02.04.2014 | Bibel und Koran: Jesus - am Kreuz gestorben? | Mittwoch nach Laetare
Pfr. Dr. Gottfried Martens


Neulich wurde mir im Taufunterricht eine scheinbar sehr ungewöhnliche Frage gestellt: Stimmt es wirklich, dass Jesus am Kreuz gestorben ist? Für deutsche Ohren klingt diese Frage tatsächlich ungewöhnlich, denn wenn es etwas gibt, was Christen und Nichtchristen hier in Deutschland gemeinsam über Jesus aussagen können, dann wohl dies, dass er am Kreuz gestorben ist. Daran zweifelt wohl kein ernstzunehmender Historiker, dass Jesus von Nazareth an einem Kreuz gehangen hat und gestorben ist. Auf die Idee wäre wohl kein Christ gekommen, sich das selber auszudenken, dass sein Herr und Gott an einem Folterinstrument verendet. Wenn die Christen das anderen damals erzählten, wurden sie immer wieder ausgelacht: Wie könnt ihr denn bloß an einen Gott glauben, der am Kreuz gestorben ist?

Doch die Christen konnten und wollten es eben nicht verschweigen, dass ihr Herr Jesus Christus für sie am Kreuz gestorben ist. Es gab ja für diese Kreuzigung genügend Augenzeugen, den Johannes etwa, der ausdrücklich in seinem Evangelium über die Kreuzigung Jesu schreibt: „Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und er weiß, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt.“ Und auch der Apostel Paulus wusste genau, dass Jesus gekreuzigt worden war. Das fand er auch gut und richtig, denn schließlich hatte Jesus ja gesagt, dass er Gottes Sohn ist. Und dafür musste er mit dem Tod bestraft werden, davon war Paulus fest überzeugt. Und er wusste auch genau: Wenn jemand ans Kreuz gehängt wird, dann ist er von Gott verflucht. So stand es im Alten Testament, im Gesetz. Und darum hatte sich Paulus ja auch so über die Christen aufgeregt, die behaupteten, Jesus sei auferstanden. Jesus war doch nach dem Gesetz verflucht. Da konnte Gott doch nicht zu ihm Ja sagen und ihn auferwecken! So dachte Paulus, bis Jesus ihm dann vor dem Stadttor von Damaskus das Gegenteil zeigte. Aber dass Jesus am Kreuz gestorben ist, das blieb für Paulus auch danach ganz selbstverständlich. Ja, er verstand nun erst richtig, warum das für uns so wichtig ist, dass Jesus tatsächlich gekreuzigt wurde, diesen schrecklichen Tod erlitten hat.

Schon bald nach der Zeit des Neuen Testamentes gab es dann jedoch Gruppierungen, die mit den Berichten der vier Evangelien nicht mehr viel anfangen konnten. Für sie war Jesus nur ein himmlischer Lehrer, der den Menschen erklärte, dass sie das göttliche Licht in sich selber finden können und sollen. Dass dieser himmlische Lehrer am Ende gekreuzigt werden sollte, dafür war in ihrem Denken kein Platz, ja, das fanden sie völlig unsinnig. Und so hatten sie eine sehr merkwürdige Idee: Sie glaubten, dass Jesus kurz vor seiner Kreuzigung wieder in den Himmel verschwunden sei und stattdessen jemand anders, der ihm ähnlich sah, gekreuzigt worden sei. Die Kreuzigung Jesu – ein Irrtum, eine Verwechslung: So versuchten sie, mit dieser Behauptung der Christen irgendwie fertig zu werden.

Der christlichen Kirche gelang es in der Folgezeit, diese verrückte Umdeutung des christlichen Glaubens abzuwehren. Sie konnte zeigen, dass diese Behauptung, Jesus sei gar nicht am Kreuz gestorben, nicht zu vereinbaren war mit den ältesten, ursprünglichen Zeugnissen von Jesus. Doch irgendwie geisterte diese Vorstellung von der Verwechslung am Kreuz auch in den folgenden Jahrhunderten immer noch dort unten im Nahen Osten herum, gab es immer noch kleine Splittergruppen, die diese Ansicht vertraten. Und ganz offenkundig muss dann um das Jahr 600 herum auch der Kaufmann Mohammad mit Vertretern einer dieser Splittergruppen in Kontakt gekommen sein, denn er griff diese merkwürdige Idee von dem verwechselten Jesus am Kreuz bei der Abfassung des Korans auf. Dort heißt es in Sure 4: „Sie haben ihn aber nicht getötet, und sie haben ihn nicht gekreuzigt, sondern er erschien ihnen nur so. ... Und sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet, sondern Gott hat ihn zu sich erhoben. Gott ist mächtig und weise.“ Nein, Jesus kann nicht von seinen Feinden getötet worden sein. Er ist doch nach dem islamischen Verständnis ein Prophet Gottes – und der steht unter Gottes besonderem Schutz, der krepiert doch nicht am Kreuz. Darum hat es nur so ausgesehen, dass Jesus gekreuzigt wurde; aber in Wirklichkeit hat Gott ihn gerade noch rechtzeitig am Kreuz gerettet. Nein, zum Himmel wurde er nicht gleich erhoben; er starb, wie der Koran berichtet, im hohen Alter eines natürlichen Todes.

Soweit der Koran. Recht hat er in einer Hinsicht: Wenn Jesus nur ein Prophet war, dann ist es in der Tat nicht wichtig, dass er gekreuzigt wurde. Dann kommt es nur auf die Worte an, die er gesagt hat – wobei wir tunlichst bestreiten dürfen, dass die Worte, die Jesus dem Koran zufolge gesagt hat, tatsächlich von ihm gesagt worden sind. Doch die Kreuzigung Jesu lässt sich historisch gesehen eben schwerlich bestreiten – und da wirkt der Erklärungsversuch jener gnostischen Sekten, den Mohammad aufnimmt, doch mehr als künstlich, um nicht zu sagen: unsinnig.

Ja, Jesus wurde wirklich gekreuzigt, zweifelsohne. Doch das Bekenntnis, dass Jesus wirklich am Kreuz gestorben ist, macht einen noch nicht zu einem Christen. Dazu müssen wir schon zugleich die Deutung vernehmen, die nicht irgendwelche späteren Theologen, sondern die Jesus selber seinem Tod schon im Vorhinein gegeben hat. Denn Jesus hat nicht allein schon vor seinem Tod angekündigt, dass er in Jerusalem gekreuzigt werden wird; er hat auch erklärt, warum dies geschieht, was für einen Sinn dieses Sterben hat. Am kommenden Sonntag werden wir es im Heiligen Evangelium wieder hören: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“ Und heute Abend werden wir gleich wieder seine eigenen Worte vernehmen hier am Altar: „Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“

Der Kreuzestod Jesu, er war eben unendlich mehr als ein Justizskandal, er war auch nur scheinbar eine Niederlage dessen, der da ans Kreuz genagelt wurde. Ganz bewusst ist Jesus den Weg ans Kreuz gegangen, ist gerade nicht geflohen, ist nicht vom Kreuz herabgestiegen, obwohl er dies gekonnt hätte. Und Gott hat ihn eben nicht davor bewahrt, hat nicht im letzten Augenblick doch noch den Anstoß des Kreuzes beseitigt. Sondern er hat ihn, seinen Sohn, dort am Kreuz tatsächlich für uns dahingegeben – nur aus einem Grund: damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Um Stellvertretung geht es am Kreuz, um ein Opfer, das wir nicht bringen können, sondern das der Sohn Gottes für uns bringt, damit wir nicht die Strafe erleiden müssen, die wir verdient haben. Um Vergebung der Sünden geht es am Kreuz, die nicht wir uns mit guten Werken verdienen müssen, sondern die er, der Sohn Gottes, dadurch erwirkt, dass er sein Leben für uns in den Tod gibt. Das Kreuz Jesu ist das Ende aller Religion, aller menschlichen Versuche, Gott mit eigenen Bemühungen gnädig stimmen zu wollen. Das Kreuz Jesu ist das Ende aller Gesetzesreligionen, auch des Islam, die vom Menschen verlangen, was doch nur Gottes Sohn selber zu leisten vermag. Das Kreuz Jesu ist zugleich das Ende aller Ungewissheit darüber, wie Gott zu uns steht und was er mit uns vorhat: Unser Leben will er, so zeigt er es gerade am Kreuz. Die Versöhnung zwischen sich und uns will er – und er bewirkt sie eben dadurch, dass der eine am Kreuz für uns alle stirbt.

Mohammad hat ein Gespür dafür gehabt, dass die Botschaft vom Kreuz seine ganze Verkündigung durcheinandergebracht, ja, durchkreuzt hätte. Für das Kreuz Jesu ist darum bei ihm kein Platz. Wie gut, dass er nicht recht hat, wie gut, dass Jesus eben doch am Kreuz gestorben ist. Ja, mehr noch: Wie gut, dass er dort gestorben ist – für uns! Amen.