05.12.2007 | Habakuk 2, 1-4 (Mittwoch nach dem 1. Sonntag im Advent)

MITTWOCH NACH DEM ERSTEN SONNTAG IM ADVENT – 5. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER HABAKUK 2,1-4

Hier stehe ich auf meiner Warte und stelle mich auf meinen Turm und schaue und sehe zu, was er mir sagen und antworten werde auf das, was ich ihm vorgehalten habe. Der HERR aber antwortete mir und sprach: Schreib auf, was du geschaut hast, deutlich auf eine Tafel, dass es lesen könne, wer vorüberläuft! Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu ihrer Zeit und wird endlich frei an den Tag kommen und nicht trügen. Wenn sie sich auch hinzieht, so harre ihrer; sie wird gewiss kommen und nicht ausbleiben. Siehe, wer halsstarrig ist, der wird keine Ruhe in seinem Herzen haben, der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben.

Am 3. November dieses Jahres sollten wir hier im Pfarramt in Zehlendorf einen neuen DSL-Anschluss der Telekom bekommen. Das Angebot schien günstiger zu sein als andere, zumal ich damit künftig nun auch kostenlos im deutschen Festnetz werde telefonieren können. Doch am 3. November tat sich gar nichts, außer dass der alte Anbieter die Verbindung kappte; am 4. tat sich auch nichts, am 5. auch nichts, am 10. nichts, am 20. nichts, am 28. November nichts. Woche um Woche verging, ohne dass sich die Telekom rührte. Anrufe wurden abgewimmelt; wir sollten uns gedulden. Und das fiel mir zunehmend schwer. Ich warte nicht gerne, möchte gerne, dass Versprechen auch eingehalten werden und man mich nicht wer weiß wie lange hängen lässt.
Wir warten nicht gerne – das ist insgesamt ein Phänomen unserer Zeit. Eigentlich war der Erste Sonntag im Advent ja gerade einmal vor drei Tagen. Doch überall in unserer Stadt wurden die Weihnachtsmärkte bereits am Tag nach dem Ewigkeitssonntag, eine Woche vor dem Ersten Sonntag im Advent geöffnet, von den Dominosteinen und Lebkuchen, die man schon im September in den Kaufhäusern erwerben konnte, einmal ganz abgesehen. Und jetzt, wo wir nun tatsächlich in der Adventszeit angelangt sind, feiern viele auch schon nicht mehr Advent, sondern feiern stattdessen schon Weihnachten, wollen nicht warten bis zum 25. Dezember, singen jetzt schon Weihnachtslieder, als ob es bis dahin nicht noch drei Wochen hin wären.
Advent – Zeit des Wartens, so war und ist die Adventszeit eigentlich gemeint. Ja, eine Hilfe soll diese Zeit für uns sein, das Warten wieder neu einzuüben, nicht immer gleich alles sofort haben zu wollen, gerade auch was den Glauben, was das Verhältnis zu Gott betrifft. Und genau dazu will uns auch die alttestamentliche Lesung aus dem Buch des Propheten Habakuk anleiten, die wir eben gehört haben. Sie will uns helfen, wieder neu das Warten zu lernen, das Warten auf Gott. Ja, wir sollen als Christen Menschen sein, für die das ganze Jahr über Advent ist, die das ganze Jahr über auf Gott warten, und das heißt:

- dass wir Gott nicht abschreiben
- dass wir uns an Gottes Zusage halten

I.

Für den Habakuk war das damals noch schwieriger zu warten als für uns heute. Der wartete eben nicht bloß auf einen neuen DSL-Anschluss für seinen Computer, und der wartete auch nicht bloß darauf, dass nun endlich der Heilige Abend kommt. Sondern der wartete auf eine Antwort von Gott, wartete auf eine Antwort auf seine Fragen, die heute nach 2600 Jahren noch genauso bedrängend und aktuell sind wie damals, als Habakuk sie aussprach: „HERR, wie lange soll ich schreien und du willst nicht hören? Deine Augen sind zu rein, als dass du Böses ansehen könntest, und dem Jammer kannst du nicht zusehen! Warum siehst du dann aber den Räubern zu und schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er?“ Wieso unternimmt Gott nichts gegen die Sauereien, die auf dieser Welt geschehen, warum erklärt er uns das nicht, was das für einen Sinn haben soll, dass so viele Menschen unter Krieg und Terror zu leiden haben, unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen, während andere sich ein schönes Leben machen? Wieso geht es so vielen Schweinen auf dieser Welt gut, während so viele, die sich an Gottes Gebote halten, einen Nackenschlag nach dem anderen einstecken müssen? Nein, das war für den Habakuk nicht bloß eine rein theoretische Frage, mit der sich zu beschäftigen ja auch mal ganz interessant sein kann. Sondern diese Frage erwuchs aus einer ganz existentiellen Bedrohung: Die Babylonier rückten auf Jerusalem zu, und es war abzusehen, dass sie die Stadt bald einnehmen und ein Blutbad anrichten würden. Und Gott tat offenbar nichts dagegen, ließ das einfach geschehen, dass sein eigenes Volk von einer brutalen Militärmacht unterworfen wurde. Ja, wieso erhörte er nicht die Gebete seines Volkes? Wieso ließ er das alles geschehen?
Schwestern und Brüder, wenn wir die Frage danach stellen, wieso Gott so viel Leid auf dieser Welt zulässt, wieso er es zulässt, dass es auf dieser Welt so ungerecht zugeht, dann ist das bei uns oftmals auch keine bloß theoretische Frage, an der wir unsere Neigung zum philosophischen Diskurs befriedigen können. Sondern das ist eine Frage, die uns oft auch selber ganz persönlich an die Nieren geht, eine Frage, die sich ganz direkt in unserem eigenen Leben stellt angesichts dessen, was wir erleben und erleiden und oftmals so überhaupt nicht kapieren können.
Was macht der Habakuk hier in unserer Predigtlesung mit seinen Fragen an Gott? Er spricht sie ganz offen aus, und dann stellt er sich auf seinen Turm und wartet, so beschreibt er es hier. Nein, Habakuk schreibt Gott nicht ab, er erklärt nicht, dass man angesichts des Leides in dieser Welt doch gar nicht mehr an Gott glauben könne, sondern er lässt nicht locker, fragt und fragt und wartet, wartet darauf, dass er schließlich doch noch von Gott eine Antwort bekommt, die ihm das Glauben und Leben weiter ermöglicht.
Und genau dazu leitet Habakuk auch uns an: Nein, wir brauchen unsere Anfragen an Gott nicht herunterzuschlucken, wir sollen und dürfen sie aussprechen, die Anfragen, ja sogar dann, wenn aus den Anfragen Anklagen werden. Wir brauchen uns da nicht vornehm zurückzuhalten. Ja, gerade auch dazu ist die Adventszeit in besonderer Weise da, dass wir nach Gott schreien, nach seinem Eingreifen verlangen und ihm ganz unverhohlen klagen, warum es so dringend nötig wäre, dass er kommt und eingreift: Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.
Doch wichtig ist es, dass wir uns mit diesen Fragen und Klagen an Gott wenden, dass wir sie an ihn richten und uns mit unseren Fragen und Klagen gerade nicht von Gott wegdrehen. Ja, auch wenn wir nicht kapieren können, weshalb Gott so gar nicht zu antworten scheint, auch wenn wir nicht kapieren können, weshalb er so ganz anders handelt, als wir es uns bei einem gerechten und liebenden Vater vorstellen würden, sollen wir es ihm sagen, ihn darin ernst nehmen und darum auch weiter allen Ernstes auf eine Antwort warten, auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint, dass wir diese Antwort noch einmal bekommen. Ja, wir dürfen uns den Habakuk zum Vorbild nehmen: „Hier stehe ich auf meiner Warte und stelle mich auf meinen Turm und schaue und sehe zu, was er mir sagen und antworten werde auf das, was ich ihm vorgehalten habe.“ Der muss mir antworten, der kann und wird am Ende nicht kneifen, und darum warte ich weiter, nicht nur bis zum Heiligen Abend, sondern bis er mich endlich verstehen lässt, was ich jetzt noch so gar nicht begreifen kann.

II.

Und dann antwortet Gott dem Habakuk: Er fordert ihn auf, diese Antwort Gottes aufzuschreiben, und bekräftigt daraufhin schlicht und einfach noch einmal, dass sein Versprechen sich erfüllen wird, dass er selber kommen wird und denen, die zu ihm gehören, Recht schaffen wird, ja mehr noch: dass er kommen wird, um uns zu retten. Gott fordert den Habakuk auf, genau hinzuschauen: Nein, dieses Versprechen hat sich noch nicht erfüllt; aber Gott hat schon etwas in Gang gesetzt, er hat mit der Erfüllung seiner Verheißung schon begonnen. Und gerade darum wäre es Irrsinn, sich von Gott abzuwenden, zu meinen, es sei besser, ohne ihn zu leben. Nein, das Warten wird sich lohnen, wird einmünden in ein Leben, in dem einmal endgültig klar werden wird, was jetzt noch so unbegreiflich bleibt.
Dem Habakuk hat Gott damals direkt geantwortet. Wie er das getan hat, das entzieht sich unserem Vorstellungsvermögen. Und das ist eben auch nicht der Normalfall, dass wir auf unsere Fragen eine direkte Antwort vom Himmel bekommen. Der Normalfall ist, dass wir uns an das halten, was diejenigen aufgeschrieben haben, wie der Habakuk, die von Gott solch eine Antwort erhalten hatten. Der Normalfall ist, dass wir uns an diese geschriebenen Antworten Gottes halten und darauf vertrauen, dass Gott wahrmachen wird, was er darin versprochen hat. Ja, auch wir haben Gottes Versprechen, dass unser Leben eben nicht bloß mit einem großen Fragezeichen enden wird, dass wir am Ende nicht nur im Dunkel des Todes, ja, in der Verzweiflung versinken, sondern dass auch wir ihm selber, dem lebendigen Gott, begegnen werden, dass Gott selber kommen wird und einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, in welchen Gerechtigkeit wohnt.
Ach, das ist schon so lange her, dass Gott das versprochen hat, so magst du einwenden. Und es ist bis jetzt immer noch nichts davon zu sehen. Doch halt, das stimmt ja nun auch wieder nicht. Es ist ja schon etwas geschehen; Verheißungen und Versprechungen Gottes, die er viele Jahrhunderte zuvor gemacht hatte, sie haben sich schon erfüllt, so bedenken wir es gerade jetzt in der Adventszeit: Gott sei Dank durch alle Welt, der sein Wort beständig hält und der Sünder Trost und Rat zu uns hergesendet hat. Was der alten Väter Schar höchster Wunsch und Sehnen war und was sie geprophezeit, ist erfüllt in Herrlichkeit. Gottes Zeitrechnung ist eine andere als unsere. In Christus hat sich schon erfüllt, was Gott damals dem Habakuk zugesagt hatte: Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu ihrer Zeit und wird endlich frei an den Tag kommen und nicht trügen. Wenn sie sich auch hinzieht, so harre ihrer; sie wird gewiss kommen und nicht ausbleiben. Er ist gekommen, der Davidssohn, geboren in Bethlehem von einer Jungfrau, er, der sich ganz auf unsere Seite gestellt hat, selber am Ende die eine Frage gestellt hat: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Er ist gekommen, der Davidssohn, der mit seiner Auferstehung den Menschen eine Hoffnung geschenkt hat, die über das Ende ihres irdischen Lebens hinausreicht. Ja, er ist gekommen, der Davidssohn, damit wir’s erkennen: Gott steht zu seinem Wort; Gott ist keine himmlische Telekom, die einfach nur immer weiter vertröstet, ohne dass etwas passieren würde. Schau dich um hier in dieser Gemeinde, schau dich um überall auf der Welt: Gottes Verheißungen beginnen sich schon jetzt zu erfüllen; Gott baut sein Reich, und eben so gehen wir der Wiederkunft seines Sohnes entgegen.
Halte dich darum an Gott und sein Wort, trotz aller gegenteiligen Erfahrungen in deinem Leben; gründe dein Leben allein auf dieses Wort. Dann wird auch für dich das Versprechen deines Gottes gelten: Der Gerechte wird durch seinen Glauben leben – nein, nicht weil der Glaube eine großartige religiöse Leistung des Menschen wäre, sondern weil der Glaube einen Grund hat, der trägt: Gottes Treue. Nutze darum die Adventszeit in diesem Jahr wieder neu dazu, das Warten zu üben, indem du dir in allem Trubel dieser Wochen Zeit nimmst für Gott und sein Wort, ja besonders für die Versprechen, die er uns in diesem Wort gegeben hat. Gott lässt dich nicht ewig in einer Warteschleife hängen. Er antwortet dir schon jetzt und hier in diesem Gottesdienst und wird dir auch die letzten Antworten nicht schuldig bleiben. Ja, es lohnt sich zu warten. Amen.