24.06.2012 | 1. Petrus 1,8-12 | Tag der Geburt St. Johannes des Täufers

Nach dem Gottesdienst und dem gemeinsamen Mittagessen werden wir mit unserem Jugendkreis nach Westensee in Schleswig-Holstein fahren. Ich weiß, das ist eine ziemlich kühne Behauptung, die ich da gerade aufgestellt habe. Denn ich muss gestehen, dass ich noch nie in Westensee gewesen bin, dass ich diesen Ort und die Jugendherberge darin noch nie gesehen habe und damit aus eigener Erfahrung überhaupt nicht bestätigen kann, dass Westensee überhaupt existiert, geschweige denn, dass es sich lohnt, dorthin zu fahren. Theoretisch möglich ist es natürlich, dass wir uns nachher mit dem Bus auf den Weg machen und heute Abend nach langer Fahrt feststellen, dass ich da wohl auf einen blöden Witz im Internet hereingefallen bin, als ich dort in Westensee eine Jugendgruppe angemeldet habe. Theoretisch möglich ist es natürlich, dass wir heute Abend feststellen werden: Das, was wir nie gesehen haben, gibt es tatsächlich auch gar nicht.

Und trotzdem gehe ich davon aus, dass sich heute Mittag über 30 Jugendliche aus unserer Gemeinde hier vor der Tür in einen Reisebus setzen werden, sich einem Fahrer anvertrauen werden, der ihnen vorher auch keine Beweise liefern wird, dass er sie nicht statt nach Schleswig-Holstein irgendwo nach Polen fahren wird. Ja, ich gehe davon aus, dass die meisten der Jugendlichen bei ihrem Einsteigen keine sonderlichen Zweifel daran hegen werden, dass sie heute Abend in einem Bett in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein liegen werden. Sie verlassen sich auf etwas, was sie nicht sehen, ja, vertrauen jemandem, der selber nicht gesehen hat, wohin er sie, die Jugendlichen, fahren lässt. Klingt verrückt – und ist in Wirklichkeit doch auch schon wieder so normal, dass ihr euch fragen mögt, warum ich das jetzt in meiner Predigt überhaupt so breit entfalte.

Ich will es euch erklären: Ich habe das jetzt eben so ausführlich dargestellt, weil die Situation, in der sich unser Jugendkreis heute Mittag befindet, in vielem der Lage ähnelt, in der wir Christen uns ganz grundsätzlich befinden:
Da sind wir alle miteinander, auch wenn wir schon zur etwas reiferen Jugend zählen sollten, da sind wir alle miteinander eingeladen, uns auf den Weg zu einem Ziel zu machen, mit dem auch die Jugendherberge am Westensee ganz gewiss nicht mithalten kann, selbst wenn sie existieren sollte. Das Ziel, zu dem zu reisen wir eingeladen sind, ist so atemberaubend, dass wir uns dort am Ziel einmal freuen werden „mit unaussprechlicher und herrlicher Freude“, wie der heilige Petrus es hier in unserer Predigtlesung formuliert. Jede noch so schöne Party, jede noch so mitreißende Siegesfeier vor dem Brandenburger Tor ist öde und ätzend langweilig im Vergleich zu dem, was uns da am Ziel unserer Reise erwartet.

Doch eines muss man natürlich ganz ehrlich zugeben: Gesehen hat dieses Ziel noch keiner von uns. Theoretisch denkbar ist das natürlich, dass nicht nur der Petrus, sondern alle Verfasser der Bücher des Neuen Testaments sich das mit dem Ziel nur ausgedacht haben, dass sie sich da nur etwas eingebildet haben, was es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Ja, es gibt allen Ernstes Leute, und die sind bei uns hier in Berlin sogar vermutlich die Mehrheit, die eben darum schon von vornherein gar kein Interesse daran haben, an diesem Ziel anzukommen, weil sie nach dem Motto leben: „Ich glaube nur an das, was ich sehe.“ In Wirklichkeit halten die das in ihrem Alltag natürlich auch nicht durch, denn sonst dürften die alle schon gar nicht heiraten, weil man Liebe und lebenslange Treue natürlich nicht sehen kann. Ja, die dürften eben im Grunde genommen noch nicht einmal in einen Bus der BVG steigen, weil sie ja vorher nicht sehen können, ob der Busfahrer sie tatsächlich zum erhofften Ziel und nicht irgendwo anders hin befördert. Wir leben als Menschen vom Vertrauen darauf, dass es vieles gibt, was wir nicht sehen können und was sich doch als existent, ja als tragfähig erweist. Doch beim Thema „Christus“ hört dann bei vielen die Bereitschaft zu solchem Vertrauen endgültig auf; da ist er wieder da, der Reflex: Kann ich nicht sehen, also gibt es das auch nicht!

Wieso kommen wir eigentlich darauf, an Christus zu glauben, obwohl der wohl nur den wenigsten von uns bisher persönlich erschienen ist, obwohl die allermeisten von uns ihn in ihrem Leben noch nie gesehen haben? Wir kommen zunächst einmal darauf, weil es Leute gibt, die ihn, Christus, gesehen haben, nein, nicht nur vor seiner Kreuzigung, sondern auch danach, als er auferstanden ist. Der Petrus selber hat ihn gesehen; der weiß, wovon er redet und schreibt, wenn er den auferstandenen Christus bezeugt. Der Paulus hat ihn gesehen, obwohl er ihn gar nicht sehen wollte, obwohl er hundertprozentig davon überzeugt gewesen war, dass dieser Jesus gar nicht auferstanden sein könnte. Doch dann konnte er sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass er sich geirrt hatte, und so schreibt der Paulus an die Christen in Korinth: Jawohl, ich habe den Herrn gesehen! Und einige Kapitel weiter listet der Apostel dann eine ganze lange Reihe von Leuten auf, die alle ihn, Jesus, nach seiner Auferstehung mit eigenen Augen gesehen haben.

Ist das nun ein Beweis dafür, dass Jesus auferstanden ist, ja, mehr noch: dafür, dass uns am Ziel unserer Reise Freude pur in Vollendung erwartet? Nein, das ist es nicht. Ich kann grundsätzlich weder etwas beweisen, was in der Vergangenheit gewesen ist, noch, was in der Zukunft stattfinden wird. Ich kann mir nur darüber Gedanken machen, ob die Zeugen, die von dem berichten, was in der Vergangenheit gewesen ist oder in der Zukunft sein wird, für mich glaubwürdig sind.

Das gilt, wie gesagt, schon für die Jugendlichen, die nachher in den Reisebus steigen werden, um nach Westensee zu fahren. Die machen das, weil sie mir vertrauen, weil sie mir nicht zutrauen, dass ich sie an der Nase herumführe und ihnen auf etwas Hoffnung mache, was sich am Ende nur als blöder Witz herausstellt.  Und noch viel mehr Grund als mir zu vertrauen habt ihr, denen zu vertrauen, die damals davon berichtet haben, dass sie den auferstandenen Christus gesehen haben. Die meisten von ihnen haben das mit der Hingabe ihres eigenen Lebens bezeugt, dass sie da keine billigen Witzchen gemacht haben, sondern dass dies tatsächlich die wichtigste Botschaft der Weltgeschichte ist: Christus lebt, auch wenn wir ihn jetzt nicht sehen können; Christus ist stärker als der Tod. Und weil wir in der Taufe mit ihm verbunden worden sind, an seinem Leben Anteil bekommen haben, darum ist auch unsere Hoffnung wohlbegründet, dass wir ihn, Christus, auch einmal zu sehen bekommen werden – nein, nicht bloß für kurze Zeit, wie damals die Jünger Jesu, sondern für immer, bei dem Fest, bei dem wir uns ohne Ende freuen werden mit unaussprechlicher und herrlicher Freude. Ja, das war den Jüngern, die Jesus sahen, sofort klar: Was sie da gerade erlebten, das betraf nicht nur Jesus selber, das betraf auch sie, ja das betraf alle Menschen.

Aber nun ist das mit der Auferstehung Jesu natürlich schon fast zweitausend Jahre her. Müssen wir da nicht doch vernünftigerweise zugeben, dass wir nach so langer Zeit nicht mehr damit rechnen können, dass sich in dieser Welt noch irgendetwas von dem auswirkt, was damals möglicherweise ja tatsächlich in Jerusalem passiert sein mag? Gott kann doch nicht viele hundert Jahre scheinbar gar nichts tun, und dann mit einem Mal plötzlich wieder etwas unternehmen!

Könnte er natürlich doch – aber in Wirklichkeit, so betont es der heilige Petrus, ist es ja auch gar nicht so, dass Gott in den letzten zweitausend Jahren seit der Auferstehung Jesu nichts gemacht hätte. Auch wenn die Zeugen für die Auferstehung Jesu sehr glaubwürdig sind, bleibt es dennoch immer noch ein Wunder, dass Menschen an ihn, Christus, glauben, bleibt es immer noch ein Wunder, dass ihr heute Morgen hier sitzt, weil ihr ihn, Christus, lieb habt, weil er für euch so wichtig ist. Darüber kann ich heute Morgen nur ebenso staunen, wie der Petrus damals schon darüber gestaunt hat, dass Menschen an Christus glauben, ohne ihn gesehen zu haben. Ja, Gott ist mit seinem Heiligen Geist auch heute Morgen wieder bei uns am Werk, auch wenn wir dies mit unseren Augen nicht wahrnehmen können.

Und Gott hat darüber hinaus einen ganz langen Atem, so macht es uns der heilige Petrus hier in unserer Predigtlesung deutlich. Von den Propheten spricht er hier, die schon viele hundert Jahre vor der Geburt Jesu, getrieben vom Heiligen Geist, das Kommen des Christus angekündigt hatten. Was sie, die Propheten, ankündigten, konnten sie selber auch nicht sehen, konnten es auch nicht einfach aus ihrer Erfahrung ableiten. Sie kündigten an, was ihnen der Geist Christi schon lange vor der Geburt Christi in Bethlehem eingegeben hatte. Und erst viele hundert Jahre später erfüllte sich dann, wovon die Propheten einst gesprochen hatten, ohne das selber noch miterlebt zu haben, was sie angekündigt hatten. Ja, beinahe fünfhundert Jahre vor der Geburt Jesu hatte es in Israel dann gar keine Propheten gegeben, sah es ganz danach aus, dass der Himmel sich ganz verschlossen hatte, dass nun von Gott wohl endgültig nichts mehr zu erwarten sei. Doch dann trat mit einem Mal der auf, dessen Geburtstag wir heute, genau ein halbes Jahr vor dem Heiligen Abend, feiern, Johannes der Täufer, kündigte in seinen Predigten an, dass das Kommen des Messias, ja das Kommen Gottes nun unmittelbar bevorstehe, ja kündigte auch die Leiden an, die über den Messias kommen würden: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“

Das kann es also geben, ja das hat es gegeben, dass jahrhundertelang nichts zu passieren scheint, und dass dann doch eintrifft, was Gott längst zuvor angekündigt hat. Auch wenn Gott einen sehr langen Atem zu haben scheint: Auf seine Ankündigungen ist Verlass. So haben es Menschen in der Vergangenheit immer wieder erfahren und bezeugt, und so werden auch wir es einmal erleben. Und von daher wäre es der absolute Wahnsinn, wenn wir darauf verzichten würden, uns auf den Weg zu dem Ziel zu begeben, das der heilige Petrus uns hier in seinem Wort doch schon vor Augen stellt. Wir brauchen als Christen nicht blöde herumzustehen und darauf zu warten, ob irgendwann vielleicht mal der Bus kommt, der uns zu dem großen Ziel unseres Lebens bringt. Wir dürfen im Gegenteil jetzt schon einsteigen und mitfahren Richtung Ziel, in jedem Gottesdienst, den wir feiern. Da begegnen wir ihm doch schon jetzt und hier, demselben Christus, über den wir uns einmal vor Freude nicht mehr einkriegen werden, da hören wir sie bei jeder Feier des Heiligen Mahls, die Worte Johannes des Täufers: Seht, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Jawohl: Seht! Ich weiß, ihr seht mit euren Augen nur die Hostie und den Kelch; aber ihr seht darin zugleich ihn, Christus, euren Herrn, den ihr lieb habt, ja, anrühren dürft ihr ihn mit euren Lippen, dürft euch dadurch stärken lassen auf dem Weg zum Ziel.

Macht darum bloß nicht den Fehler, aus dem Bus auszusteigen, nicht weiter mitzufahren, weil euch das Ziel zu unsicher erscheint, weil euch andere Reiseziele in eurem Leben interessanter und lohnender erscheinen! Macht bloß nicht den Fehler, den Bus ohne euch losfahren zu lassen, weil euch die Party am Samstagabend wichtiger ist als der Himmel, weil euch das Bett am Sonntagmorgen wichtiger ist als die Freude, die euch an dem Ziel erwartet, zu dem Christus euch bringen will! Keiner von euch weiß, wie viel Zeit euch noch bleibt, wie viele Zusteigemöglichkeiten es für euch noch gibt. Gott kann auch die letzte noch ausstehende Erfüllung seiner Versprechen schneller wahrmachen, als wir es ahnen. Ich verspreche euch: Wenn ihr das Ziel erst sehen werdet, dann werdet ihr nur noch heilfroh sein, dass ihr mitgefahren seid! Amen.