01.11.2007 | Offenbarung 7, 9-17 (Gedenktag der Heiligen)

GEDENKTAG DER HEILIGEN – 1. NOVEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER OFFENBARUNG 7,9-17

Ich sah eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm! Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind's, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

„Mit der traditionellen Heiligenverehrung können wir nichts anfangen. Lasst ihnen die Totenruhe. Ich brauche keine Heiligen“, so erklärte Bischöfin Maria Jepsen bei einer Podiumsdiskussion während des diesjährigen Deutschen Evangelischen Kirchentags in Köln und brachte damit kurz und bündig die Haltung vieler Protestanten zu den Heiligen zum Ausdruck: Mit den Heiligen kann ich nichts anfangen, ich brauche sie nicht, lasst ihnen ihre Totenruhe.
Wir feiern heute als lutherische Christen den Gedenktag der Heiligen und bringen damit zum Ausdruck, dass wir mit den Heiligen in der Tat eine ganze Menge anfangen können. Ob wir sie brauchen oder nicht, das ist nicht die Frage. Sie sind da, gehören mit zur Familie der Kirche, in der wir zu Hause sind, verbringen nicht einfach irgendwo in irgendwelchen Gräbern ihre Totenruhe, sondern sind uns für unseren Glauben in vielfacher Weise eine wichtige Hilfe. Ja, Helfer zum Glauben sind die Heiligen

- hinter uns
- um uns
- vor uns.

I.

Da erhalten wir in der Epistel des heutigen Festtages einen kleinen Einblick in die Situation der Christen in Kleinasien am Ende des ersten Jahrhunderts: Sie geraten zunehmend unter Druck, müssen zunehmend mit Schikanen, Verhaftungen, ja sogar Hinrichtungen rechnen, wenn sie sich dem Anspruch des Kaisers widersetzen, der sich von der Bevölkerung als Herr und Gott verehren ließ. Einen ersten Vorgeschmack erhalten wir hier von den Christenverfolgungen, die in den folgenden gut 200 Jahren im römischen Reich immer wieder über die Christen hereinbrachen und unzählige Christen zu Märtyrern werden ließen. Einen ersten Vorgeschmack erhalten wir hier von den Christenverfolgungen, die ihren bisherigen Höhepunkt im 20. Jahrhundert erreicht haben. Noch nie sind in einem Jahrhundert der Geschichte so viele Christen um ihres Glaubens willen umgebracht worden wie in dem Jahrhundert, das nun gerade hinter uns liegt. „Diese sind’s, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes.“
Schwestern und Brüder, dass wir heute Abend hier letztlich ganz gemütlich diesen Gottesdienst am Gedenktag der Heiligen feiern können, haben wir auch all den Männern und Frauen zu verdanken, die vor uns in der Geschichte der Kirche Glauben gehalten, ihren Glauben nicht verleugnet haben. Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche, so beschrieb es schon der Kirchenvater Tertullian. Nein, die Heiligen, die vor uns gelebt haben, sie können uns nicht egal sein und sollen es auch nicht. Dankbar dürfen wir sein für ihre Glaubenstreue, dankbar für das Zeugnis, das sie mit ihrem Leben und Sterben uns hinterlassen haben. Ermutigen lassen sollen und dürfen wir uns von ihnen, ihm, Christus, ebenfalls treu zu bleiben – wir, die wir selber nun nicht in gleicher Weise aus der großen Trübsal kommen wie diejenigen, von denen die Offenbarung hier zu berichten weiß. Unseren Horizont können die Heiligen der Kirche, die Bekenner und Märtyrer, erweitern, dass wir nicht dem Wahn verfallen, als seien wir die ersten und einzigen, die für den christlichen Glauben einzustehen hätten. Nein, da hat es unzählige andere vor uns gegeben aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen, die es erfahren haben, wie Gott ihnen hindurchgeholfen hat, wie er ihnen den Mut und die Kraft geschenkt hat, sich zu ihm bekennen zu können, ihm treu zu bleiben bis in den Tod. Wie gut, dass auch sie mit zu uns dazugehören, zur Geschichte der Kirche und damit auch zu unserer Geschichte. Ja, eine Hilfe zum Glauben sind sie für uns, die Heiligen, deren Leben schon hinter uns liegt.

II.

Doch diese Heiligen gammeln nun nicht einfach in irgendwelchen Gräbern vor sich dahin, so zeigt es uns St. Johannes hier. Wir brauchen nicht wie Frau Jepsen um ihre Totenruhe besorgt zu sein. Im Gegenteil: Sie stehen schon jetzt vor dem Thron Gottes, dürfen schon schauen, was sie geglaubt haben, dürfen jetzt schon teilhaben an der ewigen Liturgie aller Engel vor Gottes Thron. Und wenn wir unsere Gottesdienste feiern, dann feiern wir sie gemeinsam mit den Heiligen, werden ihr Lobpreis vor dem Thron Gottes und unser Lobpreis eins. Es gibt nur eine Gemeinde der Heiligen, nur eine Kirche im Himmel und auf der Erde.
Ach, wie tröstlich war es für die verfolgten Christen damals in Kleinasien, eben darum wissen zu dürfen: Während sie da irgendwo in einem Wohnhaus mehr oder weniger heimlich mit einigen, wenigen Leuten ihre Gottesdienste abhielten, feierten gemeinsam mit ihnen schon all diejenigen, die am Ziel angekommen waren, wussten sie sich umgeben von der Wolke der Zeugen, der Schar aller Heiligen. Und nichts anderes gilt auch für uns. Da sind heute Abend hier in der Kirche noch einige Sitzplätze frei geblieben. Doch in Wirklichkeit ist auch heute Abend wieder unsere Kirche brechend voll, singt auch hier in St. Marien die große Schar, die niemand zählen kann, mit, wenn wir gleich wieder einstimmen in die himmlische Liturgie und das „Heilig, heilig“ singen. Alle singen sie dann mit: die Gottesmutter Maria, die Apostel, die Märtyrer der Alten Kirche und all die für uns namenlosen Christen, die um ihres Glaubens willen ihr Leben gelassen haben in Folterkammern und Arbeitslagern. Und wenn wir nun nachher das Vaterunser anstimmen, dann dürfen wir auch daran denken, wer dieses Vaterunser gemeinsam mit uns mitbetet: Christen, die sich in islamischen Ländern heimlich zum Gottesdienst treffen, Christen, die in Nordkorea in Konzentrationslagern vor sich dahinvegetieren, ja, auch unzählige Menschen, die überall auf der Welt in großem Leid und großer Trübsal treu an ihrem Heiland Jesus Christus festgehalten haben und noch weiter festhalten. Ja, eine Hilfe zum Glauben sind sie für uns, diese Heiligen im Himmel und auf Erden, die uns umgeben, mit dazugehören zur Familie Gottes, mitfeiern mit uns auch an diesem Abend.

III.

Und diese Heiligen warten nun zugleich auch auf uns. Sie sind schon am Ziel angekommen; sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; sondern sie sind schon vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel. Wir sind noch unterwegs zu diesem Ziel. Aber ankommen sollen und werden auch wir dort, wo sie, die Heiligen und Vollendeten, schon sind; ihr Himmel ist kein anderer als der, an dem auch wir am Ende unseres Lebens einmal werden Anteil gewinnen dürfen. Denn auch wir tragen sie schon, die Kleider des Heils, haben unsere Kleider schon gewaschen und hell gemacht im Blut des Lammes am Tage unserer heiligen Taufe. Noch bleiben diese Kleider für uns unsichtbar; doch der Tag wird kommen, an dem auch wir mit diesen weißen Kleidern sichtbar vor Gottes Thron stehen und in die ewige Anbetung Gottes mit einstimmen werden. Nie mehr werden wir dort auf die Uhr schielen, ob dieser Gottesdienst nicht doch zu lang dauern könnte, nie mehr wird uns dann die Freude an der Liturgie vergehen, nie mehr werden uns irgendwelche Sorgen davon ablenken, ihn, Christus, das Lamm Gottes, auf dem Thron zu verherrlichen und zu preisen. Und genau auf dieses Ziel verweisen uns die Heiligen in unserem Leben immer wieder aufs neue, wollen uns davor bewahren, dass wir vom Weg zu diesem Ziel abkommen, dass uns je in unserem Leben etwas wichtiger sein könnte, als dort bei ihm, Christus, anzukommen. Ja, eine Hilfe zum Glauben sind sie für uns, die Heiligen dort vor uns am Ziel, denn sie zeigen uns, worauf es in unserem Leben wirklich ankommt: einmal dort mit dabei zu sein, dort bei den Heiligen. Ja, wie gut, dass wir mit diesen  Heiligen eben doch etwas anfangen können! Amen.