23.08.2007 | St. Lukas 22, 24-30 (St. Bartholomäus)

ST. BARTHOLOMÄUS – 23. AUGUST 2007 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 22,24-30

Es erhob sich auch ein Streit unter ihnen, wer von ihnen als der Größte gelten solle. Er aber sprach zu ihnen: Die Könige herrschen über ihre Völker, und ihre Machthaber lassen sich Wohltäter nennen. Ihr aber nicht so! Sondern der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste und der Vornehmste wie ein Diener. Denn wer ist größer: der zu Tisch sitzt oder der dient? Ist's nicht der, der zu Tisch sitzt? Ich aber bin unter euch wie ein Diener. Ihr aber seid's, die ihr ausgeharrt habt bei mir in meinen Anfechtungen. Und ich will euch das Reich zueignen, wie mir's mein Vater zugeeignet hat, dass ihr essen und trinken sollt an meinem Tisch in meinem Reich und sitzen auf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels.

„Pfarrerinnen und Pfarrer sind leitende geistliche Mitarbeitende der evangelischen Kirche. Zu ihren Schlüsselkompetenzen gehören theologische Urteilsfähigkeit und geistliche Präsenz, seelsorgerliches Einfühlungsvermögen und kommunikative Kompetenz, Teamfähigkeit und Leitungsbereitschaft, Qualitätsniveau und Verantwortung für das Ganze der Kirche. Lebenslanges Lernen und beständige Fortbildung sind selbstverständliche Grundelemente des Berufes.“ So sieht eine der Zielvorgaben aus, die im Impulspapier der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem schönen Titel „Kirche der Freiheit“ formuliert wird. Pfarrerinnen und Pfarrer leiten, sie können verschiedenste Kompetenzen und ein bestimmtes Qualitätsniveau vorweisen. Ja, wenn die Kirche in Zukunft überleben will, dann muss sie solche Erwartungen formulieren, dann kann sie nicht davor die Augen verschließen, dass auch sie ein großes Wirtschaftsunternehmen ist, das sich im Wettbewerb befindet – möchte man meinen.
Doch was so einleuchtend klingen und erscheinen mag, hat so herzlich wenig mit dem Berufsbild zu tun, das Christus selber für seine Apostel und diejenigen, die in ihrer Nachfolge im Amt der Kirche stehen, im Heiligen Evangelium dieses Aposteltages entwirft. Da geht es gerade nicht um Leitungsbereitschaft, darum, oben zu stehen oder nach oben zu kommen. Wie heißt es so schön in dem Impulspapier: „Ebenso sollte unter Kompetenz- und Leistungsgesichtspunkten auf besonderen Pfarrstellen auch die Möglichkeit einer Höherstufung vorgesehen werden. … die Möglichkeit, besondere Leistungen auch finanziell zu würdigen, sollte nicht generell ausgeschlossen werden.“
„Es erhob sich auch ein Streit unter ihnen, wer von ihnen als der Größte gelten sollte.“ – So heißt es entsprechend hier im Heiligen Evangelium. Das zeugt doch wahrlich von Leitungsbereitschaft, wenn vielleicht auch weniger von Teamfähigkeit, wenn die leitenden geistlichen Mitarbeitenden so nach oben wollen und dazu bereit sind, ihre Kompetenzen auf höherem Niveau unter Beweis zu stellen! Doch Jesus reagiert auf diesen Drang nach oben ganz anders: „Ihr aber nicht so!“ – So hält er den leitungsbereiten Aposteln entgegen. Leitbild für den Dienst eines Apostels ist für ihn nicht der leitende Angestellte einer mittelständischen Firma, sondern der Haussklave, der den Besuchern des Hauses die Füße wäscht. Karriereleitern in der Kirche führen gerade nicht nach oben, sondern nach unten. Nicht die Gemeinde hat dem Pastor zu dienen und ihm zu zeigen, was für einen gesellschaftlich anerkannten Beruf er doch ausübt, sondern der Pastor hat der Gemeinde zu dienen, sollte seinen Dienst gerade nicht so ausüben, dass er ihr gegenüber Ansprüche geltend macht.
Aber es ist doch heute nun mal so, dass wir in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens Führungspersönlichkeiten suchen, die vorangehen und an denen wir uns orientieren können, mag man einwenden; das klappt doch nicht, dass wir uns an dem orientieren, der ganz unten an letzter Stelle steht – so mögen wir einwenden. Doch genau so funktioniert Kirche, genau darum geht es im christlichen Glauben, so macht es Christus seinen Aposteln, so macht er es auch uns hier sehr eindringlich deutlich. Wenn es jemanden gibt, der das Recht dazu hätte, eine Leitungsposition einzunehmen, Karriere zu machen, sich von anderen bedienen zu lassen, dann wäre dies natürlich Christus selber, er, der hier in unserer Predigtlesung kaum verhüllt sein „Ich bin“ spricht: „Ich aber bin unter euch“. Doch dieser „Ich bin“ verhält sich eben gerade nicht so, wie man sich heute nun mal klugerweise verhält; sondern er ist unter seinen Aposteln, in seiner Kirche gegenwärtig wie ein Diener, wie ein Sklave, wie derjenige, der die niedrigsten Arbeiten verrichtet. Gerade so als Diener und nicht anders baut Christus seine Kirche. Er macht keinen Druck, er zwingt niemand, er begegnet uns auch hier und heute im Gottesdienst als solch ein Diener, bedient uns mit dem tröstlichen Wort des Evangeliums, macht sich so klein, dass wir ihn in einem Stück Brot und einem Schluck Wein empfangen können, lässt es sich gefallen, dass so viele ihn deswegen verachten und nichts von ihm wissen wollen, weil er doch auf allen Druck verzichtet und sich damit so leicht in die Ecke drängen lässt.
Und genau das, Schwestern und Brüder, ist nun eben auch das Leitbild, das Christus seinen Dienern, den Aposteln und den Pastoren, vor Augen stellt: nicht Leitungsbereitschaft, sondern Dienstbereitschaft, Bereitschaft, ganz unten zu stehen, das ist es, was er von ihnen erwartet. Dienstbereitschaft – das heißt: die Bereitschaft, nichts von sich selber, von der eigenen Persönlichkeit, von den eigenen Fähigkeiten zu erwarten, sondern alles von dem Herrn, der in diesem Dienst seiner Diener so unscheinbar gegenwärtig ist.
„Ihr seid’s, die ihr ausgeharrt habt bei mir in meinen Anfechtungen.“ – So und nicht anders sieht das Theologiestudium aus, das der heilige Bartholomäus und die anderen Apostel bei Jesus durchlaufen haben. Keiner von ihnen hätte das Erste Theologische Examen in unserer Kirche bestanden; keiner von ihnen würde den Ansprüchen gerecht werden, die heute mitunter Gemeinden formulieren, wenn sie sich daran machen, einen neuen Pastor zu berufen. Aber sie hatten gelernt, bei Christus auszuhalten in seinen Anfechtungen. Sie hatten gelernt, ihren Weg in der Leidensgemeinschaft mit ihrem Herrn zu gehen. Sie hatten gelernt, dass es in der Gemeinschaft mit ihrem Herrn nicht um sichtbare Erfolge geht, nicht um Aufstieg, nicht um Kompetenz. Sie hatten gelernt, dass man darum Kirche nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen aufbauen kann, weil man auf diese Weise den ganz mächtig unterschätzt, der dieses ganze Unternehmen auszuhöhlen und kaputtzumachen gedenkt: den Teufel, den, der Jesus solche Anfechtungen bereitet hat und diese Anfechtungen auch weiter denen bereitet, die in der Kirche mitarbeiten. Das ist die geistliche Kompetenz, die Christus von seinen Dienern erwartet, das ist die geistliche Kompetenz, die Christus ihnen oft genug auch auf sehr schmerzliche Weise vermittelt.
Und doch: Was für eine wunderbare Verheißung hat dieser Dienst: eine Verheißung, die alle finanziellen Anreize, alle Aussichten auf Höherstufung und Höherstellung so unwichtig erscheinen lässt: „Ich will euch das Reich zueignen, wie mir’s mein Vater zugeeignet hat, dass ihr essen und trinken sollt an meinem Tisch in meinem Reich und sitzen auf zwölf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels.“ Die Teilhabe am Reich Gottes, am großen Festmahl am Tisch des Herrn – gewiss auch einmal für immer in der Vollendung, und doch auch jetzt schon bei jeder Feier des Heiligen Mahls, das ist es, was Christus seinen Aposteln, seinen Dienern verspricht, gleich nachdem er das Sakrament seines Leibes und Blutes gestiftet und eingesetzt hatte. Auf zwölf Thronen sollen die Apostel sitzen – ja, ihr Dienst in der Kirche bleibt einmalig und unwiederholbar; sie sind der bleibende Grund der Kirche. Aber ihr Richterdienst, der besteht bis heute weiter. „Richten“ bedeutet hier ja nicht „verurteilen“, sondern spielt an auf den Dienst der Richter im Alten Israel, derer, die das Volk mit Gottes Wort leiteten und ihm im Auftrag Gottes die Rettung zuteil werden ließen. Dieser Hirtendienst, der geht weiter bis heute, dieser Dienst, dessen wahre Größe nur der erkennen kann, der etwas davon weiß, was es bedeutet, teilhaben und teilgeben zu dürfen an dem Festmahl an Gottes Tisch. Wo Gottes Reich im Wort Christi gegenwärtig ist, wo er in unsere Mitte kommt als der Dienende mit seinem Leib und Blut, da wächst die Kirche, da braucht uns vor der Zukunft nicht bange zu sein. Denn diese Zukunft hängt eben nicht an der Kompetenz der Pastoren, nicht an ihrer Leitungsbereitschaft, sondern allein an ihm, der für uns ganz groß herausgekommen ist – am Kreuz. Amen.