15.01.2012 | 1. Korinther 2,1-10 | 2. Sonntag nach Epiphanias

Die Wasserwerke sind vorgewarnt: Wenn im Fernsehen bei einer beliebten Sendung, etwa bei einem wichtigen Fußballspiel, ein Werbeblock geschaltet wird, dann schnellt der Wasserverbrauch nach oben. Alle wollen die Gelegenheit nutzen, während der Werbeunterbrechung schnell mal das stille Örtchen aufzusuchen und so die Zwischenzeit bis zur Fortsetzung der Übertragung sinnvoll zu gestalten. Einen ähnlichen Effekt wie der Werbeblock im Fernsehen scheint, so habe ich mitunter hier in Zehlendorf den Eindruck, auch der Beginn der Predigt im Gottesdienst auszulösen. Während der Auszug der Kinder zum Kindergottesdienst mit ihrer Kerze ja dem Zweck der Evangeliumsverkündigung an die Kinder dient, scheint die Aussicht darauf, dass der Pastor gleich die Kanzel betritt, bei nicht wenigen weiteren Gottesdienstteilnehmern einen heftigen Druck auf die Blase auszuüben, und so setzt vor Beginn der Predigt oder während der ersten Sätze der Predigt häufig eine unübersehbare Fluchtbewegung aus der Kirche ein: Jetzt kommt der religiöse Werbeblock, jetzt können wir uns ganz gut mal erleichtern oder anderen Beschäftigungen nachgehen, ohne dass wir viel verpassen.

Schwestern und Brüder: Es ist kein Zufall, dass gerade die Predigt bei vielen, gerade auch jüngeren Gottesdienstteilnehmern solch einen Reflex auslöst. Wir leben in einer Zeit, in der Menschen gewohnt sind, wesentlich über ihre Augen zu kommunizieren und Nachrichten wahrzunehmen. Sich ohne großartige optische Unterstützung, vom Gezappel des Pastors einmal abgesehen, nur etwas anzuhören – das ist doch völlig altmodisch, geradezu megaout; dazu sind viele, so habe ich mitunter den Eindruck, kaum noch in der Lage und auch kaum dazu bereit, sich diese Fähigkeit noch anzutrainieren. Und wenn es dann zu auffällig ist, während der Predigt gleich ganz aus der Kirche zu laufen, überbrückt man die Zeit bis zum nächsten Lied eben mit einem vielseitig einsetzbaren Handy in der Kirchenbank. Dass das Anhören einer Predigt einem tatsächlich etwas bringen könnte, auf die Idee kommt so mancher offenbar gar nicht mehr.

Doch es gibt natürlich auch andere Erwartungshaltungen gegenüber der Predigt: Wenn der Redner wirklich gut ist, wenn er es rhetorisch wirklich draufhat, wenn seine Rede wirklich geistreich, witzig und mitreißend ist – nun ja, dann lässt man sie sich gefallen, hört ihr vielleicht auch ganz gerne zu. Für gute Unterhaltung ist man ja immer gerne zu haben. Wenn der Redner dagegen eher das Temperament einer Schlaftablette an den Tag legt, sich dauernd verhaspelt und eher ein wenig dröge wirkt, dann tut man sich seinen Vortrag am besten erst gar nicht an, ist froh, wenn man im Gottesdienstplan entsprechend vorgewarnt wird und weiß, wann man dann doch lieber nicht zur Kirche geht.

Und damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun schon mitten drin in der Predigtlesung dieses Zweiten Sonntags nach Epiphanias. Denn auch der Apostel Paulus sah sich damals schon mit ganz bestimmten Erwartungshaltungen gegenüber seinen Predigten konfrontiert – mit Erwartungshaltungen, die er nicht erfüllen konnte und auch gar nicht erfüllen wollte. Einen mitreißenden Starprediger wünschten sich viele Glieder der korinthischen Gemeinde, einen, der nach Form und Inhalt seiner Predigt deutlich machen konnte, dass man als Christ mit den neusten religiösen und philosophischen Strömungen auf dem Markt ohne Probleme mithalten konnte. Ja, einen Prediger wünschten sich viele in der korinthischen Gemeinde, an dessen Auftreten man gleich ablesen konnte, dass es sich lohnte, Christ zu sein, dass man sich durch den christlichen Glauben so richtig wohlfühlte.

Doch diesen Gefallen konnte und wollte Paulus den Korinthern nicht tun: Er wusste, dass seine Predigten nicht gerade der große Reißer waren, dass sein Gestammel und sein Ringen nach Worten für rhetorisch verwöhnte Ohren wohl eher eine Zumutung war und dass es für viele in der Gemeinde erst recht eine Zumutung war, dass er sich inhaltlich in seinen Predigten dauernd wiederholte: Konnte der denn in seinen Predigten nicht endlich mal über ganz andere Themen reden, ja, konnte er das, was er predigte, nicht auch so gut begründen, dass das auch jedem Außenstehenden gleich einleuchten musste?

Und darauf antwortet der Apostel hier nun, spricht genau über dieses Thema, was Gottesdienstteilnehmer in einer christlichen Gemeinde, was darum auch ihr heute und immer wieder von einer Predigt im Gottesdienst erwarten dürft:
- keine gute Unterhaltung
- aber ganz viel Christus
- und ganz viel Glaubensstärkung

I.
Schwestern und Brüder, was ich da gerade als Zusammenfassung der Worte des Apostels Paulus vorgetragen habe, ist ein Maßstab, den ihr selbstverständlich auch an meine Predigten anlegen dürft, ja sollt. Und da mag es sein, dass ihr nun gleich zu Beginn mit dem Einwand kommt: Du, lieber Pastor, hältst dich ja selber nicht an das, was du gerade gesagt hast! In der Regel beginnst du deine Predigt doch auch mit einer etwas unterhaltsamen Einleitung, scheinst dir zumindest hin und wieder einmal Mühe geben zu wollen, dass die Zuhörer nicht schon vor Ende der Einleitung alle eingeschlafen sind.

Ja, Brüder und Schwestern, ihr habt mit diesem Einwand recht: Das ist schon eine Gratwanderung, die ich mit jeder Predigt vollziehe. Ja, ich gebe es offen zu, ich bemühe mich in meinen Predigten darum, eure Aufmerksamkeit zu erlangen und nach Möglichkeit auch ein ganzes Stück weit zu erhalten. Doch ich weiß sehr wohl um zwei Gefahren, die damit verbunden sind und die der Apostel Paulus hier auch anspricht:
Die eine Gefahr besteht darin, dass sich die Zuhörer am Ende nur noch an die Unterhaltungselemente in der Predigt erinnern und nicht an das, worauf die Predigt eigentlich zielen sollte, was eigentlich Kern und Botschaft der Predigt war. Wenn ihr heute nach dem Gottesdienst nach Hause kommt und erzählt, der Pastor habe heute in der Predigt darüber gesprochen, dass die Leute während seiner Predigten immer auf die Toilette laufen, dann ist das zwar nicht völlig falsch; aber wenn das alles ist, woran ihr euch nachher erinnern könnt, dann hat meine Predigt ihr Ziel verfehlt. Der Kern, das Zentrum der christlichen Botschaft lässt sich weder als Ballerspiel noch als Gag einer interessierten Hörerschaft nahebringen; und man tut diesem Kern, diesem Zentrum der christlichen Botschaft keinen Gefallen, wenn man mit allerlei Unterhaltsamem zu sehr von ihm ablenkt.

Und die andere Gefahr besteht darin, dass die Zuhörer den Prediger doch letztlich als eine Art von Unterhaltungskünstler ansehen und beurteilen, dass sie bestimmte Kabinettstückchen von ihm erwarten und dann entweder zu seinem Fanclub werden oder sich mit einer gewissen Leidensmiene von ihm abwenden: Was der uns da auf der Kanzel bietet, das ist ja wirklich schwer zu ertragen; da kennen wir nun wirklich genügend andere, die das besser können als der. Genau mit solchen Reaktionen hatte damals der Apostel Paulus schon in Korinth zu kämpfen, mit einer Aufsplitterung der Gemeinde in Fanclubs und mit den gerümpften Nasen derer, für die ein Primitivling wie der Paulus eine einzige intellektuelle und religiöse Zumutung darstellte.

Und eben dagegen setzt der Apostel hier mit aller Deutlichkeit seine klare Botschaft: Die Predigt soll keine gute Unterhaltung sein. Denn bei einer guten Unterhaltung suchen die Zuhörer letztlich nur sich selber, wollen eigene Wünsche befriedigt bekommen, merken gar nicht, dass in einer Predigt letztlich etwas völlig anderes abgeht.

II.
Was könnt ihr also dann von einer Predigt erwarten, wenn es nicht die gute Unterhaltung ist?
Eigentlich könnt ihr von meiner Predigt nur eines erwarten, schreibt der Apostel Paulus hier, und dieses eine ist immer dasselbe, besser gesagt: ist immer derselbe: Christus. Das kennzeichnet eine Predigt, die apostolisch ist, dass es in ihr um Christus und noch einmal um Christus und noch einmal um Christus geht, und zwar nicht um Christus als großen Benimmlehrer oder als großes Vorbild oder als talentierten Geschichtenerzähler. Sondern in einer Predigt, die dem apostolischen Vorbild entspricht, soll es vor allem, ja ganz und gar darum gehen, was er, Christus, für uns getan hat, ja, was er für uns erlitten hat, mit den Worten des Apostels: „Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.“

Immer nur ein und dasselbe Thema, immer nur ein und derselbe Inhalt – das klingt eher abschreckend als werbewirksam in einer Zeit, in der man in immer kürzeren Abständen seine Aufmachung und seine Inhalte ändern muss, um für die Leute noch attraktiv zu bleiben. Doch so viel anders war das eigentlich auch schon vor 2000 Jahren nicht; der Apostel Paulus sprach auch damals schon davon, dass den Leuten immer wieder nach neuen Lehren die Ohren jucken, wie er es so schön formuliert, und warnte seinen Schüler Timotheus davor, sich dieser Erwartungshaltung anzupassen. Denn was zunächst so langweilig klingen mag, ist in Wirklichkeit das einzige Alleinstellungsmerkmal, das die christliche Kirche in ihrer Verkündigung hat:
Von Nächstenliebe kann man auch in manchem humanistischen Verein Nettes und Erhellendes erfahren, auch wenn die Vereinsmitglieder sich vermutlich meistens nicht ganz klar machen, wie stark sie da selber vom christlichen Erbe geprägt sind. Starke religiöse Gefühle können auch andere Religionen in einem Menschen hervorrufen; Ehrfurcht vor Gott und die Einhaltung bestimmter Benimmstandards kann man auch im Islam lernen. Das Gefühl, etwas Festes im Leben zu haben und nicht ganz allein zu sein, kann einem vielleicht auch die Esoterik vermitteln. Und fundierte Äußerungen zu politischen und wirtschaftlichen Themen erwarten Zuhörer wohl auch eher von Zeitungen und Zeitschriften denn von politischen und wirtschaftlichen Laienspielern auf der Kanzel.

Doch die Botschaft von einem Herrn der Herrlichkeit, der sich für uns ans Kreuz schlagen lässt, die Botschaft von einem Gott, der seinen Sohn aus Liebe zu uns Menschen stellvertretend für uns sterben lässt, der bereit ist, um seinetwillen uns all unsere Schuld und all unser Versagen zu vergeben – diese Botschaft hört man sonst in keiner Religion, diese Botschaft kann man sonst in keiner Zeitung und in keinem Esoterikmagazin nachlesen, ja, die erschließt sich erst recht nicht, wenn wir lange genug vernünftig nachdenken. Im Gegenteil: Diese Botschaft klingt so irrwitzig, so wenig vernünftig, dass sie uns Menschen erst einmal überhaupt nicht einleuchtet, ja, sie lässt sich auch nicht einfach logisch und vernünftig erklären, so dass sie den Zuhörern keinen Anstoß mehr bereitet. Ein Gott am Kreuz, das klingt für menschliches Denken völlig durchgeknallt, das weiß auch der Apostel; damit kann man in gehobenen philosophischen Diskussionen keinen Blumentopf gewinnen. Keinen einzigen Menschen können wir von uns aus mit unseren vernünftigen Argumenten dazu bewegen, an ihn, den gekreuzigten Christus, zu glauben, ihn als Herrn und Retter anzubeten. Und doch und gerade deshalb ist es die Aufgabe der christlichen Predigt, immer und immer wieder Christus und nichts als Christus zu predigen, immer und immer wieder auf ihn, den Gekreuzigten, zu weisen, und die Menschen nicht bloß mit etwas moralinsaurer Sauce abzuspeisen. Ja, Schwestern und Brüder, wenn ihr das in meinen Predigten vermissen solltet, dass ich euch Christus verkündige, dann sagt es mir bitte ganz deutlich; dann müsste sich in der Tat an meinen Predigten und in meinen Predigten Entscheidendes, ja dies eine Entscheidende ändern, dass auch für sie gilt, was für die Predigt des Paulus galt: „Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.“

III.
Aber was bringt es nun, immer und immer wieder eine Botschaft zu verkündigen, die keinem vernünftig denkenden Menschen von sich aus einleuchtet und die letztlich immer wieder denselben Inhalt hat?

Das bringt eine ganze Menge, so betont es der Apostel Paulus, ja, das allein bringt das Entscheidende überhaupt: Diese Predigt des gekreuzigten Christus, sie hat eine Kraft in sich, die über die Kraft aller vernünftigen Argumente weit hinausgeht: Die Predigt des gekreuzigten Christus trägt die Kraft in sich, Glauben in den Menschen, Glauben auch bei euch zu wirken, der nicht auf menschlichen Überredungskünsten, auch nicht auf logischen Schlussfolgerungen, sondern auf dem Wirken des Geistes Gottes beruht.

Und das funktioniert in der Tat. Sonst würdet ihr heute Morgen hier nicht sitzen, wenn diese Verkündigung nicht auch bei euch genau diesen Glauben gewirkt hätte, der keine menschliche Möglichkeit ist, sondern allein Gabe und Wirkung Gottes. Es ist diese Predigt von dem gekreuzigten Christus, die diese Kraft hat und die diese Kraft immer wieder neu an euch und in euch entfaltet. Ja, gerade weil diese Botschaft von dem gekreuzigten Christus für menschliches Denken so schwachsinnig und anstößig ist, haben wir es, habt ihr es immer und immer wieder nötig, diese Christuspredigt zu hören, habt ihr es immer wieder nötig, dass dadurch euer Glaube gestärkt und erhalten wird.

Ja, genau diese Kraft hat die Predigt: in euch den Glauben an Christus zu wirken, während die Leute um euch herum euch gerade deswegen vielleicht immer wieder nur den Vogel zeigen mögen. Nein, die Predigt ist nicht bloß ein religiöser Werbeblock, den man ganz gut überspringen kann, weil man ja eh schon weiß, was da kommt. Sondern da behandelt euch Christus selber durch seinen Heiligen Geist, redet euch an, wirkt in euch, öffnet euch die Augen, dass ihr erkennen könnt, was euch sonst verschlossen bliebe wie so vielen anderen Menschen auch. Ja, hier passiert etwas während der Predigt, auch wenn euch in dieser Zeit keine kalten Schauer den Rücken herunterlaufen. Und darum lohnt es sich, während der Predigt in der Kirche zu bleiben, lohnt es sich, der Predigt zuzuhören, so mickrig und langweilig sie auch klingen mag. Ihr erfahrt hier nicht bloß das eine oder andere Interessante, ihr tut hier nicht bloß etwas für eure religiöse Bildung. Sondern diese Botschaft von Christus, die schenkt euch den Glauben, der euch rettet, der euch selig macht, der euch das ewige Leben schenkt. Verpasst sie darum bloß nicht! Amen.