welt zu retten, braucht solch ein Opfer nicht. Sohn Gottes ist er, steht selber in ungetrübter Gemeinschaft mit Gott, ohne Sünde, hat es nicht nötig, die Gemeinschaft mit Gott durch irgendein Opfer erst wieder herzustellen. Doch um ein Opfer, das ihn selber ganz direkt betrifft, kommt auch er nicht herum. Die Rettung der Welt – sie lässt sich eben nicht durch kluge Reden und Appelle bewerkstelligen; da muss er, der eine, der Weltenretter, sich schon selber mit seiner ganzen Existenz einbringen. In ungetrübter Gemeinschaft mit Gott, seinem Vater, lebte er, schon längst bevor es diese Welt überhaupt gab. Doch jetzt muss er ein Teil von ihr werden, muss mitten hinein in ihre Not, in ihr Elend, muss als Mensch all das durchmachen, was Menschen an Leid in dieser Welt erfahren. Nein, diese Aufgabe konnte und wollte er, der Retter, nicht einfach ganz cool bewältigen; die ging ihm unter die Haut, die belastete ihn so sehr, dass er am Ende Gott, seinen Vater, nur noch unter Tränen angefleht hat, ihn von dieser Aufgabe wieder zu befreien, ihm diese Last wieder von den Schultern zu nehmen, für die Rettung der ganzen Welt verantwortlich zu sein. Bitten, Flehen, Schreien, Tränen – das ist das Opfer, das er, der Hohepriester Christus, Gott zunächst einmal darbringt; nein, billiger war die Rettung der Welt für ihn nicht zu haben.
Ja, schau ihn dir an, deinen Retter, wie er da im Garten Gethsemane auf den Knien liegt und Gott anfleht, diesen Kelch an ihm vorübergehen zu lassen! Verschließe deine Ohren nicht vor seinem lauten Schreien, als man ihm die Nägel durch seine Hände und Füße treibt; hör nicht weg, wenn er, Christus, mit einem lauten Schrei schließlich am Kreuz stirbt. Es geht hier um dich, um deine Rettung, und nicht bloß um die deinige, sondern um die der ganzen Welt. Hätte Christus dieses Opfer nicht dargebracht, wäre er abgehauen aus dem Garten Gethsemane, hätte er sich selbst am Kreuz noch von den Engeln, die ihm dienen, befreien lassen – wir wären verloren! Doch er hält durch, bleibt selbst in seinem lauten Schreien, selbst in seinen Tränen, seinem Bitten und Flehen noch Gott treu, führt den Auftrag aus, zu dem er von Gott selber gesandt war.
Scheinbar Merkwürdiges weiß der Hebräerbrief hier zu berichten: Er schreibt, Christus sei mit seinen Bitten, mit seinem Flehen erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. Ja, wie soll er denn erhört worden sein, wenn sein Ruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, wenn sein lauter Schrei das letzte war, bevor er starb? Wo war da die Erhörung zu erkennen? Wir wissen es, wie Gott ihn erhört hat, wie er ihn von den Toten auferweckt hat, wie er noch geantwortet hat, als doch alles längst zu spät zu sein schien. Nein, Gott erhört Gebete nicht nach unseren Zeitvorgaben; mag dadurch den Eindruck erwecken, er würde überhaupt nicht erhören, mag auch uns verzweifelt schreien und rufen lassen in unserem Leben, ohne dass wir eine Antwort erkennen können. Ja, Christus hat auch dies erfahren und durchgemacht – und lässt uns doch an seinem Geschick zugleich erkennen, dass für Gott es noch längst nicht zu spät ist, wenn es für uns schon längst zu spät zu sein erscheint.
Ja, blicken wir wieder auf die größte Rettungsaktion der Weltgeschichte, von der der Hebräerbrief hier berichtet. Alles hängt an ihm, dem Einen, dem Weltenretter, alles hängt an seinem Gehorsam, so fährt er fort. Natürlich, so möchte man meinen, wusste er, der Eine, der Sohn Gottes, genau, was richtig und notwendig, was nun einmal Gottes Wille war. Aber was uns im Kopf alles einleuchten mag, muss noch längst nicht von uns auch so getan werden, so wissen wir es aus unserem eigenen Leben. Natürlich wissen wir, dass Gottes Gebote gut für uns sind; doch wenn es drauf ankommt, verhalten wir uns dann doch immer wieder ganz anders, schaffen es nicht, Gottes Willen gehorsam zu sein – und wollen das oft auch gar nicht.
Auch für Christus war das mit dem Gehorsam keine Selbstverständlichkeit, so betont es der Hebräerbrief; mühsam musste er, Christus, der Sohn Gottes, Gehorsam lernen. Der ewige Gottessohn muss etwas lernen, das Schwierigste überhaupt – da fehlt uns das Vorstellungsvermögen, um zu begreifen, was das eigentlich heißt. Nein, es geht hier nicht um den Pfeiffer mit drei f aus der Feuerzangenbowle, der sich einfach aus Jux noch einmal als Schüler in einer Schule anmeldet, um den kleinen Freuden des Pennälerlebens zu frönen, da er die Lerninhalte ja ohnehin schon kannte. Nein, Christus kannte die Lerninhalte noch nicht, die er bei seiner großen Rettungsaktion für diese Welt zu lernen hatte, die konnte er sich auch nicht theoretisch beibringen, die konnte er nur lernen in der Situation, in die ihn sein Vater stellte: Haust du lieber noch ab, oder lässt du dich jetzt gleich verhaften? Versteckst du dich lieber, oder lässt du es zu, dass sie dich nun gleich verleumden, verspotten, ins Gesicht schlagen und spucken? Wehrst du dich lieber gleich, oder lässt du es zu, dass sie dir die Dornenkrone auf den Kopf drücken, dass sie dich mit der Geißel auspeitschen, bis deine Haut nur noch in Fetzen am Körper hängt? Suchst du mit deinen Beinen lieber das Weite, oder lässt du es zu, dass diese Beine in wenigen Stunden schon am Kreuz festgenagelt werden? Bleibst du deinem Auftrag treu bis zum Schluss, vertraust du Gott, deinem Vater, oder rettest du lieber dein eigenes Leben, deine eigene Würde?
Ja, Schwestern und Brüder, wir tun gut daran, bei der Schilderung dieses Lernprozesses unseres Herrn tatsächlich die Luft anzuhalten: Hätte er die Prüfung nicht bestanden, hätte er diesen Gehorsam nicht mühsam erlernt – nichts und niemand auf der Welt hätte damit die finale Menschheitskatastrophe noch verhindern können, hätte noch erreichen können, dass unser Leben doch noch in der Gemeinschaft mit Gott endet.
Aber er, Christus, hat durchgehalten, ist vollendet worden, wie es der Hebräerbrief hier sehr zurückhaltend formuliert. Ja, er hat den Auftrag als Hoherpriester durchgehalten bis zum Schluss, hat nicht etwas Anderes, sondern sich selbst geopfert, damit wir Menschen wieder Zugang haben zu Gott.
So, Schwestern und Brüder, hat sie sich also vollzogen, die große Rettung der Welt – so unscheinbar, so widersinnig auf den ersten Blick, dass da ein Mensch, auf den andere so große Hoffnungen gesetzt hatten, als verurteilter Terrorist auf brutalste Weise zu Tode gebracht wird. Doch es war eben kein Missgeschick, kein Versehen, sondern die Darbringung des einen Opfers, das für immer und ewig bleibt, um unser Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung zu bringen.
Ja, die Rettung ist geschehen – und wir, wir konnten nur dabeistehen, nur zuschauen und zuhören, was geschehen ist, konnten nichts, aber auch gar nichts zu unserer Rettung, zur Rettung der Welt beitragen. Das mag uns gegen den Strich gehen, uns, den Machern, uns die wir doch immer selber etwas tun, selber etwas entscheiden wollen. Doch genau das ist es, was nun Gott von uns erwartet: Dass wir das staunend anerkennen, was er, Christus, da zu unserer Rettung getan hat, dass wir darauf verzichten, uns selber retten zu wollen, selber zu unserer Rettung auch einen Beitrag leisten zu wollen. Ja, der Gehorsam, den Christus von uns erwartet, er ist so unendlich leichter als der Gehorsam, den er aufbringen musste: Gehorchen sollen und dürfen wir dem, der schon alles für uns getan hat und von dem wir uns einfach nur beschenken lassen dürfen.
Urheber des ewigen Heils ist Christus für uns geworden, so beschreibt es der Hebräerbrief hier. Niemand soll von diesem Heil ausgeschlossen sein: Alle Menschen ohne Ausnahme sind eingeladen, ihr Heil, ihre Rettung bei ihm und keinem anderen zu finden, ihm gehorsam zu sein, wie es der Hebräerbrief hier formuliert. Allen dürfen wir erzählen von der Rettung der Welt, die schon geschehen ist, die uns eine Zukunft eröffnet, die weit über unsere irdische Lebensspanne hinausreicht. Das lässt uns dann auch ganz gelassen die Probleme anpacken, die es sonst noch auf dieser Erde gibt, eben weil wir von unseren Lösungen nicht mehr die Rettung der ganzen Welt erwarten müssen. Denn diese Rettung, sie ist schon längst geschehen, durch ihn, den Einen, der für uns geschrien und für uns Gehorsam gelernt hat, damit wir einmal am Ende unseres Lebens nicht verzweifelt zu schreien brauchen, sondern ganz getrost auf ihn, den Gekreuzigten, blicken dürfen: auf ihn, den Urheber des ewigen Heils. Amen.