25.02.2013 | Apostelgeschichte 1,15-26 | Tag des Apostels St. Matthias
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Warum wenden sich gerade im Iran so viele Menschen vom Islam ab und werden Christen? – So werde ich immer wieder einmal gefragt, wenn ich von unserer Arbeit hier in Steglitz berichte. Einer meiner Erklärungsversuche besteht darin, dass es im schiitischen Islam im Unterschied zum sunnitischen Islam einen Klerus gibt, eine Geistlichkeit – und der Klerus, die Geistlichkeit sind sozusagen die Achillesferse einer jeden Religion. Gottes Bodenpersonal, oder diejenigen, die sich dafür ausgeben, sind in besonderer Weise dazu geeignet, Menschen mit ihrem Verhalten, mit dem, was sie sagen und tun, vor den Kopf zu stoßen, sodass die Menschen dann auch von der Religion, die sie repräsentieren, nichts mehr wissen wollen. Wenn Vertreter einer Religion nur noch hinter dem Geld der Leute her sind, wenn sie selber ganz anders handeln, als sie es von anderen erwarten, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Leute irgendwann von dem, was sie verkündigen, nichts mehr wissen wollen.

Und das gilt eben nicht nur für den schiitischen Islam – das ist etwas, was wir uns auch als Christen, was sich besonders auch diejenigen, die ein Amt in der Kirche wahrnehmen, immer wieder gesagt sein lassen müssen: Versagen sie, handeln sie anders, als sie es selber verkündigen, dann bringen sie damit auch die Botschaft in Verruf, für die sie selber mit ihrer Person, ja, mit ihrem Amt einstehen. Und das gilt besonders in unserer heutigen Zeit, in der man bestimmte Botschaften immer stärker an bestimmten Personen festmacht – ob nun positiv oder negativ, ob man nun einen Papst bejubelt oder sich auf das Fehlverhalten eines Limburger Bischofs einschießt.

In der Epistel des Tags des Apostels St. Matthias wird erkennbar, dass sich auch schon die allererste Kirche genau mit dieser Problematik zu befassen hatte: Da hatte noch nicht einmal Pfingsten stattgefunden, da hatte man noch nicht einmal damit begonnen, sich mit der Christusbotschaft an die Öffentlichkeit zu wenden, da hatte man schon den ersten Personalskandal: Einer der zwölf Apostel war auf ziemlich unrühmliche Weise von Bord gegangen, hatte mit seinem Verhalten nicht gerade zur Glaubwürdigkeit des Apostelkollegiums beigetragen. Wie sollte man damit jetzt bloß umgehen? Petrus macht es vor, wie wir als Christen mit solchen Enttäuschungen über Gottes Bodenpersonal in der rechten Weise umgehen können und sollen: Er versucht nicht, sich nun an dem Judas abzuarbeiten, begnügt sich auch nicht mit irgendwelchen Betroffenheitserklärungen, sondern er deutet das, was geschehen ist, von Gottes Wort her: Ja, so unbegreiflich es auch erscheinen mag: Auch das Versagen von Amtsträgern gehört mit zu Gottes Plan dazu; Gott kann auch durch solches Versagen noch seinen Plan durchsetzen, Heil und Leben für Menschen wirken. Nein, Petrus redet wahrlich nicht schön, was geschehen ist. Aber er weiß: Gott lässt sich auch durch das Versagen seines Bodenpersonals nicht stoppen, sein Werk fortzusetzen.

Und das Erstaunliche ist: Gott hört auch nicht damit auf, Menschen dazu zu gebrauchen, sein Wort, sein Heil an andere Menschen weiterzureichen. Gott verabschiedet sich nicht von dieser hochriskanten Methode, sein Reich zu bauen, begnügt sich nicht damit, den Menschen einfach nur eine Bibel hinzulegen und ihnen zu sagen: Seht selber zu, wie ihr damit klarkommt. Nein, so macht es Petrus hier der Gemeinde in Jerusalem, so macht er es auch uns deutlich: Das mit dem Amt in der Kirche, das soll trotz aller Enttäuschung, trotz allen Versagens von Amtsträgern weitergehen: „Sein Amt empfange ein anderer.“ Gott baut sein Reich durch ganz konkrete Menschen, gewiss auch durch jeden einzelnen Christenmenschen, aber eben doch auch noch einmal in besonderer Weise durch diejenigen, die er mit dem apostolischen Auftrag, dem apostolischen Amt betraut. Zur Kirche gehört immer auch das Amt der Kirche dazu, so unvernünftig es mitunter auch erscheinen mag. Gott gebraucht Menschen, die er mit ihrem ganzen Leben in Beschlag nimmt, damit sie Christus bezeugen, seinen Tod, seine Auferstehung. Gott gebraucht Menschen, weil er auf ganz menschliche Weise mit uns in Verbindung kommen will: durch eine menschliche Stimme, durch irdische Elemente, Wasser, Brot und Wein, gesegnet und ausgeteilt durch die Hand eines Menschen. Gott hat keinen Plan B; er bindet sich mit dem Bau seiner Kirche an das Wirken fehlsamer Menschen – und weiß, was er dabei tut, weiß, wie er durch sie hindurch Menschen erreicht, damit sie zum ewigen Leben gerettet werden.

Für dieses Amt sind allerdings bestimmte Qualifikationen nötig, so macht es Petrus zugleich deutlich: Nein, nicht Teamfähigkeit, nicht eine positive Ausstrahlung, kein Sonnyboy-Image, keine mitreißende Art zu reden – sondern die Zeugenschaft ist es, die allein zählt. Das Amt, das damals schließlich dem Matthias übertragen wurde, ist und bleibt einmalig: Für sein Amt war die Voraussetzung, dass er tatsächlich die ganze Zeit mit dabei war, als Jesus im Heiligen Land wirkte – von der Johannestaufe bis hin zu seiner Kreuzigung und Auferstehung. Apostel, wie Petrus sie hier beschreibt, gibt es heute keine mehr. Aber was bleibt, ist ihr Wort, das Wort der Apostel. Und dieses Wort und nichts Anderes sollen diejenigen auch heute bezeugen, die in der Nachfolge der Apostel von Christus selber in das Amt der Kirche gerufen worden sind und werden. Nicht daran sollen wir einen Pastor messen, ob er nett ist oder unterhaltsam predigen kann, ob er unserem persönlichen Geschmack entspricht. Wichtig ist allein, dass er Zeuge ist, dass er nichts Anderes der Gemeinde weitergibt, als was er selber im Wort der Apostel vernommen hat. Das entbindet ihn nicht davon, sich selber immer wieder zu prüfen und zu fragen, ob und wie er mit seinem Leben, mit seinem Verhalten, dem im Wege stehen könnte, was er als Zeuge verkündigt, denn Zeuge ist und bleibt er eben auch mit seiner Person insgesamt. Und doch dürfen sie sich zugleich immer wieder trösten: Mein Dienst hängt nicht davon ab, dass ich in Meinungsumfragen besonders gut dastehe, dass ich im Pastorenbarometer gute Werte erziele. Damals wurde Matthias durch das Los in sein Amt gerufen. Und auch heute werden Pastoren nicht mit Mehrheitsabstimmungen in ihr Amt gerufen, sondern dadurch, dass Christus selber sie in der Ordination in seinen Dienst nimmt und sie daraus nicht mehr entlässt.

Ja, Christus gebraucht Menschen für die Ausbreitung seiner Botschaft, Menschen mit Schwächen, Menschen, die versagen, Menschen, die er im Laufe der Zeit dann auch immer wieder einmal auswechselt. Schauen wir darum nicht auf die Stärken und Schwächen derer, die Christus in seinen Dienst gerufen hat! Hören wir vielmehr auf das, was sie uns verkündigen, ja, auf den, der durch sie redet! Christus will uns auf diese ungewöhnliche Weise, durch das Wort von mitunter sehr merkwürdigen Typen schließlich doch selig werden lassen! Amen.