03.11.2013 | St. Matthäus 5,33-37 | 23. Sonntag nach Trinitatis
Pfarrer Dr. Gottfried Martens

„Ich schwöre, Alter, ich schwöre bei Koran – das war gestern die geilste Party meines Lebens, ich schwöre!“ Unüberhörbar für den halben S-Bahn-Wagen ließ der Jugendliche gleich eine ganze Reihe von Zeugen an seiner bedingten Selbstverfluchung teilhaben. Denn nichts Anderes ist ja ein Schwur: Er bedeutet: Ich möchte für immer von Gott getrennt und verflucht sein, wenn das nicht stimmt, was ich jetzt sage. Kein Geringerer als der lebendige Gott wird von diesem Jugendlichen als Zeuge für diese so entscheidend wichtige Aussage angerufen, dass er gestern Abend das größte Erlebnis seines Lebens hatte – worin auch immer das bestanden haben mag.

„Ich schwöre“ – wahrscheinlich ist dem Jugendlichen gar nicht klar, was er da eigentlich sagt, wie er da sein ewiges Schicksal dafür aufs Spiel setzt, dass seine Freunde ihm abnehmen, dass er am Abend zuvor in guter Stimmung gewesen ist. Ja, wahrscheinlich ist dem Jugendlichen auch gar nicht klar, was er indirekt mit seinem dauernden „Ich schwöre“ zum Ausdruck bringt: Normalerweise lüge ich ja, aber jetzt sage ich mal ausnahmsweise die Wahrheit – ich schwöre!

Dass Menschen zum Mittel des Schwörens greifen, hängt unmittelbar damit zusammen, dass die Menschen sich von Gott abgewandt haben und nicht auf sein Wort hören. Ich kann eben nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass ein anderer Mensch, der mit mir spricht, mir die Wahrheit sagt. Ich muss damit rechnen, dass er mich belügt, vor allem, wenn diese Lüge ihm einen Vorteil bringt. Doch wo Menschen einander misstrauen müssen, wo man nicht gewiss sein kann, ob der andere die Wahrheit sagt oder nicht, da ist ein Zusammenleben kaum möglich. Es muss eine Instanz geben, die gewährleistet, dass ich mich auf das Wort eines anderen Menschen verlassen kann. Und diese Instanz kann eben kein anderer Mensch sein; diese Instanz kann nur Gott selber sein.

Das funktioniert allerdings auch nur so lange, wie die Menschen Gott als Instanz ernst nehmen, wie sie ihm nicht nur zutrauen, sondern davon überzeugt sind, dass Gott tatsächlich reagiert, wenn er als Zeuge angerufen wird und dann die Unwahrheit aus dem Mund eines Menschen vernimmt. Damals zur Zeit Jesu nahmen die Leute Gott offenbar noch sehr ernst: Sie hatten einen solchen Respekt vor dem Namen Gottes, dass sie nicht Gott selber bei ihren Schwüren anriefen, sondern stattdessen den Himmel als Umschreibung des Gottesnamens gebrauchten oder gleich bei der Erde, bei Jerusalem oder bei ihrem eigenen Haupt schworen. Jesus macht hier in unserer Predigtlesung deutlich, dass das allerdings keinen Unterschied macht: Letztlich steht hinter allem, bei dem wir schwören mögen, Gott selber als der Schöpfer, ist und bleibt er der Adressat unserer Schwüre, auch wenn wir seinen Namen nicht direkt nennen.

Doch was ist, wenn Gott selber beim Schwören gar nicht mehr ernst genommen wird, wenn man überhaupt nicht mehr ernsthaft damit rechnet, dass Gott darauf reagieren könnte, wenn man einen falschen Schwur leistet? Genau das ist das Problem, das wir heute weithin in unserer Gesellschaft haben. Da schmeißt man dann mit Schwüren um sich, weil man sie gar nicht mehr mit Gott in Verbindung bringt, weil man Gott überhaupt nicht zutraut, dass er sich mit dem befassen könnte, was man da gerade so von sich gibt. Und dann gibt es beim Schwören eigentlich nur noch einen Maßstab: Kann es sein, dass ich dabei erwischt werde, wenn ich jetzt die Unwahrheit sage, oder nicht? Und wenn mich kein Mensch dabei erwischen kann, dann kann ich eben auch schwören, was das Zeug hält.

Unser Staat versucht auf seine Weise, Menschen beim Schwören zur Wahrheit zu zwingen, indem er harte Strafen verhängt, wenn man einen falschen Eid, einen Meineid leistet. Doch ersetzen kann er damit die Rolle Gottes als Wächter über die Wahrheit natürlich nicht. Und so leben wir heute in einer Gesellschaft, in der Menschen einander so viel vormachen, in der gelogen wird, was das Zeug hält, wenn es denn nur dem eigenen Vorteil dient.

Sehr viel anders ist das damals zur Zeit Jesu vermutlich auch nicht gewesen, und so zieht Jesus hier in unserer Predigtlesung nun eine überraschend radikale Konsequenz: Ich sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt! Gleich mehrere Gründe führt er dafür an:
Zunächst einmal macht er deutlich: Wer seid ihr eigentlich, dass ihr gleichsam Dinge zur Bestätigung der Wahrheit eurer Aussagen heranzieht, über die ihr in Wirklichkeit gar nicht verfügen könnt? Ja, wisst ihr eigentlich, was ihr da tut, wenn ihr euer eigenes Leben dafür verpfändet, nur um dem Nachdruck zu verleihen, was ihr sagt? So spielt man nicht mit seinem eigenen Leben, dass man es gleichsam Gott zur Verfluchung anbietet – und so spielt man erst recht nicht mit Gott, dass man ihn kurz mal als guten Kumpel zur eigenen Bestätigung heranzieht! Macht euch bitte klar, was ihr eigentlich tut, wenn ihr so leichtfertig den Namen Gottes direkt oder indirekt gebraucht!

Vor allem aber, so macht es Jesus hier deutlich, sollen wir als Christen darum nicht schwören, weil wir mit dem Schwur den falschen Eindruck erwecken, man könne sich ansonsten auf unser Wort nicht verlassen. Nein, Jesus möchte, dass wir als Christen immer so sprechen, dass die Menschen in unserer Umgebung merken: Das sind Christen, wenn die etwas sagen, dann kann man dem auch vertrauen. Wenn die etwas sagen, dann suchen die dabei nicht ihren eigenen Vorteil, sondern sprechen die Wahrheit aus. Wenn die etwas sagen, dann eiern die nicht herum, sondern sagen, was Sache ist. Wenn die etwas sagen, dann behaupten sie nicht morgen schon wieder das Gegenteil. Sondern wenn die Ja sagen, dann ist das tatsächlich auch ein Ja, das gilt. Und wenn die Nein sagen, dann ist das ein klares Nein, das sie nicht am nächsten Tag schon wieder zurücknehmen.

Finden wir uns in dieser Beschreibung Jesu wieder, oder ist auf unser Reden doch nicht so viel Verlass? Bleiben wir in dem, was wir sagen, doch immer uneindeutig, ja, machen wir uns und anderen in dem, was wir sagen, möglicherweise doch immer wieder etwas vor? Als Christen müssen wir uns jedenfalls zunächst einmal an die eigene Nase fassen, wenn der Staat auch von uns als Christen verlangt, in bestimmten Situationen Eide zu schwören. Das liegt zunächst und vor allem auch daran, dass wir als Christen mit unserem Reden eben doch nicht so eindeutig zu erkennen sind, wie Jesus dies von uns eigentlich hier erwartet. Und solange das der Fall ist, kommen wir in Situationen, in denen wir einen Eid ablegen müssen – wenn wir damit denn einem anderen Menschen helfen können, dass durch uns die Wahrheit ans Licht kommt. Denn dass wir als Christen in solch einem Fall einen Eid ganz ernst nehmen und ihn im Angesicht Gottes sprechen, brauche ich wohl kaum extra zu erwähnen. Wenn es jedoch kein Dienst der Liebe an einem anderen Menschen ist, sollten wir als Christen in der Tat sehr zurückhaltend mit dem Schwören sein und Gott nicht zu unserem Handlanger machen, um uns in eine bessere Position zu bringen.

Eure Rede sei Ja, ja; nein, nein, sagt Jesus. Gemeint ist: Wenn ihr Ja sagt, dann soll das Ja auch tatsächlich Ja und kein halbes Nein sein. Wenn ihr Nein sagt, dann steht dazu auch, dass andere sich darauf verlassen können. Ja, daran scheitern wir auch als Christen immer wieder, werden dem nicht gerecht, was Gott von uns erwartet und erwarten kann. Was bleibt uns also? Es bleibt uns einzig und allein das Vertrauen auf den, der als einziger das Recht hat zu schwören und auf dessen Schwur man sich in der Tat verlassen kann: Gott selbst schwört im Alten Testament immer wieder, schwört, dass er über sein Volk nicht mehr zürnen will, dass seine Gnade nicht mehr von ihm weichen soll. Ja, was Gott schwört, das hat er dann auch wahrgemacht in seinem Sohn Jesus Christus, der schließlich vor dem Hohen Rat unter Eid ausgesagt hat, dass er der Sohn des lebendigen Gottes ist. Gott schwört nicht um seinetwillen, um seines Vorteils willen. Er schwört bei seinem Leben, dass er nicht den Tod des Sünders will, schwört es, um uns zu trösten, um uns gewiss zu machen: Sein Wort gilt. Wenn du hierher nach vorne kommst an den Altar und das Wort Gottes hörst: Dir sind deine Sünden vergeben, dann brauchst du keine Zweifel zu haben, ob Gott das vielleicht doch auch anders meinen könnte. Nein, sein Ja ist ein Ja, ein verlässliches Ja, das dir immer wieder die Möglichkeit zum Neuanfang schenkt. Höre auf dieses verlässliche Ja, und lass davon auch dein Leben bestimmen. Ja, Gott geb’s, dass sich das auswirkt auch auf den Umgang untereinander hier in unserer Gemeinde, dass wir einander vertrauen können, dass keiner Angst haben muss, vom anderen belogen zu werden. Ich will jedenfalls auch weiter euch solches Vertrauen schenken, will euch ernst nehmen als Christen, will mich lieber von euch enttäuschen lassen als mit euch in einer Gemeinschaft zu leben, die darauf angewiesen ist, dass man schon schwören muss, um den anderen von der Wahrheit dessen, was man sagt, zu überzeugen. Ist euer Ja ein Ja, ist die Geschichte, die ihr mir erzählt, tatsächlich eure Geschichte? Ich will es euch abnehmen. Doch verantworten müsst ihr all euer Reden schon vor keinem Geringeren als vor Christus selber. Nein, ihr braucht nicht zu schwören. Aber dass ihr Christus ernst nehmt, dass ihr nicht seinen Namen missbraucht, das ist für euch, für euer Leben in der Tat entscheidend. Wer mit dem Namen von Christus spielt, wer sich zu ihm bekennt, ohne es ernst zu meinen, den wird Christus in der Tat einmal zur Rechenschaft ziehen. Gott geb’s, dass ihr alle meint, was ihr sagt hier in der Kirche und auch darüber hinaus. Ja, Gott geb’s, dass ihr euch immer wieder von Herzen auf das verlasst, was Gott geschworen und gehalten hat: Eher gebe ich mein Leben dahin, als dass ich will, dass euer Leben im ewigen Tod endet. Wie gut, dass Jesus zu diesem Schwur gestanden hat und steht! Amen.