27.12.2007 | St. Johannes 21, 20-24 (Tag des Apostels und Evangelisten St. Johannes)

TAG DES APOSTELS UND EVANGELISTEN ST. JOHANNES – 27. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 21,20-24

Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, den Jesus lieb hatte, der auch beim Abendessen an seiner Brust gelegen und gesagt hatte: Herr, wer ist's, der dich verrät? Als Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber mit diesem? Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! Da kam unter den Brüdern die Rede auf: Dieser Jünger stirbt nicht. Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Dies ist der Jünger, der dies alles bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.

Zu Weihnachten oder gleich danach Geburtstag zu haben, ist für viele Betroffene nicht sehr schön. Normalerweise steht ja das Geburtstagskind an seinem Geburtstag im Mittelpunkt, gibt es nichts, was die anderen von diesem besonderen Anlass ablenken könnte. Aber zu Weihnachten geht dann der Geburtstag in der allgemeinen Festtagsstimmung so ein wenig unter – mal ganz abgesehen davon, dass auch die beiden Bescherungen letztlich zu einer zusammenfließen.
Der Evangelist Johannes geht mit seinem Tag, dem 27. Dezember, auch so ein wenig unter im allgemeinen Weihnachtstrubel. Da haben wir in dieser Kirche schon die letzten vier Tage durchgängig Gottesdienste gehalten, und jetzt kommt auch noch der Johannes. Muss der denn nun auch noch bedacht werden? Haben wir nicht schon genug gefeiert? Doch der heilige Johannes wäre darüber gewiss gar nicht so traurig, wenn er im allgemeinen Weihnachtsfeiern ein wenig unterginge, wäre darüber gewiss erst recht nicht traurig, wenn die Leute wenigstens wüssten, was sie in den Tagen zuvor eigentlich gefeiert haben, den wichtigsten Geburtstag überhaupt, den ganz irdischen Geburtstag dessen, der doch zugleich schon geboren ist vor aller Zeit und Welt. Nein, Johannes hätte ganz sicher nicht gewollt, dass die Kirche seinen Tag als eine Art von Heldengedenktag begeht; ihm ging es doch nur um den einen: um ihn, Christus selber, um ihn, an dessen Brust er am Abend des Gründonnerstags gelegen hatte, um ihn, Christus, der ihn, den Johannes, lieb hatte, wie Johannes selber sich in seinem Evangelium immer wieder ganz zurückhaltend beschreibt. Und nun liegt er auch mit seinem Tag gleichsam an der Brust von Jesus, unmittelbar dran an seinem Geburtstag, will unseren Blick auf ihn, Christus, und keinen anderen lenken.
Genau das machen auch die Worte des Heiligen Evangeliums des heutigen Tages deutlich. Sie sind nicht von Johannes selber verfasst, so können wir es ihnen entnehmen, sondern wurden geschrieben von dem Kreis seiner Mitarbeiter, die schließlich auch das Johannesevangelium in der Form herausgaben, wie wir es heute kennen. Gleich in doppelter Weise machen sie hier deutlich, wie wichtig es für uns ist, nicht auf Johannes, sondern auf Christus zu schauen, wie wichtig es für uns ist, die richtige Blickrichtung beizubehalten.
Da ist zum einen der Petrus. Gerade zuvor hatte Jesus ihn nach seiner Auferstehung wieder neu beauftragt, hatte ihm das Hirtenamt über seine Schafe, über seine Kirche anvertraut. All sein Versagen in der Nacht des Verrats hatte er ihm damit vergeben, hatte ihn noch einmal ganz von vorne anfangen lassen, hatte ihn noch einmal die Worte ganz vom Anfang vernehmen lassen: „Folge mir nach!“ Doch Petrus tut sich schwer mit diesem erneuten Ruf in die Nachfolge. Statt den Blick nun ganz nach vorne auf seinen Herrn zu richten, guckt er sich um nach hinten und sieht da den Johannes, und dieser Johannes beschäftigt ihn nun gleich sehr viel mehr als das Leben in der Nachfolge seines Herrn. „Herr, was wird aber mit diesem?“ Dem Petrus hatte Jesus das Martyrium angekündigt – und was war nun mit dem Johannes? Kam der etwa wieder besser weg, hatte Jesus ihn vielleicht doch lieber als die anderen? Doch Jesus lässt den Petrus abblitzen: Kümmere dich nicht um den Johannes, sondern gucke lieber nach vorne, her zu mir. Folge mir nach, statt dir den Kopf über den Johannes zu zerbrechen!
Es muss ja nicht nur der Johannes sein. Es können für uns auch andere Menschen sein, die uns daran hindern, den Blick ganz auf ihn, Jesus, zu richten und ihm allein, ihm ganz und gar nachzufolgen. Da kann es sein, dass wir andere Menschen in unserer Gemeinde vor Augen haben, von denen wir annehmen, dass sie einen viel stärkeren Glauben haben als wir. Und da mögen wir dann vielleicht denken: Wenn ich mich mit denen vergleiche, dann bin ich eigentlich gar kein richtiger Christ, mit all meinen Macken und Zweifeln und Lieblingssünden. Doch Jesus lässt diese Einwände nicht gelten: Schau doch nicht auf die anderen, fang doch nicht an, dich mit denen zu vergleichen. Ich habe dich in der Taufe in meine Nachfolge gerufen; darum geh diesen Weg, ganz gleich, wie stark oder schwach dein Glaube sein mag. Daran hängt doch nichts, wenn du nur auf mich blickst. Oder da kann es auch sein, dass wir ein bisschen neidisch auf andere Christen schielen, die immer so viel Grund zur Freude und zum Dank haben, weil es ihnen in ihrem Leben so gut geht, weil sie doch auch äußerlich so reich gesegnet erscheinen. Nein, sie sagen es gar nicht selber; aber irgendwie legt sich die Vermutung im Blick auf ihr Leben dann doch nahe: Schaut her, wer fest genug an Gott glaubt, den wird der Herr auch erkennbar segnen, es ihm gut gehen lassen. Und wenn es einem nicht gut geht … Halt! – So sagt Jesus zu dir. Fang doch nicht an, im Blick auf das Geschick anderer Leute zu spekulieren. Ich habe den Petrus damals das Martyrium erleiden lassen, während der Johannes bald so alt geworden ist wie sein Namensvetter Johannes Heesters. Ich führe Menschen auf ganz unterschiedlichen Wegen in ihrem Leben. Nein, fange da nicht an zu vergleichen, sondern folge mir nach, blicke ganz auf mich; das allein zählt, das allein ist wichtig!
Doch nicht nur dem Petrus bereitete der Johannes damals gewisse Glaubensanfechtungen, sondern auch den Schülern des Johannes, den Brüdern. Die hatten irgendwie eine Äußerung von Jesus in den falschen Hals bekommen und gedacht, dass Christus wiederkommen würde, bevor Johannes stirbt. Und als der Johannes immer älter und immer älter wurde und immer noch nicht starb, da sahen sie das als ein Indiz dafür an, dass diese Äußerung Jesu stimmte, dass er den Johannes offenbar nicht sterben lassen werde vor seiner Wiederkunft. Aber eines Tages starb der Johannes dann eben doch, und da war die Bestürzung bei seinen Schülern groß: Das konnte doch gar nicht sein; hatte Jesus sich etwa vertan? Doch hier, im Nachtragskapitel des Johannesevangeliums, wird nun noch einmal erklärt, was Jesus wirklich gesagt hat: Er hat nicht angekündigt, dass Johannes nicht sterben werde vor seiner sichtbaren Wiederkunft; er hatte dem Petrus nur angedeutet, dass er Menschen, dass er auch die Apostel ganz unterschiedliche Wege in ihrem Leben führen kann, dass der eine länger und der andere kürzer lebt. Nein, zu irgendwelchen Spekulationen wollte Christus damit gerade keinen Anlass geben.
Nein, der Johannes war eben kein Scharlatan wie jener Stammapostel der Neuapostolischen Sekte, der vor fünfzig Jahren verkündigte, er werde nicht sterben, bevor Jesus wiederkommt. Und seine Anhänger glaubten ihm das und bekamen gar nicht mit, dass dieser selbe Stammapostel in der Zwischenzeit schon einmal alle möglichen finanziellen Verfügungen zugunsten seiner Familie für die Zeit nach seinem Tod traf, den er nach seiner eigenen Behauptung doch gar nicht erleiden sollte. Nein, so einer ist der Johannes nicht, im Gegenteil. Doch die Worte am Schluss des Johannesevangeliums warnen uns auch ganz grundsätzlich davor, unseren Glauben an Christus in irgendeiner Weise von einem Menschen abhängig zu machen, und sei der für uns und unseren Glaubensweg auch noch so bedeutungsvoll. Menschen können uns immer enttäuschen, ob sie nun weggehen oder sterben oder auch nicht. Nein, das darf nicht geschehen, dass unser Glaube dadurch ins Wanken gerät, dass wir uns zu sehr auf einen Menschen fixiert haben, der uns zu diesem Glauben angeleitet hat. Nein, Johannes und alle, die in seiner Nachfolge auf Christus weisen, wollen das gerade nicht, wollen nur ihn, Christus, groß werden lassen und nicht sich selber. Der Johannes hat das so gemacht, dass er ein Evangelium geschrieben hat, ein Evangelium, in dem sein eigener Name kein einziges Mal auftaucht. Nicht ihn, nicht seine Persönlichkeit sollen wir diesem Evangelium entnehmen können, sondern einzig und allein, was Christus selber gesagt und getan hat. Wahr und zuverlässig ist das, was Johannes geschrieben hat, so bezeugen es die, die sein Evangelium später herausgaben. Und so lesen und hören wir die Worte dieses Evangeliums bis zum heutigen Tag und erfahren immer wieder, wie uns gerade durch die Worte dieses Evangeliums der Glaube an Christus in besonderer Weise gestärkt wird. Und da ist es nur angemessen, ihm, Christus, dem Herrn der Kirche, an einem Tag auch einmal in besonderer Weise Danke zu sagen für dieses Evangelium und seinen Verfasser, dafür, dass Christus es dem Johannes ermöglicht hat, aus seiner Lebensperspektive heraus noch einmal zu beschreiben, was er von Jesus vernommen hatte und was ihm nach Ostern erst so richtig klar geworden ist. Und damit wir dabei zugleich nicht zu sehr auf den Johannes schauen, ist es gut, dass wir diesen Tag gerade heute begehen, am dritten Weihnachtsfeiertag, an dem uns die Worte des Johannesevangeliums noch in besonderer Weise in den Ohren klingen: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Amen.