29.06.2014 | 1. Korinther 9,16-23 | Tag der Apostel St. Petrus und Paulus
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Als ich mich gerade an die Vorbereitung dieser Predigt gemacht hatte, erreichte mich die erschütternde Nachricht, dass Superintendent Christof Schorling, Pastor der lutherischen Gemeinde in Freiburg, von einem mutmaßlich psychisch kranken Menschen bei einem Seelsorgegespräch in seinem Amtszimmer erstochen worden ist. Ich habe mit Christof Schorling zusammen in Oberursel studiert; immer wieder sind wir uns auf Konventen in den vergangenen Jahren begegnet. Er hat dasselbe getan, was ich auch tue: Christus in seiner Kirche als Pastor zu dienen. Und da stellte sich mir, nachdem ich diese Nachricht gehört hatte, doch auch wieder neu diese Frage: Was ist das eigentlich ein Dienst, den du da versiehst und bei dem es einem eben offenbar auch passieren kann, dass man in der Ausübung dieses Dienstes abgestochen wird?

Genau darum, Schwestern und Brüder, geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Sonntags, an dem wir den Tag der heiligen Apostel Petrus und Paulus begehen. Da spricht einer dieser beiden Apostel, da spricht Paulus sehr direkt und sehr persönlich von diesem Dienst, den er versieht, spricht von den besonderen Herausforderungen, die mit diesem Dienst verbunden sind. Und er spricht zugleich so davon, dass den Christen in Korinth damals und auch uns allen miteinander heute deutlich wird: Hier geht es nicht bloß um ein persönliches Problem des Paulus, hier geht es auch nicht bloß um die geistliche Nabelschau eines Amtsträgers. Sondern das, was er über seinen Dienst zu sagen hat, das betrifft auch die Glieder der Gemeinde damals und heute unmittelbar. Und so tun wir gut daran, genau auf das zu hören, was der Apostel Paulus hier über seinen Dienst zu sagen hat.

Eines macht der Apostel Paulus hier gleich zu Beginn ganz deutlich: Apostel zu sein ist kein Job, den man sich aussucht, weil er einem Spaß macht, den man vielleicht dann auch eine Weile betreiben kann und ihn dann auch wieder wechseln kann, wenn man dazu keine Lust mehr hat oder frustriert ist. Paulus hat sich das überhaupt nicht ausgesucht, Apostel zu werden. Im Gegenteil: Alles Mögliche hatte er im Sinn, als er sich damals auf den Weg Richtung Damaskus machte, um wieder ein paar Christen zu verhaften. Aber ganz sicher dachte er nicht daran, von dieser Reise als Apostel Jesu Christi zurückzukehren. Doch dann begegnete ihm der auferstandene Christus, nahm ihn in seinen Dienst – und damit war für Paulus jede weitere Entscheidung über seine Lebensaufgabe hinfällig: Apostel war er nun, von Christus selber mit Beschlag belegt, nicht nur für ein paar Monate oder Jahre, sondern für sein ganzes Leben. Ob er dazu Lust hatte, den Leuten das Evangelium zu verkündigen, oder nicht – das war nicht das Wichtige: Ich muss es tun, schreibt er; mir ist das Amt anvertraut. Da geht es nicht mehr um meinen Willen, sondern allein um den Willen dessen, der mich berufen hat. Ja, weh mir, schreibt der Apostel, wenn ich mich diesem Willen Christi widersetzen würde!

Ich bin kein Apostel, und Christof Schorling war auch keiner. Aber eines hatten wir gemeinsam, nicht nur miteinander, sondern auch mit Paulus selber: Wir haben uns das Amt nicht einfach selber ausgesucht. Gewiss, uns ist Christus nicht erschienen wie dem Paulus damals; wir haben jahrelang Zeit gehabt, uns auf den Dienst als Pastor vorzubereiten und zu überlegen, ob wir das wirklich wollen. Aber dann kam der Tag, an dem nicht mehr wir entschieden haben, sondern Christus über uns entschieden hat, der Tag unserer Ordination, an dem Christus selber uns mit Beschlag belegt hat, uns lebenslänglich den Auftrag gegeben hat, das Evangelium zu predigen. Und davon kommen all die, die Christus in diesen Dienst gerufen hat, nicht mehr los. Für uns alle gilt: Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!

Nein, der Dienst als Pastor ist auch für uns nicht einfach ein Job. Das Evangelium ist doch nicht einfach eine nette Unterhaltung, die wir einem mehr oder weniger interessierten Publikum möglichst ansprechend zu servieren haben. Sondern das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben. Darum, dass Menschen selig werden, darum, dass Menschen gerettet werden, geht es in diesem Dienst, so betont es Paulus hier sehr eindrücklich. Darum hat Christus ihn in die Pflicht genommen und ihm das Amt anvertraut – aus Liebe zu den Menschen, die durch das Evangelium zum Glauben geführt werden sollen. Und das gilt eben auch für die Pastoren heute: Christus legt ihnen einen Zwang, ein heiliges Muss auf – um der Menschen willen, denen ihr Dienst gilt. Wir können nicht anders – wir müssen es tun, müssen euch die frohe Botschaft weitersagen, ja, zunächst und vor allem natürlich, weil die Liebe Christi selber uns dazu treibt, die Freude, die er uns selber geschenkt hat. Aber dann eben auch, weil Christus uns in die Verantwortung gerufen hat, weil wir den Ruf, den wir von ihm in der Ordination erhalten haben, nicht wieder rückgängig machen können. Darum stehe ich heute Morgen hier vor euch – jawohl, gerne und aus eigenem Willen, und doch zugleich von Christus dazu genötigt: Ja, wehe mir, wenn ich euch das Evangelium nicht predigte, wenn ich meinen Dienst bei euch nicht versähe oder euch statt des Evangeliums etwas Anderes erzählen würde! Es geht doch darum, dass auch ihr durch das Evangelium gerettet werdet!

Das mit dem Ruf durch Christus hat nun allerdings auch ganz praktische Auswirkungen: Er war und ist nicht abhängig davon, dass man für den Dienst, den man im Auftrag Christi versieht, auch eine entsprechende Vergütung erhält. Ich bin froh und dankbar, dass ich durch euch finanziell so freigestellt bin, dass ich mir neben meinem Dienst als Pastor nicht noch irgendwo bei McDonalds zusätzlich Geld für meinen Lebensunterhalt verdienen muss. Genau das entspricht auch durchaus dem Willen Christi, so betont es der Apostel Paulus kurz vor Beginn unserer heutigen Predigtlesung: „So hat auch der Herr befohlen, dass, die das Evangelium verkündigen, sich vom Evangelium nähren sollen.“ Genau so haben es offenbar auch die anderen Apostel, hat es offenbar etwa auch der Apostel Petrus gehandhabt: Der war ja auch nicht alleinstehend, sondern hatte eine Ehefrau, für die er zu sorgen hatte und die er entsprechend auch auf seine Dienstreisen mitnahm. Doch Paulus verzichtet auf dieses Recht, das ihm eigentlich zusteht. Keinesfalls möchte er gegenüber anderen den Eindruck erwecken, er würde seinen Dienst nur als Job, nur als Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts ansehen. Er arbeitete lieber als Zeltmacher, als dass ihm jemand so etwas unterstellen konnte. Ich muss, wie gesagt, nicht nebenbei noch bei McDonalds jobben. Darüber bin ich froh. Aber wenn ich von der Kirche, wenn ich letztlich von euch nicht das nötige Geld bekäme, bliebe ich doch Pastor, bliebe ich doch euer Pastor, kann ich mich nicht einfach aus dem Staube machen. Der Ruf Christi hängt nicht an irgendeinem Gehaltszettel. Und es ist einzig und allein eure Verantwortung, was ihr daraus macht, ob ihr mich mit oder ohne entsprechende finanzielle Unterstützung arbeiten lasst. Für mich bleibt nur das eine: Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!

Nun klingt das mit dem Predigen des Evangeliums so einfach. Doch so einfach war und ist das nicht, so macht es der Apostel Paulus hier in unserer Predigtlesung deutlich: Das Evangelium gilt ja ganz unterschiedlichen Menschen, Menschen, die aus unterschiedlichen Kulturen stammen, die ganz unterschiedlich geprägt sind. Alle sollen sie erfahren, dass die frohe Botschaft auch ihnen gilt. Und genau darin hat Paulus die besondere Aufgabe seines Dienstes gesehen, ganz unterschiedlichen Menschen das Evangelium so zu verkündigen, dass er sich jeweils ganz auf ihre Situation eingelassen hat, damit diese Menschen erfuhren: Das Evangelium ist für uns nicht etwas Fremdes, Aufgesetztes, sondern das gilt in der Tat gerade uns, spricht in unser Leben, in unsere Lebenswelt hinein.

Dass wir Paulus nicht falsch verstehen: Er sagt nicht, dass er die Inhalte seiner Verkündigung der Erwartungshaltung seiner Zuhörer anpasst, dass er den Leuten das verkündigt, was sie gerne hören wollen. Es gibt kein anderes Evangelium für Juden und für Nichtjuden, für Iraner, Russen, Afghanen oder Deutsche. Es ist immer dieselbe Botschaft von Christus, von seinem Kreuz und seiner Auferstehung zu unserem Heil. Aber die, die dieses Evangelium verkündigen, sollen sich zugleich doch auf die Menschen einlassen, denen sie diese Botschaft sagen, sollen niemals den Eindruck erwecken, als ob Menschen, wenn sie Christen werden wollen, auch eine bestimmte kulturelle Prägung mit übernehmen müssten. Ja, die, die dieses Evangelium verkündigen, sollen dazu bereit sein, sich ganz unterschiedlichen Menschen zu öffnen, um sie gerade so zu gewinnen. Niemals dürfen wir als Kirche oder Pastoren eine Bunker-Mentalität pflegen, uns einmauern und glauben, wir könnten die Zukunft der Kirche allein mithilfe biologischer Fortpflanzung sichern. Es ging schon Paulus damals darum, für ganz unterschiedliche Menschen da zu sein, obwohl er wusste, dass er bei seinem Vorgehen ganz leicht Prügel von den jeweils anderen Gruppen, mit denen er sich auch befasst hatte, bekommen würde: Wieso beschäftigt er sich denn auch mit denen, wieso ist er für die denn auch da? Wir sollten ihm doch eigentlich reichen!

Und genau das bleibt bis heute die große Herausforderung für die, die im Amt der Kirche stehen: allen alles zu werden, um wenigstens einige zu retten, wie Paulus es hier formuliert. Türen zu öffnen kann gefährlich sein, so hat es Christof Schorling nun auf besonders tragische Weise erfahren. Doch Türen für Andere, für Unbekannte, für Fremde zu öffnen, kann auch in anderer Weise Konflikte mit sich bringen, so haben wir es auch in der Geschichte unserer Gemeinde in den letzten Jahren erfahren. Warum reicht es denn nicht, wenn wir als Deutsche nur unter uns bleiben? Ganz einfach: Weil es darum geht, möglichst viele Menschen für Christus zu gewinnen, möglichst viele Menschen zu retten. Und gerettet wird ein Mensch nicht dadurch, dass er ein Deutscher wird, sondern dadurch, dass er Christ wird, an Jesus Christus glaubt, auch wenn er sich deswegen vielleicht nicht auch zugleich an alle Konventionen hält, die hier in Deutschland üblich sind. „Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden“ – ach, wie aktuell sind die Worte des Apostels Paulus doch auch heute noch oder vielleicht gerade wieder neu!

Ja, fragen sollten wir uns alle miteinander, wie wir Menschen das Evangelium so nahebringen können, dass wir sie gewinnen, wie Paulus es hier formuliert. Menschen gewinnen wir nicht mit Zwang, sondern mit Liebe, mit Liebe, die aus sich herausgeht und sich gerade so als Liebe Christi erweist. Und Menschen gewinnen wir eben auch nicht dadurch, dass wir ihnen die Illusion vorgaukeln, die, die im Amt der Kirche stehen, seien immer nur stark und unverletzlich. „Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden“, schreibt der Apostel. Ja, schwach und verletzlich sind Pastoren in ihrem Dienst, nicht weniger auf Gottes Gnade und Erbarmen angewiesen als jedes andere Gemeindeglied auch, ja, in der Arbeit eben darauf angewiesen, dass sie von der Gemeinde getragen werden, wenn sie versuchen, allen alles zu werden.

Nein, Märtyrer sind Pastoren deswegen in aller Regel nicht. Dass Pastoren auch mit schwierigen, ja gefährlichen Menschen umzugehen haben, ist sicher richtig. Und doch weiß ich, dass viele von euch hier in Berlin schon sehr viel mehr für ihren Glauben riskiert und erlitten haben als ich, dass es eine ganze Reihe unter euch gibt, die sich schon von Muslimen hier in Berlin haben zusammenschlagen lassen, weil sie zu ihrem christlichen Glauben gestanden haben. Da kann ich von euch noch eine Menge lernen und mir von euch so manche Scheibe abschneiden. Vergessen wir aber vor allem alle miteinander nicht, was unser Auftrag als Kirche ist – ob nun im besonderen Amt der Kirche oder als Glied der Gemeinde: Es geht darum, Menschen zu retten. Dahinter muss alles andere zurückstehen: unsere persönlichen Eitelkeiten, unsere Sicherheitsbedürfnisse, unsere Bequemlichkeit. Wir sind als Kirche kein Selbstzweck. Alles hat der Ausbreitung des Evangeliums zu dienen. Ja, Gott geb’s, dass auch in unserer Mitte noch viele Menschen durch dieses Evangelium gerettet werden! Amen.