12.02.2012 | 2. Korinther 11.18.23-b; 12,1-10 | Sexagesimae

Es gibt Berufe, bei denen man ganz gut einen inneren Abstand halten kann zu dem, was man da gerade macht. Wenn ich in einem Supermarkt an der Kasse sitze, muss es mir kein besonderes inneres Anliegen sein, die Leute glücklich zu machen, die ich da bediene, muss ich auch kein besonders intensives Verhältnis zu den Waren habe, die ich da gerade über den Scanner ziehe. Und wenn ich dann Arbeitsschluss oder Urlaub habe, muss ich mir nicht unbedingt darüber Gedanken machen, was jetzt wohl gerade in meiner Abwesenheit in dem Laden so alles läuft.

Es gibt Berufe, bei denen kann man diesen Abstand nicht so leicht halten: wenn man mit Menschen zu tun hat, die sich in Not befinden, die dringend Hilfe und Zuwendung benötigen. Da kann man dann nicht so leicht abschalten, kann diesen Beruf nicht einfach nur als Job ansehen, wenn man weiß, was für eine Verantwortung man für diejenigen hat, die sich da an einen wenden. Und doch raten Fachleute auch Menschen, die in solchen Berufen tätig sind, dazu, immer wieder auf Abstand zu gehen zu dem, was sie in ihrem Beruf erleben, damit sie nicht am Ende an ihrem Beruf kaputt gehen.

Das gilt theoretisch und grundsätzlich auch für Pastoren. Wenn die ihren Beruf ernst nehmen, dann liegt ihnen an denen, für die sie als Hirten ihrer Gemeinden verantwortlich sind, bringen sie sich auch persönlich in ihre Arbeit ein und erledigen nicht einfach bloß ihren Job, können und wollen sie diejenigen, denen sie dienen, auch nicht im Stich lassen. Eine Trennung zwischen Beruf und Person, sie lässt sich gerade bei Pastoren nur schwer vollziehen. Und dennoch, so sagen Fachleute, sollten eigentlich auch Pastoren darauf achten, immer auch einen Abstand zu halten zu dem, was sie da in ihrem Amt tun. Und umgekehrt weisen Theologen darauf hin, dass Pastoren ja nur Werkzeuge Gottes sind, mehr nicht, dass sie keinesfalls die Gemeindeglieder an sich, an ihre Person binden sollen. Ja, mehr noch, sie sollen sich in ihrem Dienst, vor allem in der Predigt, so weit zurücknehmen, dass sie nach Möglichkeit überhaupt nicht „ich“ sagen in der Predigt, sondern nur ganz objektiv das ausrichten, was sie zu predigen haben.

Klingt alles schön und vernünftig, ich weiß. Doch in unserer heutigen Predigtlesung erleben wir ganz unmittelbar mit, wie ein Mensch an all diesen so gut gemeinten Ratschlägen scheitert, wie er gerade nicht sich und seine Person aus seinem Amt, aus seinem Dienst herauszuhalten vermag. Wie viel Herzblut hatte er in seinem Dienst in die Gemeinde in Korinth investiert, wie sehr lag ihm daran, dass die Gemeindeglieder bei dem blieben, was er ihnen verkündigt hatte, wie eng fühlte er sich der Gemeinde in Korinth verbunden. Und nun musste er aus der Ferne miterleben, wie andere Prediger in die Gemeinde kamen, abfällig über ihn, Paulus, redeten, über seine wenig imposante Erscheinung, über seine wenig mitreißende Art zu predigen, darüber, dass er immer wieder nur über den gekreuzigten Christus redete. Da hatten sie, die neuen Prediger, doch wirklich sehr viel mehr zu bieten als dieser Paulus! Den konnten die Korinther jetzt, wo sie, die Neuen, da waren, doch einfach vergessen!

Und das tat dem Paulus so richtig weh. Nein, es schmerzte ihn nicht bloß, dass diese neuen Prediger eine Botschaft verkündigten, die mit der seinigen, um es ganz vorsichtig auszudrücken, nicht ganz kompatibel war. Sondern das tat ihm auch persönlich weh, mitzuerleben, wie er hier mit anderen Pastoren verglichen und als unfähig hingestellt wurde. Das tat ihm persönlich weh, mitzuerleben, wie andere anfingen, seine geliebte Gemeinde gegen ihn aufzuhetzen. Und so erleben wir hier in unserer Predigtlesung nun mit, wie der Apostel Paulus alle gut gemeinten Ratschläge, Abstand zu seinem Beruf zu halten, fahren lässt, wie er nicht souverän zwischen Amt und Person trennt, wie er sich auch nicht bloß auf eine Analyse der inhaltlichen Unterschiede zwischen seiner Verkündigung der Verkündigung der neuen Superapostel, wie er sie nennt, beschränkt. Sondern Paulus redet hier von sich ganz persönlich, sagt dauernd „ich“, redet mit ganz großer Leidenschaft, nimmt uns mit in sein ganz persönliches Erleben und Ergehen.

Angepriesen hatten sich die neuen Superapostel in der Gemeinde in Korinth, hatten auf ihre Ausstrahlung verwiesen, darauf, dass man schon an ihrem Auftreten ablesen könne, dass derjenige, der an Christus glaubt, immer froh und glücklich ist und keine Probleme mehr in seinem Leben hat. Und da kommt nun der Paulus und sagt: Gut, wenn ihr in Korinth auf Werbereden steht, wenn ihr euch davon beeindrucken lasst, dann halte ich euch eben nun auch noch eine Werberede, eine für mich selber: Ihr habt euch einreden lassen, dass diejenigen, die an Christus glauben, immer gut drauf sind, dass sie keine Probleme haben. Dann schaut her, was für ein wunderbar geeigneter Kandidat ich für euch bin: Seit ich Christ bin, läuft alles in meinem Leben wie am Schnürchen; ich bin lediglich fünfmal gegeißelt worden, bis mir die Haut nur noch in Fetzen am Körper hing, bin nur dreimal verprügelt worden, bis ich nur noch grün und blau war, bin nur einmal gesteinigt worden, bin nur dreimal auf meinen Reisen mit einem Schiff untergegangen und habe nur einmal an einer Schiffsplanke hängend einen ganzen Tag und eine ganze Nacht auf dem offenen Meer zugebracht. Meine Reisen als Apostel sind so schön, da müsste ich fast Vergnügungssteuer dafür zahlen: Ist das nicht ungeheuer reizvoll, dauernd damit rechnen zu müssen, überfallen zu werden, umzukommen in Naturgewalten, immer wieder Hunger und Durst zu haben, in der Kälte draußen zu frieren; ist das nicht spannend, dauernd damit rechnen zu müssen, von Leuten, die sich christliche Brüder nennen, hintergangen zu werden; ist das nicht herrlich, dauernd von allen Seiten bestürmt zu werden, dass man nicht mehr weiß, wo unten und oben ist bei der ganzen Arbeit, die man erledigen soll? Ja, schaut mich an; ich bin ein körperliches Wrack, überall kann man an mir ablesen, was ich in den letzten Jahren an wundervollen Erlebnissen in meiner Arbeit gehabt habe. Passe ich nicht genau zu eurem Wunschbild von einem charismatischen Superpastor, der im Leben nur Erfolg hat?

Ja, da wirbelt der Apostel Paulus schon die Emotionen seiner Zuhörer ganz schön durcheinander. Keinesfalls will er sich hier als unverwundbarer Superman präsentieren, als knallharter Kämpfer, als Rambo, dem keine noch so furchtbare Bedrohung schaden kann. Sondern er präsentiert sich hier gleichsam als Büttenredner, zieht die Vorstellung durch den Kakao, Prediger des Evangeliums sollten sich ihren Gemeinden mit ihrer wunderbaren Ausstrahlung und ihrer großartigen Begabung anpreisen, zieht zugleich die Vorstellung von einem Erfolgs- und Wohlstandsevangelium durch den Kakao, wonach der christliche Glaube einem möglichst alle Probleme im Leben abnimmt. Da weiß man dann wirklich nicht, ob man lachen soll angesichts dieser grotesken Bewerbungsrede des Apostels oder weinen soll angesichts des Geschicks des Apostels und den so ganz anders gearteten Erwartungen der Gemeinde in Korinth. Eines wird jedenfalls deutlich: Hier kämpft einer mit dem vollen Einsatz seiner Person, ja seiner Persönlichkeit, darum, das Vertrauen und die Liebe seiner Gemeinde wieder zurückzugewinnen.
Schwestern und Brüder: Ich bin nicht Paulus, und ich würde mich tatsächlich nur lächerlich machen, wenn ich versuchen wollte, das, was er hier schreibt, auf mich zu beziehen. Mir sind nicht nur Geißelungen bisher in meinem Leben erspart geblieben; ich leide überhaupt nicht um des Evangeliums willen, wie Paulus das getan hat. Wenn ich mich hier in seinen Worten wiederfinde, dann noch am ehesten, wenn er von dem redet, was täglich auf ihn einstürmt, und von der Sorge um alle Gemeinden und ihre Glieder. Ja, das mit dem täglichen Einstürmen, das kenne ich, und dass es mir an die Nieren geht, wenn Menschen, die einmal bei Christus in seiner Kirche zu Hause waren, allmählich die Verbindung zu Christus verlieren, von dem nichts mehr wissen wollen, was ihnen einmal wichtig war, das kenne ich auch. Enttäuscht bin ich da immer wieder, kann mich da ebenso wenig in professionelle Distanz zu meinem Dienst begeben, wie Paulus das damals konnte. Doch was Paulus und mich vor allem an dieser Stelle hier unterscheidet, ist die ganz unterschiedliche Gemeindesituation: Ich befinde mich hier nicht in einem Konkurrenzkampf, mir wird nicht vorgeworfen, ich sei in meiner Arbeit eigentlich ein Versager, ich werde nicht mit anderen verglichen, die angeblich so viel besser sind als ich; und ich muss es auch nicht erleben, dass all das, was ich an Herzblut in meine Arbeit investiere, bei euch ohne Reaktion, ohne Antwort bleibt. Darum bleibt mir erspart, so reagieren zu müssen wie Paulus hier in unserer heutigen Predigtlesung.

Doch die Worte des Paulus sind dennoch auch für euch, für uns alle ganz aktuell. Denn die Frage bleibt natürlich: Was erwartet ihr eigentlich von einem Pastor, von einem Hirten der Gemeinde? Was muss der alles leisten und können, damit ihr mit ihm zufrieden seid? Ich kenne sie auch in unserer Gemeinde, die vorwurfsvollen Feststellungen, dass ich mich bei diesem oder jenem in der Gemeinde ja nun schon wirklich lange nicht mehr habe blicken lassen, dass ich dies oder jenes ja wohl auch noch hätte machen können, was man doch eigentlich von einem Pastor erwarten könnte. Und was wäre, ja, was wird sein, wenn meine Kräfte mit zunehmendem Alter möglicherweise nachlassen, wenn ich das nicht durchhalten kann, wozu mir Gott im Augenblick noch die Kräfte schenkt? Wie groß wird dann möglicherweise eure Enttäuschung sein? Und wie werdet ihr mit meinem Nachfolger umgehen, der irgendwann einmal, spätestens bei meinem Ruhestand, seinen Dienst hier bei euch antreten wird? Werdet ihr der Versuchung widerstehen können, ihn mit mir zu vergleichen, ihn wissen zu lassen, was ich scheinbar oder angeblich besser gemacht habe als er? Und würdet ihr überhaupt ernsthaft auf die Idee kommen, einen Typen wie Paulus als Pastor dieser Gemeinde zu akzeptieren?

Schwestern und Brüder, das sind nicht bloß praktische Fragen: Es geht hier in der Tat um das Evangelium selber: Es geht darum, dass die Evangeliumsverkündigung etwas Anderes ist als eine PR-Kampagne, dass Gott sein Reich nicht zuerst und vor allem durch die Starken, Schönen und Erfolgreichen baut, sondern durch Menschen, die er selber auch durch ganz dunkle Täler hindurchführt, durch Menschen, deren Schwächen und Grenzen, deren Versagen unverkennbar ist. Gott mutet es uns zu, unsere Erwartungshaltungen an Pastoren zu hinterfragen und zu korrigieren, mutet es uns zu, wahrzunehmen, wie verletzlich diejenigen sind, die sich in ihrem Dienst auch persönlich ganz in die Gemeinde einbringen, wie es ihnen nicht egal ist, wie sie von der Gemeinde an- und aufgenommen werden. Gott mutet es uns zu, das Wort dieser verletzlichen, schwachen Menschen dennoch als sein Wort zu hören und anzunehmen, wenn sie uns Christus als den gekreuzigten Herrn predigen.

Ach, was sage ich: Er mutet uns das nicht bloß zu, sondern er lässt uns dies alles durch seinen Apostel auch zu unserem Trost ausrichten. Austreiben will er uns die Vorstellung, wonach wir an unserem Leben immer gleich ablesen können, dass es sich lohnt, an Christus zu glauben, dass es uns dadurch besser geht und wir weniger Probleme haben. Dies Versprechen haben wir nicht, so zeigt es uns der Apostel hier sehr eindrücklich. Dass Gebete nicht so erhört werden, wie wir uns dies wünschen, ist kein Zeichen dafür, dass Gott sich von uns abgewandt hätte. Paulus selber hat dies sehr eindrücklich erfahren, als er Christus darum gebeten hat, ihn von seinem Pfahl im Fleisch, vermutlich von einer langwierigen, schmerzhaften, wohl chronischen Krankheit zu befreien. Christus entspricht seiner Bitte nicht und öffnet ihm doch zugleich eine ganz andere Lebensperspektive mit den Worten, denen wir in diesem Jahr als Jahreslosung immer wieder begegnen: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Es mag sehr wohl sein, dass du in deinem Leben nicht all das leisten und erreichen kannst, was du gerne möchtest. Doch daran hängt nicht das Gelingen, der Sinn deines Lebens. Im Gegenteil: Gerade, wo dich Krankheiten, Schicksalsschläge und auch persönliches Versagen daran hindern, zu tun und zu erreichen, was du willst, darfst du immer wieder von neuem erfahren, was allein wirklich zählt: Dass du mit ihm, Christus, verbunden bist, dass er in dir lebt durch die Taufe, durch das Heilige Mahl, dass sein Wort der Vergebung all dein Versagen immer wieder zudeckt und dich immer wieder von vorne anfangen lässt. Das reicht, das ist genug, das allein ist wirklich wichtig. Ja, mehr noch, gerade da, wo du selber denkst, dass es gar nicht mehr weitergehen kann, fängt Christus an dir und in dir erst richtig an, will auch dich als sein Werkzeug gebrauchen, wo du denkst, dass mit dir doch gar nichts los ist, dass du doch zu gar nichts mehr nütze sein kannst. O doch, Christus kann und will uns gerade da gebrauchen, wo wir selber nichts mehr von uns hermachen können oder wollen, wo wir nicht mit unserer eigenen Stärke den Blick auf ihn verdecken. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig, sagt Christus. Was für ein Trost für uns selber, wenn wir an unsere Grenzen stoßen – und was für ein guter Maßstab, den man gerade auch an Pastoren anlegen kann! Von denen selber könnt ihr nicht viel erwarten, ganz gleich, ob ihr von ihnen begeistert oder enttäuscht seid. Aber von der Kraft Gottes, die auch in diesen merkwürdigen Gestalten von Pastoren wirkt, von der dürft ihr noch eine Menge erwarten, ja, auch hier in unserer Gemeinde! Amen.