19.02.2012 | Amos 5,21-24 | Estomihi

ESTOMIHI – 19. FEBRUAR 2012 – PREDIGT ÜBER AMOS 5,21-24

Durch die Diskussionen um unseren früheren Bundespräsidenten hat ein neues Berufsbild in der Öffentlichkeit einige Bekanntheit erlangt: der Beruf des Event Managers. Der ist dafür zuständig, sogenannte Events zu organisieren, Veranstaltungen, bei denen sich Leute treffen und es sich gut gehen lassen und sich nebenbei auch noch an der Anwesenheit des einen oder anderen Prominenten erfreuen. Der Event Manager selber bleibt dabei ganz im Hintergrund; ihn brauchen die Teilnehmer des Events gar nicht besonders zu beachten. Hauptsache, sie fühlen sich untereinander wohl.

Gott ist kein Event Manager und will auch keiner sein, so macht es der Prophet Amos in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags seinen Zuhörern und damit nun auch uns auf sehr drastische Weise deutlich. Da traf sich am Heiligtum des Nordreichs in Bethel die Bussi-Bussi-Gesellschaft Israels, um miteinander Gottesdienst zu feiern. Das gehörte sich einfach so; man wollte schon den lieben Gott auf seiner Seite haben und sich seiner Unterstützung sicher sein. Gottesdienst feierte man – das hieß damals: Man brachte feierliche Opfer dar, schlachtete Tiere, die zum Teil auf den Altären dargebracht wurden und zum Teil dem gemeinsamen Essen derer dienten, die dieses Opfer dargebracht hatten. Ja, das war schon ein richtiges Event, das da in Bethel gefeiert wurde. Die Teilnehmer hatten sich nicht lumpen lassen, hatten bei der Darbringung der Opfer nicht gerade gespart – umso mehr Fleisch hatte man ja dann auch für das gemeinsame Essen. Auch für gute Musik war gesorgt; alles war in Feierlaune. Zu dem feststehenden Ritual der Feier gehörte auch, dass ein Priester vor die Menge trat und verkündigte, dass die Opfer nach den Vorschriften des Gesetzes dargebracht worden seien und dass Gott diese Opfer darum angenommen habe. Na, dann konnte man fröhlich feiern, brauchte auch nicht länger daran zu denken, dass man das Geld, das man für die Opferdarbringung gezahlt hatte, zuvor den Armen in der Bevölkerung abgepresst hatte, sich auf ihre Kosten bereichert hatte. Und so tritt also der Priester vor die Menge, um ihr Gottes Wohlgefallen an den Opfern zu verkündigen. Doch in dem Augenblick, als er seinen Mund öffnet, brüllt mit einem Mal ein Viehzüchter namens Amos dazwischen und verkündigt der Menge im Namen Gottes ein ganz anderes Urteil, ja gebraucht dabei eine ziemlich derbe Sprache: So spricht der Herr: Ich hasse diese Gottesdienste, die ihr da feiert; es kotzt mich an, was ihr da tut. Keinesfalls nehme ich eure Opfer an; im Gegenteil: Ich halte mir Nasen, Augen und Ohren zu, damit ich nicht mitbekommen muss, was ihr da unten treibt. Ihr habt diese Gottesdienste, die ihr da feiert, zu einem Event verkommen lassen, habt mich zu einer Art von Event Manager degradiert, der zwar bei euren Veranstaltungen für die nötige feierliche Stimmung sorgt, der euch aber ansonsten überhaupt nicht kratzt. Ihr glaubt, ich sei so eine Art von Maskottchen für euch, das ihr nach euren Wünschen gebrauchen und einsetzen könnt, ja, ihr glaubt, dass ihr ansonsten bei diesen Gottesdiensten unter euch seid, kommt gar nicht auf die Idee, dass ihr dabei tatsächlich mir begegnet könntet, dass ich euer schönes Event stören könnte, nicht alles so mitmachen könnte, wie ihr dies wollt. Ihr glaubt allen Ernstes, ich sei so blöd und bekäme es nicht mit, was ihr in eurem Alltag alles so treibt, wie ihr mit den Armen und Schwachen im Lande umgeht. Ihr glaubt allen Ernstes, ich wüsste nicht, wie ihr an das Geld gekommen seid, mit dem ihr diese Gottesdienste finanziert, wie ihr das den Armen abgenommen habt, um damit eine schöne religiöse Show zu veranstalten! Macht ruhig weiter mit euren frommen Events – aber glaubt bitte nicht, dass ich damit auch nur irgendetwas zu tun habe. Im Gegenteil: Mit euren scheinbar so schönen Gottesdiensten ladet ihr euch in Wirklichkeit mein Gericht auf den Hals. Bald schon wird es mit diesen Gottesdiensten aus sein, wenn ihr aus eurem Land nach Assyrien deportiert werdet.

Diese Gottesdienststörung des Amos kam bei den Gottesdienstteilnehmern in Bethel nicht besonders gut an; Amos schildert zwei Kapitel später, wie er für diesen Auftritt im Namen Gottes kurzerhand des Landes verwiesen wurde. Dass es Gott selber gewesen sein könnte, der da durch seinen Boten zu den Gottesdienstteilnehmern geredet hatte, darauf kamen die erst sehr viel später, das wurde ihnen erst so richtig klar, als die Assyrer tatsächlich bei ihnen im Land einrückten und sie mitnahmen.

Doch was hat diese ganze Geschichte, was hat unsere heutige Predigtlesung denn nun mit uns heute zu tun? Wir tun gut daran, über diese Frage etwas gründlicher nachzudenken und nicht gedankenlos die Kritik des Amos auf unsere Gottesdienste zu übertragen. Genau so ist unsere Predigtlesung gerade in den vergangenen Jahrzehnten oft genug missbraucht worden: Gott findet feierliche Gottesdienste furchtbar; die sind ja doch nur eine einzige Heuchelei. Statt Gottesdienst zu feiern, sollten wir uns lieber gesellschaftspolitisch engagieren und für die Rechte der Armen einsetzen. An einer anständigen Demo hat Gott mehr Gefallen als an gregorianischem Psalmengesang! Oder aber die Worte unserer heutigen Predigtlesung wurden dazu gebraucht, gegen liturgisch geprägte Gottesdienste zu polemisieren: Alle festen Formen im Gottesdienst sind doch nur hohler Formalismus; Gottesdienste müssen frei und spontan sein; Lieder müssen von der Leinwand hinter dem Altar statt aus dem Gesangbuch gesungen werden und dürfen nach Möglichkeit nicht mehr als drei Zeilen Text haben – ja, an solchen Liedern hat Gott Gefallen!

Doch Gott geht es hier nicht um die Frage von Formen, nicht um die Frage der Musikinstrumente, mit denen ein Gottesdienst begleitet wird. Ihm geht es um etwas viel Grundsätzlicheres: Eben darum, dass der Gottesdienst nicht zu einem Event degeneriert, bei dem vielleicht viel über Gott geredet wird, aber mit seiner Anwesenheit eigentlich gar nicht mehr gerechnet wird. Ihm geht es darum, dass der Gottesdienst nicht zu einem Event degeneriert, bei dem die Teilnehmer meinen, sie seien nur noch unter sich, und bei dem es eigentlich nur noch darum geht, dass die geladenen Teilnehmer sich auch wohlfühlen und erfahren, wie ihre Wünsche und Bedürfnisse befriedigt werden. Der Gottesdienst als fromme Show mit dem Pastor als Showmaster und einem abwechslungsreichen Unterhaltungsprogramm – das bringt Gott so richtig auf die Palme. Ich erinnere mich noch gut an einen Besuch einer sogenannten Mega Church in den USA: ein Riesengebäude mit wer weiß wie vielen tausend weichen Polstersesseln für die Zuschauer; vorne kein Altar, sondern eine Bühne, auf der die Show ablief. Wie ich vernahm, gehörte es dort in der Gegend zum guten Ton, sonntags an den Veranstaltungen dieser Mega Church teilzunehmen uns sich dort bestätigen zu lassen, dass man den eigenen beruflichen Erfolg dem Wohlgefallen Gottes verdankte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn am Eingang auch noch Türsteher postiert worden wären, die aufpassten, dass nicht irgendein Penner sich in die schönen Polstersessel setzte und das ganze Event mit seiner Anwesenheit störte.

Doch schauen wir nicht bloß auf andere, schauen wir auch auf uns selber: Was könnte Gott in unseren Gottesdiensten auf die Palme bringen? Wenn er sich ärgert, dann sind es, wie gesagt, nicht die Formen, dann sind wir es, ist es unsere Einstellung, die Gott gewaltig stinkt. Gott ärgert sich gewaltig darüber, wenn Menschen glauben, sie bräuchten die Frage, ob sie mit ihrem Leben von Gott angenommen sind, überhaupt nicht ernst zu nehmen: Der liebe Gott wird mich am Ende doch sowieso in den Himmel lassen, und im Übrigen soll er froh sein, wenn ich mir mal hin und wieder etwas Zeit für ihn nehme, um mich bei ihm im Gottesdienst blicken zu lassen! Gott ärgert sich gewaltig darüber, wenn wir auch unsere Gottesdienste nur als eine Art von Event ansehen, wenn wir überhaupt nicht wahrnehmen, dass er es ist, der hier in unserer Mitte gegenwärtig ist, wenn wir den Gottesdienst als eine Pflichtveranstaltung ansehen, die wir aus welchen Gründen auch immer absitzen und bei der wir irgendwie versuchen müssen, die Zeit so gut wie möglich totzuschlagen. Gott ärgert sich gewaltig darüber, wenn er mitbekommt, dass wir uns in unserem Alltag ganz anders verhalten als im Gottesdienst, dass wir hier im Gottesdienst von Gottes Liebe und Erbarmen singen, aber nach dem Gottesdienst nicht dazu bereit sind, einem anderen Menschen zu vergeben, und uns lieber anschließend über dieselben Leute die Mäuler zerreißen, mit denen wir gerade zuvor noch hier am Altar gekniet hatten. Gott ärgert sich gewaltig darüber, wenn er mitbekommt, wie wenig christlich unsere Urteile sind, die wir außerhalb dieses Raumes über andere Menschen fällen, wie wenig diese Urteile dem einen gnädigen Urteil entsprechen, das wir hier immer wieder im Gottesdienst hören dürfen. Ja, Gott ärgert sich ganz besonders darüber, wenn wir allen Ernstes glauben, wir würden ihm, Gott, einen Gefallen tun, wenn wir hierher zur Kirche kommen, wir würden ihm gleichsam ein Opfer bringen, wenn wir uns sonntags morgens auf den Weg hierher in die Kirche begeben. Wenn wir diesen Gottesdienst und all unsere Gottesdienste als ein gutes Werk ansehen, das wir tun, um Gott zu beeindrucken und in den Himmel zu kommen, ja, wenn wir vielleicht gar glauben, wir würden uns mit unserer Teilnahme an den Gottesdiensten gleichsam einen Anspruch auf einen Platz im Himmel erwerben, dann reagiert Gott darauf nicht anders als auf die Gottesdienste damals in Bethel: Er hält sich Augen, Nase und Ohren zu, will von solchen Gottesdiensten nichts wissen.

Amos machte damals im Auftrag Gottes deutlich, woran Gott Gefallen hat, was ihn dazu veranlassen könnte, Augen, Nase und Ohren doch wieder zu öffnen: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Ja, wenn wir ganz nach Gottes Geboten leben würden, wenn wir Gott über alle Dinge lieben würden und unseren Nächsten wie uns selbst – dann würde sich Gott von Herzen freuen. Wenn uns das so sehr gelingen würde, dass Recht und Gerechtigkeit aus uns herausfließen wie ein Strom, ja, dann hätte Gott in der Tat nichts an uns auszusetzen.

Na, dann strömt mal schön! Doch wir kennen uns, wir wissen, wie das Recht und die Gerechtigkeit, die Gott von uns erwartet, bei uns oft genug eher ein wenig tröpfeln statt zu strömen und dass da bei uns immer wieder alles mögliche andere fließt, woran Gott nicht unbedingt sein Gefallen hat. Und genau dahin will dich Gott bringen, nein, nicht irgendwann, sondern jetzt, in dieser Predigt und durch diese Predigt, dass du genau das erkennst: Du hast nichts, aber auch gar nichts in der Hand, womit du Gott beeindrucken könntest, womit du ihn dazu veranlassen könntest, dich in den Himmel zu lassen. Im Gegenteil: Allen Grund hätte Gott dazu, es dir nicht weniger als den Leuten damals in Bethel an den Kopf zu werfen: Ich hasse das, was ich an dir in deinem Leben immer wieder entdecke: deine Selbstsicherheit, deine Gleichgültigkeit mir und deinem Nächsten gegenüber, deinen Wahn, du könntest mich nach deinem Willen benutzen, um in deinem Leben zu bekommen, was du haben möchtest. Ja, das sagt dir Gott, möchte dich aufrütteln, aufwecken, nicht weniger als die Leute in Bethel damals auch, möchte, dass du den Gottesdienst nicht im Polstersessel als Zuschauer mitfeierst, der danach fragt, ob er denn auch gut unterhalten wird, sondern dass du vor ihm, dem lebendigen Gott, auf die Knie fällst und erkennst: Er ist hier, vor dem ich nur noch rufen kann: „Herr, erbarme dich!“

Doch gerade da, wo du merkst, dass du mit dem, was du tust, Gott überhaupt nicht beeindrucken kannst, gerade da, wo du merkst, dass nicht du mit irgendwelchen Opfern, die du bringst, auf Gott Einfluss nehmen kannst, fängt Gott selber an, von einem Opfer zu sprechen, nein, nicht von einem Opfer, das du gebracht hast oder bringen sollst, sondern von dem einen Opfer, das er selber, Gott, dargebracht hat, von dem Opfer des Leibes und Blutes seines Sohnes am Stamm des Kreuzes. Würden wir nicht mehr von Gott wissen als das, was Amos damals in Bethel verkündigte, dann müssten wir in der Tat verzweifeln. Doch Gott hat noch einmal neu gesprochen in seinem Sohn Jesus Christus, hat selber einen neuen Gottesdienst gestiftet, einen Gottesdienst, in dem nicht wir Gott dienen, sondern in dem zuerst und vor allem Gott uns dient. Zu diesem Gottesdienst sind wir heute Morgen hier versammelt, nicht, um Gott etwas zu geben, nicht, um uns bestätigen zu lassen, wie gut und fromm wir doch sind. Sondern wir sind hier versammelt, um Gottes Dienst an uns zu empfangen, um uns von ihm beschenken zu lassen mit Gaben, die wir niemals verdienen könnten, geschweige denn kaufen könnten. Gott hat heute Morgen Matilda gedient, hat ihr ganz umsonst das ewige Leben geschenkt in der Heiligen Taufe. Gott hat uns heute Morgen in der Beichte gedient, hat von uns dort all das weggenommen, was uns von ihm trennen könnte, hat uns alles Versagen gegenüber seinem Recht und seiner Gerechtigkeit vergeben. Und Gott dient uns nun gleich wieder im Heiligen Mahl, gibt uns Anteil an dem einzigen Opfer, das in seinen Augen wirklich zählt, an dem Opfer des Leibes und Blutes seines Sohnes, das wir mit unserem Mund empfangen. Nein, diesen Gottesdienst machen wir nicht, den gestalten wir auch nicht, den können wir uns einfach nur gefallen lassen, können einfach nur darüber staunen, dass Gott, der so viel Grund hätte, sich uns zu verschließen, sein Herz so weit uns öffnet, dass wir aus seinem Herzen Vergebung der Sünde, Leben und Seligkeit empfangen. Und Gott vertraut darauf, dass das dann auch in unserem Leben nicht ohne Folgen bleibt, dass uns in unserem Leben immer klarer wird, dass wir hier im Gottesdienst nicht unter uns sind, sondern ihm, dem Herrn der Welt begegnen, dass wir darum allein hier singen, beten und musizieren, und dass sich das dann auch auswirkt in unserem Umgang mit unserem Nächsten, dass der dem entspricht, wie Gott mit uns umgeht.

Schwestern und Brüder: Ob euch dieser Gottesdienst heute Morgen hier gefällt, weiß ich nicht. Vielleicht beschwert ihr euch darüber, dass er so lang ist, dass auch diese Predigt so lang gedauert hat. Aber ich weiß dies eine: Es gefällt Gott, euch hier und heute mit seinem Opfer zu beschenken, es gefällt Gott, euch zu dienen, ja, euch aus dem ewigen Tod ins ewige Leben zu retten, und darum macht er es auch. Und ich hoffe, das nehmt ihr als Allerwichtigstes mit nach Hause. Denn Gott ist eben unendlich mehr als bloß ein Event Manager. Amen.