24.12.2012 | St. Johannes 7,28+29 | Christvesper II

So langsam kennt ihr sie ja wohl, die Geburtsgeschichte von Jesus Christus, die Geschichte von dem Stall von Bethlehem, von der Krippe, von den Hirten und von den Engeln. Jedes Jahr kommt ihr wieder hierher, um sie euch anzuhören, obwohl ihr doch eigentlich schon längst Bescheid wisst.

Nein, das meine ich natürlich überhaupt nicht negativ, ganz im Gegenteil: Heutzutage können wir hier in unserem Land ja schon wirklich froh sein, wenn Menschen Weihnachten irgendwie noch mit der Geburt von Jesus Christus in Verbindung bringen, wenn sie nicht zu denen gehören, die vermuten, dass wir Weihnachten feiern, weil an dem Tag der Weihnachtsmann gestorben ist. Ja, wir können wirklich froh sein, wenn Menschen sich an diesem Abend noch die Zeit nehmen, sich diese Geburtsgeschichte von Jesus Christus anzuhören und nicht darauf pfeifen, weil es ihnen zu Weihnachten eigentlich nur darum geht, nun endlich das neuste Produkt von Apple unter dem Weihnachtsbaum auspacken oder testen zu können, ob die Haut der Weihnachtsgans denn nun auch wirklich ganz kross geworden ist.

Nein, ihr seid hier, habt sie euch nun eben noch mal angehört, die Ursprungsgeschichte von Weihnachten, ihr kennt Jesus und wisst, woher er kommt, wo er geboren wurde, ganz klar. Und doch kann ich euch eine Frage nicht ersparen: Warum sitzt ihr eigentlich heute Abend hier, was erwartet ihr eigentlich davon, dass ihr heute Abend hier seid?

Nein, diese Frage stelle ich eigentlich gar nicht selber, diese Frage richtet kein Geringerer als Jesus Christus selber an euch, derselbe Jesus Christus, der uns an diesem Abend eigentlich erst mal als kleines Baby dort in der Futterkrippe vor Augen steht. Eigentlich wissen wir es ja auch, aber es passt nun mal nicht so gut in die weihnachtliche Stimmung des heutigen Abends, eigentlich wissen wir es ja auch, dass dieser Jesus mittlerweile kein Baby mehr ist, längst erwachsen geworden ist.

Und als solch ein erwachsener Mann tritt er nun hier in der Predigtlesung des heutigen Abends im Tempel in Jerusalem auf. Seine Zuhörer dort im Tempel, die unterschieden sich eigentlich gar nicht so sehr von euch. Die kannten auch die Weihnachtsgeschichte, die wussten, dass Jesus wie jeder andere Mensch auch geboren worden ist, dass er eine menschliche Mutter hat, dass diese Mutter einen Mann hatte, der sich um Jesus kümmerte wie um seinen Sohn – traute Familie in dem kleinen Kuhdorf Nazareth im Norden Israels, alles ganz normal. Ja, sie wussten, wo dieser Jesus herkam. Doch gerade damit war ihnen nun zugleich auch klar: Dieser Jesus von Nazareth kann nicht der Messias sein, der Christus, der von Gott gesandte Retter. Wenn der kommen würde, das wussten sie genau, dann würde der direkt vom Himmel einfliegen, dann würde man von dem keine Geburtsgeschichte erzählen können. Also konnte Jesus nicht dieser Messias sein, ganz logisch.

Jesus bekommt das mit, was die Leute da im Tempel so über ihn reden. Und da brüllt er nun mit einem Mal ganz laut dazwischen, dass die Leute aufhorchten und ihnen nach weiterem Gequatsche erst mal nicht mehr zumute war: Jawohl, ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Manche von euch haben mich schon als kleinen Jungen gekannt, haben miterlebt, wie ich ein Jugendlicher geworden bin, wie ich schließlich erwachsen geworden bin, ja, ganz normal, wie jeder andere auch. Und doch habt ihr keine Ahnung, wer ich wirklich bin. Denn ihr wisst in Wirklichkeit eben doch nicht, woher ich komme, kennt den nicht, der mich gesandt hat, auch wenn ihr von ihm hier im Tempel dauernd sprecht. Ja, ihr habt keine Ahnung von Gott. Wenn ihr Gott kennen würdet, dann würdet ihr nicht mehr darüber diskutieren, wer ich bin, dann wüsstet ihr, dass ich von ihm bin, mit ihm verbunden, mit ihm eins, dass ihr Gott selber seht, wenn ihr mich seht. Aber ihr habt ja keine Ahnung von Gott.

Ob Jesus wohl heute Abend hier in der Kirche auch Lust hätte, mal so richtig dazwischenzubrüllen? Ob er wohl am liebsten auch jetzt in diese schöne feierliche Stimmung hineinrufen würde: Ihr habt ja keine Ahnung, was ihr hier eigentlich feiert!? Ja, warum sitzt ihr heute Abend eigentlich hier? Weil das nun mal eine alte Familientradition ist, an diesem Abend in die Kirche zu gehen? Weil das irgendwie die feierliche Stimmung erhöht? Weil man an solch einem besonderen Tag ja nun auch ein wenig an den lieben Gott denken will? Ach, ihr habt ja keine Ahnung, was ihr hier eigentlich feiert, so würde Jesus dann wohl auch bei uns dazwischenrufen. Habt ihr denn noch nicht kapiert, wer ich wirklich bin? Eben nicht bloß der holde Knabe mit lockigem Haar, sondern dein Herr, der, dem du dein Leben verdankst und der dich einmal nach deinem Leben fragen wird! Habt ihr denn noch nicht kapiert, wer ich wirklich bin? Nicht bloß das süße kleine Kind, sondern derselbe, der sich schließlich für euch hat ans Kreuz nageln lassen. Habt ihr denn noch nicht kapiert, wer ich wirklich bin? Nicht bloß ein schönes Weihnachtsinventar für die letzten Tage des Jahres, das nach Neujahr dann wieder bis zum nächsten Weihnachtsfest in den Schrank gepackt werden kann, sondern Gottes Anrede an dich, an dein Leben?!

Schwestern und Brüder: Ihr mögt die ganze Weihnachtsgeschichte im Original-Luthertext auswendig aufsagen können, vielleicht sogar noch mit der Vertonung von Bachs Weihnachtsoratorium: Wenn euch nicht klar ist, was diese ganze Geschichte mit euch, mit eurem Leben zu tun hat, dann habt ihr die Weihnachtsgeschichte eben noch nicht verstanden, so macht es Christus uns allen miteinander hier deutlich, ja, dann kennt ihr Gott noch gar nicht, habt ihr das Entscheidende in eurem Leben noch gar nicht kapiert.

Gott hat Jesus zu uns gesandt, so sagt er es selber hier. Das heißt: Gott will mit uns Menschen, will ganz konkret mit dir Verbindung aufnehmen. Nein, das will er nicht, weil ihm da oben so langweilig wäre und er da immer nur allein herumhängt. Gott ist nicht auf dich angewiesen. Aber du bist auf ihn angewiesen. Du brauchst ihn – nicht bloß als romantische Umrahmung des Weihnachtsfestes, sondern als Inhalt und Ziel deines Lebens. Wem es egal ist, ob er mit Gott in Verbindung steht und Gott mit ihm, der kennt in der Tat Gott nicht, der weiß nicht, dass ein Leben ohne Gott ein verfehltes Leben ist, ein Leben, das am Ende am Ziel vorbeiführt. Doch eben darum will Gott auch mit dir Verbindung aufnehmen, weil er nicht will, dass du dein Leben verfehlst, weil er nicht will, dass du in deinem Leben getrennt von ihm bleibst. Ja, schau auf das Baby in der Krippe. Es ist Gottes Anruf an dich: So wichtig bist du für mich, dass ich meinen Sohn zu dir schicke, mitten hinein in den Dreck dieser Welt, damit du leben kannst, für immer, mit mir.

Nein, diese Chance gibt Gott dir nicht bloß einmal im Jahr am Heiligen Abend, mit ihm, Jesus, und durch ihn mit ihm, Gott selber, in Verbindung zu kommen. Diese Chance gibt er dir immer wieder, wenn wir uns versammeln, um das Wort dieses Messias Jesus zu hören, um zu hören, was er uns über Gott zu sagen hat. Diese Chance gibt er uns immer wieder, wenn wir uns hier versammeln und er immer wieder neu all das von uns nimmt, was uns von Gott trennt. Diese Chance gibt er dir immer wieder, wenn er sich hier auf dem Altar wieder so klein macht wie damals in der Krippe von Bethlehem, wenn er mit seinem Leib und Blut zu dir kommt, um dich in die Gemeinschaft mit Gott zurückzuholen.

Ja, das wünsche ich dir, dass du weißt, was du an diesem Jesus Christus hast, dass du nicht nur weißt, dass er in Bethlehem geboren wurde, sondern dass du weißt, dass Gott ihn auch zu dir geschickt hat, um dir das ewige Leben zu schenken. Ja, das wünsche ich dir, dass du Gott kennst, dass du weißt, wer Gott ist: dein Vater, der nichts lieber will, als dass du durch seinen Sohn Jesus Christus zu ihm kommst. Ja, das wünsche ich dir, dass du weißt, wo du in deinem Leben Gott finden kannst: nicht irgendwo tief in dir, nicht irgendwo im Wald, nicht irgendwo in deinen Gefühlen, sondern eben dort, wo Jesus Christus ist, wo er zu dir spricht in seinem Wort, wo er sich dir schenkt im Heiligen Mahl. Ja, das wünsche ich dir, dass dir klar ist, warum du in der Tat allen Grund hast, in diesen Tagen wirklich frohe Weihnachten zu feiern: weil Gott Mensch geworden ist – für dich! Amen.