25.12.2007 | Galater 4, 4-7 (Heiliges Christfest)

HEILIGES CHRISTFEST – 25. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER GALATER 4,4-7

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Was unterscheidet eigentlich Jesus von Knut? Die Frage scheint berechtigt, wenn wir auf die vergangenen Wochen und Monate dieses Jahres zurückblicken. Ein gutes Jahr ist es mittlerweile her, seit Knut, der Eisbär, im Berliner Zoo geboren wurde. Und es dauerte nicht lange nach der Geburt, da pilgerten die Menschen in Scharen zu Knut, um ihn sich anzuschauen, diesen süßen, knuddeligen Eisbären. Einmal Knut gesehen zu haben – das war Kult, dafür war man bereit, auch stundenlang in einer Schlange anzustehen. Aber wenn man dann Knut gesehen hatte, dann war es auch gut; dann kaufte man sich vielleicht zur Erinnerung noch irgendein Knut-Souvenir; aber das war es dann auch schon. Und je älter Knut wird, desto mehr schwindet das Interesse der Zoobesucher an ihm. Knut war nur ein Publikumsmagnet, solange er noch richtig klein war.
Was unterscheidet eigentlich Jesus von Knut? Die Frage scheint berechtigt. Da haben wir es in unserem Lande auch gestern wieder erlebt, wie die Leute in großen Scharen in die Kirchen strömten zum Babygucken, um teilzuhaben an dem Jesusbaby-Hype, der einmal im Jahr in unserem Lande ausbricht. Einmal im Jahr Jesus in der Krippe angucken – das ist Kult. Aber das reicht dann auch, das ist dann auch genug. Dass dieser Jesus auch als Erwachsener noch interessant sein könnte, dass er als Erwachsener etwas gesagt oder getan haben könnte, was für uns auch heute von Bedeutung ist, darauf kommen die meisten, die zum Babygucken angetreten sind, wohl kaum. Das süße, harmlose Baby in der Krippe, das uns nach dem Kindchenschema reagieren lässt, das reicht, um uns in die Stimmung zu versetzen, die wir in diesen Tagen brauchen und haben wollen.
Was unterscheidet eigentlich Jesus von Knut? Genau auf diese Frage antwortet der Apostel Paulus in der Predigtlesung des heutigen Tages, in der Predigtlesung des Tages nach dem großen Jesusbaby-Gucken. Paulus sieht in der Tat ganz entscheidende Unterschiede zwischen dem Jesusbaby und dem süßen Eisbären, denn Jesus

- tauscht mit uns
- lässt uns Karriere machen.

I.

Dass die Leute den kleinen Eisbären Knut so in ihr Herz geschlossen haben, von ihm so begeistert waren, hängt natürlich wesentlich mit der Vorgeschichte zusammen: Knut war nach seiner Geburt von seiner Mutter verstoßen worden und sollte deswegen eigentlich eingeschläfert werden, wenn sich nicht ein Tierpfleger seiner erbarmt und ihm damit das Leben gerettet hätte. Der süße Knut – von bösen Mächten bedroht und am Ende doch vom Tod bewahrt und gerettet: Nicht zuletzt diese Vorgeschichte machte ihn bei den Menschen so beliebt.
Auch Weihnachten hat eine Vorgeschichte, so macht es der Apostel Paulus hier in unserer Predigtlesung deutlich. Im Unterschied zu Knut ist die Vorgeschichte zu Weihnachten jedoch nur wenig bekannt, und sie ist ganz sicher nicht der Grund, weshalb die Leute am Heiligen Abend so zahlreich in die Kirche strömen. Doch ohne diese Vorgeschichte kann man Weihnachten überhaupt nicht verstehen, bliebe es tatsächlich letztlich eine Volksbelustigung wie der Besuch im Berliner Zoo. Auch die Vorgeschichte von Weihnachten ist eine Rettungsgeschichte. Gerettet worden ist dabei allerdings nicht das kleine Jesuskind, sondern gerettet werden sollen wir durch das, was Weihnachten geschehen ist, so machen es uns all die verschiedenen Schriften des Neuen Testaments sehr eindrücklich deutlich.
Die Weihnachtsgeschichte, sie beginnt nämlich in Wirklichkeit im Himmel, bei Gott. Der sieht, in was für einer Situation wir Menschen uns befinden, sieht das noch viel deutlicher, als wir dies zu sehen vermögen. Wir mögen ja denken, bei uns ist in unserem Leben eigentlich alles halbwegs okay; nun ja, es läuft längst nicht alles optimal; aber dass wir das Gefühl haben, es würde höchste Zeit, dass wir gerettet werden müssen, das kann man vielleicht doch nicht unbedingt behaupten. Doch Gott blickt tiefer. Er erkennt, dass wir Menschen alle miteinander Gefangene sind, gefangen „in der Knechtschaft der Mächte der Welt“, wie es in dem Vers heißt, der unserer Predigtlesung unmittelbar vorangeht.
Was heißt das auf Deutsch? Es heißt, dass wir Menschen in vielfacher Hinsicht nicht frei sind, dass es da Mächte in unserem Leben gibt, denen wir nicht entkommen können. Unsere Schuld ist solch eine Macht, der wir in unserem Leben nicht entkommen können. Da habe ich in meinem Leben etwas gesagt oder getan oder auch umgekehrt nicht gesagt und nicht getan, was ich nicht wieder gut machen kann. Ich kann versuchen, es schönzureden, ich kann versuchen, es zu relativieren, indem ich mich mit Herrn Bin-Laden vergleiche und feststelle, dass ich dabei ja immer noch ganz gut wegkomme, ich kann versuchen, es einfach zu verdrängen, und vielleicht gelingt mir das sogar so gut, dass mich meine Schuld letztlich gar nicht mehr bedrückt. Aber das ändert nichts daran, dass die Schuld da bleibt, dass ich etwas davon ahne, dass ich mich mit dieser Schuld am Ende meines Lebens für mein Leben eigentlich nicht verantworten kann. Der Tod ist solch eine Macht, der wir in unserem Leben nicht entkommen können. Auch den Tod können wir verdrängen, uns ganz auf das Hier und Jetzt konzentrieren; auch den Tod können wir schönreden, vor allem, solange wir nicht zu direkt mit ihm konfrontiert werden. Ja, wir können versuchen, mit allen Mitteln des technischen Fortschritts den Tod in unserem Leben ganz weit weg nach hinten zu schieben. Aber das ändert nichts daran, dass wir ein Leben lang Gefangene des Todes bleiben, dass unsere Lebenszeit tagtäglich ein Stück weiter abläuft. Das ändert nichts daran, dass wir unbewusst ein Leben lang Getriebene bleiben, Menschen, die immer wieder von neuem versuchen, so viel wie möglich mitzubekommen in den paar Jahren, die einem hier auf der Erde doch nur zur Verfügung stehen. Und schließlich ist auch der Teufel solch eine Macht, der wir von uns aus in unserem Leben nicht entkommen können. Wir können leugnen, dass es ihn überhaupt gibt, wir können verdrängen, dass er auch bei uns im Leben am Werk ist, immer wieder versucht, uns von Gott getrennt zu halten. Aber das ändert nichts daran, dass wir mit unserem guten Willen nicht die geringste Chance haben, gegen diese Mächte des Bösen anzukommen.
Und da lässt es Gott nun Weihnachten werden. Nein, er erfindet kein Fest zum Babygucken, ihm geht es nicht darum, dass wir uns mal für ein paar Stunden aus der Tristesse des Alltags in eine schöne heile Welt flüchten können, ihm geht es auch nicht darum, die Menschen dazu zu animieren, mal ein paar Stunden nett zueinander zu sein. Sondern er startet eine einmalige Rettungsaktion, um uns rauszuholen, um uns aus der Gefangenschaft dieser Mächte zu befreien. Wann der richtige Zeitpunkt für diese Rettungsaktion war, das konnte nur er, Gott, überblicken: „Als die Zeit erfüllt war“, so formuliert es der Apostel Paulus hier. Warum Jesus gerade vor gut zweitausend Jahren in diese Welt kam, warum er gerade dann geboren wurde, darüber dürfen wir gerne spekulieren; aber das bringt letztlich nichts. Gott hat es so gesehen: Jetzt, gerade jetzt ist die Zeit zum Handeln. Und da sendet er seinen Sohn und lässt ihn von einer Frau geboren werden. Das klingt so harmlos und ist in Wirklichkeit doch eine unglaubliche Geschichte. Gott rettet uns Menschen nicht aus sicherer Entfernung, sondern so, dass er seinen Sohn bei uns einschleust. Nein, der tarnt sich nicht bloß als Undercover-Agent, sondern der wird wirklich ganz einer von uns, wird wirklich Mensch, das ist das Wunder von Weihnachten, das wir eben nur dann begreifen können, wenn wir die Vorgeschichte kennen: Hier liegt er, Gottes Geheimwaffe zur Rettung der Welt. Doch er, der Retter, springt eben nicht aus der Krippe auf und ballert mit einem Maschinengewehr um sich wie Rambo; er führt sich nicht auf wie James Bond. Seine Rettungsaktion erfolgt ganz anders: Er wird „unter das Gesetz getan“, so formuliert Paulus hier, er begibt sich selber in das Gefängnis der Mächte, die uns Menschen versklavt haben: Er weicht dem Tod nicht aus, sondern lässt sich auf brutalste Weise umbringen; er lässt es zu, dass der Teufel und alle Mächte des Bösen über ihn zu triumphieren scheinen; er stirbt, vollgepackt mit Schuld, mit der Schuld der ganzen Welt. Gleichsam wie ein Magnet zieht er die geballte Kraft dieser Mächte auf sich – und befreit auf diese Weise uns, die wir diesen Mächten von uns aus niemals hätten entkommen können.
Einen unglaublichen Tausch beginnt er heute zu Weihnachten: Er nimmt die ganze Schuld deines Lebens auf sich und erleidet ihre Konsequenzen, damit sie dich nicht mehr zu belasten braucht. Er stirbt am Kreuz, damit der Tod für dich nicht mehr das Ende deines Lebens darstellt, sondern zum Tor wird ins ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Er lässt die Mächte des Bösen triumphieren – nur, um ihnen gerade so die Macht über dein Leben zu rauben, um dich gerade so seiner befreienden Herrschaft zu unterstellen.
Ein unglaublicher Tausch findet da statt zu Weihnachten. Man kann es auch noch einmal anders formulieren: Ein unglaublicher Tausch hat da stattgefunden in deiner Taufe. Für Paulus rückt beides hier in unserer Predigtlesung ganz dicht zusammen, ja wird geradezu eins: In deiner Taufe, da hat dein ganz persönliches Weihnachten stattgefunden, da hat Gottes große Rettungsaktion ganz persönlich in deinem Leben stattgefunden: Sünde, Tod, Teufel – sie sind von Christus entmachtet worden, und stattdessen hast du von ihm Unschuld und ewiges Leben in seiner Gemeinschaft geschenkt bekommen. Und all das kann euch Knut nun wirklich nicht bieten!

II.

Aber nun ist noch etwas anderes in deiner Taufe, in deinem ganz persönlichen Weihnachten, geschehen: Du bist von Gott selber adoptiert worden.
Ich las gerade in diesen Tagen eine Meldung, wonach Juristen davon ausgehen, dass uns im kommenden Jahr in unserem Land ein Adoptionsboom bevorsteht, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Nach dem geplanten neuen Erbschaftssteuergesetz kommen Kinder nämlich künftig besser weg, während andere Erbberechtigte höhere Steuern zahlen müssen. Und da hier in Deutschland auch Erwachsene problemlos adoptiert werden können, werden voraussichtlich viele Leute den Menschen, dem sie ihr Erbe vermachen wollen, einfach adoptieren. Damit kann man dann eine Menge Steuern sparen.
Gott adoptiert uns auch wegen unseres Erbes. Ihm geht es allerdings nicht bloß um eine Steuerersparnis; ihm geht es um unendlich mehr: Er trickst nicht bloß herum, sondern er möchte, dass wir ihn tatsächlich schon hier und jetzt als unseren Vater anerkennen und ihn auch so anreden: Abba, lieber Vater. Abba – das heißt übersetzt: Papi, Papa. Ja, wir dürfen zu Gott Papi sagen. Das kommt dir dann doch nur schwer über die Lippen; dafür hast du dann doch zu viel Respekt vor Gott, als dass du mit solch einer intimen Anrede dich an Gott wendest? Das war dem Paulus damals auch schon klar, dass wir das eigentlich gar nicht fertig kriegen, Gott so direkt, so kindlich anzureden, und so betont er hier ausdrücklich: Nicht wir sagen im Gebet „Papi“ zu Gott; es ist der Heilige Geist selber, der Geist Christi, der in uns so redet, der uns diese Worte sprechen lässt: Vater unser im Himmel.
Adoptiert bist du von Gott. Das heißt aber nicht bloß, dass du Gott „Vater“ nennen darfst – ach, was sage ich: Das ist doch nicht „bloß“ etwas, das ist ein unglaubliches Privileg! Aber Gott ermöglicht uns durch unsere Adoption noch mehr: Er ermöglicht uns damit eine unglaubliche Karriere, schenkt uns damit eine unglaubliche Freiheit: Du bist Kind Gottes. Dein Wert und deine Würde hängen nicht an dem, was du in deinem Leben zu leisten vermagst. Dein Wert und deine Würde hängen nicht an dem, was andere über dich denken. Dein Wert und deine Würde hängen nicht daran, ob du eine gute Arbeit hast, ob du viel verdienst. Dein Wert und deine Würde hängen nicht daran, ob du in deinem Leben versagst oder nicht. Was auch geschehen mag: Du bist und bleibst Kind Gottes, verkehrst damit in den allerhöchsten Kreisen. Die Schuld deines Lebens braucht dich nicht mehr zu knechten; er, der einmal das Urteil über dein Leben sprechen wird, hat sie dir doch schon abgenommen und will es immer wieder tun. Vor den Mächten des Bösen brauchst du dich nicht zu fürchten; Christus ist doch dein großer Bruder, der allemal stärker ist als sie. Und auch vor dem Tod braucht dir nicht mehr zu grauen. Du hast sie doch schon in der Hand: die Eintrittskarte ins ewige Leben. Ja, du bist adoptiert, erbberechtigt, darfst dir einmal dein Erbe bei Gott abholen: die Teilhabe an seiner neuen Welt.
Darum, Schwestern und Brüder, feiern wir Weihnachten, darum liegt das Kind in der Krippe, damit auch du ein Kind Gottes wirst, Seite an Seite mit dem, der sich für dich da ganz klein gemacht hat, damit du bei Gott ganz groß rauskommst. Halte dich darum an dieses Kind auch im ganzen kommenden Jahr, ja, in deinem ganzen Leben. Es gibt dir unendlich mehr als Knut. Amen.