12.12.2007 | Sacharja 2, 14-17 (Mittwoch nach dem 2. Sonntag im Advent)

MITTWOCH NACH DEM ZWEITEN SONNTAG IM ADVENT – 12. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER SACHARJA 2,14-17

Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR. Und es sollen zu der Zeit viele Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk sein, und ich will bei dir wohnen. - Und du sollst erkennen, dass mich der HERR Zebaoth zu dir gesandt hat. - Und der HERR wird Juda in Besitz nehmen als sein Erbteil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen. Alles Fleisch sei stille vor dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte!

Das hätte sich der Sacharja vermutlich niemals gedacht, dass zweieinhalbtausend Jahre später viele tausend Kilometer entfernt von Jerusalem seine Worte als Predigtlesung in einer christlichen Gemeinde in Berlin verlesen werden würden. Doch genau das ist es, was wir heute Abend in dieser Predigt miteinander bedenken wollen: Wie kommen wir eigentlich dazu, uns in diesem Gottesdienst mit den Worten eines Bewohners einer persischen Provinz im Jahr 520 vor Christi Geburt zu befassen, die sich auf eine Situation beziehen, die heute ganz weit weg von uns liegt?
Als Sacharja damals diese Worte sprach, befand er sich auf einer Baustelle. Wenige Jahre waren erst vergangen, seit den verschleppten Juden im babylonischen Exil vom persischen König Kyros erlaubt worden war, wieder in ihre Heimat heimzukehren. Und so waren wenigstens einige von ihnen wieder nach Jerusalem zurückgekehrt, hatten dort im Wesentlichen nur einen Trümmerhaufen vorgefunden und fingen nun an, aus diesen Ruinen wieder eine bewohnbare Stadt zu erbauen - natürlich mit dem Tempel im Zentrum. Dabei gab es damals allerdings auch schon ganz aktuelle Probleme, die wir heute auch kennen: Was macht man, wenn man gleichzeitig eine Unterkunft für seine Familie bauen muss und dann auch noch den Tempel aufbauen soll? Erst mal war natürlich die Familie dran, und wenn man dann immer noch Zeit und Geld übrig hatte, dann konnte man ja auch noch ein bisschen was an dem Tempel tun. Und so kamen die Bauarbeiten am Tempel nicht recht voran; jeder war erst mal darauf bedacht, sein Privatleben einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Und was macht der Sacharja hier nun? Nein, er schimpft die Israeliten nicht dafür aus, dass sie sich nicht genügend um den Tempel kümmerten, sondern er verkündigt ihnen eine mitreißende Heilsbotschaft, stellt den Israeliten vor Augen, was sie künftig erwartet, und macht ihnen gerade so Mut, mit dem Aufbau von Stadt und Tempel fortzufahren. Und was er den Israeliten dort verkündigte, das war eben keine psychologische Trickserei, sondern das war das Wort des HERRN selber: Gott macht seinem Volk mit diesen Worten Mut, auch wenn diese Worte doch so gar nicht zu der gegenwärtigen Realität zu passen schienen, die die Bewohner Jerusalems damals tagtäglich vor Augen hatten. „Du sollst erkennen, dass mich der HERR Zebaoth zu dir gesandt hat.“ – So macht der Sacharja hier seinen Zuhörern klar, dass sie allen Grund haben, seine Worte ernst zu nehmen, sie nicht für die Worte eines Träumers, eines Spinners zu halten. Zweierlei kündigt Sacharja hier im Auftrag des HERRN seinem Volk an: Gott kommt zu seinem Volk, um bei ihm zu wohnen, und Gottes Volk wird künftig ein Volk aus vielen Völkern sein.
„Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR.“ – Das klingt für uns so nett und adventlich. Aber so adventlich und fröhlich war den Leuten damals überhaupt nicht zumute, als sie diese Worte hörten: Leute, die da in ihren halbfertigen Bruchbuden saßen und manchmal vielleicht sogar ein wenig neidisch zurück an die Zeit in Babylon dachten, wo man doch, wenn man ehrlich war, sogar etwas bessere Unterkünfte gehabt hatte. Gott kommt zu seinem Volk – also, davon war auf diesem Ruinenfeld nun gar nichts zu erkennen. Und fast noch irrsinniger klang die Ankündigung, dass sich einmal viele Völker zu dem HERRN wenden würden. Wohin denn, bitteschön? Ein Gott, der noch nicht mal einen anständigen Tempel vorzuweisen hatte, der sollte für die anderen Völker, die doch viel stärker und mächtiger waren, so attraktiv sein, dass sie sich zu ihm und seinem Volk bekennen sollten? Das klang doch geradezu absurd!
Gott ist zu seinem Volk gekommen, um bei ihm zu wohnen, ja, damals in Jerusalem. Nicht lange, nachdem Sacharja seine Worte gesprochen hatte, stellte man den Tempel in Jerusalem tatsächlich fertig. Gewiss, im Vergleich zum Tempel Salomos sah er eher wie eine drittklassige Hundehütte aus, und so wird davon berichtet, dass diejenigen Rückkehrer, die sich noch an das Aussehen des alten Tempels erinnern konnten, in Tränen ausbrachen, als sie dieses Mickerding nun vor sich stehen sahen. Und doch stimmte es: Gott kam zu seinem Volk, kam nach Jerusalem, um diesen Tempel zu seiner Wohnung werden zu lassen. Israel hatte Grund zur Freude: Gott selbst wohnte in seiner Mitte, auch wenn der Tempel von außen betrachtet ein jämmerliches Gebäude blieb. Davon, dass andere Völker sich zum HERRN wenden würden, war allerdings nun gar nichts zu erkennen; im Gegenteil: Israel hatte in den folgenden Jahrhunderten genug damit zu kämpfen, dass es nicht einfach in der Kultur anderer Länder aufging und seine eigene Identität verlor. Statt sich zum HERRN zu wenden, latschte ein Nachfolger Alexanders des Großen in das Allerheiligste des Tempels und ließ dort im Tempel ein Zeusstandbild errichten. Von der Heilszeit, die Sacharja angekündigt hatte, war da nichts, aber auch gar nichts zu erkennen.
Doch wenn Gott etwas verspricht, dann hält er es auch; ja, mehr noch: wenn er ein Versprechen erfüllt, dann so, dass er daraus immer noch etwas Neues, Größeres hervorwachsen lässt. 160 Jahre, nachdem Antiochus Epiphanes IV. im Jerusalemer Tempel sein gräuliches Standbild hatte errichten lassen, wird in einem Stall von Bethlehem ein Kind geboren, über dessen Geburt bald darauf geschrieben wird: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Ja, freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR. Da erfüllt es sich, dieses Wort, noch mal in einer ganz neuen Weise; da finden wir Gottes Wohnung nun nicht mehr in einer besseren Hundehütte, die in der Zwischenzeit vom König Herodes im Übrigen zu einem gewaltigen Heiligtum ausgebaut worden war, sondern wir finden Gottes Wohnung in einem Futtertrog in einem Viehstall. Gott macht sein Versprechen wahr – doch zugleich so, dass niemand damit gerechnet hätte, dass er auf diese Weise und nicht anders zu seinem Volk kommt. Und die, die als erste jubeln und sich freuen, das sind die Hirten, das ist als erstes der Abschaum der Gesellschaft. Doch sie bleiben mit ihrem Gang zur Krippe nicht allein. Bald darauf erscheinen Astrologen aus dem Irak und Iran bei diesem Kind, beginnt mit ihnen die Hinwendung der Heidenvölker zu dem HERRN, die Sacharja im Auftrag Gottes einst angekündigt hatte. Und als das Kind in der Krippe dann erwachsen geworden ist, zieht er unter dem Jubel der Tochter Zion in seine Stadt ein, kommt er als ihr König zu ihr, und bald darauf, nach seiner Auferstehung, erklärt er zum Programm, was für Sacharja selber noch Zukunftsmusik blieb: Gehet hin in alle Welt, und macht zu Jüngern alle Völker.
Und so sitzen wir nun heute Abend hier in der Kirche und kriegen uns hoffentlich vor Staunen nicht mehr ein, vor Staunen darüber, was für eine Langzeitwirkung diese Worte des Sacharja entfaltet haben. Wir, die wir hier sitzen, gehören ja zu den Völkern, die sich zum HERRN wenden werden, verehren ihn, den Gott Israels, als unseren Gott, zugleich als den Vater Jesu Christi, als den Gott, der gekommen ist, um bei seinem Volk, um auch bei uns zu wohnen. Nein, wir blicken bei den Worten des Propheten Sacharja ja nicht bloß zurück auf das, was geschehen ist, sondern lassen von diesen Worten auch unsere Gegenwart deuten:
Wir haben allen Grund zu jubeln, uns zu freuen und fröhlich zu sein, denn Gott der HERR kommt auch zu uns, in unsere Mitte, macht auch diese Kirche zu seiner Wohnung, wenn er bei uns Einzug hält in seinem Wort, in seinem Heiligen Mahl. Ja, ich weiß, liebe Schwester, lieber Bruder, du hast es schon so oft gehört, und doch bleibt es immer wieder neu ein Grund zum Staunen und zur Freude: Der allmächtige Gott bleibt nicht auf Abstand zu uns, sucht unsere Nähe, will uns auf Dauer mit sich verbinden. Die unterschiedlichsten Menschen sammelt er dabei um sich, ja, auch da reicht ein Blick auf unsere eigene Gemeinde, um davon etwas zu erahnen, dass Gott Menschen aus vielen verschiedenen Völkern zu sich ruft, dass Gottes neues Volk ein Volk aus vielen Völkern ist, wie es damals Sacharja ankündigte, auch wenn das damals noch völlig utopisch klang. Die Utopie – sie ist Realität geworden, auch in unserer Mitte.
Ja, um Realität geht es, nicht um einen netten Exkurs durch die Geistesgeschichte. Es geht hier nicht um die Ausbreitung einer Idee, sondern darum, dass derselbe Herr, der vor zweitausendfünfhundert Jahren durch Sacharja sprach, heute Abend nun hier in diesem Raum zu euch spricht, ja zu euch kommt. Gott ist gegenwärtig – was das heißt, formuliert Sacharja hier am Ende sehr eindrücklich: Alles Fleisch sei stille vor dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte! Es ist gut, wenn das auch unsere Haltung in jedem Gottesdienst und vor jedem Gottesdienst ist, dass wir stille werden, dass wir uns das vor Augen halten: Gott hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte; Himmel und Erde werden jetzt eins. Dann kann es nicht die Aufgabe der Orgel sein, wie ich es mitunter in Kirchen schon erlebt habe, den Lärmpegel der sich angeregt unterhaltenden Gemeinde etwas abzusenken; dann ist es angemessen, wenn Stille herrscht in der Kirche schon vor Beginn des Gottesdienstes und erst recht, wenn wir den Gottesdienst selber feiern. Worte Gottes erfüllen sich nach zweieinhalbtausend Jahren – wenn das kein Grund ist, den Atem anzuhalten!
Und wenn wir dann den Gottesdienst feiern, dann bekommen wir schon eine Vorahnung davon, dass sich die Worte des Sacharja, nein: die Worte Gottes des HERRN selber, noch einmal in einer ganz anderen Weise endgültig erfüllen werden: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. – Diese Stimme durfte der Seher Johannes schon vernehmen, als er das neue Jerusalem sah. Und so gewiss Gott seine Worte schon jetzt immer wieder erfüllt, so gewiss wird er diese Erfüllung noch einmal unendlich überbieten, wenn er sich einmal endgültig aufmachen wird, in unserer Mitte sichtbar zu erscheinen, um seine neue Welt zu schaffen.
Darum, Schwestern und Brüder, hören wir uns heute Abend die Worte des Propheten Sacharja an, damit wir eine Ahnung davon bekommen, was für eine Kraft und was für eine Zuverlässigkeit die Worte Gottes besitzen, die wir hören, ja, damit wir nicht bloß zurück, sondern nach vorne blicken: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht! Amen.