03.04.2011 | St. Johannes 6,55-65 | Laetare

Sushi-Restaurants haben es zurzeit schwer in unserem Land. Auch wenn der Fisch, den sie verwenden, in vielen Fällen gar nicht aus Japan stammt, haben die Leute dennoch Angst, dass die Sushis, die sie dort verzehren, doch irgendwie radioaktiv belastet sein könnten, dass sie sich mit dem Genuss dieser Leckereien den Tod an den Hals oder in den Hals holen könnten. Solche Ängste sind zwar ziemlich irrational; doch sie brechen in unserem Land immer wieder auf, wenn es um Lebensmittel und Lebensmittelskandale geht: Ja, da bricht sich offenbar eine Urangst Bahn, eine Urangst, dass wir durch den Genuss von Nahrungsmitteln, von Lebensmitteln, nicht unser Leben erhalten, sondern uns den Tod einbrocken, ohne dass wir dies merken können. Radioaktivität kann man nicht sehen, BSE-Erreger kann man nicht schmecken, und so könnte man nun die ganze lange Liste von Nahrungsmitteln durchgehen, bei denen man in den letzten Jahren herausgefunden hat, dass sie möglicherweise gesundheitsgefährdend sein könnten. Was kann man dagegen machen? Ganz aufs Essen zu verzichten, ist auf die Dauer keine sinnvolle und gesundheitsfördernde Lösung; es bleibt uns nichts anderes übrig: Wir müssen essen, wenn wir überleben wollen. Bio-Produkte zu kaufen, kann in mancherlei Hinsicht vernünftig sein, abgesehen davon, dass sie meist einfach auch besser schmecken. Doch wie sehr wir auch darauf achten mögen, wirklich nur gesunde Nahrung zu uns zu nehmen, lässt sich an dem Grundproblem nichts ändern: Wir essen uns mit jeder Mahlzeit, die wir verzehren, unserem Tod entgegen. Gesunde Ernährung mag uns helfen, möglicherweise ein wenig länger fit zu bleiben. Doch auch sie ist niemals ein Heilmittel gegen den Tod. Was wir auch zu uns nehmen mögen – wir essen und sterben dann schließlich, ob mit oder ohne Sushi.
 
Ja, das wäre doch was, wenn es ein Lebensmittel gäbe, das tatsächlich diesen Namen verdient, dessen Genuss uns nicht bloß dem Tod näherbringt, sondern wirkliches Leben schenkt, Leben das stärker ist als der Tod! Wenn Forscher ein Lebensmittel auf den Markt bringen würden, das es Menschen ermöglicht, 150 Jahre bei bester Gesundheit alt zu werden – es würde ihnen wohl unter den Händen weggerissen werden, Menschen würden wohl beinahe jeden Preis zahlen, um an solch ein Essen heranzukommen: Essen und leben – da ginge ein alter Menschheitstraum in Erfüllung.
 
In der Predigtlesung des heutigen Sonntags verspricht uns Christus noch mehr: Er verspricht uns ein Nahrungsmittel, ein Lebensmittel, durch dessen Genuss wir nicht bloß unseren Tod um ein paar Jahre nach hinten verschieben können, und dann ist irgendwann aber eben doch Schluss. Sondern er verspricht das Lebensmittel schlechthin, eine Nahrung, eine Speise, die uns nicht weniger als ewiges Leben schenkt, Leben, das nie mehr aufhört, das kein Tod zerstören kann.
 
Schwestern und Brüder: Ich hoffe, ihr ahnt, was das eigentlich bedeutet, was Christus hier sagt. Es ist die aufregendste Nachricht, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Und wenn ihr an dieser Stelle der Predigt schon ein wenig weggenickt sein solltet, kann ich euch nur raten, jetzt wieder aufzumerken, damit ihr es mitbekommt, was das für eine Speise ist, wo man sie bekommen kann und wie sie wirkt:
Was Christus über diese Speise, die Menschen das ewige Leben schenkt, sagt, klingt beim ersten Hinhören allerdings scheinbar erst einmal erschreckend: Mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Das klingt für unbedarfte Ohren erst einmal nach Kannibalismus, klang gerade für jüdische Ohren völlig unerträglich, gab es doch im Alten Testament ein klares Gebot Gottes an sein Volk Israel, wonach Blutgenuss grundsätzlich verboten, ja dem Herrn ein Gräuel war. Und jetzt fordert Christus allen Ernstes dazu auf, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken? Das konnte er doch gar nicht so meinen, das musste man doch irgendwie anders interpretieren! Genauso haben Theologen im Verlauf der Kirchengeschichte immer wieder reagiert, haben versucht, diese Worte Jesu irgendwie unanstößiger, gefälliger, einleuchtender auszulegen: Nein, Jesus meint das natürlich nicht wirklich und nicht wörtlich: Er meint das eher so bildlich, symbolisch, so haben sie sich diese Worte Jesu zurechtzulegen versucht: Jesus meint hier nur, dass wir an seinen Tod am Kreuz denken und glauben sollen und zur Erinnerung daran im Gottesdienst Brot essen und Wein trinken sollen. Jesus meint hier nur, dass wir in einem geistigen Sinne ihn und seine Worte in unserer Erinnerung aufnehmen und ihn in diesem Sinne empfangen sollen. Ja, das klingt einleuchtend, das klingt nett – doch es entspricht eben gerade nicht dem, was Christus selber hier in diesen Worten erklärt:
Der sagt eben gerade nicht: Mein Fleisch ist eine bildliche, symbolische Speise, sondern er sagt: Mein Fleisch ist eine wirkliche, reale Speise, mein Blut ist ein wirklicher, realer Trank, nichts Übertragenes, nichts Geistiges, sondern etwas ganz Fassbares. Und falls jemand daran noch Zweifel haben sollte, dass er es tatsächlich so meint, fügt er gleich anschließend hinzu: Wer mein Fleisch kaut und mein Blut trinkt, der bleibt in mir. Ja, es geht um wirkliches Kauen, um wirkliches Aufnehmen mit dem Mund, wirkliches Essen wirklicher, realer Speise.
 
Sein Fleisch gibt er uns zu essen, jawohl. Doch das heißt eben natürlich nicht, dass er uns jeweils Teile von sich zu essen gibt. Denn wir haben es doch nicht mit einem Toten zu tun, der seziert, zerlegt, aufgeteilt werden könnte. Sondern der, der sich uns hier als Speise anbietet, der lebt, der hat den Tod besiegt, hat ihn endgültig hinter sich gelassen. Nein, wir sollen nicht den Körper eines Toten essen – was für eine absurde Vorstellung! –, sondern wir sollen ihn, den lebendigen Christus empfangen. Statt vom Essen seines Fleisches und Blutes kann er bald darauf auch sagen: „Wer mich isst“. Es geht um ihn selber, um seine Person. Und doch dürfen wir nun nicht den Fehler machen, ihn, Christus, irgendwie zu vergeistigen. Ihn, Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, gibt es zugleich nur als wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut, der berührt, der angepackt werden kann, wie es die Jünger sehr handgreiflich nach seiner Auferstehung erfuhren. Christus kann ich nur so empfangen, dass ich ihn wirklich mit Fleisch und Blut empfange, dass ich ihn selber mit meinen Lippen berühre. Ja, aufnehmen soll ich ihn nicht allein mit meinen Ohren, sondern tatsächlich mit meinem Mund, tatsächlich als Speise, als Trank. Dies ist die Art und Weise der Begegnung mit ihm, die Christus selber so gestiftet hat, nicht symbolisch, sondern ganz real, so real, wie er selber in einer Krippe gelegen und am Kreuz gehangen hat. Denn es geht ja auch nicht bloß um dein geistiges Leben, sondern um dein ganz reales Leben, das vom Tod bedroht ist und in das er, Christus, nun Einzug halten will, um dir an seinem unvergänglichen Leben Anteil zu schenken.
 
Wie geschieht das? Wer mein Fleisch isst, wer mein Fleisch kaut, und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm, fährt Christus fort. Nein, es geht bei dem Lebensmittel, das er, Christus, anzubieten hat, nicht um irgendeine geheimnisvolle Zauberspeise, um einen geheimnisvollen Zaubertrank, dem irgendwelche magischen Kräfte innewohnen. Sondern es geht darum, dass wir durch dieses Lebensmittel, diese Speise und diesen Trank mit Christus, dem auferstandenen Herrn, untrennbar, auf Dauer verbunden werden, so eng, dass die Möglichkeiten, es mit unserer Sprache, mit unserem Vorstellungsvermögen zu erfassen, an ihre Grenzen stoßen: Er in uns, wir in ihm – dichter geht es nicht, dichter kommst du nirgendwo auf dieser Welt an ihn, Christus, heran, als dort, wo er sich von dir als Speise, als Trank empfangen lässt.
 
Und dabei geht es nicht bloß um ein schönes Gefühl, um eine mystische Erfahrung oder so was ähnliches: Es geht, so macht es Christus nun noch einmal deutlich, um dein Leben, ja mehr noch: um deine Teilhabe am göttlichen Leben: Ja, hört es genau, was Christus hier sagt: Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. So eng wie Christus mit seinem Vater verbunden ist, dass das Leben des Vaters auch das Leben des Sohnes ist, so eng werden wir mit Christus verbunden, wenn wir ihn essen, sein Fleisch und sein Blut empfangen: Wir erhalten damit Anteil an der Lebensfülle des dreieinigen Gottes, werden in diese Gemeinschaft leibhaftig aufgenommen.
 
Noch einmal, Schwestern und Brüder: Es geht hier nicht um irgendwelche geistigen Vorgänge, nicht um hochtrabende Gedanken. Es geht um etwas ganz Elementares: Wir essen und trinken ein Lebensmittel, ganz konkret mit unserem Mund – und dadurch wird uns göttliches, unvergängliches Leben zuteil.
Brüder und Schwestern: Ich habe es bisher nicht ausdrücklich ausgesprochen. Aber ihr wisst es natürlich alle schon längst, wovon ich rede, nein: wovon Christus selber hier redet: vom Heiligen Mahl, vom Sakrament seines Leibes und Blutes. Da empfangen wir ihn leibhaftig mit unserem Munde, da berühren wir ihn, werden eins mit ihm, empfangen durch ihn göttliches, unzerstörbares, ewiges Leben, nein, nicht symbolisch, nicht bildlich, sondern leiblich. Die Realität dieser Gabe, die du hier am Altar empfängt, hängt nicht von deiner Einbildung, nicht von deiner Glaubensstärke ab; du empfängst Leib und Blut Christi hier mit deinem Mund einzig und allein deshalb, weil Christus es sagt, weil seine Worte bewirken, was er hier verspricht.
 
Ein Lebensmittel, das ewiges Leben schenkt, ein Lebensmittel, durch das wir mit dem lebendigen Gott wirklich und wahrhaftig verbunden werden – man sollte meinen, dass diese Nachricht in allen Zeitung auf der ersten Seite mit großen Buchstaben veröffentlicht wird. Man sollte meinen, dass die Menschen die Kirchen stürmen, um an dieses Lebensmittel heranzukommen, dass sie dafür jede Menge Geld bieten, nur, damit auch sie daran teilhaben dürfen.
 
Doch der Ansturm hält sich vergleichsweise in Grenzen, auch wenn er manchem Gottesdienstteilnehmer hier in Zehlendorf schon allzu groß erscheinen mag. Ja, wie ist das möglich, dass Menschen, die von dieser Nachricht gehört haben, die eigentlich darum wissen, dennoch im Bett liegen bleiben und meinen, sie könnten auf dieses Lebensmittel, auf diese Nahrung des ewigen Lebens verzichten? Ja, mehr noch: Wie ist das möglich, dass Menschen nicht bloß vielleicht mal den einen oder anderen Sonntag darauf verzichten, sondern von diesem Angebot ihres Herrn überhaupt nichts wissen wollen?
 
Eigentlich ist das in der Tat unbegreiflich, unfassbar. Und doch schildert uns St. Johannes hier, dass Christus auch damals schon mit ganz ähnlichen Reaktionen konfrontiert wurde. Statt Jubel und Begeisterungsstürmen über die Ankündigung dieses wunderbarsten Heilmittels der Welt bekommt er von vielen seiner eigenen Jünger nur diesen Kommentar zu hören: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? Das leuchtet uns nicht ein, was du sagst; das stößt uns eher ab. Kannst du dir nicht einen anderen Weg ausdenken, uns am ewigen Leben Anteil zu geben?  Ja, daran hat sich bis heute nichts geändert: Menschen ärgern sich darüber, mitunter auch ganz gewaltig, wenn man ihnen diese Worte Christi ausrichtet, dass die Teilhabe am ewigen Leben durch Essen und Trinken, eben durch die Teilnahme am Heiligen Mahl geschieht: Reicht denn nicht das Hören der Worte Christi aus? Ja, natürlich reichen die aus, denn eben diese Worte laden uns ja zu seinem Mahl, und diese Worte bewirken zugleich, dass wir im Heiligen Mahl eben nicht bloß ein Stück Brot und einen Schluck Wein, sondern ihn selber leibhaftig, seinen Leib und sein Blut empfangen, denn die Worte, die Christus spricht, sind eben nicht bloß dahergeredetes Wort eines Menschen, sondern Geist und Leben.
 
Was bleibt uns also? Wir können nichts anderes tun, als immer und immer wieder zum Empfang dieser Speise des ewigen Lebens einzuladen. Ob Menschen dieser Einladung glauben und folgen, das steht dann nicht mehr in unserer Hand. Ja, es ist und bleibt ein Wunder, Gabe und Wirkung des Heiligen Geistes, wenn Menschen vor dieser Einladung nicht ihre Herzen verschließen, wenn Menschen sich nicht durch ihren begrenzten Verstand davon abhalten lassen, der Einladung Christi zu folgen, sondern tatsächlich kommen, immer und immer wieder kommen und entdecken, was für eine Kraft- und Lebensquelle dieses Heilige Mahl für sie ist. Und darum freue ich mich in der Tat über lange Sakramentsfeiern in unserer Kirche, freue mich darüber, wenn mehr und mehr Menschen hierher nach vorne kommen, um Christi Leib und Blut, das Heilmittel der Unsterblichkeit, zu empfangen. Ja, ich freue mich darüber, wenn Gliedern unserer Gemeinde die Einladung unseres Herrn nicht gleichgültig ist, wenn sie nicht alle möglichen anderen Einladungen der Einladung an den Tisch des Herrn vorziehen, wenn sie die Einladung Christi nicht für unsinnig und überflüssig erklären. Und ich lade euch ein, euch mit mir zu freuen, ja mehr noch: Ich lade euch ein, euch mit Christus zu freuen, der doch selber der Gastgeber ist, der seinen Leib und sein Blut am Kreuz in den Tod gegeben hat, damit wir heute an ihm und seinem göttlichen Leben Anteil erhalten. Ja, ich lade euch ein, vor allem auch selber hierher zu kommen, an seinen Tisch, nein, nicht nur heute, sondern tatsächlich jedes Mal, wenn er, Christus, ruft: Kommt, denn es ist alles bereit! In dem Vers, der unserer Predigtlesung vorangeht, bringt Christus es noch einmal auf den Punkt: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Brauchst du das? Willst du das? Dann glaube deinem Herrn und komm und lebe – in Ewigkeit! Amen.