02.09.2007 | St. Matthäus 6, 1-4 (13. Sonntag Nach Trinitatis)

13. SONNTAG NACH TRINITATIS – 2. SEPTEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 6,1-4

Jesus lehrte seine Jünger und sprach: Habt acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.

„Eine besondere Kultur der Würdigung ist der Gruppe von Kirchenmitgliedern gegenüber zu entwickeln, die der evangelischen Kirche in außergewöhnlichem Umfang Mittel zur Verfügung stellen. Darin liegt keine Anbiederung oder Abhängigkeit; sondern besondere Formen des Dankes bringen zum Ausdruck, wie groß die Möglichkeiten kirchlichen Handelns sind, die durch große Kirchensteuerbeträge oder umfangreiche Stiftungen eröffnet werden. Diesen Personenkreis zu besonderen kirchlichen Veranstaltungen einzuladen, hilft auch dabei, ihm einen Eindruck davon zu geben, wofür die erheblichen finanziellen Beiträge eingesetzt werden.“ So heißt es im Impulspapier des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, das Perspektiven für die Evangelische Landeskirche bis ins Jahr 2030 aufzeigen will. „Kultur der Würdigung“ – das ist eine schöne Umschreibung für eine Maßnahme, die aus wirtschaftlicher Sicht sehr sinnvoll und nachvollziehbar ist: Großspender müssen in besonderer Weise umworben und bevorzugt behandelt werden; schließlich braucht man ihr Geld, um die Kirche am Laufen halten zu können. Und da sind öffentliche Würdigungen und Dankesbezeugungen natürlich mehr als angemessen; das motiviert die Spender dann ja auch dazu, auch weiterhin etwas von ihrem Geld abzudrücken – vielleicht sogar noch mehr als zuvor!
Ob wir eine besondere Kultur der Würdigung vielleicht auch bei uns in unserer Gemeinde einführen sollten? Da haben wir gerade vor kurzem festgestellt, dass die Isolierung der Außenwand unserer Kirche nach gut 30 Jahren im Eimer ist, und in diesem feuchten Sommer ist die Nässe nun so in die Wände eingedrungen, dass der Schimmel in den Räumen des Freizeitheims blüht und gedeiht. Geschätzte Sanierungskosten: mindestens 30.000 €. Ja, wie sollen wir dieses Geld bloß zusammenbekommen, nachdem die Gemeindeglieder doch schon so kräftig für den Gemeindehausumbau gespendet hatten? Ob eine besondere Kultur der Würdigung da vielleicht weiterhilft? Abkündigungen von Großspendern, eine Tafel mit den Namen derer, die mit ihren Spenden ab 500 € aufwärts den Betrieb unseres Freizeitheims gerettet haben? Oder als besonderer Anreiz ein Ausflug der Großspender mit dem Pastor, Verpflegung inklusive?
Eine „Kultur der Würdigung“ gab es damals zur Zeit Jesu auch schon im Heiligen Land. Man unterschied damals zwischen der Einhaltung der Gebote, zu der alle, die zum Gottesvolk gehörten, verpflichtet waren, und zusätzlichen Übungen der Frömmigkeit, mit denen man sich bei Gott noch einmal besondere Verdienste erwerben konnte. Aber der Anreiz der Verdienste bei Gott reichte offenbar vielen Menschen doch nicht so ganz, und so wurden Akte der Wohltätigkeit, Almosen und ähnliches, auch in der Öffentlichkeit immer wieder besonders gewürdigt: Diejenigen, die große Spenden für einen wohltätigen Zweck gaben oder auch nur ankündigten, erhielten besondere Ehrenplätze, ja, es gab mitunter sogar geradezu einen Wettbewerb, wer denn die anderen mit einer noch größeren Spende ausstechen konnte. Selbst im Tempel widmete man sich dieser Kultur der Würdigung, und so konnte es geschehen, dass eine besonders großherzige Spende mit dem Tusch eines Posaunenchors einer größeren Öffentlichkeit bekanntgegeben wurde. Na, da gab man ja noch mal besonders gerne, wenn der finanzielle Einsatz für einen guten Zweck so sehr herausgestellt wurde.
Und genau um diese Kultur der Würdigung geht es nun auch Jesus in den Worten unserer heutigen Predigtlesung. Nein, er bestreitet hier nicht, dass die öffentliche Würdigung von Spendern eine wirksame Maßnahme zur Steigerung des Spendenaufkommens religiöser Organisationen sein kann. Er kritisiert hier auch nicht, dass der Einsatz von Posaunenchorfanfaren bei Großspenden vielleicht doch ein wenig prollig erscheinen mag und edle Spender es in aller Regel lieber haben, wenn ihr Einsatz auf eine etwas dezentere Weise gewürdigt wird. Und er übt hier auch keine Sozialkritik, dass es ja wohl nicht ganz in Ordnung sein kann, dass diejenigen, die weniger Geld haben und geben können, anders behandelt werden als diejenigen, die aus ihrem Portemonnaie mehr herauszuholen vermögen. Sondern er spricht diejenigen an, die von solch einer Kultur der Würdigung profitieren könnten, ja mehr noch: Er spricht uns alle miteinander an, ganz gleich, ob es uns nichts ausmacht, heute einen Hundert-Euro-Schein in die Kollekte zu packen, oder ob wir uns schon überlegen müssen, ob wir den einen Euro am Ausgang auch noch abdrücken können, weil es sonst mit dem Ticket für die Rückfahrt schon knapp wird. Denn, er, Christus, schaut uns ins Herz, spricht ein Verlangen an, von dem wir alle miteinander nicht frei, sondern von dem wir im Gegenteil geradezu getrieben sind: das Verlangen nach Belohnung, das Verlangen danach, dass sich das, was wir tun, auch lohnt. Zwei ganz unterschiedliche Lebensausrichtungen beschreibt Christus hier: Die Ausrichtung

- auf irdischen Lohn
- auf himmlischen Lohn

I.

Auch Ratten sind scharf auf Belohnung, so haben es alle möglichen Experimente in der Verhaltensforschung gezeigt. Wenn eine Ratte Fressen als Belohnung für ihr Handeln erwarten kann, dann ist sie zu Erstaunlichem in der Lage. So werden Ratten beispielsweise in Afrika zunehmend beim Aufspüren von Landminen eingesetzt. Fürs Fressen tun Ratten so ziemlich alles.
Die meisten Menschen sind dagegen durchaus auch noch anderen Formen der Belohnung zugänglich, auch wenn Essen als Anreiz nicht nur bei Vorkonfirmanden mitunter Erstaunliches zu bewirken vermag. Aber grundsätzlich fahren auch wir Menschen immer wieder auf das Prinzip mit der Belohnung ab. Genauso funktioniert letztlich der Kapitalismus, und genau darum ist er letztlich dem Kommunismus in der Praxis überlegen, weil die Belohnungsanreize bei ihm stärker sind. Wenn ihr die Wahl hättet, ob ihr für eure Arbeit, die ihr verrichtet, 3000 € im Monat oder ein anerkennendes Schulterklopfen vom Chef bekommt, wüssten wohl die meisten von euch sehr schnell, wofür sie sich entscheiden.
Doch Geld und Fressen ist eben in der Tat nicht alles. Wichtig ist den meisten von uns gewiss auch soziale Anerkennung, dass andere Menschen in unserer Umgebung feststellen, dass wir gute Menschen sind, sei es, weil wir ordentlich was leisten, sei es, weil wir so nett und hilfsbereit sind. Nein, das ist uns in aller Regel nicht egal, was andere Menschen über uns denken, das ist uns wichtig, dass sie ein positives Urteil über uns fällen. Und von daher sind wir vielleicht dann auch gar nicht so unglücklich, wenn andere das mitbekommen, was wir Gutes tun, wenn wir dafür gelobt werden, wenn Menschen, denen wir etwas Gutes tun, sich schlicht und einfach darüber freuen, wenn man sich bei uns vielleicht auch dafür bedankt, was wir getan haben. Das motiviert, manchmal tatsächlich sogar noch mehr als eine bloße materielle Anerkennung.
Ja, Schwestern und Brüder, wir empfangen alle miteinander mehr oder weniger reichlich irdischen Lohn für das, was wir tun, in ganz unterschiedlicher Form. Jesus kritisiert auch gar nicht, dass es diesen Lohn gibt. Aber er macht deutlich: Wenn ihr euer ganzes Leben nur darauf ausrichtet, ein Leben zu führen, das sich nach euren Wünschen und Maßstäben lohnt, wenn ihr darauf besteht, dass der Lohn, den ihr in eurem Leben für das, was ihr tut, bekommt, für euch auch stimmig und nachvollziehbar ist, dann greift ihr viel zu kurz, dann verpasst ihr das Eigentliche, worum es in eurem Leben geht, bleibt euer Leben letztlich doch ganz schön hohl.
Ja, natürlich ist das Beispiel mit dem Posaunenchortusch bei der Überreichung einer großherzigen Spende ein ziemlich krasses Beispiel, das Jesus hier gebraucht. Das fänden wir ja vermutlich auch ein bisschen peinlich. Doch das Urteil Jesu über diese reichlich billige Form der Belohnung betrifft eben auch viele weitere Bereiche unseres Lebens: „Sie haben ihren Lohn schon gehabt“, sagt Jesus. Sie haben etwas gemacht, sie haben dafür ihre Belohnung bekommen – und das war’s dann aber auch. Bei Gott spielt das, was da gerade geschehen ist, nun keine Rolle mehr; es ging dem Spender ja ohnehin nicht um Gott, sondern um das, was er selber als unmittelbare Belohnung für sein Handeln herausbekam.
„Sie haben ihren Lohn schon gehabt“ – Dieses Urteil Jesu gilt auch für das Leben von Menschen, die ihr ganzes Leben nur dafür gearbeitet haben, sich ein Haus oder ein schönes Auto anschaffen zu können und die es dann vielleicht auch geschafft haben. Okay, sie haben ihren Lohn für ihren Einsatz bekommen. Nur: der ist dann auch schon ausgezahlt, haben sie nichts, was sie vorweisen könnten, wenn Gott sie einmal nach ihrem Leben fragt. „Sie haben ihren Lohn schon gehabt“ – Dieses Urteil Jesu gilt auch für das Leben von Menschen, die ihr ganzes Leben nur auf ihre Familie ausgerichtet haben. Das mögen sie selber als sehr befriedigend empfunden haben; aber das war es dann eben auch. Doch wenn sie Gott dabei vergessen haben, wenn es ihnen nicht lohnenswert erschien, auf ihn ihr Leben auszurichten, dann werden sie am Ende feststellen, dass sie mit dem Lohn, den sie in ihrem Leben empfangen hatten, schließlich doch nichts ausrichten können. „Sie haben ihren Lohn schon gehabt“ – ja, wie billig aller irdischer Lohn letztlich ist, wie wenig wir am Ende mit diesem Lohn anfangen können, das werden wir erst da so richtig merken, wenn Gott anfangen wird, seinen himmlischen Lohn zu verteilen.

II.

Nun mögt ihr als gute Lutheraner allmählich ein wenig unruhig auf eurer Kirchenbank hin- und herrutschen: „Himmlischer Lohn“ – den kann es doch eigentlich gar nicht geben. Wofür sollte Gott uns denn, bitteschön, belohnen? Wir wissen doch, dass das Leben in der ewigen Gemeinschaft mit Gott ein Geschenk ist, das wir uns gerade nicht verdienen können! Und außerdem: Wäre das wirklich eine wünschenswerte Lebenseinstellung, dass wir bei allem, was wir Gutes tun, daran denken: Dafür wird mich der liebe Gott einmal belohnen!? Dann gebrauchen wir auch unseren Nächsten, dem wir etwas Gutes tun, letztlich als Instrument, um durch ihn eine Stufe höher im Himmel rücken zu können.
Nein, darum geht es Jesus ganz sicher nicht, wenn er hier von dem Lohn bei unserem Vater im Himmel spricht, davon, dass unser Vater uns das, was wir im Verborgenen tun, vergelten wird. Zunächst einmal ist es ganz wichtig, dass wir wahrnehmen, dass Jesus hier in der Bergpredigt jedes Mal vom Vater im Himmel spricht, der diesen Lohn gibt. Nicht ein Lohnbuchhalter entlohnt einen Angestellten, sondern ein Vater beschenkt sein Kind. Darum und um nicht weniger geht es bei dem Lohn, den Jesus uns hier verspricht. Aber vor allem ist es wichtig, dass auch wir selber keine Ahnung davon haben sollen und können, ob und wie wir einmal belohnt werden. Denn um belohnt zu werden, müssten wir ja etwas Belohnenswertes getan haben. Und davon wissen wir als Christen ja gerade nichts. „Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut“, so formuliert es Christus hier sehr eindrücklich. Solange ich noch weiß, was ich da getan habe, solange ich doch noch irgendwo im Hinterkopf habe, dass Gott das ja eigentlich ganz gut finden müsste, was ich da gerade gemacht habe, so lange habe auch ich meinen Lohn schon hier gehabt, kann ich dafür überhaupt keine Belohnung bei Gott erwarten.
Ja, geht das denn überhaupt, sind wir Menschen überhaupt dazu in der Lage, so zu handeln, wie Christus das hier beschreibt, dass ich letztlich selber gar nicht mitkriege, was ich da eigentlich tue? Nein, dazu sind wir überhaupt nicht in der Lage, das können wir selber überhaupt nicht, so macht es uns Christus deutlich. Aber Gott, der ist dazu in der Lage, uns zu solchen Menschen zu machen, hat damit schon angefangen in unserer Heiligen Taufe, als wir zu einem neuen Leben geboren worden sind, ein neuer Mensch geworden sind, der eben von dem alten Menschen nichts mehr weiß. Christus selber ist es, der in diesem neuen Menschen, der wir seit unserer Taufe sind, am Werke ist, er wirkt diese Werke, die uns selber gar nicht bewusst sind und die Gott in seiner Gnade am Ende sogar noch belohnen wird, obwohl wir das doch gar nicht verdient haben, obwohl wir doch ehrlicherweise feststellen müssen: Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Mensch, was wird das für eine Überraschung sein, wenn Gott uns am Jüngsten Tag einmal die Augen öffnen wird und uns erzählen wird, was wir so alles gemacht haben! „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?“ – So werden wir dann einmal fragen. Das haben wir alles getan? So viele Stunden unseres Lebens haben wir im Bus oder im Auto gesessen, um zum Gottesdienst zu kommen – und haben nicht danach gefragt, ob sich das wirklich lohnt? So viele Stunden unseres Lebens haben wir im Gebet und mit der Lektüre der Bibel verbracht, obwohl wir eigentlich doch so viel anderes zu tun hatten? So viel haben wir von unserem Besitz an dich und deine Kirche abgegeben, was wir eigentlich auch ganz gut für uns selber hätten gebrauchen können, und haben uns darüber eigentlich gar keine Gedanken gemacht? Nein, Schwestern und Brüder, ich will die Aufzählung jetzt gar nicht weiter fortsetzen, damit ihr nicht doch auf die Idee kommt, wieder auf euch selber und auf euer Leben zu schielen und womöglich auch noch darauf, was die anderen davon halten könnten. Freut euch einfach darauf, dass Christus selber einmal einlösen wird, was er euch in eurer Taufe versprochen hat. Lasst dies das große Ziel eures Lebens sein. Dann wisst ihr: unser Leben lohnt sich auf jeden Fall – ganz gleich, was für Belohnungen wir hier auf Erden bekommen, ganz gleich, ob wir gewürdigt werden oder nicht. Und das wird dann auch Folgen haben, ja, das hat schon jetzt Folgen auch in unserer Gemeinde – in unserem Umgang miteinander, und selbst bei unseren Finanzen! Amen.