24.04.2011 | St. Matthäus 28,1-10 | Heiliges Osterfest

Neulich sprachen wir im Vorkonfirmandenunterricht über christliche Symbole, die mit dem Osterfest verbunden sind, sprachen dabei auch über das Ei als Symbol des Hervorbrechens des Lebens aus dem Tode. Dann stellte einer der Vorkonfirmanden – ja, es ist wirklich eine wunderbare Gruppe – eine sehr gute Frage: Warum verstecken wir die Eier dann eigentlich zu Ostern? Ich gestehe, ich hatte darauf auch keine Antwort, und als ich anschließend versucht habe, mich schlau zu machen, kam ich auch nicht sehr viel weiter. So genau weiß man das tatsächlich nicht, warum wir eigentlich auf diese Idee gekommen sind, Eier zu verstecken, bis wir sie dann schließlich in geschmolzenem Zustand einige Monate später in der Ecke des Sofas wiederentdecken. Doch als ich mir unsere heutige Predigtlesung noch einmal etwas genauer angeschaut habe, da ist mir aufgegangen, dass das mit dem Suchen und Finden tatsächlich eine Menge mit Ostern zu tun hat. Die ganze Zeit geht es hier in dieser Erzählung darum, dass Menschen sich auf die Suche begeben, nicht dort fündig werden, wo sie gesucht haben, aber schließlich doch noch auf den stoßen, den sie schon gar nicht mehr gesucht hatten. Nicht um Schokoladenostereier geht es natürlich hier bei St. Matthäus, sondern um Christus, unseren Herrn. Er und nicht irgendwelche Hasen mit Körbchen ist das eigentliche Thema dieses Festes, das wir heute begehen. Ja, darum geht es, wo und wie wir Jesus finden können: Wir finden ihn
- nicht dort, wo man ihn hingelegt hatte
- dort, wo er sich uns zu erkennen gibt

I.
Nach Ostereiersuchen war den beiden Marias, die sich in der Nacht zum Sonntag zum Grab von Jesus begaben, überhaupt nicht zumute. Sie gehen nicht zum Grab, um dort irgendeine freudige Entdeckung zu machen, sondern um noch einmal Abschied zu nehmen von ihrem Herrn und Meister, der ihnen auf solch brutale Weise genommen worden war. Dass er dort im Grab lag, war für die beiden sonnenklar; schließlich waren sie bei der Grablegung Jesu mit dabei gewesen, hatten dem Grab genau gegenübergesessen und mitbekommen, wie man den Leichnam Jesu dort hineingelegt und den großen Rollstein schließlich davorgewälzt hatte.

Doch aus der stillen Schweigeminute im Grab am Leichnam Jesu, zu der sie sich dort versammeln wollten, wird nichts. Denn sie müssen feststellen, dass sie dort nicht allein sind. Römische Soldaten stehen dort als Wache vor dem Grab, lassen keinen mehr ins Grab hinein, passen darauf auf, dass der Stein, den sie extra versiegelt hatten, ja auch keinen Zentimeter zur Seite gerollt wird. Doch bevor die Frauen lange überlegen können, was sie denn angesichts dieser Situation nun machen sollen, reißt sie ein  Erdbeben fast von den Beinen, und als sie zum Grab blicken, sehen sie dort den Engel des Herrn persönlich, leuchtend wie ein Blitz, bekleidet mit einem strahlend weißen Gewand. Und der begeht nun einen eindeutigen Rechtsbruch: Er bricht das Siegel des Grabes, rollt den Stein zur Seite und setzt sich darauf, lässt von dort oben lässig seine Beine baumeln wie ein Jugendlicher, der gerade auf ein Denkmal gestiegen ist. Also – das machte man doch wirklich nicht; so benimmt man sich doch nicht, direkt vor einem Grab, in dem ein Verstorbener liegt! Doch der Engel baumelt weiter mit seinen Beinen: Hier ist kein Respekt mehr vor der Totenruhe angebracht; denn da liegt niemand mehr drin, vor dessen Leiche man noch Respekt haben müsste. Unangefochten bleibt der Engel dort auf dem Stein sitzen, denn die Soldaten, die ihn von dort wieder herunterbefördern könnten, die liegen ohnmächtig am Boden, können die Öffnung des Grabes nicht verhindern, bekommen von daher auch gar nicht mit, dass sie ohnehin vergeblich vor dem Grab standen, weil der, den sie dort bewachen sollten, da in Wirklichkeit schon gar nicht mehr drin ist. So schnell kapieren das die Frauen nicht. Ihre Reaktion wird im Unterschied zu der der Soldaten von St. Matthäus nicht geschildert. Doch wenn der Engel hier zu ihnen sagt: „Fürchtet euch nicht!“, dann dürfen wir schon davon ausgehen, dass nicht nur das Erdbeben, sondern gerade auch die Erscheinung des Engels selber die Frauen ebenfalls ganz schön umgehauen haben dürfte.

Doch der Engel des Herrn erscheint ja nicht, um den Frauen ein nächtliches Gruselerlebnis auf dem Friedhof zu vermitteln; er verkündigt den Frauen nicht weniger als die Auferstehung dessen, den sie immer noch im Grab zu wissen glaubten. Auferstanden ist Jesus, und das heißt: Das Grab ist leer; die Frauen suchen ihn an der völlig falschen Stelle, obwohl ihre Annahme, dass er dort im Grab liegen würde, doch so naheliegend war. Mit eigenen Augen dürfen sie sich davon überzeugen, dass Jesu Leichnam nicht mehr da ist – trotz versiegeltem Stein, trotz des so eindeutigen Faktums seines Todes am Kreuz. Nichts von dem, was vorher für sie selbstverständlich war, gilt nun noch für sie; ihr Erwartungshorizont wird gesprengt; der Engel des Herrn macht es persönlich deutlich: Was hier geschehen ist, lässt sich nicht mehr mit den Maßstäben dieser Welt erklären; das kann man nur erklären, wenn man sich nicht der Annahme verweigert, dass Gott selber in dieser Nacht in diese Welt eingegriffen hat wie noch nie zuvor seit der Schöpfung am Anfang.

Jesus ist nicht dort zu finden, wo man ihn hingelegt hatte. Das Grab ist leer – jawohl, das gehört unabdingbar zur Osterbotschaft mit dazu. Ostern mit dem Leichnam Jesu im Grab – das gibt es nicht, kann es nicht geben. Schwestern und Brüder, ihr mögt euch fragen, warum ich das extra betone, das scheint doch das Allerlogischste auf der Welt zu sein. Doch das stimmt eben nicht. Zum einen müssen wir es heutzutage in vielen Kirchen immer wieder erleben, dass die Botschaft von der Auferstehung Jesu umgedeutet wird zu einer allgemeinen Wahrheit, die ganz unabhängig davon gelte, ob denn nun der Leichnam Jesu im Grab geblieben sei oder nicht. Ostern bedeute dann nicht mehr als dies, dass das Leben oder die Liebe stärker ist als der Tod, dass man auch in ausweglosen Situationen die Hoffnung nicht aufgeben solle. Denn, so sagt man, die Botschaft, dass allen Ernstes ein Verstorbener wieder sein Grab verlassen habe, die könne man modernen Menschen nun wirklich nicht mehr zumuten; da müsse man die Dinge schon ein wenig uminterpretieren, damit auch ein kritischer Zeitgenosse ihnen zustimmen könne. Und dann kommt man immer wieder mit dem altbekannten Argument, das leere Grab allein könne doch die Auferstehung Jesu nicht beweisen; durch den Anblick des leeren Grabes sei doch auch damals niemand zum Glauben gekommen. Das ist alles richtig. Aber daraus darf man eben nicht den Umkehrschluss ziehen, dass es dann also egal sei, ob Jesu Leichnam allmählich im Grab verwest sei oder nicht. Ein leeres Grab allein wirkt noch keinen Osterglauben, das ist klar; aber ohne leeres Grab kann man ernsthaft nicht von einer wirklichen Auferstehung reden, kann man nicht das verkündigen, was alle Verfasser der neutestamentlichen Schriften, was alle Apostel einmütig bezeugen: dass Christus wahrhaftig auferstanden ist. Hätte sich damals zu Ostern in Jerusalem nicht mehr abgespielt, als man auch ohne direktes Eingreifen Gottes ganz gut erklären könnte, dann könnten wir diesen Gottesdienst jetzt abbrechen; dann könnte ich euch vielleicht noch ein schönes Ostereiersuchen wünschen und euch ermahnen, nett miteinander umzugehen. Aber ansonsten könnten wir einpacken.

Doch genau das macht uns St. Matthäus hier mit seiner Schilderung ganz eindrücklich deutlich: Gott hat in der Auferstehung Jesu in diese Welt eingegriffen, hat etwas geschehen lassen, was wir mit unseren normalen historischen Forschungsmethoden niemals erfassen und in den Griff bekommen könnten; Gott hat den schmerzlichen Automatismus, den wir immer und immer wieder erfahren müssen, dass Menschen sterben, begraben werden und schließlich verwesen, durchbrochen, und zwar endgültig, so, dass der, den er da von den Toten auferweckt hat, nie mehr wird sterben müssen, so, dass diese Auferstehung dieses einen Konsequenzen hat für alle Menschen, die an ihn glauben und zu ihm gehören. Es geht nicht bloß darum, ob wir mithilfe der Osterbotschaft irgendwie einigermaßen hier in unserem Leben klarkommen. Sondern es geht ganz konkret darum, ob du und ich, ob wir alle miteinander einmal endgültig unter den Stiefmütterchen verschwinden, oder ob wir einmal genauso auferstehen werden und leben, wie Christus auferstanden ist, ob also unser Grab auch einmal leer sein wird, ob man auch im Blick auf unser Grab am letzten Tag wird feststellen können: Der ist nicht mehr hier, der ist auferstanden.

Logisch ist das ganz gewiss nicht, was St. Matthäus hier schildert. Logisch ist das gewiss nicht, dass die Frauen das Grab Jesu leer fanden, auch wenn Jesus es ihnen zuvor ja bereits angekündigt hatte. Wir haben nicht verstanden, was St. Matthäus hier berichtet, wenn diese Geschichte nicht auch bei uns gleichermaßen Furcht und große Freude auslöst – jawohl, auch Furcht angesichts eines Ereignisses, das weltumstürzende Folgen gehabt hat und noch haben wird. Jesus ist nicht da, wo man ihn hingelegt hatte – die Nachricht kann und soll uns ruhig ganz kräftig von den Socken hauen.

II.
Im Grab ist Jesus also nicht mehr. Wo ist er dann? Genau davon handelt der Schluss der Geschichte, die St. Matthäus hier berichtet. Und da macht uns der Evangelist in seinem Bericht zunächst einmal dies eine ganz deutlich: Wir Menschen kommen von uns nicht darauf, wo wir bei unserer Suche nach ihm, Jesus, Erfolg haben könnten. Die Frauen machen sich vom Grab zurück auf den Weg zu den Jüngern, um ihnen zunächst einmal nur dies mitteilen zu können, dass sie Jesus nicht gefunden haben – eben weil er auferstanden sei. Doch ein Jesus, der zwar aufersteht, dann aber spurlos verschwindet, würde uns Menschen überhaupt nichts nützen. Dann könnten wir Jesus zwar noch im Rückblick dazu gratulieren, dass ihm die Verwesung erspart geblieben ist; aber für uns hätte das keine Auswirkungen. Wenn wir Jesus nicht finden, dann können wir Ostern letztlich in die Tonne treten, dann können wir uns den Magen mit Schokoosterhasen vollstopfen – doch bringen würde uns das alles nichts.

Wir müssen also Jesus schon finden – und sind von uns aus doch nicht dazu in der Lage. Doch die Frauen finden ihn bald darauf tatsächlich – jedoch einzig und allein deshalb, weil Jesus ihnen begegnet, weil er sich ihnen zu erkennen gibt. Ohne es zuvor ahnen zu können, laufen sie Jesus gleichsam in die Arme, und der gibt sich ihnen dadurch zu erkennen, dass er sie anspricht. Sonst hätten die beiden Frauen ihn in ihrer Lage vielleicht glatt umgerannt und wären einfach weitergelaufen. Doch als Jesus sie anspricht, erkennen sie, wer er ist. Und das wirkt sich bei ihnen gleich auch körperlich aus: Sie schütteln ihm nicht einfach freundlich die Hand, sondern sie sinken ihm zu Füßen, umfassen sie, beten ihn an, wie man eben nur den lebendigen Gott anbetet. Sie umfassten seine Füße, jawohl, die durchbohrten Füße ihres Herrn. Vor ihnen steht nicht irgendeine geistige Lichtgestalt, nicht bloß irgendeine Aura, sondern der leibhaftig auferstandene Herr, dessen Leichnam eben nicht mehr im Grab zu finden ist. So geht für die beiden Frauen das Erkennen über ins Begreifen im wahrsten Sinne des Wortes.

Auch wir schaffen es nicht, so haben wir es mit Martin Luthers Kleinem Katechismus gelernt, aus eigener Vernunft noch Kraft zu Christus, dem Auferstandenen, zu kommen, ihn zu finden. Da muss Christus uns schon selber begegnen und uns die Augen öffnen. Und das hat er getan, auch bei dir, weil er der lebendige Herr ist, weil er eben darum auch hier und heute am Werk ist, weil er dir schon im Wasserbad der Heiligen Taufe als der auferstandene Herr begegnet ist. Dass du heute Morgen hier in der Kirche sitzt, hat ganz direkt mit dem zu tun, was uns St. Matthäus hier berichtet. Würde Jesus immer noch im Grab liegen, wärst du nicht hier, hättest du keinen Grund, fröhlich Ostern zu feiern, hättest du keine Hoffnung, keinen Trost angesichts der Übermacht des Todes. Doch er lebt, begegnet dir nun auch heute wieder so, dass du ihn leibhaftig umfangen kannst, wie die beiden Frauen damals auch, dass du ihn leibhaftig umfangen kannst, wenn er zu dir kommt mit seinem Leib, der eben nicht im Grab verwest ist, mit seinem Blut, das dir nun Anteil an seinem unvergänglichen Leben schenkt.

Nein, für dich braucht es keine Überraschung mehr zu sein wie damals für die Frauen, dass und wo Jesus dir begegnet. Er sagt es dir, genauso wie er damals die Frauen losgeschickt hat, dass sie den Jüngern ausrichten, wo sie ihn sehen, wo sie ihm begegnen werden. Dieser Altar, er ist dein Galiläa; dorthin ruft dich Christus, dorthin schickt er dich, dort  will er dir begegnen, damit du tatsächlich fündig wirst bei deiner Suche nach dem auferstandenen Herrn.  

Ostereiersuchen ist ein netter Brauch; während wir hier drinnen den Gottesdienst feiern, sind unsere Kindergottesdienstkinder gerade auch im Garten unterwegs und suchen dort auch ihre Ostereier. Doch Jesus zu suchen brauchen wir nicht mehr; wir müssen uns nur an das halten, was der Engel, ja was er selber gesagt hat: Lauft nicht zum Grab, lauft dorthin, wo er sich finden lassen will. Ihr bekommt hier mehr als ein paar Süßigkeiten. Ihr bekommt hier sein unzerstörbares Leben, das auch euer Leben einmal nicht im Grab enden lassen wird. Ja, lauft hierher – und dann lauft auch wieder los und erzählt es den anderen, wie die Frauen damals auch. Ihr dürft es ruhig verraten, wen ihr hier gefunden habt, denn sein Leben reicht für alle. Ja, genau darum geht es zu Ostern. Amen.