02.02.2012 | St. Lukas 2,22-35 | Tag der Darstellung des Herrn

Sie hatten vor dem Apple Store in Peking schon seit dem Nachmittag angestanden und hatten die ganze folgende Nacht in bitterer Kälte verbracht – nur aus einem Grund: Sie wollten unbedingt das neue iPhone 4 haben, das am nächsten Morgen in diesem Laden erstmals verkauft werden sollte. Mehr als 1000 Leute warteten schließlich darauf, dass der Laden öffnete. Doch so viele iPhones hatte man dort im Laden natürlich gar nicht, und so beschloss man im Apple Store, den Laden am nächsten Morgen erst gar nicht zu öffnen, um ein Chaos zu vermeiden. Das brachte die Leute draußen natürlich so richtig in Wallung: Da hatte man die ganze Nacht draußen gewartet – und nun war am Ende doch alles vergeblich gewesen! Die Szenen, die sich daraufhin in Peking abspielten, schafften es schließlich in Bildform bis in die deutschen Nachrichtensendungen.

Ja, das ist ganz schön bitter: Lange warten zu müssen und am Ende festzustellen, dass das ganze Warten doch vergeblich war. In Kleinformat können davon ja auch Berliner S-Bahn-Kunden so einiges berichten. Wir warten ohnehin in aller Regel nicht gerne. Wir möchten das, was wir wollen, möglichst sofort, ohne Verzögerung, ohne großen Aufwand bekommen. Nur selten empfinden wir Warten als etwas Schönes, etwa in der Zeit vor dem Christfest, dessen Festzeit heute nun an diesem 2. Februar nach vierzig Tagen endet. Auf Weihnachten warten wir ganz gerne, weil wir da auch genau wissen, wann es kommt, und weil wir es selber in der Hand haben, wie wir es gestalten. Aber darauf zu warten, dass andere ihre Ankündigung, ihr Versprechen einhalten, das ist oft genug eine heikle Sache, bringt in der Praxis immer wieder Enttäuschungen und Frustrationen mit sich, und das nicht nur, wenn man S-Bahn fährt.

Im Heiligen Evangelium des heutigen Festtages ist auch von einem Menschen die Rede, der wartet. Er wartet nicht allein, so erfahren wir es aus den Versen, die unserer Predigtlesung unmittelbar folgen; mit ihm warten viele andere. Sie warten nicht bloß ein paar Stunden, nicht bloß eine kalte Nacht; sondern sie warten über viele, viele Jahre – und hören dennoch mit dem Warten nicht auf. Denn das, worauf sie warten, ist mehr als bloß eine S-Bahn oder ein iPhone, ist von so entscheidender Bedeutung für ihr Leben, dass sie nicht irgendwann enttäuscht die Brocken hinschmeißen und das Warten sein lassen. Worauf warten sie? Sie warten auf den „Trost Israels“, so formuliert es St. Lukas hier, oder, einige Verse weiter: Sie warten „auf die Erlösung Jerusalems“. Sie warten, mit anderen Worten, darauf, dass Gott endlich sein Versprechen einlöst, endlich den Messias schickt, den Retter seines Volkes, der nicht nur über Israel herrschen, sondern die ganze Welt zum Glauben an den Gott Israels leiten wird. Ach, wie verständlich war diese Sehnsucht nach dem Messias in Israel in einer Zeit, in der Gott zu schweigen schien, in der sein Volk unter der römischen Besatzung so schwer zu leiden hatte! Und wie vergeblich schien dieses Warten zugleich zu sein: Wie lange hatte man in Israel schon auf den Messias gewartet; und immer noch war er nicht gekommen! All diejenigen, die in der Vergangenheit versucht hatten, sich als der verheißene Messias zu präsentieren, hatten sich am Ende doch nur als Luftnummern herausgestellt. Doch Gott hatte es doch selber in seinem Wort versprochen, dass der Messias kommen würde – und so warteten die Frommen im Lande weiter, riefen nicht zur Revolution gegen die Römer auf, sondern vertrauten darauf, dass Gott schon zur rechten Zeit einlösen würde, was er angekündigt hatte.
Von Simeon berichtet uns St. Lukas hier. Und der wartete eben nicht bloß wie alle anderen Frommen im Lande auf das Kommen des Messias; sondern der hatte von Gott dem Heiligen Geist nun noch eine viel konkretere Zusage erhalten: Nicht bloß irgendwann in der Zukunft würde der Messias kommen, sondern noch zu Lebzeiten Simeons, ja mehr noch: Er, Simeon, würde den Messias selber mit eigenen Augen zu sehen bekommen. Und mit dieser Zusage wartete Simeon, wir wissen nicht, wie viele Monate und Jahre. Ob wir so lange durchgehalten hätten wie er, ob wir nicht irgendwann vorher doch schon zu dem Schluss gekommen wären, wir hätten uns das wahrscheinlich alles nur eingebildet, uns nur selber eingeredet mit dem Messias? Doch Simeon wartet weiter, zweifelt nicht daran, dass Gott seine Zusage an ihn auch einlösen wird.

Und schließlich ist es soweit: Der Heilige Geist selber gibt ihm den Hinweis, er solle an einem bestimmten Tag in den Tempel gehen; dort werde sich erfüllen, was er Simeon versprochen hatte. Simeon kommt in den Tempel – und wen sieht er da? Keinen charismatischen Jungstar, keinen muskelbepackten Kraftprotz, keinen mitreißenden Redner. Sondern er sieht ein kleines Baby, das von seinen Eltern vierzig Tage nach seiner Geburt in den Tempel getragen wird, um als erstgeborener Sohn von seinen Verpflichtungen zum Tempeldienst freigekauft zu werden, wie dies damals nach dem Gesetz vorgesehen war. Doch der Heilige Geist öffnet Simeon die Augen, und er erkennt: Auf dieses Baby habe ich all die Jahre meines Lebens gewartet; ja, auf dieses Baby haben all die vielen gewartet, die sich gemeinsam mit mir auf Gottes Wort, auf seine Ankündigung verlassen hatten. Simeon nimmt das Kind auf seine Arme und stimmt seinen Lobgesang an: „Herrn, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Mein Warten hat sich gelohnt; ich kann nun im Frieden sterben, denn Christus einmal gesehen zu haben bedeutet nicht weniger als die höchste und schönste Erfüllung eines Lebens, die man sich nur vorstellen kann. Simeon mit dem Christuskind auf dem Arm – er ist das genaue Gegenbild zu den enttäuschten Yuppies vor dem Apple Store in Peking: Sie warteten auf ein Statussymbol, das als Lebensinhalt nun wahrlich nicht taugt – und bekommen noch nicht einmal dies, erfahren auf ihre Weise, wie hohl ihr Warten, wie hohl letztlich ihr Leben überhaupt ist, wenn es für sie nichts Wichtigeres gibt als ein trendiges Mobiltelefon. Simeon wartet nicht bloß auf ein Statussymbol, er wartet auf den, der seinem Leben Hoffnung und Zukunft gibt – und er wird nicht enttäuscht, trägt auf seinen Händen das Glück seines Lebens.

Und was hat diese Geschichte nun mit uns zu tun? Eine ganze Menge. Ganz direkt kommen wir ja vor in dieser Geschichte im Lobgesang des Simeon: Er preist Christus als den, der gekommen ist als ein Licht, zu erleuchten die Heiden. Und diese Heiden, diese Leute, die nicht aus dem Volk Israel stammen, das sind wir. Wir erleben hier in dieser Geschichte mit, wie Gott in diesem kleinen Baby, das Simeon auf den Armen hält, anfängt, sein Heil, seine Rettung, sein Leben allen Menschen zuteil werden zu lassen und damit auch uns hier in Berlin. Wir feiern heute Abend diesen Tag der Darstellung des Herrn, weil wir staunend erkennen, dass das Licht, das dieses Kind ausstrahlt, ja das dieses Kind selber ist, bis in die Dunkelheit unseres Landes, unserer Stadt leuchtet, ja, dass es hineingeleuchtet hat in die Dunkelheit unseres Herzens, das von sich aus nie auf die Idee gekommen wäre, in diesem Kind die Erfüllung des eigenen Lebens, ja den Retter der Welt zu erkennen. Unfasslich ist das, was heute Abend auch in diesem Gottesdienst geschieht: Wie Simeon damals ein kleines, scheinbar völlig hilfloses Baby auf den Arm nahm und als seinen Retter pries, so knien wir heute Abend wieder hier im Altar nieder, scheinbar nur vor einem Stück Brot und einem Kelch voller Wein, und erkennen doch in diesen so unscheinbaren Gestalten denselben Herrn, der Simeon damals zu solchem Jubel veranlasst hat, erfahren, wie auch wir diesen Herrn mit uns und in uns tragen, wenn er sich mit uns verbindet im Heiligen Mahl. Solch eine Kraft hat dieses Licht, zu erleuchten die Heiden, solch eine Kraft hat er, der Trost Israels, der Heiland der Welt.

Gott löst sein Wort ein – ganz anders, als wir es erwarten mögen, und in Wirklichkeit doch noch viel wunderbarer, als wir es je für möglich gehalten hätten, so erkennen wir es im Heiligen Evangelium dieses Tages, und so sollen und dürfen wir es auch in unserem Leben auch erfahren.

Doch damit sind wir nun zugleich auch wieder bei dem wartenden Simeon: Der hatte lange mit seinem Warten durchgehalten, und er weiß zugleich: Die, die nun nach ihm kommen werden, werden es jetzt, wo der Messias da ist, nicht unbedingt leichter haben: Das Kind, das Maria in den Tempel bringt, wird zu einem Zeichen werden, dem widersprochen wird, so kündigt es Simeon der Mutter Jesu an. Menschen werden es in Zukunft immer wieder für Unsinn halten, an dieses Kind, ja auch an den Erwachsenen, zu dem dieses Kind einmal werden wird, zu glauben, auf ihn ihre Hoffnung zu setzen. Eine Scheidung wird durch Israel, ja durch die Menschheit hindurchgehen, eine Scheidung zwischen denen, die wie Simeon in diesem Kind die Erfüllung ihres Lebens finden, und denen, die für dieses Kind, für diesen späteren Erwachsenen, nur ein müdes Achselzucken übrig haben.

Was ist uns dieses Kind wert, so sollen wir uns fragen angesichts der Chinesen, die sich da vor dem Apple Store drängeln. Ist uns dieses Kind, das Simeon da auf den Armen trägt, so viel wert wie ein iPhone, oder eher weniger? Um hierher in die Kirche zu kommen, müssen wir nicht schon am Nachmittag vorher anstehen; es reicht in aller Regel, kurz vor Gottesdienstbeginn hier zu erscheinen. Aber wenn uns dieses Kind etwas bedeutet, dann werden wir uns eben auf jeden Fall auf den Weg zum Haus Gottes machen, wie Simeon damals auch, werden uns allemal fragen, was für uns im Leben denn so wichtig sein könnte, dass es uns von der Begegnung mit ihm, dem Herrn und Retter unseres Lebens, abhalten könnte. Es lohnt sich allemal, hierher zu kommen. Du wirst nicht enttäuscht werden. Niemals wird dein Warten vergeblich sein. Er, Christus, kommt, wann immer seine Worte laut werden. Und dann empfängst du tatsächlich alles, was du brauchst – für dein Leben und für dein Sterben, und du darfst es wieder von Neuem singen, auch heute: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Worauf sollten wir sonst noch warten? Amen.