16.12.2007 | Offenbarung 3, 1-6 (3. Sonntag im Advent)

DRITTER SONNTAG IM ADVENT – 16. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER OFFENBARUNG 3,1-6

Dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert. Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Vor sechs Jahren wurde unser Land vom PISA-Schock erfasst: Da hatten wir hier in Deutschland zumeist geglaubt, wir hätten ein hervorragendes Schulsystem, das viel besser sei als die Schulangebote in den meisten anderen Ländern; ja, wir hatten geglaubt, die gute Bildung in Deutschland sei doch auch für unsere Zukunft ein erheblicher Standortvorteil. Doch dann stellte sich bei der PISA-Studie heraus, dass wir mit unserem Schulsystem in Deutschland mitnichten zu den weltweit führenden Ländern zählen, dass es viele Länder auf der Welt gibt, in denen die Schüler besser unterrichtet werden und besser lernen, ja dass es nicht zuletzt viele Länder weltweit gibt, in denen Kinder ärmerer Eltern bessere Chancen auf einen guten Schulabschluss haben, als dies hier in unserem Land der Fall ist. Vieles hat man nach diesem ersten PISA-Schock zu ändern versucht. Ob diese Maßnahmen tatsächlich alle fürchterlich sinnvoll waren, wage ich in mancherlei Hinsicht zu bezweifeln, wenn ich mir etwa den Schulstress anschaue, dem sich viele Kinder und Jugendliche auch in unserer Gemeinde mittlerweile ausgesetzt sehen. Doch zumindest hat man begonnen, Probleme in unserer schulischen Ausbildung wahrzunehmen, die man vorher oft genug ignoriert hatte.
In unserer heutigen Predigtlesung können wir gleichsam live miterleben, wie einer christlichen Gemeinde auch so etwas Ähnliches widerfährt wie ein PISA-Schock, nämlich eine Art von Jesus-Schock. Da hatte die Gemeinde in Sardes in Kleinasien insgesamt einen guten Ruf: Sie lebte in einer schönen Kleinstadt, die früher sogar einmal die Hauptstadt des Reiches des legendären Königs Krösus gewesen war, und sie selber wie auch die Gemeinden in ihrer Umgebung hielten die Gemeinde in Sardes für eine lebendige Gemeinde, für eine Vorzeigegemeinde. Ja, da in Sardes, da ist was los! Doch nun erhält die Gemeinde in Sardes eines Tages einen Brief, nein, nicht von irgendeiner Untersuchungskommission, sondern von dem erhöhten Christus selber, und dieser Brief enthält eine kurze, knackige Analyse des Zustands der dortigen Gemeinde. Und diese Analyse fällt nun noch sehr viel vernichtender aus als die PISA-Studie über das deutsche Schulwesen vor sechs  Jahren. Schockierend ist es, was Christus dort in der Gemeinde wahrnimmt und wofür die Gemeinde selber offenbar blind gewesen war. Ja, sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie es eigentlich um sie stand.
Schwestern und Brüder, wie wohl eine Analyse des Zustands unserer Gemeinde durch den erhöhten Christus ausfallen würde? Was er uns wohl schreiben würde? Nein, Schwestern und Brüder, es wäre zu billig, wenn wir das, was Christus der Gemeinde in Sardes schreibt, nun einfach auf unsere Gemeinde übertragen würden. Christus weiß zwischen verschiedenen Gemeinden sehr wohl zu differenzieren, so macht uns schon allein ein Vergleich der heutigen Predigtlesung mit der Predigtlesung des letzten Sonntags deutlich, als Christus für die Gemeinde in Philadelphia ganz andere Worte fand, als er sie hier nun für die Gemeinde in Sardes gebraucht. Aber dem Schreiben an die Gemeinde in Sardes können doch auch wir für unsere Gemeinde vieles entnehmen, wollen uns darum die drei Irrtümer genauer anschauen, denen die Gemeinde in Sardes damals erlegen war, damit nicht auch wir auf dieselben Irrtümer hereinfallen. Drei Irrtümer in der Selbstwahrnehmung der Gemeinde deckt Christus, der Herr, hier in unserer Predigtlesung auf:

- Wir sind eine lebendige Gemeinde.
- Wir sind gut vorbereitet.
- Wir kommen alle in den Himmel.

I.

Schwestern und Brüder: Schon die ersten Sätze, die Christus an die Gemeinde in Sardes richtet, treffen ja auch bei uns voll ins Schwarze: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Ja, das sagt man unserer St. Mariengemeinde ja nach, das höre ich auch selber immer wieder hier und da, dass die Leute behaupten, wir seien eine lebendige Gemeinde: Ja, bei denen ist was los! Mag ja sein, dass bei uns eine Menge los ist; aber könnte es etwa dennoch sein, dass das Urteil unseres Herrn Jesus Christus auch auf unsere Gemeinde zutrifft: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot?
Brüder und Schwestern, ich behaupte nicht, dass dies so ist, dass wir in Wirklichkeit eine tote Gemeinde seien; ich kann mir das, ehrlich gesagt, auch nicht ganz vorstellen. Aber nun kommt es auf meine, auf unsere Vorstellung auch gar nicht an. Wir wollen uns vielmehr überlegen, wie Christus denn darauf kommt, eine Gemeinde, die den Ruf hatte, eine lebendige Gemeinde zu sein, für tot zu erklären. Eine ausführliche Begründung führt Christus hier nicht an; wir müssen also versuchen, ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen.
Wenn man sich die Worte Christi so anhört, dann gewinnt man den Eindruck, dass die Gemeinde in Sardes mit sich selber offenbar ganz zufrieden war. Die Gemeinde bestand schon eine ganze Weile, hatte in der Vergangenheit auch guten Zulauf gehabt; man fühlte sich wohl in der Gemeinde; alles lief dort doch ganz gut.
Selbstzufriedenheit – ist das eine Gefahr auch für unsere Gemeinde? Nein, Schwestern und Brüder, ich will nun wirklich nicht behaupten, dass es falsch sei, dass sich so viele von euch hier in der Gemeinde so wohlfühlen, ja, dass sie von unserer Gemeinde so begeistert sind. Ich will wirklich nicht behaupten, dass das nicht gut sei, dass wir hier in unserer Gemeinde keine Grabenkämpfe und Richtungsstreite führen, sondern alle miteinander an einem Strang ziehen. Ich will wirklich nicht behaupten, das sei nicht gut, wenn ihr auch anderen, die noch nicht zu unserer Gemeinde gehören, etwas von unserer Gemeinde vorschwärmt. Nein, Selbstzufriedenheit meint etwas anderes. Selbstzufriedenheit – darin steckt zum einen die Einstellung: Schaut her, was wir geschafft haben, wie wir die Gemeinde aufgebaut haben! Wenn andere Gemeinden sich auch so anstrengen würden, dann würden sie auch besser dastehen! Weh uns, wenn wir in solch eine Selbstzufriedenheit verfallen sollten, wenn wir meinten, wir selber könnten unsere Gemeinde zum Wachsen und Blühen bringen! Dann kann Christus uns auch sehr schnell zeigen, an wem das Wachstum denn nun hängt und an wem nicht! Und Selbstzufriedenheit meint zum anderen, dass wir meinen, wir seien doch eigentlich groß genug; so, wie es im Augenblick bei uns liefe, würde es doch auch weiter reichen. Wozu immer noch Leute von draußen einladen? Wozu immer noch neue Ideen entwickeln, wozu den Pastor mit immer mehr anderen Leuten teilen? Ja, eine Gemeinde, die sich selbst genug ist, die nicht mehr wahrnimmt, dass sie für andere da ist, steht in der Gefahr, geistlich abzusterben, auch wenn es scheinbar doch wirklich gut in ihr läuft.
Ein anderes Indiz: Stärke das andre, das sterben will, sagt Christus zu der Gemeinde. Offenbar bekam die Gemeinde gar nicht mehr mit, dass es da Glieder in ihrer Mitte gab, die gestärkt werden mussten, die in der Gefahr standen, sich vom Leben in der Gemeinschaft mit Christus zu isolieren. Ja, wenn eine Gemeinde solche Prozesse nicht mehr wahrnimmt, den Betrieb immer weiterlaufen lässt und nicht erkennt, wo ihre Glieder solche Stärkung brauchen, dann hat das Rückwirkungen auf die Gemeinde als ganze. „Stärke das andre, das sterben will“. Nehmen wir wahr, wo Glieder unserer Gemeinde geistlich abzusterben drohen, sich selber abschneiden von Gottes Wort und Sakrament, nehmen wir wahr, wo solche Gemeindeglieder dringendst der Stärkung, der Ermutigung, der Einladung bedürfen? Oder begnügen wir uns damit, dass es ja immer noch genügend gibt, die kommen? Geistlich gefährlich wäre eine solche Einstellung für uns als Gemeinde insgesamt!
Aber vor allem können wir nur lebendige Gemeinde sein und bleiben, wenn wir selber dranbleiben an der Lebensquelle selber, an Christus, an seinem Wort, an seinem Leib und Blut im Heiligen Mahl. Es ist wunderbar, dass wir in unserer Gemeinde so vielfältige Aktivitäten haben. Aber sie gewinnen ihren Sinn nur, wenn sie allesamt herkommen von der Begegnung mit Christus im Sakrament. Es ist wunderbar, wenn Gemeindeglieder sich treffen zum Basteln, zum Kaffeetrinken, wenn sie gemeinsam ins Kino gehen oder Pizza essen. Aber Basteln und Pizzaessen machen nicht selig; sie sind auch keine Gnadenmittel, keine Steckdosen des Heiligen Geistes. Doch eben an diesen Steckdosen müssen wir angeschlossen bleiben, müssen sie immer wieder kräftig nützen, wenn wir eine Gemeinde bleiben wollen, die nicht nur den Namen hat, dass sie lebt, sondern die wirklich lebendige Gemeinde ist.

II.

Einem zweiten Irrtum war die Gemeinde in Sardes damals erlegen: Man lebte in der Gemeinde vor sich hin und glaubte, man sei gut vorbereitet, gut abgesichert dort in der Gemeinde. Man wusste, dass Christus irgendwann wiederkommt; ja, sollte er doch kommen, bei ihnen war alles in Ordnung.
Doch genau das bestreitet Christus nun in seinem Brief an die Gemeinde in Sardes, legt den Finger auch ganz direkt in die Wunde: Die Gemeinde hat verlernt, Buße zu tun, umzukehren, aus der Kraft ihrer Taufe zu leben. Und so war sie in geistlichen Tiefschlaf versunken, döste vor sich hin und hatte in diesem Zustand keine Chance, vor ihm, dem wiederkommenden Christus, am Ende zu bestehen.
Brüder und Schwestern, mir ist aufgefallen, wie oft in den Predigtlesungen der vergangenen Wochen von der Wiederkunft unseres Herrn die Rede war. Immer wieder habe ich nun auch darüber gepredigt, nicht, weil das mein Steckenpferd wäre, erst recht nicht, weil ich dies für ein besonders effektives Druckmittel hielte, sondern schlicht und einfach, weil ich euch in der Predigt nun mal auszurichten habe, was Gottes Wort euch sagt. Aber nun fragt euch selber einmal ganz konkret: Hat diese beständige Erinnerung an das Kommen des Herrn in den vergangenen Wochen irgendetwas in eurem Leben verändert? Hat diese Erinnerung irgendetwas im Leben unserer Gemeinde verändert? Oder werkeln wir einfach weiter vor uns hin, als sei doch gar nichts geschehen, ja besser noch: als könnte so bald auch gar nichts geschehen? Hat der Ausblick auf den wiederkommenden Herrn unsere Entscheidungen in irgendeiner Weise beeinflusst, oder waren wir in den vergangenen Tagen vielleicht so auf den 24. Dezember fixiert, dass uns dieser viel wichtigere Ausblick völlig aus dem Sinn geraten ist? Und welche Bedeutung hat es umgekehrt in diesen vergangenen Wochen ganz konkret für uns in unserem Leben gehabt, dass wir getauft sind? Ist uns das klar gewesen, dass wir in der Kraft unserer Taufe nicht so zu leben brauchen, wie alle anderen das auch tun? Haben wir uns in der Kraft unserer Taufe daran gemacht, gegen unsere Lieblingssünden in unserem Leben anzugehen, oder haben wir geglaubt, auf diesen Kampf verzichten zu können, weil der doch viel zu lästig wäre?
Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott, sagt Christus hier. Träum nicht länger vor dich hin, werde dir darüber klar, dass Christus die Realität für dein Leben ist, nicht nur hier in der Kirche, sondern zu jeder Stunde deines Lebens. Nimm dir Zeit, über dein Leben nachzudenken, gerade jetzt in dieser Adventszeit, nimm dir Zeit, zur Beichte zu kommen, glaube doch nicht, du könntest darauf verzichten, du hättest das nicht nötig! Ja denke daran, was du gehört hast, was du gelernt hast, als du hier in die Gemeinde gekommen bist, als du konfirmiert worden bist, halte es fest, tu Buße, kehre um, lass dir Gottes Vergebung, seine Absolution immer wieder von neuem zusprechen! Christus wird plötzlich kommen wie ein Dieb, und weh dir, wenn du dann nicht vor ihm bestehen kannst!

III.

Und dann spricht Christus noch einen Irrtum der Gemeinde in Sardes an, die so weit verbreitete Auffassung, wir kämen am Ende doch sowieso alle in den Himmel.
Nein, Christus differenziert hier sehr deutlich, und zwar innerhalb der Gemeinde in Sardes: Du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert. Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, diese Worte sind ein Hammer. Da dachten sich wahrscheinlich auch damals schon so manche Gemeindeglieder in Sardes: Hauptsache, ich gehöre noch irgendwie zur Gemeinde; das wird schon reichen, um am Ende gerettet zu werden. Doch Christus sagt: Nein, sondern ich sehe da im Augenblick nur einige in der Gemeinde, die auf dem Weg zum Ziel sind, während so viele andere von diesem Weg abzukommen drohen. Nein, eine Eintragung auf einer Karteikarte in der Gemeindekartei wird dich am Ende in Gottes Gericht nicht retten; eine Teilnahme am Unterhaltungsprogramm der Gemeinde wird dich am Ende auch nicht retten, auch nicht dein Kirchenbeitrag, auch nicht deine fromme Großmutter, auch nicht dein guter Wille. Retten kann dich allein Christus, derselbe Christus, der einmal am Ende als Richter und als Zeuge erscheinen wird, der einmal vor seinem Vater bezeugen wird, ob du mit ihm gelebt hast, in seiner Gemeinschaft, ob du dich zu ihm gehalten, aus seiner Vergebung gelebt hast oder ob du gemeint hast, ohne ihn auszukommen, ob du ihn verleugnet hast, ihn irgendwo in die letzte Reihe deines Lebens gepackt hast. Ja, von diesem Bekenntnis deines Herrn zu dir wird einmal für dich alles, wirklich alles abhängen: Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater; wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.
Darum, dass du mit weißer Weste, mit weißem Kleid vor ihm, Christus, stehen kannst, darum geht es in deinem Leben. Nein, dieses weiße Kleid, das dir in deiner Taufe geschenkt worden ist, das bekommst du selber nicht mehr sauber, wenn du es bekleckert hast. Das kann nur Christus selber reinigen mit seinem heiligen Blut hier in seinem heiligen Mahl. Lass dich darum immer wieder von ihm reinwaschen und setze so deine ganze Hoffnung auf ihn, deinen Herrn. Dann wird er auch deinen Namen am Ende einmal vorlesen aus dem Buch des Lebens, dann wirst auch du tatsächlich einmal in den Himmel kommen, nicht, weil das doch klar ist, weil du doch zur Kirche gehörst, sondern weil er, Christus, dich umkleidet hat mit seiner Gerechtigkeit.
Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, die Worte unserer heutigen Predigtlesung klangen wenig adventlich; da war nicht viel mit „Lustig, lustig, trallalalala“; die Worte, die uns der holde Knabe mit lockigem Haar hier zumutet, sind nicht gerade leicht verdaulich. Und doch bleibt der, der hier spricht, zugleich der, der uns liebt und uns erlöst hat, wie es gleich zu Beginn der Offenbarung heißt. Aus Liebe zu uns, zu seiner Gemeinde, spricht er hier, will uns doch jetzt aufwecken, uns jetzt einen heilsamen Schock verpassen, damit wir wieder ankommen in der Realität und uns ja nichts selber vormachen. Nein, Christus will auch in unserer Gemeinde niemanden aussortieren; er will sie am Tage seines Kommens doch alle einmal aus dem Buch des Lebens vorlesen: die Namen, die heute in unserem Kommunikantenbuch eingetragen stehen – und auch die, die heute noch fehlen. Amen.