17.03.2013 | St. Johannes 11,47-53 | Judika

„Nun macht doch endlich was! So kann das nicht weitergehen! Immer mehr Menschen kommen zu Jesus und glauben an ihn. Wenn das hier bei uns so weiter geht, dann fliegen uns hier bald die Fetzen um die Ohren! Der Zustrom der vielen Leute zu Jesus kann doch nicht all das kaputt machen, was wir uns hier in vielen Jahren aufgebaut haben! Es muss etwas geschehen, bevor es zu spät ist!“

Und so wird schnell eine Versammlung einberufen, in der nun für dieses große Problem eine effektive Lösung gefunden werden soll. Nach langer Diskussion fällt die Entscheidung: Jesus muss weg, dann schaffen wir es vielleicht noch, dieser bedrohlichen Entwicklung Herr zu werden!

Ja, hochaktuell klingen die Worte unserer heutigen Predigtlesung, in der der Evangelist St. Johannes schildert, wie der Hohe Rat versucht, des Zulaufs der Massen zu Jesus Herr zu werden. Klug, vernünftig und am Ende sogar scheinbar erfolgreich klingt das, was der Hohe Rat hier am Ende beschließt und durchsetzt – und führt doch in Wirklichkeit genau die Katastrophe herbei, die man mit all den klugen Maßnahmen gerade zu vermeiden hoffte: Ja, Jesus muss weg, damit nicht die Römer diesen Zustrom zum Anlass nehmen, einzugreifen und das Volk Gottes aus seinem Lande zu vertreiben, so argumentiert man schlüssig. Und so beseitigt man Jesus scheinbar – und muss doch erleben, dass bald darauf die Römer genau das machen, was man mit der Beseitigung Jesu zu verhindern hoffte: Sie zerstören Jerusalem und den Tempel und vertreiben das jüdische Volk für fast 1900 Jahre aus seinem Land.

„Nun tun Sie doch endlich etwas! So kann das mit dem großen Zustrom zu Jesus in unserer Gemeinde doch nicht weitergehen! Der macht am Ende doch die ganze Gemeinde kaputt!“ Ich kann die Mitglieder des Hohen Rates damals gut verstehen, unter was für einem Druck sie standen, etwas zu tun, Maßnahmen zu ergreifen. Und so kommen nun auch wir heute zu einer Versammlung zusammen, wie damals auch, zu einer Gemeindeversammlung, um genau dieselbe Frage zu beantworten, vor die sich auch damals der Hohe Rat gestellt sah: „Was tun wir?“ Was tun wir, um der Lage wieder Herr zu werden? Gewiss, einen Tötungsbeschluss werden wir  nachher in der Gemeindeversammlung hoffentlich nicht fassen; wir werden auch nicht versuchen, irgendwelche politischen Maßnahmen zu ergreifen. Das Szenario, das uns vor Augen steht, ist in der Tat längst nicht so dramatisch wie jenes, das uns hier von St. Johannes geschildert wird. Und doch kann uns unsere heutige Predigtlesung wichtige Hinweise geben, wie wir mit den Herausforderungen, die vor uns liegen, in der rechten Weise umgehen können und sollen. Dreierlei macht uns St. Johannes hier deutlich:
- Glaubt nicht, dass ihr über die Zukunft der Gemeinde bestimmen könnt!
- Erwartet nur von einem alles!
- Vergesst die verstreuten Kinder Gottes nicht!

I.
Das waren dort im Hohen Rat ja alles ganz fromme Leute – Leute, die die Heilige Schrift ganz ernst nahmen, die das Volk Gottes und den Gottesdienst liebten. Und vernünftig waren sie auch, machten sich ein Argument zueigen, das auch heute in der Politik immer wieder gebraucht wird: Manchmal ist es nötig, einen oder einige wenige zu töten oder ihren Tod zumindest in Kauf zu nehmen, um zu verhindern, dass ansonsten noch viel mehr Menschen sterben. Wir kennen diese Argumente in den Diskussionen um die Bekämpfung des Terrors: Ist es nicht richtig, potentielle Terroristen zu töten, bevor diese andere töten können? Ist es nicht richtig, in der Not ein entführtes Passagierflugzeug abzuschießen, bevor dieses in irgendeinem Wolkenkratzer landet und diesen zum Einsturz bringt?

Wie gesagt, es wird heute in unserer Gemeindeversammlung gewiss nicht darum gehen, irgendjemanden zu beseitigen oder abzuschießen. Doch die Worte des heiligen Johannes warnen auch uns davor, zu glauben, wir könnten selber über die Zukunft unserer Gemeinde bestimmen, und dabei Jesus und sein Wirken aus unseren Planungen zu streichen. Sie warnen uns davor, zu glauben, wir seien die Macher der Zukunft der Kirche, und Jesus dabei am Ende draußen vor zu lassen. Ja, wir möchten so gerne die Dinge in der Hand behalten, möchten so gerne selber entscheiden, wie es in der Zukunft auch mit unserer Gemeinde weitergeht. Und es ist ja auch nicht falsch, dass wir uns darüber Gedanken machen. Doch niemals sollen wir dabei vergessen, dass Gott auch heute noch genau dasselbe zu tun vermag, was er damals mit den Beschlüssen des Hohen Rates auch gemacht hat: er gebrauchte diesen mehr als problematischen Beschluss des Hohen Rates, um damit etwas völlig anderes zu bewirken, als der selber es geplant hatte. Ja, tröstlicherweise hindert auch ein Beschluss, Jesus verschwinden zu lassen, diesen Jesus nicht daran, dennoch selbst noch durch solch einen skandalösen Beschluss sich sein Volk zu sammeln. Was wir heute auch alles beraten und beschließen mögen: Jesus wird sein Werk fortsetzen, auch in unserer Gemeinde – ob nun mit uns oder gegen uns, jedenfalls so oder so durch uns. Doch wir tun natürlich gut daran, in unsere so vernünftigen Planungen immer dies von vornherein mit einzubeziehen, dass die Zukunft unserer Kirche, unserer Gemeinde in seinen Händen und nicht in unseren Händen liegt – und dass wir es nicht verhindern können, dass Jesus sich sein Volk auch weiter sammelt, selbst wenn wir ihn dabei noch so gerne stoppen würden. Ach, wie entlastend ist das auch für unsere Beratungen heute, dass eben nicht wir es sind, die die Kirche, die auch unsere Gemeinde erhalten oder ihre Zusammensetzung bestimmen können! Lassen wir uns dies von den Herren des Hohen Rates, ja mehr noch: von Gottes Wort gesagt sein!

II.
Ein Zweites macht uns St. Johannes hier in unserer Predigtlesung deutlich: Er beschreibt die ganz typische Argumentation des Kaiphas, wonach das Geschick einer großen Gruppe von einem einzelnen abhängig ist: Ohne es zu ahnen, wie recht er in viel tieferem Sinne hat, beschreibt er, wie an Jesus das Geschick des ganzen Volkes hängt.
Auch dieses Denken ist heute noch oder vielleicht sogar heute erst recht ganz hochaktuell: Man setzt auf einen einzelnen Menschen seine Hoffnungen oder Befürchtungen und glaubt, dass das weitere Geschick einer großen Gruppe allein von diesem einen abhängt. Wir erleben dies in diesen Tagen beispielsweise nach der Wahl des neuen Papstes: Da glauben so viele Kommentatoren, an diesem einen Menschen Franziskus hinge nun die ganze Zukunft der römisch-katholischen Kirche. Der neugewählte Papst selber sieht dies durchaus ganz anders; aber wir Menschen lieben es eben, Hoffnungen und Sehnsüchte an einzelnen Personen festzumachen.

Und genau dies sollen wir uns eben auch an diesem Tag der Gemeindeversammlung gesagt sein lassen: Der eine, an dem das Geschick aller hängt, ist nicht der Pastor, und es sind auch nicht die beiden Pastoren zusammen. Wer auf einen Pastor oder auf zwei seine Hoffnungen setzt, wer von ihm oder ihnen erwartet, was doch nur Christus allein zu leisten vermag, der wird enttäuscht werden, bei dem schlagen dann die Hoffnungen und Wünsche auch nur allzu schnell in ihr Gegenteil um. Wer wegen eines Pastors zur Kirche kommt, der hat eben noch nicht verstanden, wer hier der Herr und der Gastgeber ist, derjenige, der einlädt und sammelt, ja, der steht dann sogar in der Gefahr, eben nicht mehr zu kommen, wenn ein anderer denselben Christusdienst versieht, als der, den man bisher immer gewöhnt war.

Die Zukunft der Gemeinde, sie hängt weder an Pastor Büttner noch an mir; sie hängt an Christus allein. Der allein ist für das ganze Volk Gottes, auch für einen jeden von euch gestorben, hat damit die ganze Schuld und das ganze Versagen eines jeden von euch auf sich genommen, hat nicht zuletzt auch die ganze Schuld und das ganze Versagen von Pastoren gegenüber ihren Gemeinden auf sich genommen. Und der allein sammelt sich sein Volk, gerade dadurch, dass er für alle am Kreuz stirbt, geht in den Tod, damit die, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Er, Jesus Christus, soll darum auch im Zentrum all unserer Beratungen und Entscheidungen stehen, sein Opfer für unsere Schuld, das uns davor bewahrt, uns gegenseitig Schuld zuschieben zu müssen. Ja, an ihm, Jesus, hängt in der Tat alles; das ahnte schon der Hohe Rat auf seine Weise. Erwarten wir darum von ihm, Jesus, auch alles, und nichts von irgendeinem anderen Menschen. Das bewahrt uns vor Enttäuschungen; das lässt uns dann auch erkennen, was in unserer Gemeinde wirklich wichtig ist, ja was jetzt dran ist bei uns.

III.
Und dann betont St. Johannes hier noch ein Drittes: Der Hohe Rat hatte damals bei seinen Überlegungen nur das eigene Volk im Blick, nur diejenigen, die immer schon dazugehört hatten. Doch der Evangelist macht deutlich: Jesus stirbt nicht nur für die, die schon immer dazugehört haben, er begnügt sich nicht, einen kleinen Kreis derer zu sammeln, die immer schon beieinander waren. Nein, so unterstreicht er es hier: Jesus sollte gerade auch darum sterben, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen. Der Hohe Rat dachte auch von daher viel zu eng und in die falsche Richtung, weil er nur auf die Bewahrung des Bestehenden bedacht war und gar nicht auf die Idee kam, dass Gott mit seinem Volk noch viel Größeres vorhaben könnte.

Was Jesus mit seinem Tod am Kreuz begonnen hat, das geht auch heute noch weiter: Jesus hört nicht auf, Menschen in seine Kirche zu führen, die von ganz weit weg kommen, die völlig außerhalb des Blickfeldes derer liegen mögen, die immer schon mit dabei waren. Reagieren wir darauf anders als der Hohe Rat damals, versuchen wir nicht, Jesus das Handwerk zu legen und ihn an dem zu hindern, was er auch in unserer Mitte wirken will! Ob es uns passt oder nicht: Jesus will sie mit dabei haben, die verstreuten Kinder Gottes aus allen Ländern dieser Erde, für die er doch auch in den Tod gegangen ist. Und haben wir dabei keine Angst, was daraus wohl noch alles werden könnte! Wir haben die Zusammensetzung unserer Gemeinde nicht in der Hand, auch nicht ihr mögliches Wachstum oder ihre mögliche Stagnation. Fragen wir darum immer wieder zuerst nicht danach, was wir tun, sondern was Jesus tut – und freuen wir uns von daher über jedes weitere verstreute Kind Gottes, das er, Jesus, in der Mitte seiner Gemeinde sammelt! Es hat ohnehin keinen Zweck, Jesus stoppen zu wollen, so hat es schließlich auch der Hohe Rat einsehen müssen. Gott geb’s, dass wir heute in unserer Gemeindeversammlung doch einige Schritte weiter sind als der Hohe Rat damals; ja, Gott geb’s, dass wir ihn, Jesus, ernster nehmen als unsere Sorgen und Probleme. Ja, möge Jesus Christus selber uns diesen klaren Durchblick schenken! Amen.