28.10.2007 | St. Johannes 15,9-17 (21. Sonntag nach Trinitatis)

21. SONNTAG NACH TRINITATIS – 28. OKTOBER 2007 – PREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 15,9-17

Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe. Niemand hat größere Liebe als die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Ich sage hinfort nicht, daß ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, daß ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, daß ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe. Das gebiete ich euch, daß ihr euch untereinander liebt.

Vor knapp zwei Wochen besuchten wir auf unserer Jugendkreis-Herbstfreizeit das Universum Science Center in Bremen. Mithilfe von über 250 interaktiven Exponaten konnten wir uns in dem futuristisch gestalteten Gebäude auf Expeditionen zu den Themen Mensch, Erde und Kosmos begeben. Mehr als drei Stunden zogen wir durch das Science Center und den angeschlossenen Entdeckerpark; dann trafen wir uns wieder und stellten fest: Ja, das hatte sich sehr gelohnt; aber jetzt war es auch gut, jetzt hatten wir die interessantesten Geschichten ausprobiert, jetzt brauchten wir dort nicht länger zu bleiben. Also fuhren wir weiter zu den Bremer Stadtmusikanten.
So ähnlich wie uns im Universum Science Center in Bremen geht es immer wieder auch Menschen, geht es gerade auch Jugendlichen in der Kirche: Ja, da gibt es durchaus eine Menge zu erleben, lohnt es sich eine ganze Zeit lang durchaus, da mitzumachen. Aber irgendwann ist es dann auch gut, hat man alles mal ausprobiert, und dann braucht man da auch nicht länger zu bleiben, gibt es Anderes, Neues, Interessanteres zu entdecken, als immer nur in demselben Laden zu bleiben. Und so verabschieden sich dann so manche nach einer Weile wieder von dem Erlebnispark Kirche, denken auch weiter noch ganz gerne daran zurück. Nur: Weiter dorthin zu kommen braucht man nun eigentlich nicht mehr.
Doch damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun schon mitten drin in der Predigtlesung dieses heutigen Sonntags. Denn in dieser Predigtlesung will uns Christus dies eine ganz deutlich machen: Die Kirche ist kein Universum Science Center, keine Erlebniswelt, die man mal in seinem Leben ausprobiert und anschließend hinter sich lässt. Sondern in der Kirche lohnt es sich zu bleiben, nicht nur drei Stunden, nicht nur drei Jahre, sondern ein ganzes Leben lang.
Als Jesus damals diese Worte, die wir eben gehört haben, zu seinen Jüngern sagte, da schien es für sie auch gerade höchste Zeit zu sein, abzuhauen, das sinkende Schiff zu verlassen. Jesus hatte gerade angekündigt, dass er nun bald schon verhaftet und hingerichtet werden würde, und wenn seine Jünger nicht aufpassten, dann waren sie bald als nächste dran. Und das mussten sie sich ja nun wirklich nicht unbedingt antun. Die Zeit, die sie mit Jesus verlebt hatten, die war ja wirklich schön gewesen, geradezu unvergesslich. Aber nun war diese Zeit eben vorbei, nun mussten sie sich neu orientieren. Und was sollten sie sich da immer noch als Jesus-Anhänger outen, wenn ihnen das nur Nachteile einbrachte? Wieso sollten sie sich nun weiter ihr Leben versauen lassen, nur weil sie immer noch an diesem Jesus festhielten? Doch Jesus ermutigt sie, bei ihm zu bleiben, in seiner Gemeinschaft, die nun nach seinem Tod und seiner Auferstehung gewiss noch einmal ganz anders aussehen wird als bisher, die aber erst recht etwas ganz anderes sein wird als bloß ein kurzfristiges Erlebnisangebot. Ja, so macht es Jesus seinen Jüngern hier deutlich: Es lohnt sich, bei mir zu bleiben, in meiner Gemeinschaft zu leben, weil ihr hier bekommt, was euch nirgendwo sonst geschenkt wird, weil ihr hier bekommt, was ihr euer ganzes Leben lang braucht.
Aufmerksam hörten diese Worte die Gemeindeglieder, denen der heilige Johannes damals als ersten die Worte seines Evangeliums vortrug. Äußerlich gesehen steckten auch sie in großen Schwierigkeiten, wurden um ihres Glaubens willen schikaniert, mussten um ihres Glaubens willen massive Nachteile in Kauf nehmen. Ja, wieso ließen sie es dann mit dem Glauben an Christus nicht einfach sein, wieso taten die sich das eigentlich immer noch an, so fragten es sich diese Christen vielleicht selber manchmal auch. Ja, auch zu ihnen sprach der auferstandene Christus in den Worten des Evangeliums, machte auch ihnen wie den ersten Jüngern und wie auch uns deutlich, warum es sich lohnt, ja warum es so entscheidend wichtig ist, bei ihm, Christus, in seiner Gemeinschaft, in der Gemeinschaft seiner Kirche zu bleiben, auf Dauer zu bleiben.

I.

Bei ihm, Christus, in seiner Kirche gibt es Liebe, so lesen wir hier. Liebe – ja, ich ahne, was bei einigen von euch da im Kopf herumgeht, wenn ihr dieses Wort hört, ahne, weshalb ihr vielleicht auch ein bisschen grinsen mögt, wenn ihr hört, dass es in der Kirche, bei Christus Liebe gibt. Als wir jetzt in Molzen auf der Freizeit darüber sprachen, welchen Kinofilm wir uns anschauen sollten, da kam ja gleich von einigen Teilnehmern der entsprechende Vorschlag: „Pornorama“ wollten sie sich anschauen, einen Film über einen verklemmten Studenten, der versucht, einen Sexfilm zu drehen. Denjenigen, die unsere Freizeit mit Spenden unterstützt haben, sei zur Beruhigung gesagt, dass wir diesem Vorschlag nicht gefolgt sind. Nein, um Liebe im Sinne von „Pornorama“ oder BRAVO geht es in der Kirche in der Tat nicht. Andere von euch mögen vielleicht aus anderen Gründen die Augen verdreht haben, als sie gehört haben, dass es bei Christus, in seiner Kirche zunächst und vor allem um Liebe gehen soll. Liebe ist doch was fürchterlich Kitschiges, Gefühliges, und wer richtig cool sein will, der zeigt doch keine Gefühle, schon gar nicht so, dass andere das auch noch mitbekommen! Und überhaupt: Da braucht man sich doch nur mal in der Gemeinde umzuschauen, bei den Leuten, die heute Morgen hier in der Kirche sitzen. „Die soll ich allen Ernstes lieben?“ magst du einwenden: „Also, da kann ich mir noch so viel Mühe geben – bei vielen von denen, die ich hier sehe, kann ich beim besten Willen keine Liebesgefühle aus mir herausbefördern. Da muss ich mich bei einigen Leuten schon genug zusammennehmen, bei mir nicht ganz andere Gedanken und Gefühle hochkommen zu lassen. Aber Liebe in der Kirche – das ist dann ja wohl doch viel zu dick aufgetragen!“
Doch nun geht es hier in den Worten Jesu zuerst einmal gar nicht darum, dass wir selber andere Leute lieben sollen. Sondern Jesus stellt uns vor Augen, dass er uns liebt: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“ „Jesus liebt dich“ – Ja, ich weiß, auch dieser Spruch klingt erst mal ziemlich nichtssagend und ausgelutscht. Aber es lohnt sich eben doch, sich mal näher darüber klarzuwerden, was das eigentlich bedeutet.
Auch wenn du dir noch so cool vorkommst: Stell dir einfach mal vor, was das bedeuten würde, wenn du in deinem Leben ganz ohne Liebe auskommen müsstest, wenn es niemanden auf der Welt gäbe, der dich lieben und dir diese Liebe auch zeigen würde. Nein, das würdest du eben auch nicht einfach mal locker wegstecken. Ohne Liebe können wir Menschen nicht leben; ohne Liebe gehen wir kaputt. Aber nun müssen wir in unserem Leben eben immer wieder auch die Erfahrung machen, dass die Liebe, die wir von Menschen empfangen, begrenzt bleibt – sei es, dass Menschen uns enttäuschen, sei es, dass sie uns verlassen während ihres Lebens oder spätestens mit ihrem Tod. Und auf diesem Hintergrund werden die Worte Jesu nun auch für dich ganz entscheidend wichtig: Da gibt es einen, dessen Liebe zu dir ist unbegrenzt, der liebt dich auf jeden Fall, der enttäuscht dich nicht, der wendet sich nie von dir ab; dem bist du wichtig, unendlich wichtig, so wichtig, dass er für dich sogar sein Leben in den Tod gegeben hat. Und eben darum nimmt er dich an auch mit all deinen Macken, mit all deinem Versagen, lässt dich niemals in deinem Leben fallen. Und dieser eine, für den du so wichtig bist, ist eben nicht irgendwer. Sondern das ist der Herr der Welt persönlich, das ist der, der dich mal nach deinem Leben fragen wird. Mensch, Wahnsinn wäre das, nicht bei dem zu bleiben, Wahnsinn wäre das, irgendwo anders ein besseres Angebot zu suchen. Es geht hier bei ihm doch nicht bloß um ein beliebiges Angebot; es geht um dein Leben, dein ewiges Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Darum ruft Christus es auch dir zu: Bleibe in meiner Liebe! Bleib dabei, in meiner Nähe, bleib hier an meinem Altar. Hier teile ich es dir immer wieder ganz direkt und ganz persönlich mit, wie lieb du mir bist, wenn ich mich mit dir verbinde, wenn du meinen Leib und mein Blut empfängst im Heiligen Mahl.

II.

Bleibt in meiner Liebe! Jesus redet hier im Plural, in der Mehrzahl. Du bist nicht der Einzige, den Jesus liebt. Die Leute, die heute im Gottesdienst um dich herum sitzen, und auch die, von denen du ein bisschen weiter weg sitzt – sie alle liebt Christus genauso wie dich. Ja, die liebt er, obwohl manche von denen doch wirklich ein bisschen merkwürdig sind, obwohl die doch gar nicht deinem Niveau entsprechen. Doch Jesus ist sich nicht zu schade gewesen, auf ihr Niveau und auch auf dein Niveau runterzukommen. Im Gegenteil: Er, der Herr der Welt, der hat ihnen und dir das „Du“ angeboten; ja, der erklärt dich und sie zu seinen Freunden.
Es gibt ja so Typen, die geben damit an, dass sie angeblich alle möglichen berühmten Leute kennen und dass die angeblich alle ihre Freunde seien. Und wenn man dann mal bei diesen berühmten Leuten nachfragt, dann können die sich oftmals an diese Leute gar nicht erinnern, und wenn doch, dann schlagen sie vielleicht sogar die Hände über dem Kopf zusammen, dass diese Typen sie als ihren Freund bezeichnet haben.
Bei Jesus ist das genau umgekehrt: Ja, das wäre schon mehr als dreist oder peinlich, wenn wir von uns aus ihn, den Chef der ganzen Welt, als unseren Freund bezeichnen würden, als unseren Kumpel. Nein, wir tun schon gut daran, ihn als unseren Herrn zu bezeichnen und vor ihm, dem Sohn des lebendigen Gottes, auf die Knie zu fallen. Jesus ist nicht unser Bimbo. Doch er, der Herr der Welt, hat umgekehrt eben gerade keine Starallüren, bleibt nicht auf Abstand zu uns, sagt von sich aus zu dir und zu mir: Du bist mein Freund; dir verrate ich alles, was wirklich wichtig ist für dich, dir erzähle ich alles, was du von meinem Vater wissen musst. Ja mehr noch: Ich erzähle dir nicht einfach bloß ein paar schöne Geschichten, sondern ich habe dir doch schon gezeigt, wie wichtig mir das ist, dass du mein Freund bist: so wichtig, dass ich mich für dich habe zusammenschlagen lassen, dass ich mich für dich habe ans Kreuz nageln lassen. Ja, für dich – und für die anderen, die da um dich herum sitzen auch.
Schwestern und Brüder: Würdet ihr sonst in eurem Leben auf die Idee kommen, einen Menschen einfach sitzen zu lassen, der euch das Leben gerettet hat, der sein eigenes Leben eingesetzt hat, damit ihr nicht umkommt? Wäre das nicht Ehrensache für euch, einem solchen Menschen euer ganzes Leben lang verbunden zu bleiben, auch wenn ihr wisst, dass ihr das nie wiedergutmachen könnt, was der für euch getan hat? Ja, genau darum geht es, wenn Christus hier sagt: Bleibt in meiner Liebe! Ich bin nicht bloß zum Ausprobieren da; ich lade euch ein, als meine Freunde bei mir zu bleiben – euer ganzes Leben lang, ja bis in alle Ewigkeit.
Das sagt er zu einem jeden von euch hier. Und vielleicht beginnt ihr von daher ja nun auch, die anderen, die da um euch herum sitzen, noch mal mit anderen Augen wahrzunehmen. Es geht nicht darum, ob ihr sie für nett oder für blöd haltet. Es geht auch nicht darum, ob die anderen in der Gemeinde bei euch irgendwelche Hormonschwankungen hervorrufen. Sondern es geht darum, dass ihr alle miteinander etwas entscheidend Wichtiges gemeinsam habt: Dass ihr von ihm, Christus, geliebt seid. Und diese Liebe, die uns verbindet, die hat eben nichts mit Gefühlsduselei zu tun, sondern ist was ganz Nüchternes und Praktisches, dass mir der Andere, die Andere nicht egal ist, dass ich mich dem Anderen, der Anderen in der Gemeinde zuwende, in ihm, in ihr den Freund meines Herrn Jesus Christus sehe. Darum geht es hier in der Gemeinde, dass ich eben deshalb auch in Liebe diejenigen trage, die mich vielleicht fürchterlich nerven oder die mir selber erst mal etwas fremd erscheinen. Freunde unseres Herrn sind wir alle miteinander, von ihm geliebt. Das schließt zusammen. Das schließt auch uns zusammen hier in der Gemeinde, dass wir gegenseitig aufeinander acht haben, dass wir uns gegenseitig helfen und ermutigen, dabei zu bleiben, bei Christus zu bleiben, ihn nicht als Episode in unserem Leben irgendwann mal hinter uns lassen. Und das passiert ja auch tatsächlich in unserer Gemeinde, und darum herrscht hier bei uns auch ein anderer Geist, merken das Menschen, die zu unserer Gemeinde dazukommen, immer wieder, dass wir hier als Christen anders miteinander umgehen, als dies sonst leider oft genug Menschen miteinander tun. Ja, wenn du hier in der Gemeinde bleibst, dann hast du tatsächlich ein Leben lang eine Gemeinschaft von Mitchristen um dich, die auch dich tragen, die auch dich nicht fallen lassen, ja, die dich, ich nehme das große Wort jetzt doch in den Mund, die dich allen Ernstes lieben.

III.

Und über dieses Leben in der Gemeinschaft mit Christus, in der Gemeinschaft seiner Kirche, darfst du dich freuen, wirst du dich freuen, so sagt es Christus hier. Freude ist unendlich mehr als bloß Spaß. Spaß kannst du haben im Heidepark oder wenn du wieder Party machst oder im Kino oder wo auch immer. Ja, Spaß können und dürfen wir auch als Christen haben, ganz klar. Wenn wir als Christen nicht Grund zum Lachen haben, wer denn bitteschön dann! Aber Spaß dauert immer nur eine begrenzte Zeit, und Spaß kann man nur haben, wenn man gute Laune hat, und so manche Hohlköpfe kriegen es überhaupt nur fertig, in gute Stimmung zu kommen und Spaß zu haben, wenn sie sich vorher erstmal besoffen haben.
Jesus redet nicht von Spaß, der redet von Freude. Und Freude ist unendlich mehr. Freude ist nicht abhängig von meiner Stimmung und erst recht nicht vom Promillegehalt in meinem Blut. Ja, die Freude, die Jesus schenkt, die zeigt sich erst da eigentlich so richtig, wo der Spaß längst aufgehört hat, wo es mir vielleicht gar nicht gut geht, wo in meinem Leben so viel schief läuft. Da darf ich es dann erfahren: Mensch, was habe ich es gut, dass Christus mich in diesem ganzen Mist meines Lebens eben immer noch trägt und hält, dass er mich immer noch liebt trotz all dessen, was ich da in meinem Leben angerichtet habe. Und wenn in meinem Leben so mancher Traum auch nicht in Erfüllung gehen mag: Ich darf mich dennoch freuen, denn das Beste in meinem Leben wartet ja immer noch auf mich: die ganz große Feier, die nie mehr aufhören wird, die Feier, bei der meine Freude nie mehr getrübt werden wird, die Feier, bei der ich ihn dann auch mal mit meinen eigenen Augen sehen werde: meinen Herrn Jesus Christus, der mich so unendlich lieb hat. Ist doch klar, dass ich bei dem auch bleibe, auch weiter, dass ich bleibe und immer wieder komme, wenn er mich und all die anderen um mich herum einlädt an seinen Altar und spricht: Kommt, bleibt in meiner Liebe! Amen.