02.11.2014 | Offenbarung 7,9-17 | Gedenktag der Heiligen
Pfr. Dr. Gottfried Martens


In großen Scharen ziehen sie in diesen Wochen und Monaten aus vielen Ländern Europas nach Syrien: Junge Männer, die dem Versprechen ihrer Religion folgen, dass sie durch einen Märtyrertod im Heiligen Krieg damit rechnen können, im Paradies von 72 Jungfrauen empfangen zu werden. Was für eine Verblendung! Und was für eine Enttäuschung für sie, wenn sie dann schließlich werden feststellen müssen, dass am Ende ihrer Dschihad-Karriere nicht ein himmlisches Bordell auf sie wartet, sondern sie schlicht und einfach auf arabische Männerfantasien hereingefallen sind!

In der Epistel des Gedenktags der Heiligen dürfen wir nun schon einmal einen Blick in den wirklichen Himmel werfen. Und was wir dort erkennen können, ist nicht nur das glatte Gegenteil dessen, was die Gotteskrieger vom Islamischen Staat erwarten, sondern unterscheidet sich in so manchem auch von unseren eigenen Wünschen und Hoffnungen, die wir uns in Bezug auf den Himmel machen mögen. Ja, es ist eine sehr heilsame Aufklärung, die der Seher Johannes in den Versen unserer heutigen Predigtlesung für uns betreibt:

Zunächst einmal lässt uns St. Johannes erkennen: Es wird im Himmel richtig voll sein: eine große Schar, die niemand zählen konnte, versammelt sich vor dem Thron Gottes und vor Christus. Wir lieben es ja oftmals eher etwas kleiner und überschaubarer und gemütlicher: Reicht es denn nicht, wenn wir mit unserem Bekanntenkreis, wenn wir mit all denen, die dieselben theologischen Ansichten und denselben Musikgeschmack haben, mit dem Herrn Christus zusammen sind? Müssen denn da so viele andere unser trautes Beisammensein mit dem Herrn Christus stören? Ja, in der Tat: Der Himmel ist kein Kaffeekränzchen für eine kleine Schar von Auserwählten. Er bietet Raum für erheblich mehr Leute, als wir dies erwarten würden, ja für erheblich mehr Leute, als wir sie vielleicht selber hineinlassen würden. Und umgekehrt wird erst im Himmel erkennbar, dass es so viele Menschen gegeben hat, die durch Christus zum ewigen Leben gerettet worden sind, so viele Menschen, von denen wir von uns aus gar keine Ahnung gehabt hätten, weil unser Horizont hier in unserer Gemeinde, ja auch in unserer Kirche dafür viel zu begrenzt ist. Ja, freuen wir uns darauf, dass wir einmal mit so vielen gemeinsamen feiern werden, dass Gottes Türen so weit offen stehen!

Und dann lässt uns St. Johannes erkennen: Im Himmel wird nicht nur Deutsch gesprochen, auch nicht nur Englisch, da hört man auch Farsi und Dari und Arabisch, da hört man Kurdisch und Mongolisch und Chinesisch, da hört man alle Sprachen dieser Welt, ja, da feiern Menschen aus allen Nationen und Stämmen und Völkern. Der Himmel ist die ultimative Multi-Kulti-Veranstaltung, da geht es sogar noch bunter zu als hier in unserem Missionsprojekt in Steglitz. Wer den christlichen Glauben nur für ein Stück deutsches Kulturgut hält, der wird einmal überrascht sein, wie international es einmal im Himmel zugehen wird, wie die Unterschiede der Nationen und Stämme und Völker keine Belastung darstellen werden, sondern alle miteinander aufgehoben werden in der gemeinsamen Anbetung des Lammes Gottes, in der gemeinsamen Anbetung Jesu Christi, des gekreuzigten Herrn.

Und damit sind wir schon bei der nächsten Überraschung, die im Himmel auf uns wartet: Was den Himmel, was die Ewigkeit einmal so unbeschreiblich schön und beglückend machen wird, wird der gemeinsame Gottesdienst sein, den wir miteinander feiern werden. Der Gottesdienst ist also keine Pflichtübung, die wir hier auf Erden von Zeit zu Zeit auf uns nehmen müssen, damit wir darauf hoffen können, später im Himmel mal was Schöneres zu erleben. Sondern das ist unsere tiefste Bestimmung als Menschen, einfach mit Gott zu feiern, ihn zu loben und zu preisen. Das ist Freude, das ist Glück, gegen das auch 72 Jungfrauen niemals ankommen könnten. Nein, der Gottesdienst ist keine langweilige Angelegenheit, aus der man nach spätestens einer Stunde wieder weglaufen muss. Wer auch nur zu ahnen beginnt, was es bedeutet, in der Gegenwart Gottes feiern zu dürfen, der wird auch zu begreifen beginnen, was eigentlich den tiefsten Sinn unseres Lebens ausmacht: Gott zu feiern, der unser Leben mit nie mehr endendem Glück erfüllt.

Doch St. Johannes hat noch mehr Überraschungen für uns parat: Er zeigt uns, warum Menschen denn eigentlich in den Himmel kommen. Sie kommen dort nicht deshalb an, weil sie ein so anständiges Leben geführt haben, weil sie so gut und so hilfsbereit und so freundlich waren. Sie kommen dort auch nicht deshalb an, weil sie so fromm waren, weil sie sich so sehr für die Kirche eingesetzt haben. Sondern sie kommen dort an, weil sie ihre Kleider hell gemacht haben im Blut des Lammes, so heißt es hier in der Offenbarung St. Johannis. Gemeint ist: Sie haben die Vergebung Christi empfangen, seine Gerechtigkeit, die er für sie erworben hat, als er sein Blut für sie am Kreuz vergossen hat. All unsere Vorstellungen davon, dass der Himmel eine Belohnung für ein moralisch anständiges Leben ist, werden hier von Johannes mit einem Satz durchkreuzt. Nicht wir verdienen uns den Himmel – er wird uns geschenkt, wird uns zuteil allein durch Christus, durch das, was er für uns getan hat.

Eines macht uns unsere Predigtlesung dann allerdings auch noch deutlich: Die Normalsituation von Menschen, die von Christus in seine Gemeinschaft gerufen werden, besteht nicht darin, dass sie völlig ohne Probleme ihren Glauben praktizieren können, dass ihre größten Schwierigkeiten höchstens darin bestehen, dass sie sonntags morgens etwas früher aus dem Bett aufstehen müssen oder etwas länger mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Kirche unterwegs sein müssen. Die Normalsituation von Christen, so zeigt es uns St. Johannes, besteht darin, dass Menschen um ihres Glaubens willen Nachteile in Kauf nehmen, bedrängt, verfolgt, ja sogar getötet werden. Die Normalsituation von Christen ist weit eher die der Christen im Iran und Afghanistan als die der Christen in Deutschland. Die Normalsituation von Christen besteht darin, dass sie „aus der großen Trübsal kommen“, so formuliert es die Johannesoffenbarung hier. Nein, das bedeutet natürlich nicht, dass wir uns nun künstlich zu Märtyrern machen sollen, dass wir anfangen sollten, es den Schiiten nachzumachen, die nun ab Montag ihr Aschura-Fest feiern und sich den Rücken blutig geißeln. Wenn wir unbedrängt und in Freiheit unseren christlichen Glauben praktizieren können, dann sollen wir von Herzen dankbar sein. Aber ermutigen lassen sollen wir uns zugleich von all denjenigen, die für Christus so viel riskiert und aufgegeben haben, nicht selten sogar ihr Leben, uns durch nichts und niemand von Christus abbringen zu lassen. Ja, eben auch darum feiern wir den Gedenktag der Heiligen, die uns mit ihrem Leben ermutigen, dranzubleiben an Christus, unserem Herrn.

Einen Blick in den Himmel lässt uns St. Johannes in der Epistel des heutigen Festtags werfen. Aber das heißt nicht, dass er uns nur in die Zukunft blicken lässt. Nein, der Gottesdienst, den er dort beschreibt, der ist Gegenwart, der wird gefeiert, während wir uns hier in der Dreieinigkeitskirche versammelt haben. Und so lässt uns der Blick in den Himmel besser verstehen, was hier auf Erden, was hier in unserer Mitte geschieht: Er lässt uns verstehen, wie kleinkariert wir denken würden, wenn wir uns Kirche nur als einen kleinen, überschaubaren Club vorstellen, in dem uns möglichst keiner stören sollte. Er lässt uns verstehen, wie kleinkariert wir wären, wenn wir uns nur eine Kirche vorstellen können, in der alle dieselbe Herkunft, dieselbe Mentalität, ja, auch dieselbe Sprache haben wie wir, in der Menschen aus anderen Kulturkreisen nur als Störung wahrgenommen werden. Wie viel weiter, wie viel größer ist die Kirche, als wir es normalerweise auch nur ahnen! Und wie viel weiter, wie viel größer sind auch unsere Gottesdienste als das, was wir zunächst vor Augen haben und wahrnehmen! Ahnen wir etwas davon, dass wir unsere Gottesdienste gemeinsam mit einer nicht zu zählenden Zahl von Engeln und Heiligen vor dem Thron Gottes feiern – oder denken wir allen Ernstes, der Gottesdienst sei letztlich nur eine Veranstaltung des Pastors? Nein, hier kommt tatsächlich der Himmel auf die Erde, hier erfahren wir, wie selbst der Tod die Einheit des Leibes Christi nicht zu zertrennen vermag.  Vor allem aber lässt uns ein Blick in den Himmel erkennen, worauf es hier auf Erden wirklich ankommt: zuerst und vor allem, dass wir uns immer wieder reinwaschen lassen mit dem Blut Christi, dass wir Gottes Vergebung empfangen in der Beichte und im Heiligen Mahl, dass wir in Christus bleiben und leben. Denn Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn, jawohl, in den wirklichen Himmel, in den mit Christus, dem Lamm Gottes, in der Mitte, in den Himmel, in dem Gott einmal all unsere Tränen abwischen wird. Amen.