23.10.2011 | St. Markus 10,17-27 | 18. Sonntag nach Trinitatis

„Ey, kommst du noch klar? Hast du ’n Problem?“ – So würden wohl viele Leute heute reagieren, wenn sie mitbekämen, dass da einer ankäme und genau die Frage stellte, die damals dieser Mensch äußerte, von dem der Evangelist St. Markus hier in unserer Predigtlesung berichtet: „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ Bist du krank oder lebensmüde, oder wieso fängst du mit einem Mal an, dich mit dem ewigen Leben zu beschäftigen? „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ – Die Frage interessiert doch keine Sau; da gibt es andere Fragen, die doch viel naheliegender sind: Was soll ich tun, damit ich in meinem Leben mal ordentlich Kohle machen kann? Was soll ich tun, damit ich doch noch meinen Schulabschluss bekomme? Was soll ich tun, um an den Studienplatz oder den Ausbildungsplatz zu kommen, den ich mir wünsche? Was soll ich tun, um endlich eine Freundin oder einen Freund zu bekommen? Oder vielleicht auch einfach: Was soll ich tun, damit ich bei meinem Computerspiel endlich auf dem nächsten Level lande? Das sind doch Fragen, die einen wirklich interessieren; doch auf die Idee, danach zu fragen, was wir tun sollen, um das ewige Leben zu ererben, auf solch eine abgefahrene Idee können wohl wirklich nur irgendwelche Pastoren kommen.

Nun war der Mensch, der damals diese Frage an Jesus richtete, kein Pastor. Und es war auch nicht ein Typ, der irgendwie nicht mit dem Leben klarkam. Im Gegenteil: Er gehörte zu den Erfolgreichen in der Gesellschaft, zu den Besserverdienenden, zu denen, die doch scheinbar alles hatten, was man für ein schönes Leben brauchte. Doch dieser Mensch weiß zugleich: Das alles, was ich habe und besitze, macht die Frage nach Gott, macht die Frage nach dem ewigen Leben nicht überflüssig. Ja, er weiß: All die anderen scheinbar und in vielerlei Hinsicht ja auch tatsächlich so wichtigen Fragen im Leben, die kann er letztlich alle in die Tonne treten im Vergleich zu der einen Frage, von deren Beantwortung wirklich alles für sein Leben abhängt: Was soll ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?

Und das gilt eben nicht bloß für diesen einen Menschen damals, der da vor Jesus niederkniete und ihm diese eine entscheidende Frage seines Lebens stellte; das gilt ganz genau so für dich und für mich: Wenn sich deine Lebensfragen nur darauf beschränken, wie du hier und jetzt am besten mit deinem Leben klarkommst, wie du hier und jetzt am besten deine Wünsche erfüllt bekommst, dann bist du drauf und dran, dein Leben zu verpennen, dann bekommst du nicht nur irgendwann ein echtes Problem, dann hast du es auch jetzt schon, weil du noch gar nicht mitbekommen hast, worum es in deinem Leben eigentlich geht. Dein Leben, das du hier und jetzt auf Erden führst, ist eben nicht alles; da kommt noch mehr – und was da einmal kommen wird, das hängt schon sehr direkt mit dem zusammen, was hier und jetzt in deinem Leben passiert. Es ist eben nicht so, dass du am Ende deines Lebens automatisch im ewigen Leben landest und du dir darum über dieses ewige Leben gar keine Gedanken machen musst, weil jeder Mensch nach seinem Tod irgendwo oben auf einem Wölkchen landet und Harfe spielt. Sondern man kann sein Leben auch ganz gewaltig verfehlen, und darum ist das in der Tat die wichtigste, die entscheidende Frage auch deines Lebens: Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Nein, diese Frage wird für dich nicht erst aktuell, wenn du die Gläser vom Sektempfang anlässlich deines 97. Geburtstags zur Seite geräumt hast; die stellt sich dir jetzt, auch wenn dir die Frage danach, ob du wohl deine MSA-Prüfungen bestehen wirst, erst mal so viel naheliegender erscheinen mag.

Die Antwort Jesu auf die Frage dieses Mannes erscheint gleichermaßen überraschend und naheliegend: „Du kennst die Gebote.“ Und dann listet Jesus einige der Zehn Gebote auf, erst einmal die bekanntesten, die heutzutage auch nicht wenige derer noch auflisten könnten, die ansonsten mit Kirche und Glauben nicht viel am Hut haben. Was Jesus hier antwortet, scheint doch auf den ersten Blick genau das religiöse Selbstverständnis vieler heutiger Menschen zu bestätigen: Was soll ich denn schon zur Kirche rennen? Hauptsache, ich bin ein anständiger Mensch. Ich habe noch keinen Menschen umgebracht, habe noch nie Ärger mit der Polizei gehabt; meine Frau habe ich nicht geschlagen, habe noch keinen Banküberfall begangen, bin eigentlich ein ganz ehrlicher Mensch, und zu meinen Eltern habe ich auch ein sehr gutes Verhältnis; schließlich bin ja ein Familienmensch. Das müsste doch eigentlich reichen, damit mich der liebe Gott am Ende in den Himmel lässt.

Nun ist es ja auch in der Tat ganz erfreulich, wenn Menschen ihre Mitmenschen am Leben lassen, keine Banküberfälle begehen und zu ihrer Mutti ein herzliches Verhältnis haben. Wer wollte das bestreiten? Nur ist damit die Frage danach, was wir tun sollen, um das ewige Leben zu ererben, eben noch nicht beantwortet. Denn es gibt eben nicht bloß diesen zweiten Teil der Zehn Gebote, in dem es um unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen geht und an dem wir im Übrigen ja auch immer wieder ganz kräftig scheitern, selbst wenn das in unserem polizeilichen Führungszeugnis nicht vermerkt ist. Sondern es gibt eben auch den ersten Teil der Zehn Gebote, den die meisten derer, die behaupten, sie seien ja Christen, weil sie nach den Zehn Geboten leben, immer wieder übersehen und vergessen. Und das geht mit dem ersten Gebot los, mit der Frage danach, ob unser Herz an Gott allein hängt oder noch an etwas oder jemand Anderem. Jesus blickt diesem Menschen, der ihn hier fragt, ganz direkt ins Herz hinein, ganz liebevoll, aber auch ganz klar. Und so spricht er ihn auch direkt auf den einen Punkt an, angesichts dessen er eben nicht mehr antworten kann: „Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend an“: Wenn Gott wirklich die Nummer eins in deinem Leben ist, dann verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen und folge mir nach. Doch das kann dieser Mensch nicht; zu sehr hängt sein Herz an all dem, was er besitzt – und so verweigert er sich dem Ruf Jesu in seine Nachfolge und geht stattdessen traurig davon.

Schwestern und Brüder: Um eines klarzustellen: Jesus sagt zu dir nicht, dass du alles verkaufen und es den Armen geben sollst. Das sagt er allein zu diesem Menschen, der ihn damals fragte. Jesus stellt hier kein elftes Gebot auf, das besagt: Du darfst nichts besitzen. Aber er stellt auch an dich diese Frage: Was ist dir in deinem Leben alles wichtiger als Gott; was gibt es in deinem Leben, wofür du den Glauben an Gott, wofür du das ewige Leben sausen lassen würdest, weil du darauf auf keinen Fall verzichten möchtest? Ja, ich weiß, die Frage klingt eigentlich ziemlich durchgeknallt – was könnte es schon in unserem Leben geben, was so wichtig ist, dass wir dafür auf Gott und das ewige Leben ernsthaft verzichten wollten? Wer würde eigentlich bei klarem Verstand sagen können: Mein iPod ist mir wichtiger als Gott, das Chillen am Samstagabend ist mir wichtiger als das ewige Leben? Doch wir wissen: Genauso durchgeknallt verhalten wir uns in der Tat immer wieder in unserem Alltag, wenn es drauf ankommt. Wenn wir erst mal so richtig drin sind im Computerspiel, dann wird uns Gott, wird uns auch der Gottesdienst am nächsten Morgen mit einem Mal völlig egal, bedeutet uns das alles nicht mehr viel. Und die Frage nach dem ewigen Leben – sie rückt für uns immer wieder so schnell in ganz weite Ferne, wenn es einfach nur darum geht, jetzt am Abend Spaß zu haben.

Schwestern und Brüder: Ich betone es noch einmal: Computerspiele sind keine Sünde, zumindest nicht, solange sie nicht in uns die Freude am Töten von Menschen hervorrufen. Einen iPod zu besitzen ist auch keine Sünde. Und erst recht ist es für einen Christen keine Sünde, Spaß zu haben. Doch nichts davon, ja überhaupt nichts in unserem Leben soll mit Gott in Konkurrenz um die erste Stelle in unserem Leben treten. Und da bekommen wir immer wieder Probleme, ja, da scheitern wir alle miteinander immer wieder, genau wie dieser Mann, von dem St. Markus uns hier berichtet. Wenn Jesus hier bei diesem Mann das Thema „Geld und Besitz“ anspricht, dann spricht er das Thema an, das auch im Leben der meisten von uns wohl die größte Konkurrenz zu Gott sein dürfte. Aber auch wenn es uns in unserem Leben vielleicht gar nicht so sehr um materiellen Besitz gehen sollte – immer wieder stehen wir alle miteinander in der Gefahr, unser Leben durch das bestimmen zu lassen, was wir haben und entsprechend auch nicht loslassen wollen.

„Was soll ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ Die Zehn Gebote sollen wir halten – nicht bloß in Auswahl, sondern ganz. Und das schafft eben keiner von uns. Und damit sind wir von uns aus raus aus dem Rennen um das ewige Leben. Eher zwängt sich ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass du oder ich es schaffen, mit dem, was wir tun, das ewige Leben zu ererben.

Und das ist eben nicht bloß schade. Das ewige Leben ist eben nicht eine Fete neben anderen, zu der man zwar ganz gerne gehen möchte, über deren Verpassen man sich aber zur Not durch den Besuch anderer Feten hinwegtrösten könnte. Sondern wer das ewige Leben verpasst, der verpasst damit, was Sinn und Ziel unseres Lebens überhaupt ist. Ja, da ist die geradezu irrsinnige Lage, in der wir uns befinden: Wir hindern uns selber daran, das große Ziel unseres Lebens zu erreichen – und das lässt uns letztlich doch ziemlich kalt, veranlasst uns jedenfalls nicht dazu, unser Leben nun umzustellen. Irgendwie wird es am Ende doch schon gut gehen.

Aber es geht eben am Ende nicht „irgendwie“ gut. Sondern Jesus nennt hier am Ende unserer Predigtlesung den einzigen Weg, wie unser Leben schließlich doch noch gut enden kann, wie wir mit allen möglichen Statussymbolen vollbepackten Kamele schließlich doch noch durch das Nadelöhr hindurchkommen: „Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“ Gott bekommt das fertig, uns durch das Nadelöhr hindurchzupraktizieren, der tut, was wir nicht tun können, damit wir das ewige Leben ererben.

Genau das ist das Wunder der Heiligen Taufe gewesen, als Gott uns gleichsam durch ein Nadelöhr in das ewige Leben hineingeboren hat. Genau das ist das Wunder der Heilige Beichte, dass du da jedes Mal schwer bepackt ankommst und Gott dich so weit von allen Lasten deines Lebens erleichtert, dass du wieder durch das Nadelöhr hindurchpasst. Und genau das ist das Wunder des Heiligen Mahles, dass du mit Christus so eng leibhaftig verbunden wirst, dass du mit ihm eins wirst, mit ihm, der als der auferstandene Herr mit dem Durchqueren von Nadelöhren keinerlei Probleme hat.

„Was soll ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ Gar nichts sollst du tun, gar nichts kannst du tun. Gott macht es für dich, er bringt dich ins ewige Leben – und er macht dich zugleich auch zu einem neuen Menschen, der Dinge tut, zu denen er eigentlich doch gar nicht in der Lage, zu denen er eigentlich gar nicht bereit war. Dass du allen Ernstes heute Morgen hier in der Kirchenbank sitzt und nicht noch zu Hause im Bett liegst und pennst, das ist in Wirklichkeit kein geringeres Wunder, als dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgeht. Dass du dazu bereit und dazu in der Lage bist, Dinge in deinem Leben zurückzustellen und auf sie zu verzichten, weil es dir wichtiger ist, dich von Gott beschenken zu lassen, das ist ein Wunder, das du nicht deinem guten Willen, sondern allein Gott zu verdanken hast, dem alle Dinge möglich sind.

Glaube also ja nicht, du würdest das schon irgendwie schaffen, ins ewige Leben zu kommen. Lass dich vielmehr durch nichts und niemand, erst recht nicht durch die Hoffnung auf Geld und Besitz, davon abhalten, immer wieder hierher zu kommen, wo Gott dich immer wieder neu ins ewige Leben befördert, wo er an dir tut, was du selber niemals tun könntest. Ja, lass dich vor allem niemals davon abhalten, dir immer wieder die eine wichtigste Frage deines Lebens zu stellen: Wie komme ich ins ewige Leben? Dann ergibt sich alles andere von selbst, auch die Antwort auf die Frage, was du am Sonntagmorgen machst. Denn wenn das wirklich die wichtigste Frage deines Lebens ist, dann weißt du auch, wer auf diese Frage die Antwort hat, ja die Antwort ist: Jesus, unser Herr, der dich auch heute wieder einlädt, mit ihm durchs Nadelöhr zu gelangen – in die herrliche Weite des ewigen Lebens. Und dafür kann man in der Tat alles Andere sonst stehen und liegen lassen, nicht wahr? Amen.