29.05.2014 | Epheser 1,20b-23 | Christi Himmelfahrt
Pfr. Dr. Gottfried Martens

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“ – Ist es das, was wir heute am Tag der Himmelfahrt Christi feiern? Gleichsam die religiöse Fortsetzung der Internationalen Luftfahrtausstellung hier in unserer Stadt?

So ähnlich wird die Himmelfahrt Christi ja tatsächlich immer wieder verstanden, besser gesagt, missverstanden – selbst in Abbildungen christlicher Kunst. Da sind bei vielen Himmelfahrtsdarstellungen die Jünger auf dem Ölberg abgebildet, und ganz am oberen Bildrand baumeln dann aus einer Wolke noch die Füße Jesu nach seinem gelungenen Start nach oben. Doch nicht nur solch ein naives Missverständnis des Himmels als eines Raums oberhalb der Wolken legt Assoziationen zu Reinhards Mey Fliegerlied nahe; solche Assoziationen können einem durchaus auch beim Hören der Predigtlesung des heutigen Festtags kommen: Immer höher, immer höher geht es für Jesus darin, über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat. Doch wer so hoch nach oben kommt, gilt für den nicht letztlich auch, was Reinhard Mey hier beschreibt: „Dann würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein“? Unsere Sorgen, unsere Probleme – für Jesus dort oben oberhalb von allen Reichen und Mächten und Herrschaften nur noch winzige Kleinigkeiten? Unsere Angst vor der Deportation, unsere Angst vor der Abschiebung – für Jesus dort ganz oben nur ein winziger Kikifax? Unsere Depressionen, unsere Traumata nach dem, was wir in unserem Leben erfahren haben – für Jesus unbedeutend, nichtig, klein? Jesus dort oben in seiner eigenen Welt – umgeben von dem Jubel der Engel, während wir uns hier unten mit Grenzübertrittsbescheinigungen und anderer Post des Bundesamtes herumschlagen? Himmelfahrt – der Tag, an dem Jesus endgültig die Bodenhaftung verloren hat, endgültig in seine eigene Liga aufgestiegen ist, dorthin, wo ihm keiner mehr das Wasser reichen kann?

Schwestern und Brüder: Es ist ja nicht nur unsere heutige Predigtlesung, die uns zu solchen Gedanken verleiten mag; es ist einfach auch unsere ganz alltägliche Erfahrung: Wo ist er denn, Jesus, wenn ich ihn brauche? Wenn er der Herr der Welt ist, warum merke ich dann davon überhaupt nichts? Warum scheinen die Diktatoren dieser Welt so viel stärker zu sein als er? Warum unternimmt er denn nichts, wenn mich unmenschliche Gesetze in meinem Leben zu Boden drücken? Ja, warum sollte der heutige Tag seiner Himmelfahrt für mich denn ein Grund zum Feiern sein? Ist das, was uns an diesem Tag verkündigt wird, im Gegenteil nicht eher frustrierend?

Schwestern und Brüder: Es lohnt sich offenbar, noch einmal genauer hinzuschauen, was der Apostel Paulus hier in unserer Predigtlesung schreibt. Dann stellen wir zunächst einmal fest: Diese Worte unserer Predigtlesung sind doch ein Stück weit aus ihrem Zusammenhang herausgerissen. Denn das, was Paulus hier schreibt, ist eigentlich Teil eines Gebetswunschs, den er hier an dieser Stelle formuliert. Eine wunderbare Bitte spricht Paulus in den Versen vor unserer Predigtlesung aus: Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, schreibt er. Um die Realität unserer Welt, unseres Lebens wahrzunehmen, reicht es also nicht, sich abends die Nachrichten im Fernsehen anzuschauen oder eine Zeitung zu abonnieren. Um die Realität unserer Welt, unseres Lebens wahrzunehmen, reicht es auch nicht, sich die vier Wände im Asylbewerberheim anzuschauen, die einen umgeben. Sondern um zu erkennen, was wirklich in unserem Leben, in unserer Welt los ist, müssen wir mit dem Herzen schauen. Aber selbst damit würden wir unser Leben, würden wir unsere Welt nicht richtig erkennen, wenn Gott nicht in unserem Herzen sein Licht aufscheinen lassen würde. Und dann wird es auch um uns herum tatsächlich viel heller, als wir es zuvor wahrgenommen hatten.

Denn wir erkennen: Jesus ist eben nicht weit weg, nicht oberhalb von Wolke 7. Sondern er hat die Bodenhaftung sehr wohl behalten, ach, was sage ich: Das ist viel mehr als Bodenhaftung: Er erfüllt die ganze Kirche mit seiner Gegenwart, umgibt uns von allen Seiten, lässt uns hier in seiner Kirche immer wieder erfahren, dass er nicht verschwunden ist, dass er seine Herrschaft über die Welt nicht von einem fernen, unzugänglichen Ort ausübt, sondern hier in unserer Mitte. Himmelfahrt heißt in der Tat nicht, dass Jesus weg ist, dass er für uns nun nicht mehr greifbar ist. Himmelfahrt Christi heißt: Menschen auf der ganzen Welt können nun zugleich die Gegenwart des Herrn der Welt erfahren – nicht bloß so, dass sie an ihn denken, sondern so, dass sie ihn hören können, wenn er zu ihnen redet in seinem Wort, dass sie ihn berühren und fassen können, wenn er mit seinem Leib und Blut zu ihnen kommt und damit Menschen auf der ganzen Welt zu seinem Leib zusammenschließt.

Ja, da brauchen wir in der Tat schon erleuchtete Augen des Herzens, dass wir wahrnehmen, was auch heute wieder hier in unserer Mitte passiert: Dass Christus der Gastgeber dieses Gottesdienstes ist, nicht der Pastor. Dass es nicht darum geht, ob der Pastor mitbekommt, was wir in unserer Kirchenbank so alles machen, sondern dass es darum geht, dass wir staunen, dass er, der Herr der ganzen Welt, sich tatsächlich in diesem Kirchgebäude, dass er sich in den Gestalten von Brot und Wein finden lässt. Du musst nicht aus der Wolke baumelnden Füßen hinterherschauen, du darfst erfahren, wie dein Herr zu dir kommt, jawohl, mitten in dein Leben hinein mit all seinen Sorgen und Ängsten und Problemen, mit all den Dunkelheiten, Krankheiten und Verzweiflungen.  

Und dann denke daran: Der, dem du hier begegnest, der ist tatsächlich der Herr der Welt. All diejenigen, die sich als scheinbar unumschränkte Herrscher gebärden, all diejenigen, die dir jetzt noch Angst einjagen mögen, die werden einmal vor diesem Herrn auf die Knie fallen, die werden sich auch einmal für das, was sie jetzt tun, vor ihm verantworten müssen. Gott hat sie schon unter die Füße unseres Herrn Jesus Christus getan, so heißt es hier. Gott hat ihnen damit auch eine Grenze gesetzt, wenn sie anfangen sollten, sich selbst zu überheben, wird nicht zulassen, dass sie ihre Macht für immer missbrauchen. Der Fuß unseres Herrn Jesus Christus steht schon auf ihrer Schulter.

Gewiss, wir wünschen uns, dass das, was wir mit unserem Herzen schon erkennen können, bald auch ganz sichtbar werden möge, dass wir erleben, wie Christus auch sichtbar seine Herrschaft über alle Welt durchsetzen wird. Sehnsüchtig erwarten wir ihn, den Tag, an dem Christus einmal endgültig allem Unrecht dieser Welt ein Ende setzen wird, uns endgültig von aller Angst und Verzweiflung befreien wird. Doch wenn wir Gottesdienst feiern, dann dürfen wir gewiss sein: Wir nehmen hier schon die Zukunft voraus: Wir feiern schon hier und jetzt, was einmal auch all diejenigen erkennen und anerkennen werden, die jetzt von ihm, Christus, noch nichts wissen wollen, ihn und die, die zu ihm gehören, jetzt noch bekämpfen. Wer den Gottesdienst mitfeiert, ist seiner Zeit schon voraus, erlebt jetzt schon mit, was andere als ihre Zukunftsmusik noch nicht einmal erahnen. Ja, wir feiern ihn, der sich nicht jenseits der Wolken verkrümelt hat, sondern der bei uns bleibt und es zugleich mit denen aufnimmt, die allemal stärker sind als wir. Jesus hat seinen eigenen Weg, seine Herrschaft in dieser Welt durchzusetzen: nicht mit Gewalt, nicht mit Zwang, sondern mit der Macht seiner Liebe. Dagegen kommt keiner an – keine Taliban, kein Herr Ruhani, ja, noch nicht einmal der Tod selbst. Und von daher schenkt uns Christus tatsächlich die Perspektive, die Reinhard Mey in seinem Lied beschreibt: Da wird dann in der Tat all das, was uns groß und wichtig erscheint, alle Macht und Gewalt und Herrschaft dieser Welt und all diejenigen, die so gerne ihren Namen in der Öffentlichkeit hören, da wird all das, was uns so groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein, eben dort, wo er in unsere Mitte kommt: Christus, der auferstandene Herr, das Haupt über alles. Ich hoffe, du erfährst es heute auch, wenn du vom Altar wieder zurück in deine Bank gehst mit Christus in deinem Herzen: Was uns so groß und wichtig im Leben erscheint – es wird und bleibt: nichtig und klein. Halleluja! Amen.