21.09.2012 | 1. Korinther 12,27-31a | Tag des Apostels und Evangelisten St. Matthäus

„Ja, ich bin Christin. Aber dazu brauche ich die Kirche nicht.“ – So stellte die junge Frau voller Überzeugung fest. Wie sie denken heute viele Menschen in unserem Land: Der christliche Glaube ist eine Art von Wertesystem oder Gedankengut, das man für sich übernehmen oder in sein eigenes Gedankengebäude einbauen kann, das man gut finden und sich von ihm inspirieren lassen kann – aber dazu muss man ja nun nicht in die Kirche gehen!

Was scheinbar so modern und fortschrittlich klingt, ist in Wirklichkeit ein ganz alter Hut, stammt aus einer Zeit von vor mehr als zweihundert Jahren, als sich der christliche Glaube von seiner kirchlichen Gestalt zu lösen begann und zu einer Privatreligion oder Privatweltanschauung wurde. Und eben dieses Denken ist bis heute in den Köpfen vieler Menschen, ganz besonders hier in Deutschland, hängen geblieben, nicht zuletzt auch in den Köpfen so mancher Richter, die immer wieder in ihren Urteilssprüchen behaupten, man könne seinen christlichen Glauben doch auch für sich ganz privat ohne kirchliche Anbindung leben, und das sei dann selbstverständlich auch etwa im Iran oder in Afghanistan möglich.

In der Epistel des heutigen Aposteltages macht uns der Apostel Paulus deutlich, dass eine solche Trennung von Kirche und christlichem Glauben mit der biblischen Botschaft jedenfalls nicht zu vereinbaren ist: Undenkbar ist nicht nur für ihn, sondern für das ganze Neue Testament, dass man ohne Kirche als Christ leben kann oder dass es umgekehrt einen christlichen Glauben geben könnte, der ohne Kirche auskommt. Ein solcher Glaube, das zeigt uns Paulus hier sehr deutlich, wäre nur ein eingebildeter Glaube, aber keiner, der sich auf die Realitäten gründet, um die es im christlichen Glauben doch tatsächlich geht. Im Gegenteil, so macht es der heilige Paulus hier den Christen in Korinth und auch uns deutlich:
- Du brauchst die Kirche.
- Die Kirche braucht dich.

I.
Um verstehen zu können, warum wir als Christen die Kirche brauchen, müssen wir zunächst einmal erkennen, was die Kirche eigentlich ist: Sie ist ihrem Wesen nach nicht eine Institution, die man von Zeit zu Zeit mal besucht und die für ihre Serviceleistungen von einem dann auch entsprechend Geld verlangt. Wir gehen eben nicht bloß zur Kirche, sondern wir sind die Kirche, denn die Kirche ist ihrem Wesen nach der Leib Christi. Und jeder, der getauft ist, ist ein Glied am Leib Christi, ist eingebunden in den Organismus des Leibes Christi. Ein Glied an einem Körper kann nicht allein für sich existieren; es ist auf die anderen Glieder, ja auf den ganzen Körper angewiesen. Und so ist es eben auch mit uns Christen: Wir haben es immer wieder nötig, den Leib Christi im Heiligen Mahl zu empfangen, um so selber wieder neu gemeinsam mit den anderen am Altar Leib Christi zu werden. Wir haben es immer wieder nötig, das Blut Christi zu empfangen und damit das neue, unvergängliche Leben in der Verbindung mit Christus. Ohne diese Christusverbindung verkümmert unser Glaube, ohne das Leben im Leib Christi und durch den Leib Christi stirbt er ab.

Und zu dem Leib Christi gehören eben auch die anderen Glieder mit dazu. Wir brauchen sie, die Brüder und Schwestern, die uns Mut machen, bei Christus zu bleiben, bei ihm zu Hause zu bleiben. Wir brauchen sie mit ihren ganz unterschiedlichen Gaben, die ihnen von Christus geschenkt sind und von denen der Apostel Paulus hier in der Epistel spricht. Die Liste der Gaben, die Paulus hier nennt, ist sicher nicht vollständig und bezieht sich zugleich in besonderer Weise auf die Situation der Gemeinde in Korinth. Nicht alle Gaben, von denen Paulus hier spricht, gibt es auch in unserer Gemeinde; dafür gibt es in ihr ganz viele andere Gaben, die Paulus nicht aufzählt.

Und vor allem gibt es bei uns viele von den „größeren Gaben“, die Paulus hier am Ende der Epistel erwähnt. Denn die größeren Gaben sind die, die in besonderer Weise den anderen in der Gemeinde dienen, die geprägt sind von der größten Gabe überhaupt, von der Liebe. Ja, diese Liebe, die uns durch die Schwestern und Brüder in der Gemeinde geschenkt wird, die brauchen wir für unser Leben als Christen. Sie verwandelt auch uns, bewahrt uns davor, immer nur um uns selber zu kreisen, uns nur mit uns selber, mit unseren Bedürfnissen, mit unseren Lieblingsgedanken zu beschäftigen. Ja, sie spiegelt etwas von der Liebe unseres Herrn Jesus Christus selber wieder, mit der er uns immer wieder beschenkt. Ja, du brauchst die Kirche, du brauchst die anderen Glieder am Leib Christi, brauchst ihren Dienst, brauchst ihre Liebe.

Und der Apostel Paulus nennt hier noch einen Grund, weshalb du so dringend die Kirche brauchst: In der Kirche gibt es Menschen, die dir Gottes Wort verkündigen, die damit deinen Glauben stärken und dich davor bewahren, dir einen eigenen Glauben selber zusammenzubasteln. Bevor Paulus von den Gaben des Heiligen Geistes spricht, die Christus in der Gemeinde ausgeteilt hat, spricht er zunächst einmal von drei personengebundenen Ämtern, die sich nicht die Gemeinde ausgedacht hat, die auch nicht einfach irgendwie per Selbstentzündung entstanden sind, sondern die Christus eingesetzt hat, so, dass er mit diesen Ämtern ganz bestimmte Personen beauftragt hat.

Von den Aposteln spricht er hier zunächst einmal. Apostel gibt es heute nicht mehr. Sie gab es einzig und allein am Anfang der Geschichte der Kirche. Sie waren Augenzeugen des Lebens Christi, von Christus selber in der persönlichen Begegnung mit ihm in seine Nachfolge gerufen. Ihr Wort sollen und dürfen wir als Wort Christi selber vernehmen; ihr Wort ist und bleibt die Grundlage aller Verkündigung der Kirche. Das gilt auch für den Apostel Matthäus, dem wir das erste der Evangelien zu verdanken haben. Auf sein Zeugnis sind wir angewiesen, genau wie auf das Zeugnis der anderen Apostel und Evangelisten, damit wir uns nicht einen Jesus nach unseren eigenen Vorstellungen schaffen, sondern bei dem Jesus Christus bleiben, dessen Tod und Auferstehung die Apostel damals bezeugt haben. Und dieses apostolische Wort wurde und wird dann im Weiteren in der Kirche weitergegeben durch andere Menschen, die Christus mit einem Amt beauftragt hat. Von Propheten und Lehrern spricht Paulus hier. Propheten hatten die Aufgabe, das Wort und den Willen Christi in die Lebenssituation der Gemeinde und ihrer Glieder hineinzusprechen – also das zu tun, was bis heute eine wesentliche Aufgabe der Predigt ist. Und die Lehrer sollten natürlich den Christen nicht zuerst und vor allem binomische Formeln und griechische Grammatik beibringen, sondern die christliche Botschaft im Zusammenhang, eben als Lehre. Wenn wir uns das weitere Neue Testament anschauen, dann sehen wir, wie diese Aufgaben mit dem Hirtendienst in dem einen Amt zusammengefasst wurden, zu dem zu ordinieren Paulus später seinen Schüler Timotheus beauftragte. Ja, du brauchst die Kirche, weil du diesen Hirtendienst brauchst, weil du es nötig hast, dass dir jemand von außen sagt, was der Wille Christi für dein Leben ist, weil du es nötig hast, getröstet, ermahnt, ermutigt zu werden, ja, ganz konkret durch andere Menschen, die Christus in seinem Auftrag an dir handeln lässt.

II.
Aber nicht nur du brauchst die Kirche. Sondern die Kirche braucht auch dich, so zeigt es dir der Apostel Paulus hier. Nicht nur die anderen haben Gaben und Aufgaben, das gilt auch für dich. Nein, du kannst dich nicht herausreden, dass du ganz sicher keine Gabe von Christus abbekommen hast, dass du ganz sicher nicht dazu geeignet bist, in der Gemeinde Christi mitzuwirken.

Wir feiern heute den Tag des Apostels und Evangelisten St. Matthäus, eines ehemaligen Finanzbetrügers und Erpressers, der früher in seinem Leben anderen höchstens noch als abschreckendes Beispiel diente. Selbst den hat Christus nicht als ungeeignet oder überflüssig angesehen; auch den hat er in seinen Dienst gerufen und ihm damit auch sein Vertrauen geschenkt. Ja, den hat Christus nach seiner Auferstehung noch einmal neu in seinen Dienst gerufen, obwohl auch er wie die anderen Apostel in den Tagen zuvor so jämmerlich versagt hatte, sich so wenig vorbildlich verhalten hatte.

Christus gibt auch dich nicht auf, gibt auch dir immer wieder eine neue Chance, möchte, dass auch du in seiner Gemeinde entdeckst, wo und wie er dich gebrauchen kann. Wenn du glaubt, du könntest ohne Kirche Christ sein, dann entziehst du dich den anderen, die dich gerade als Mitchrist, als Mitbruder, als Mitschwester brauchen, dann übersiehst du, dass auch du deinen bestimmten Platz, deine bestimmte Funktion am Leib Christi hast. Ja, dann hast du noch gar nicht erfahren, wie beglückend es ist, mit seinen Gaben den anderen Brüdern und Schwestern in der Gemeinde dienen zu dürfen.

Gott geb’s, dass uns allen in unserem Leben immer mehr das Geheimnis der Kirche aufgeht, dass wir immer mehr zu erfassen beginnen, was es heißt, dass wir Glieder am Leib Christi sind! Denn dieser Leib Christi ist keine Leiche, der lebt, weil Christus lebt, weil er auferstanden ist. Und darum werden auch wir leben als Glieder am Leib Christi – in alle Ewigkeit. Amen.