16.09.2007 | St. Lukas 17, 5+6 (15. Sonntag nach Trinitatis)

15. SONNTAG NACH TRINITATIS – 16. SEPTEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 17,5+6

Die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.

„Tief in meinem Innern ist nur Leere und Dunkelheit. Ich habe keinen Glauben – ich wage es nicht, die Worte und Gedanken auszusprechen, die mich so unbeschreiblich leiden lassen“, so schreibt Mutter Teresa in einem Brief an ihren Beichtvater, der kürzlich in einem Buch mit dem Titel „Komm, sei mein Licht“ veröffentlicht wurde. Eigentlich wollte Mutter Teresa, dass alle Briefe, die sie geschrieben hatte, nach ihrem Tod verbrannt würden; doch nun gab ihr Orden das Material frei und ließ den Briefwechsel veröffentlichen. Erschütternd ist es, wie offen Mutter Teresa darin über ihre Glaubenszweifel spricht, ja mehr noch: wie tief sie unter der Erfahrung der Abwesenheit Gottes leidet. Sie schreibt im September 1959: „Es schmerzt ohne Unterlass. Ich habe keinen Glauben. Man erzählt mir, dass Gott mich liebt, jedoch ist die Realität von Dunkelheit und Kälte und Leere so überwältigend, dass nichts davon meine Seele berührt.“ Nein, diese Anfechtungen hat Mutter Teresa nicht bloß für ein paar Wochen oder Monate; sie bleiben, begleiten sie durch ihr ganzes Leben – sie, den Engel von Kalkutta, der von so vielen Menschen schon jetzt als Heilige verehrt wird, auch wenn das Heiligsprechungsverfahren des Vatikan noch gar nicht abgeschlossen ist. Eine Heilige, die ganz offen schreibt: „Ich habe keinen Glauben!“ – Ist das eigentlich möglich? Oder stellt das nicht umgekehrt auch unseren eigenen Glauben in Frage: Wenn eine solch große Heilige angesichts dessen, was sie erfuhr, nicht mehr glauben konnte – wie sollten wir eigentlich noch am Glauben festhalten? Machen wir uns nicht selber etwas vor, wenn wir trotzdem immer noch glauben?
Und damit sind wir nun schon mitten drin in unserer heutigen Predigtlesung. Da wenden sich ausgerechnet die Apostel an Christus, ihren Herrn, mit einer Bitte, die wir selber so gut nachvollziehen können: „Stärke uns den Glauben!“ Die Apostel, die Fundamente der christlichen Kirche, bekennen mit dieser Frage, dass mit ihrem Glauben auch nicht viel los ist, dass dieser wacklige, mickrige Glaube, den sie haben, dringendst der Stärkung bedarf. Na, das wird ja immer schöner: Mutter Teresa sagt: Ich habe keinen Glauben; die Apostel bekennen, dass ihr Glaube nicht stark und fest ist. Ja, machen wir uns in der Kirche alle miteinander vielleicht bloß etwas vor, ziehen wir voreinander eine Show ab, tun alle so, als würden wir doch glauben; aber wenn wir mal näher hingucken, stellen wir fest: Das stimmt ja gar nicht; eigentlich glauben wir ja alle miteinander nicht richtig? Das mit der Umpflanzung von Maulbeerbäumen haben jedenfalls wohl nur die wenigsten von uns bisher hingekriegt; die meisten von uns schaffen es ja noch nicht einmal, auch nur einen Apfelbaum wenigstens um ein paar Meter zu versetzen. Das müsste doch eigentlich erst recht ein Klacks sein für die, die glauben, möchte man meinen. Es bleibt uns also nichts anderes übrig: Wir müssen uns die Sache mit dem Glauben noch mal genauer anschauen, wollen uns dabei von den Worten, die uns der heilige Lukas hier überliefert, anleiten lassen. Dreierlei sollten wir dabei bedenken:

- die Erfahrung des Glaubens
- das Wesen des Glaubens
- die Kraft des Glaubens.

I.

Vielleicht liegen die Worte und Erfahrungen von Mutter Teresa uns selber doch auch gar nicht so fern. Glaubenszweifel, Fragen, die einem das, was wir doch eigentlich glauben, so unwirklich erscheinen lassen, Fragen, die auch unseren Glauben selber so unwirklich erscheinen lassen – Es gibt wohl nur wenige Christen, denen solche Erfahrungen erspart bleiben. Das gilt auch für Apostel, so macht es uns St. Lukas hier deutlich, das gilt auch für Pastoren. Pastoren unterscheiden sich von Gemeindegliedern wahrlich nicht darin, dass sie einen stärkeren, festeren Glauben hätten als diejenigen, die nicht ordiniert sind. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass oft genug das Gegenteil der Fall ist. Wie oft habe ich schon Gemeindebesuche gemacht, um Gemeindeglieder zu stärken und zu trösten – und war am Ende derjenige, der selber gestärkt und getröstet von diesem Besuch wieder zurückkehrte! Nein, Pastoren müssen auch keinen stärkeren und festeren Glauben haben als andere Gemeindeglieder, denn ihr Dienst besteht ja nicht darin, dass sie mit ihrem großen, starken Glauben andere Menschen gleichsam „anstecken“, damit die nun selber auch anfangen zu glauben oder im Glauben gestärkt werden. Schwestern und Brüder: Euer Glaube hängt nicht an meinem Glauben, genauso wenig wie die Gültigkeit der Predigt oder der Sakramente am Glauben dessen hängt, der diese Gnadenmittel verwaltet und austeilt. Ja, Anfechtungen, Glaubenszweifel, die ernste Frage, ob da überhaupt noch was von unserem Glauben da ist – all dies gehört mit zu den Erfahrungen des Glaubens, die wir immer wieder miteinander machen.
Ach, es gibt ja so vieles, was unseren Glauben in Frage zu stellen vermag, was uns in unserem Glauben verunsichern und durcheinanderbringen kann. Das kann die Erfahrung von menschlichem Leid sein, mit dem Mutter Teresa dort in Kalkutta ja in solch einem Übermaß konfrontiert war und das auch uns in ganz vielfältiger Weise an die Nieren gehen mag – sei es, dass wir uns ganz grundsätzlich die Frage stellen, wie all das Leid dieser Welt mit der Existenz eines liebenden Gottes vereinbar sein soll, sei es, dass wir persönlich von so schwerem Leid getroffen werden, dass uns das Angesicht Gottes nur noch wie eine Fratze erscheint, dass uns die Botschaft von der Liebe Gottes auch so fern rückt, wie Mutter Teresa dies in ihren Briefen beschreibt. Ja, wo bist du, Gott? Wie kannst du all das zulassen? – So fragen wir und mögen den Eindruck haben, dass unser Ruf ungehört in den Weiten des Alls verhallt.
Oder da mögen wir ganz einfach erfahren, wie allein wir mit unserem Glauben dastehen – in der Familie, in der Schulklasse, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft. Und dann müssen wir uns vielleicht noch alle möglichen Sprüche anhören, bissige Bemerkungen, wie wir so blöd sein können, immer noch an Gott zu glauben und zur Kirche zu gehen. Und dagegen mögen wir uns nach Kräften wehren – aber irgendwie merken wir doch, wie all das an uns zu nagen beginnt, uns eben doch nicht unberührt lässt.
Und dann kommen sie wieder, die Meldungen in der Zeitung, im Fernsehen über alle möglichen angeblich neuen Entdeckungen und Erkenntnisse, Meldungen, die behaupten, nun sei der christliche Glaube endgültig widerlegt, nun habe sich endgültig herausgestellt, dass ein vernünftig denkender Mensch doch gar nicht an Gott glauben könne. Und dann halten wir Ausschau nach irgendwelchen Gegenargumenten, hoffen, dass die uns auch geliefert werden können, dass die uns wieder beruhigen können, und können uns doch nicht von der Sorge freimachen: Und was ist, wenn die Gegenargumente ausbleiben, wenn diejenigen doch Recht haben, die behaupten, der Glaube sei nichts als eine Einbildung?
Aber vielleicht rühren unsere Glaubenszweifel auch einfach aus unserer ganz persönlichen Erfahrung: Eigentlich sollte mir mein Glaube doch Freude und Zuversicht schenken – aber davon spüre ich so gar nichts. Eigentlich sollte mir mein Glaube doch die Kraft schenken, mit dem fertigzuwerden, was ich in der Vergangenheit erlebt habe – aber das alles kommt eben doch immer wieder hoch, macht mich bitter und hart. Eigentlich sollte mir mein Glaube doch Liebe zu anderen Menschen, zumal zu den Gliedern der eigenen Gemeinde schenken – aber ich kenne mein Herz und weiß, dass es darin so ganz anders aussieht. Ja, wo ist er denn da, mein Glaube?
Ja, Schwestern und Brüder, so sehen sie immer wieder aus: die Erfahrungen, die wir im Glauben und mit unserem Glauben machen, Erfahrungen, die unseren Glauben so grundlegend in Frage zu stellen scheinen. Ja, so wage ich zu behaupten: Diese Erfahrungen gehören einfach zu unserem Glauben mit dazu. Doch einen Fehler dürfen wir nun nicht machen: Wir dürfen unsere Glaubenserfahrungen, unsere Gedanken, Gefühle und Empfindungen, die mit unserem Glauben verbunden sind, nicht mit dem Glauben selber verwechseln. Glaube ist etwas anderes als meine Glaubenserfahrung.

II.

Und damit sind wir nun schon beim Zweiten: dem Wesen des Glaubens.
Was Jesus hier in unserer Predigtlesung den Aposteln antwortet, das klingt ja so unrealistisch, dass es uns doch sehr schwerfällt, das für bare Münze zu nehmen, was er, der Herr, hier sagt: „Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.“ Das ist doch Wahnsinn, das geht doch gar nicht; das könnte doch nur einer schaffen: Gott selber.
Doch genau damit sind wir schon am Kern der Sache dran. Unser Glaube ist eben gerade keine Fähigkeit, die uns entweder schon angeboren ist oder die wir auf irgendwelchen Wegen erwerben können, durch irgendwelche Meditations- oder Gedankenübungen oder durch unseren guten Willen. Unser Glaube ist keine Eigenschaft von uns und auch kein Besitz, den wir pflegen und erhalten könnten. Sondern unser Glaube ist nichts anderes als Gemeinschaft mit dem allmächtigen Gott, Gemeinschaft mit Christus, Teilhabe an ihm und an dem, was er kann. Mein Glaube hängt also nicht an mir selber, nicht an meinem Können, nicht an meinem Denken, nicht an meinen Gefühlen, sondern mein Glaube hängt ganz außerhalb von mir – an Christus.
Diesen Glauben hat Christus selber mir schon eingestiftet am Tag meiner heiligen Taufe; diesen Glauben schenkt er mir immer wieder in seinem Wort, diesen Glauben schenkt er mir immer wieder, wenn er mich mit sich eins werden lässt im Heiligen Mahl. Da schafft er eine Realität, die besteht, auch wenn ich selber gar nichts fühlen, denken und empfinden kann, die besteht, auch wenn eine psychische Krankheit meine Persönlichkeit verändert, die besteht, auch wenn ich an Alzheimer erkrankt bin und meinen eigenen Namen gar nicht mehr kenne. Wenn ich darum selber von meinem Glauben gar nichts fühle und spüre, wenn ich in mir nur Leere und Dunkelheit empfinde, dann bedeutet das nicht, dass ich deswegen nicht glauben würde. Was Mutter Teresa erfahren und empfunden hat, widerspricht dem überhaupt nicht, dass Christus selber in ihr gelebt und durch sie gewirkt hat, widerspricht dem nicht, dass sie in Wahrheit eben doch geglaubt hat. Ich muss nichts von meinem Glauben wissen und spüren, ich soll es noch nicht einmal, soll im Gegenteil ja gerade ganz von mir selber, von meinen Empfindungen und Gefühlen wegblicken hin auf Christus, auf ihn, der allein mich im Glauben festzuhalten vermag, auf ihn, an dem doch in Wirklichkeit mein Glaube ganz und gar hängt.
Wenn wir also von unserem Glauben so herzlich wenig spüren, dann ist es das Allerfalscheste, was wir tun können, dass wir anfangen, ganz tief in uns hineinzuhorchen und hineinzugraben, ob wir da nicht doch so etwas wie Glauben entdecken können. Was du dort findest, wenn du in dir zu suchen anfängst, das kann ich dir genau sagen: Es ist dasselbe, was auch Mutter Teresa dort gefunden hat: Dunkelheit und Kälte und Leere. Nein, schau nicht auf dich und in dich. Schau auf ihn, Christus, auf ihn, der für dich am Kreuz gehangen hat, damit du nicht verloren gehst, der um deinetwillen geschrien hat: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Mit diesem Christus bist du vereint, mit diesem Christus wirst du verbunden im Sakrament. Und da mag es dann auch sehr wohl geschehen, dass er dich in seiner Nachfolge auch etwas von dem erfahren lässt, was er erfahren hat, dass er dir Anteil gibt an seinem Leidensweg und damit auch an seinen Anfechtungen. Wenn du also so gar nichts mehr von deinem Glauben spürst, dann ist das gerade kein Zeichen dafür, dass Christus dich fallengelassen hätte. Ganz im Gegenteil: Wenn du nichts von Gottes Gegenwart spürst, dann bist du gerade darin mit ihm, Christus, verbunden, auf dem Weg hinter ihm her durch Kreuz und Leiden in die Herrlichkeit.

III.

Und damit sind wir schon beim Dritten, was uns Christus hier in unserer Predigtlesung vor Augen stellt: bei der Kraft des Glaubens. Die Kraft des Glaubens ist also nicht unsere Kraft, sondern es ist die Kraft Gottes, die in uns und auch durch uns wirkt, es ist die Kraft Christi, die gerade in dem Schwachen mächtig sein will und mächtig ist.
Nein, Christus sagt gerade nicht: Je stärker euer Glaube ist, desto größere Dinge werdet ihr vollbringen. Eher ist das Gegenteil richtig: Gerade der ganz mickrige Glaube, nicht größer als ein schwarzes Senfkorn, für das menschliche Auge kaum wahrnehmbar, hat Anteil an der Allmacht Gottes; gerade durch ihn will Gott selber sein Werk vollbringen, durch diesen Glauben, der nichts von eigener Stärke und Vollkommenheit ausstrahlt, der nur von dem her seine Kraft hat, an dem er hängt: an Christus.
Mutter Teresa ist dafür ein eindrückliches Beispiel: Was hat Gott durch den Glauben dieser Frau, die selber offenbar zumeist gar nichts von ihrem Glauben spüren und wahrnehmen konnte, gewirkt, was für Taten der Liebe hat dieser Glaube, von dem Mutter Teresa selber gar nicht mehr zu sprechen vermochte, gewirkt! Ein Senfkornglaube war dies, durch den das alles geschehen ist.
Und was für Taten vermag der Glaube doch auch bei uns zu vollbringen. Jesus gebraucht hier das Beispiel des Maulbeerbaums, dessen Wurzeln so tief ins Erdreich ragen, dass ihn nichts und niemand umhauen kann, dass er sich auch durch keinen Sturm entwurzeln lässt. Und dieser Maulbeerbaum soll seinen angestammten Platz verlassen und im Meer, ausgerechnet im Meer wieder Wurzeln schlagen – dort, wo es doch ausgeschlossen ist, dass er Halt finden kann, wo er doch nur untergehen kann!  Doch genau dieses Wunder des Maulbeerbaums geschieht immer wieder, hat auch heute Morgen stattgefunden bei dir selber. Ach, wie tief ragten doch auch bei dir die Wurzeln, die dich eigentlich daran hätten hindern müssen, heute Morgen hier in der Kirche zu erscheinen; wie vieles gibt es, das dich vom Gottesdienstbesuch hätte abhalten können. Wie tief steckten deine Wurzeln heute Morgen vielleicht zunächst noch im Bett, aber irgendwie hat es dein schwacher, mickriger Glaube dann doch fertigbekommen, dich hierher in die Kirchenbank zu befördern, hierher, wo es doch eigentlich nichts zu sehen gibt, worauf du dich und deinen Glauben stützen könntest, und wo du doch einen festen Halt für diesen deinen Glauben findest, der dich auch in allen Stürmen deines Lebens bewahrt. Ja, ein Wunder ist das, dass du heute Morgen hier sitzt, ein Wunder, das du selber auch nicht erklären kannst und das doch geschehen ist – aus deinem kleinen Glauben heraus. Und du weißt zugleich doch genau: Das warst gar nicht du selber: Es war der, mit dem du in deiner Taufe eins geworden bist: dein Herr Jesus Christus.
Lass dich darum nicht irritieren von deinen Glaubenszweifeln und von den Glaubenszweifeln anderer; schau nicht auf das, was du fühlst und erfährst und kannst, und schau stattdessen allein auf das, was er, dein Herr kann, ja was er schon für dich getan hat und noch tut. Er, dein Herr, hat noch Großes mit dir vor, will dich herausreißen aus allen Zweifeln, aus allem Leid, ja schließlich sogar aus deinem Grab, will dich dort herausreißen und dich noch einmal ganz neu anpflanzen – bei sich im Himmel! Amen.