30.11.2014 | St. Matthäus 21,1-9 | Erster Sonntag im Advent
Pfr. Dr. Gottfried Martens


Als ich noch in Zehlendorf lebte, wohnte in meiner Nachbarschaft der frühere Protokollchef der Bundesregierung. Der erzählte mir mal, mit was für einer Sorgfalt Staatsbesuche im Ausland protokollarisch vorbereitet werden. Da fährt dann schon längst vor dem eigentlichen Staatsbesuch ein Team in das entsprechende Land, geht alle Schritte des Bundespräsidenten schon einmal im Voraus ab, überlässt auch die kleinste Kleinigkeit nicht dem Zufall. Schließlich möchte man jede Form von protokollarischen Pannen oder gar protokollarischen Verwicklungen mit dem besuchten Land vermeiden.

Nicht nur um den Besuch eines Bundespräsidenten, sondern um den Besuch eines Königs geht es im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags. Ja, ein richtiger König hält hier seinen Einzug. Auch da waren gewisse protokollarische Vorkehrungen nötig, da wird auch erst einmal ein Team losgeschickt, um den Einzug vorzubereiten. Allerdings steuert der König hier in unserer Geschichte diese Vorbereitungen noch sehr viel direkter als der Bundespräsident einen Staatsbesuch, sorgt persönlich dafür, dass die entscheidenden Hilfsmittel für den Einzug auch rechtzeitig an Ort und Stelle sind. Sogar für einen Ersatzesel wird gesorgt – für den Fall, dass das erste Tier aus irgendeinem Grunde schlapp macht. Beim Einzug selber geht es dann allerdings sehr viel spontaner zu als bei einem Staatsbesuch eines Bundespräsidenten. Der Jubel der Menschen am Straßenrand, die Kleider auf dem Weg – all das war von keinem Vorauskommando zuvor geprobt worden. Doch zugleich waren hier auch keine protokollarischen Verwicklungen zu befürchten, denn der, der da seinen Einzug hält, reitet ja bewusst auf einem Esel, unterlässt jegliche Form der Machtdemonstration oder gar der Drohgebärden, bietet bei seinem Einzug in Jerusalem etwa dasselbe Bild, als wenn die Queen auf einem Mofa vor dem Schloss Bellevue vorfahren würde.

Aber nun würden wir die Worte unseres heutigen Evangeliums eben nicht richtig verstehen, wenn wir sie nur als Schilderung einer protokollarischen Zeremonie vor knapp 2000 Jahren hören würden. Sondern die Worte des Propheten Sacharja, mit denen der Evangelist St. Matthäus diesen Einritt Jesu in Jerusalem erklärt und deutet, gelten eben auch dir, liebe Steglitzer Gottesdienstgemeinde an diesem Ersten Sonntag im Advent, gelten eben auch dir, liebe Schwester, lieber Bruder, ganz persönlich: „Siehe, dein König kommt zu dir!“
„Dein König kommt zu dir“ – Wenn wir uns klarmachen, was das eigentlich heißt, dann löst das bei uns dreierlei aus:

-    Erschrecken
-    Staunen
-    Freude

I.
Von einem König ist hier die Rede. Ja, gewiss, Könige gibt es auch heute noch. Aber sie haben fast alle nichts mehr zu sagen. Sie sind interessante Themen für die Klatschpresse, sorgen für ein bisschen Glanz und Feierlichkeit, und sicher würden wir schon ein wenig beeindruckt sein, wenn mit einem Mal hier bei uns in der Kirche oder bei uns zu Hause die Queen oder irgendein echter König in der Tür stehen würde.

Doch der König, der in Jerusalem einzieht, der auch zu dir kommen will, ist nicht bloß ein Grüßaugust. Sondern der ist ein König, der wirklich etwas zu sagen hat, der wirklich der Herr deines Lebens ist, der nicht nur feierliche Worte daherredet, sondern dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden. Und wenn wir uns mal klarmachen, was das eigentlich bedeutet, dann passt uns solch ein Herrscher eigentlich gar nicht in den Kram. Wir lassen uns nicht gerne in unser Leben hineinreden oder gar hineinregieren. Wir wissen doch selber, was für uns gut ist, was richtig ist. Was richtig ist, das bestimmt doch die Mehrheit, das ist so offensichtlich, dass alle das wollen und machen, da kann doch kein König ankommen und dem widersprechen! Als ein Angebot unter vielen, als eine Meinung unter vielen lassen wir ihn ja vielleicht noch gelten. Aber dass er Anspruch auf unser ganzes Leben erhebt, auf unsere Zeit, auf unser Denken, auf unser Reden, gerade auch auf das hinter dem Rücken anderer, auf unseren Körper, das geht uns dann in der Praxis doch zu weit. Wir sind doch freie Menschen!

Doch ob wir es mögen oder nicht: Er ist und bleibt dein König, derselbe, der damals auf dem Esel in Jerusalem eingeritten ist. Der will tatsächlich dein ganzes Leben regieren, nicht nur zwei Stunden in der Woche am Sonntag, oder möglicherweise sogar nur eine. Vor seinem Thron wirst du einmal stehen, jawohl, vor seinem Thron, so altmodisch das auch klingt. Du wirst ihm tatsächlich einmal begegnen, und er wird dich fragen, ob du ihn als König deines Lebens respektiert hast, wird dich fragen, mit welchem Respekt du ihm hier im Gottesdienst begegnet bist, mit welchem Respekt du an seine Gebote gedacht hast im Alltag, mit welchem Respekt du auf sein Wort gehört hast.

Ja, wir tun gut daran, uns heute an diesem Ersten Sonntag im Advent daran zu erinnern, dass wir als Christen in der Tat in einer Monarchie leben, in einer absoluten Monarchie, die sich auch nicht umwandeln lässt, dass wir einen König haben, der von uns ganzen Respekt und ganzen Gehorsam erwarten kann, einen König, der einmal auch dein Richter sein wird, dem du dich nicht entziehen kannst.

II.
Ja, erschrecken werden wir hoffentlich, wie wenig das uns in unserem Alltag, ja oft genug sogar hier im Gottesdienst bewusst ist, dass wir unter einem König leben, und dass dieser König zu uns kommt, nach uns fragt, nach unserem Leben fragt. Ja, wir ahnen: Vor diesem König müssten wir einmal im Boden, ja in der Hölle versinken, wenn er uns einmal zur Rechenschaft ziehen wird.

Doch nun schau ihn dir zugleich an, diesen König, wie er hier in Jerusalem Einzug hält: Er reitet nicht auf einem Pferd ein, nicht auf einem Schlachtross, demonstriert nicht seine Stärke und Macht. Der da Einzug hält, reitet auf einem Esel, kommt arm und sanftmütig zu seinem Volk, kommt ebenso auch zu dir. Er wollte damals nicht mit Gewalt sein Volk unter seine Herrschaft zwingen, er wollte nicht mit einer beeindruckenden Show groß herauskommen und die Leute begeistern. Ganz sanft und unscheinbar kommt er in seine Stadt.
Und nicht anders kommt er auch zu dir, dein König. Er will dich nicht mit Drohungen, nicht mit Gewalt, nicht mit staatlichen Gesetzen unter seine Herrschaft zwingen. Ganz unscheinbar kommt er zu dir, klopft bei dir an, bittet um Einlass bei dir, mehr nicht. Er erleidet es, dass du dich von ihm abwendest und ihn verachtest, er erleidet es, dass du ihm auch hier im Gottesdienst den Rücken zuwendest und von ihm weggehst, er erleidet es, dass du ihn nicht ernst nimmst, ihn nur als Mittel zum Zweck benutzt. Ja, er geht das Risiko ein, dass du ihn abweist. Denn er will dein Herz gewinnen, und das kann er nur so gewinnen, dass er arm und sanftmütig wird – für dich. Er spricht auch jetzt zu dir in dieser Predigt, nein, nicht beeindruckend, nicht mitreißend, bescheiden, vielleicht gar anstößig. Aber es ist doch dein König, der hier und jetzt um dein Herz wirbt. Er kommt gleich zu dir auf dem Esel von Brot und Wein im Heiligen Mahl, so klein, so unscheinbar, dass man ihn glatt übersehen kann, gar nicht begreift, dass er es selber ist, der da zu dir kommt, der König aller Königreich.

Ja, auf einem Esel ritt Jesus damals in Jerusalem ein, und er wusste genau, warum er in diese Stadt einritt: um bald darauf für die Schuld seines Volkes, ja für die Schuld der ganzen Welt am Kreuz zu sterben, um die Strafe der ganzen Welt auf sich zu nehmen.

Und genau darum kommt er nun auch heute zu uns, hier in unsere Mitte, genau darum klopft er so leise und doch so eindeutig bei dir an: Er will dir bringen, was du am allernötigsten brauchst: Seine Vergebung, sein Heil, sein Leben.

Übersieh ihn ja nicht, staune vielmehr darüber, wie klein sich dieser große König macht für dich, wie er darauf verzichtet, dich zu nötigen, wie er, der König, dir dient, indem er dich beschenkt mit seiner Vergebung!

III.
Und dann bleibt es hoffentlich bei dir nicht bloß beim Staunen. Dann fängst du hoffentlich gleichsam von selbst an zu singen und zu jubeln, wie es damals die Jünger, wie es damals die Menschen am Straßenrand vor den Toren Jerusalems getan haben. Dann fängst du hoffentlich von selbst an, fröhlich „Hosianna“ zu singen. Denn das heißt doch: Herr, hilf doch! Du bist es doch, der mir helfen, der mich retten kann, der meine Schuld tragen und wegnehmen kann! Ja, wie gut, dass du mein König bist, dass du mich beherrschst, dass ich mich nicht beherrschen lassen muss von dem, was andere über mich oder für mich denken, dass ich mich nicht beherrschen lassen muss von meinen Trieben, von meinen Wünschen, anderen Gleiches mit Gleichem zu vergelten! Wie gut, dass du mein König bist und kommst, um mir Leben zu schenken, ewiges, unvergängliches Leben!

Ja, wer das erkannt hat, der kann nicht stumm bleiben, der wird das auch singen wollen. Schön hat das Singen damals vor den Stadttoren Jerusalems wahrscheinlich nicht unbedingt geklungen. Es sollte ja auch kein Konzert sein, sondern Huldigung derer, die von diesem König alles, ihr Heil, ihre Rettung erwarteten. Schön muss auch unser Singen nicht unbedingt klingen. Aber es wäre doch schön, wenn auch wir hier in den Kirchenbänken nicht stumm blieben im Gottesdienst, nicht bloß dabeisitzen würden, als wenn wir unbeteiligte Zuschauer wären! Es muss nicht gleich alles perfekt sein. Aber dass der Jubel für unseren König im Laufe der Zeit immer lauter wird hier in unserer Mitte, das wäre doch schön! Wir haben doch allen Grund dazu. Wir sind hier doch nicht bloß unter uns. Jesus Christus, der lebendige Gott, kommt in unsere Mitte. Wenn schon Fußballfans im Stadion laut singen, wenn ihre Mannschaft ein Tor geschossen hat, wieviel mehr Grund zum Singen haben dann auch wir, wenn der Sieger über den Tod zu uns kommt! Rufen wir es ihm darum laut und kräftig zu, wenn er gleich auf dem Esel von Brot und Wein eingeritten kommt: „Hosianna in der Höhe!“ Amen.