23.02.2014 | Apostelgeschichte 16,9-15 | Sexagesimae
Pfr. Dr. Gottfried Martens

In letzter Zeit erlebe ich es öfters einmal, dass mir Menschen, die es wirklich lieb und gut mit mir meinen, zu meinem „Erfolg“ gratulieren, den ich hier in unserem Missionsprojekt habe. Und vermutlich würden sie mir nun auch heute wieder zu den 15 Taufen gratulieren, die wir heute hier in unserem Gottesdienst haben feiern dürfen. Doch so lieb diese Gratulationen auch gemeint sind, so wenig entsprechen sie doch dem, was in Wirklichkeit gerade hier in unserer Gemeinde, in unserem Missionsprojekt geschieht. Da geht es nicht um die Leistung eines Pastors, da geht es vielmehr um ein Wunder, das kein Geringerer als Gott der Heilige Geist selber durch sein Wort bewirkt. Ja, um verstehen zu können, was hier bei uns geschieht, schauen wir uns am besten einfach an, was der heilige Lukas hier in der Predigtlesung des heutigen Sonntags über die Anfänge des Missionsprojekts in Philippi berichtet. Denn wenn wir diese Geschichte etwas genauer betrachten, merken wir, wie aktuell das ist, was St. Lukas hier beschreibt, wie das genau dem entspricht, was wir hier in Steglitz zurzeit auch erleben.

Da hatte der Apostel Paulus bei seiner Missionsreise durch die Türkei ganz bestimmte Pläne gehabt, was er als nächstes machen wollte, wohin er als nächstes gehen wollte. Doch gleich zweimal muss Paulus erleben, dass er seine Pläne nicht umsetzen kann, dass er mit seinen Plänen scheitert. Doch St. Lukas blickt tiefer: Es war nicht einfach nur menschliches Versagen, nein, es war der Heilige Geist selber, der die Pläne des Paulus scheitern ließ, weil er für den Apostel längst schon ganz andere Pläne hatte – Pläne, die er dem Apostel nachts in einer Erscheinung mitteilen lässt: Da sieht Paulus einen Mann aus Mazedonien, aus dem anderen Kontinent jenseits des Meeres, und dieser Mann ruft ihn: „Komm herüber und hilf uns!“ Und Paulus wird sofort klar: Es ist Gott selber, der ihn da in diese ganz neue Aufgabe ruft, zu Menschen, die er bisher noch überhaupt nicht kannte.

Paulus zögert nicht lange: Wenn Gott ihn in die neue Aufgabe gerufen hat, dann muss er los, und zwar sofort. In Windeseile fährt er über das Ägäische Meer und kommt schließlich in der römischen Kolonie Philippi an. Und was macht Paulus immer, wenn er irgendwo neu in eine Stadt kam? Er geht zunächst einmal gleich am ersten Sabbat, am ersten Samstag in die Synagoge der Stadt, denn zuerst will er immer den Juden das Evangelium predigen, bevor er sich den Nichtjuden mit seiner Botschaft zuwendet. Doch eine Synagoge scheint es in Philippi nicht zu geben, wohl aber eine jüdische Versammlung, die sich draußen vor der Stadt an einem Fluss zum Gebet trifft. Sehr beeindruckend war diese Versammlung für Paulus wohl nicht: ein paar Frauen trafen sich dort zum Gebet; von Männern, von denen zumindest zehn für einen richtigen jüdischen Gottesdienst nötig gewesen wären, ist nicht die Rede. Nur ein paar Frauen, möchte man meinen. Wie sollte man denn mit denen eine Gemeinde starten? – Die hatten doch weder das nötige Geld noch die nötige rechtliche Stellung, um solch ein Missionsprojekt auf die Beine zu stellen! Doch Paulus und seine Begleiter ziehen nicht wieder enttäuscht ab. Auch diesen Frauen gilt die frohe Botschaft von Jesus Christus – warum sollte er sie ihnen vorenthalten? Und das Wunder geschieht: Christus selber öffnet einer der Frauen das Herz, als Paulus ihr das Evangelium verkündigt. Nein, mit keinem Wort ist davon die Rede, dass Paulus hier seine missionarischen Kompetenzen ausgespielt hätte, dass er die Frau mit seiner einfühlsamen Art irgendwie „rumgekriegt“ hätte. Nein, Christus allein ist es, der der Frau das Herz öffnet – so allein entsteht Glauben, nicht durch irgendwelche menschlichen Fähigkeiten und Bemühungen. Lydia heißt die Frau, mit der Christus den Bau seiner Kirche hier in Europa beginnt. Sie stammt aus Kleinasien, und dass sie mit Purpur handelte, bedeutete auch nicht unbedingt, dass sie sehr reich war. Es gab viele freigelassene Sklavinnen und Sklaven, die sich mit dem Handel von minderwertigem Purpur auf pflanzlicher Basis ihr Einkommen zu sichern versuchten. Jedenfalls war sie selber keine Jüdin, sondern eine Gottesfürchtige, also ein Gastmitglied in der Synagogengemeinde. Als Christus ihr nun das Herz auftut, zögert Paulus nicht lange, veranstaltet keinen langen Taufunterricht, erklärt ihr auch nicht erst einmal die Bedeutung eines Weihnachtsbaums, sondern tauft sie auf der Stelle, dazu auch noch alle, die mit zu ihrem Haushalt gehörten, weil er weiß: So wichtig ist die Taufe, dass man damit nicht lange warten sollte. Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende: Lydia weiß, was zum Christsein noch mit dazugehört: Das Leben in der Gemeinschaft der Hausgemeinde, die gewiss auch die Feier des Heiligen Abendmahls umfasst. Ein Gemeindeglied nötigt den Pastor, Gottesdienst zu feiern, das Heilige Abendmahl zu feiern, ja, dann auch einfach, zusammen zu essen und zu feiern – was für ein schöner Abschluss dieser Geschichte, und was für ein aktueller dazu!

Ja, ich kann mich so gut in den Apostel Paulus hineinversetzen: Ich hatte ja auch meine Pläne in Zehlendorf, hatte mir das schon ausgemalt, wie ich dort bis zu meinem Ruhestand weiter meinen Dienst versehe. Doch dann hat mir der Heilige Geist auch all meine schönen Pläne über den Haufen geworfen, hat auch mein Scheitern dort genutzt, um mich in eine ganz neue Arbeit zu schicken – zu Menschen von einem anderen Kontinent. Und wenn es denn für mich nicht möglich war wie für Paulus, selber auf den anderen Kontinent zu fahren, dann stellt uns der Heilige Geist diese Menschen aus fernen Ländern eben direkt vor die Haustür, dass wir gar nicht anders konnten und können, als unverzüglich hier mit der Arbeit zu beginnen. Menschlich gesprochen konnte und kann man gegen unser Unterfangen hier ganz ähnliche Einwände erheben wie damals gegen den Start des Missionsprojekts in Philippi: Wie will man denn mit Asylbewerbern eine Gemeinde starten? Das kann doch gar nicht funktionieren! Aber es ist eben nicht unser Projekt, es ist nicht das Ergebnis unserer menschlichen Begabungen und Bemühungen, was sich hier in Steglitz tut. Sondern hier passiert schlicht und einfach dasselbe wie in Philippi damals auch: Christus tut Menschen das Herz auf – Menschen, von denen wir es früher nie für möglich gehalten hätten, dass Christus sie auch mit seiner Botschaft erreichen könnte. Aber er tut’s, bewirkt hier in unserer Mitte ein Wunder nach dem andern. Und zu diesen Wundern gehören eben auch die Heiligen Taufen, die wir heute Morgen hier in diesem Gottesdienst wieder gefeiert haben. Ja, wir haben länger gewartet als Paulus damals in Philippi; unsere Täuflinge haben in der Tat erst einmal einen längeren Taufunterricht hinter sich gebracht. Aber noch länger konnten und wollten wir nun wirklich nicht warten – zu wichtig ist die Heilige Taufe, als dass wir sie nun noch weiter nach hinten hätten schieben können und wollen! Doch die Taufe ist eben nun nicht das Ende der Geschichte, sondern erst der Anfang: Wichtig ist, dass unsere heutigen Täuflinge, ja, dass ihr alle nun auch dabeibleibt in der Gemeinde, am Tisch des Herrn, hier gleich beim Heiligen Abendmahl, und dann auch später, wenn wir unten in den Gemeinderäumen weiterfeiern. Keiner von uns kann allein Christ sein und bleiben; wir brauchen einander, haben es nötig, beieinander zu bleiben, tun gut daran, dazu auch immer mehr Menschen einzuladen. Der Paulus ist damals schließlich doch weitergezogen. Doch die Gemeinde in Philippi ist weitergewachsen, weil ihre Existenz eben nicht von der Person des Paulus abhängig war, auch wenn die Gemeinde mit Paulus immer in ganz besonderer Verbindung blieb. Lydia hat damals gleich die Verantwortung für die neu entstandene Gemeinde selber in die Hand genommen – und so hoffe ich, dass auch ihr die Verantwortung für unser Missionsprojekt immer mehr selber in die Hand nehmt, selber die nächsten hier in die Gemeinde einladet, selber überlegt, wie es mit unserem Projekt hier weitergehen kann.

Und doch: Vergessen wir dies eine nicht: Letztlich ist es weder der Pastor noch seid ihr es, die unsere Gemeinde wachsen lassen, die unsere Gemeinde weiter bauen. Das ist und bleibt Gott der Heilige Geist allein. Der will und wird auch weiter seine Wunder in unserer Mitte vollbringen, dort, wo Gottes Wort verkündigt und bezeugt wird. An ihm allein liegt es, dass wir heute hier zusammengekommen sind, dass Menschen heute wieder in aller Öffentlichkeit sich zu Jesus Christus, ihrem Herrn, bekannt haben, dass unsere Gemeinde heute wieder ein ganzes Stück gewachsen ist. Und ihm allein wollen wir darum auch die Ehre geben: Gott sei Dank – für diese Gemeinde! Amen.