31.12.2014 | St. Lukas 12,35-40 | Altjahresabend
Pfr. Dr. Gottfried Martens

„Fast jeder zweite Deutsche geht laut einer repräsentativen Umfrage mit großer Zuversicht ins neue Jahr. Mit 45 Prozent habe der Anteil der Optimisten im Dezember 2014 einen neuen Höchstwert erreicht, sagte der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski unter Berufung (auf) eine Studie des Instituts Ipsos. ... Die Pessimisten sind mit 27 Prozent deutlich in der Minderheit. ... ‚Das persönliche Wohlergehen der Bevölkerung in Deutschland erreicht ein Rekordniveau‘, konstatiert der Zukunftsforscher.“ So konnte man es vor einigen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ nachlesen.

Warum blicken die Menschen hier in Deutschland so positiv in die Zukunft? Ganz einfach: Sie schauen zurück in die Vergangenheit und gehen davon aus, dass es gute Gründe dafür gibt, dass es so, wie es im Augenblick läuft, auch weitergehen wird, ja, dass sich Entwicklungen aus der Vergangenheit in der Zukunft noch weiter positiv auswirken werden. Wenn es der Wirtschaft in Deutschland gut geht, wenn es mir gesundheitlich einigermaßen gut geht – dann habe ich doch allen Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken, oder?

Heute Abend werden sich viele Menschen hier in Deutschland wieder den schönen Film „Dinner for one“ anschauen. Diesen Film anzuschauen ist mittlerweile schon genauso zu einem Ritual geworden wie das Ritual selber, das in diesem köstlichen Film beschrieben wird: „Same procedure as last year?“ „Same procedure as every year!“ Ja, was die Lady vom Butler in diesem Film erwartet, ist letztlich genau das, was wir uns selber auch an dieser Jahreswende erhoffen: Hoffentlich läuft alles so weiter wie bisher!

Und wenn nun an diesem Abend Menschen in die Kirche kommen, dann bringen viele von ihnen genau diese Erwartungshaltung, diesen Wunsch auch hierher mit: Hoffentlich bestärkt uns der Pastor in dieser Gewissheit, dass auch in Zukunft alles so weitergehen wird wie jetzt, dass wir von daher zuversichtlich ins neue Jahr blicken können!

Stattdessen habe ich euch heute Abend einen möglichen Einbruch bei euch anzukündigen, habe euch anzukündigen, dass ihr möglicherweise eine sehr unliebsame Überraschung erleben könntet, den Besuch von einem Einbrecher, wenn ihr nicht zuvor die notwendigen Vorkehrungen getroffen habt. „Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.“ – So haben wir es eben im Heiligen Evangelium gehört. Jesus hat offenkundig Humor: Sich selber mit einem Dieb zu vergleichen, das hat schon was. Offenbar will Jesus uns hier an dieser Stelle kräftig aufrütteln, damit uns klar wird, wie kurzsichtig der Optimismus der Deutschen ist, den der Hamburger Zukunftsforscher in seiner Studie beschreibt, ein Optimismus, der sich allein aus der Vergangenheit speist, weil er für die Zukunft nichts anderes als eine leicht veränderte Vergangenheit erwartet.

Doch die Zukunft, die Christus hier ankündigt, bedeutet gerade nicht: „Same procedure as every year!“ Sondern sie bedeutet: Es wird alles, wirklich alles völlig anders werden, als es bisher war. Vor uns liegt ein Ereignis, das noch überraschender sein wird als ein Einbruch, ja das so anders sein wird als alles, was wir bisher erlebt haben, dass wir selbst als Christen immer wieder Schwierigkeiten haben, es in unser Denken und Handeln irgendwie zu integrieren: Vor uns liegt nicht weniger als die Wiederkunft des Herrn.

Ja, ich weiß: Wir bekennen dies in jedem Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen im Glaubensbekenntnis, wir haben es im Unterricht gelernt, und wir wollen das ja irgendwie auch gar nicht bestreiten, dass Christus wiederkommt. Aber es bleibt für uns dann eben doch oft genug graue Theorie, von der wir dann schnell wieder zur Praxis zurückkehren: zur Planung unseres Alltags, unseres nächsten Urlaubs, zur Planung unserer Ausbildung, zur Planung unseres Lebens nach unserer Anerkennung als Flüchtlinge. Und weil das alles ja so viel Zeit kostet, liegt der Gedanke dann so nahe, den Herrn Jesus wenigstens zeitweise erst mal ein wenig weiter nach hinten in unserem Leben zu packen. Später, später, wenn wir mal weniger zu tun haben, können wir uns ja immer noch mit ihm beschäftigen! Aber jetzt haben wir für ihn einfach keine Zeit!

„Später, später“? „Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.“ Seit wann wissen wir, dass Christus im Jahr 2015 noch nicht wiederkommt, dass er sein Kommen auf irgendeine Zeit nach unserem Ruhestand, vielleicht gar erst nach unserem Tod verschoben hat? Schwestern und Brüder: Dass wir uns nicht missverstehen: Ich sage nicht voraus, dass Christus in diesem kommenden Jahr wiederkommen wird. Natürlich können wir den Termin des Kommens des Herrn nicht ausrechnen. Aber es gibt eben umgekehrt auch keinen Tag, auch nicht im Jahr 2015, an dem wir gewiss sein könnten, dass er, der Herr, noch nicht wiederkommt, dass es noch nicht so weit ist.

Und das hat nun in der Tat Konsequenzen für unser Leben als Christen. Das Bild mit dem Kommen des Diebes dürfen wir ja nun nicht zu weit ausziehen. Jesus will mit diesem Bild nur deutlich machen, dass er überraschend kommen wird, gerade nicht dann, wenn alle mit seinem Kommen rechnen. Aber er will natürlich nicht, dass wir uns in unserem Leben vor seinem Kommen verbarrikadieren und alles versuchen, was wir können, um ihn nicht bei uns in unser Haus, in unser Leben hineinzulassen.

Im Gegenteil: Jesus gebraucht hier ein zweites, wunderbares Bild, das uns helfen kann, unser Leben in der Erwartung der Wiederkunft des Herrn zu führen. Er erzählt von einem Hausherrn, der auf eine große Party gegangen ist, auf eine Hochzeitsfeier. Und das kennen wir ja: Hochzeitsfeiern können lange dauern, da kann es sich bis zum Morgen hinziehen, bis die letzten Gäste gegangen sind. Und dieser Hausherr erwartet nun von seinen Knechten im Haus, dass sie auf ihn warten, dass sie nicht einschlafen und ihn nachher vor der Tür stehen lassen, wenn er kommt, sondern das ganze Haus beleuchtet lassen in der fröhlichen Erwartung, dass der Hausherr jederzeit wiederkommen kann.

Wieso fröhliche Erwartung? Ist das nicht eine Zumutung, dass die Knechte die ganze Nacht da im Haus warten sollen, nur damit sie dann am Ende dem nächtlichen Partygänger die Tür aufmachen können? O nein, es geht doch nicht bloß um das Öffnen der Tür. Da kommt noch etwas – und was da kommt, ist so wunderbar und so großartig, dass sich dafür das Warten in der Tat lohnt. Der Hausherr wird sich bei seinem Kommen nicht als Pascha aufführen, der die Knechte herumkommandiert. Sondern er wird sich die Kleidung der Knechte anziehen, wird die Knechte zu Tisch bitten, ihnen ein Essen zubereiten und sie bedienen. Der kommende Herr wird mit seinen Knechten ein Fest feiern und sie bedienen – darum lohnt es sich für die Knechte, wachzubleiben.

Darum, Schwestern und Brüder, lohnt es sich für uns als Christen, geistlich wachzubleiben in der Erwartung des Kommens des Herrn. Was uns erwartet, wenn Christus kommt, ist so wunderbar und so großartig, dass es Wahnsinn wäre, dieses Kommen zu verschlafen, ja sich darauf gar nicht mehr zu freuen: Christus wird mit uns ein Fest feiern, das unendlich großartiger sein wird als alles, was wir uns hier auf Erden vorstellen können. Er wird ein Fest feiern, das nie mehr enden wird – und das Beste wird sein: Bei diesem Fest wird Christus uns bedienen! Das ist die Zukunft, auf die wir uns freuen können, der wir nicht einfach nur optimistisch entgegenblicken können, sondern die uns auch im Jahr 2015 in all dem Schweren, was vor uns liegen mag, entgegenstrahlt: Wir brauchen keine Angst zu haben vor dem Kommen des Herrn. Er kommt nicht, um uns zusammenzustauchen, um uns aus seinem Haus zu werfen und in die Hölle zu befördern. Sondern er kommt, um uns in Liebe zu bedienen, in alle Ewigkeit. Ja, das heißt Ewigkeit, so erläutert es uns Christus hier selber: Ewig von ihm, Christus, dem Herrn der Welt, bedient zu werden, ewig an seinem Tisch zu sitzen und seine Liebe leibhaftig zu erfahren.

Schwestern und Brüder: Ahnt ihr wenigstens, wie viel besser wir es als Christen haben als all diejenigen, die nur optimistisch in die Zukunft für das Jahr 2015 blicken und letztlich nur darauf hoffen, dass alles so bleibt, wie es war? Ahnt ihr, wie viel besser wir es als Christen haben, selbst wenn uns in diesem neuen Jahr Schmerzliches oder auch einfach nur weiteres scheinbar vergebliches Warten bevorsteht? Ich kann euch nicht versprechen, dass euer Warten auf die Anerkennung als Flüchtlinge im Jahr 2015 zu Ende sein wird. Ich kann euch nicht versprechen, dass ihr euch im kommenden Jahr immer gut fühlen werdet. Aber Christus verspricht euch, dass sich das Warten auf ihn lohnt – hundertprozentig, dass alles, was wir im neuen Jahr erfahren werden an Schönem und Schweren von daher seinen Sinn erhält, dass es Vorbereitung ist auf den Augenblick, an dem Christus bei uns anklopfen und eintreten wird.

Verpennt darum ja nicht euer Leben, glaubt ja nicht, es gäbe auch nur einen Tag in eurem Leben, an dem Christus und sein Kommen für euch unwichtig sein könnte! Ja, holt ihn euch darum, den einzig wahren Wachmacher, der euch immer wieder durchhalten lässt, wenn sich das Kommen des Herrn immer weiter hinzuziehen scheint: Kommt immer wieder hierher an seinen Altar, wo er, der Herr, doch schon heute zu euch kommt und euch bedient, sich für euch ganz klein macht und euch seinen Leib und sein Blut reicht, ja, derselbe Herr, der einmal vor allen Menschen stehen wird und sie fragen wird, ob sie auf ihn gewartet haben, ob sie vorbereitet waren auf seinen Tag.

Heute Nacht werden wieder viele Feuerwerke den Himmel erleuchten. Ein paar Stunden wird dann der Himmel hell werden, bevor er dann wieder dunkel wird wie zuvor. Unsere christliche Hoffnung ist nicht bloß ein Feuerwerk, das wir für zwei Stunden hier in der Kirche entzünden. Die trägt uns hindurch durch das neue Jahr, macht unser Leben immer wieder hell, auch wenn uns noch so viel Dunkles umgeben mag. Ja, Gott geb’s, dass sich im neuen Jahr noch viele weitere Menschen von diesem Licht, das bei uns leuchtet, angezogen fühlen und zu uns kommen, ja mit uns warten auf ihn, den Herrn – bis er schließlich anklopfen wird! Amen.