31.12.2007 | Hebräer 13, 8-9b (Altjahrsabend)

ALTJAHRSABEND – 31. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER HEBRÄER 13,8-9b

Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.

„Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Mit diesem heute so beliebten Slogan wirbt das Communication College im Internet für seine Angebote an Aus- und Weiterbildung. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ – Die Botschaft erscheint einleuchtend. Wir leben in einer Welt, die sich immer schneller verändert, in der man es sich gerade im Beruf, in der Wirtschaft kaum leisten kann, auch nur stehenzubleiben, weil man sonst allzu schnell den Anschluss verliert. Undenkbar ist es beispielsweise heutzutage, dass es sich ein Unternehmen noch leisten könnte, ohne moderne Computertechnik auszukommen. Solch ein Unternehmen müsste sicherlich innerhalb kürzester Zeit dicht machen, wenn es nicht mit der Zeit gehen würde. Ja, wie schnelllebig unsere Zeit geworden ist, das wird uns gerade an solch einem Silvesterabend vielleicht wieder neu bewusst. Wir merken nicht nur, wie sehr die Zeit auch im letzten Jahr gerast ist, wir spüren auch etwas davon, wie sich die Welt um uns herum verändert, haben manchmal vielleicht tatsächlich den Eindruck, dass wir in all diesen Veränderungen abgehängt werden, einfach nicht mehr mitkommen.
„Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Dieser Slogan erfreut sich auch im kirchlichen Bereich großer Beliebtheit, wird gerne von Leuten zitiert, die glauben, sie könnten es schaffen, den lahmen Verein der Kirche wieder in Schwung zu bringen. „Geht mit der Zeit, und ihr werdet sehen, wie die Kirche zu neuem Leben erwacht, wenn sie sich endlich konsequent an den Zeitgeist, an die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen anpasst!“
„Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Wenn wir diesen zunächst so einleuchtend klingenden Slogan näher bedenken, dann mag uns bei dieser nassforschen Behauptung doch ein wenig unwohl zumute werden. Gewiss, dieser Slogan spricht ganz nebenbei eine sehr tiefe, ernste Einsicht an: Das passiert im Leben, dass man gehen muss, und dieses Gehenmüssen, das kann ja vielerlei Gestalt annehmen: Das kann einer Firma passieren, dass sie gehen muss, dass sie pleite geht, vielleicht in der Tat, weil sie den Anschluss an den Markt verloren hat, nicht mit der Zeit gegangen ist. Das kann einem Menschen passieren, dass er gehen muss, dass er seinen Arbeitsplatz verliert, in einzelnen Fällen vielleicht tatsächlich, weil er sich nicht rechtzeitig weitergebildet hat, weil er in diesem Sinne nicht mit der Zeit gegangen ist. Aber in ganz vielen Fällen hat das eben nichts mit fehlender Bereitschaft, mit der Zeit zu gehen, zu tun, wenn jemand gehen muss, wenn jemand seinen Job verliert. Ja, wir merken schon, als Patentrezept taugt dieser Slogan jedenfalls nicht. Und wenn wir uns heute am Silvesterabend hier in der Kirche versammeln, dann tun wir dies doch wohl auch, weil wir uns gerade an solch einem Abend dessen bewusst sind, dass wir alle miteinander mit der Zeit gehen müssen, dass wir alle miteinander nicht einfach nur um einen Arbeitsplatz bangen müssen, sondern überhaupt gehen müssen, aus dieser Welt, aus diesem Leben gehen müssen. Wir denken heute Abend an Menschen, die in diesem vergangenen Jahr, die in diesen letzten Jahren von uns gegangen sind, bei denen sich dieser Weggang durch nichts und niemanden verhindern ließ. Und wir denken heute Abend daran, dass auch wir unserem eigenen Weggang in diesem Jahr wieder ein ganzes Stück näher gekommen sind. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Ach, in diesem Zusammenhang klingen die Worte dieses Slogans geradezu wie Hohn: Als ob wir unseren Abgang, unseren Weggang dadurch verhindern könnten, dass wir uns an unserer schnelllebigen Welt orientieren, in der morgen schon veraltet erscheint, was gestern noch Zukunftsmusik war!
„Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Der Hebräerbrief setzt in der Predigtlesung des heutigen Abends diesem Slogan ein anderes Motto entgegen: Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Schwestern und Brüder, dieses Motto klingt zunächst einmal so nett, so erbaulich, so allgemein, dass wir gegen dieses Motto zwar sicher nichts einzuwenden haben, dass wir aber auch nicht den Eindruck haben, dass uns solch ein Motto wirklich weiterhelfen könnte, uns wirklich etwas für unser Leben zu sagen hätte. Doch wenn wir dieses Motto des Hebräerbriefs nun mit diesem anderen Slogan vergleichen, dann merken wir, wie aufregend die Behauptung ist, die in diesem Motto drinsteckt:
Während sich sonst alles in der Welt verändert, während sich sonst alle Menschen verändern müssen, um am Ball zu bleiben, um nicht früher oder später gehen zu müssen, gibt es einen, der bleibt immer derselbe. Und dieser eine, der muss überhaupt nicht gehen, im Gegenteil, der kommt, kommt gerade da, wo alle anderen abtreten müssen. Ja, dieser eine ist gekommen, damit du nicht für immer gehen musst, der ist gekommen, damit du dich an ihm festhalten kannst und dein Heil nicht darin suchen musst, überall mit dem Strom der Zeit zu schwimmen.
Schauen wir uns dieses Motto also noch einmal genauer an:
Wenn der Hebräerbrief hier behauptet, dass Jesus Christus schon gestern war, dann meint er damit gerade nicht das, was wir meinen, wenn wir behaupten, eine Sache, eine Person sei von gestern oder gar von vorgestern. In einer Zeit, in der sich immer alles weiterentwickelt, taugen Lösungen von gestern nicht mehr, kann man Computer, die von gestern sind, nur noch wegschmeißen, möchten wir mit Ewiggestrigen verständlicherweise nichts zu tun haben. Doch der Hebräerbrief stellt fest: Es gibt da ein Geschehen in der Vergangenheit, das wird niemals überholt sein, das muss niemals modernisiert oder weiterentwickelt werden, das hat Bestand, und wenn sich die Welt noch so sehr verändert. Und dieses eine Geschehen ist der Tod und die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus. Das hat einmalig, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt der Weltgeschichte stattgefunden, und das ist und bleibt der Wendepunkt der Geschichte überhaupt. Denn an diesem Wendepunkt ging und geht es um das entscheidende Problem deines und meines Lebens, um das entscheidende Problem unseres menschlichen Lebens überhaupt: Dass wir alle einmal gehen müssen, früher oder später, ob wir nun mit der Zeit gegangen sind oder nicht. Darum ging es Christus, dass mit unserem Abgang hier auf der Erde eben nicht alles aus und vorbei ist, dass wir nicht einfach untertauchen im Strom der Geschichte, im Strom der Zeit, und das war es dann. Darum hat er am Kreuz den Abgang gemacht auf furchtbarste Weise, damit uns der allerletzte Abgang erspart bleibt; darum hat er am Ostermorgen den Tod besiegt, damit wir unsere Hoffnung nicht mehr darauf setzen müssen, wir könnten unseren Abgang dadurch verhindern oder hinauszögern, dass wir immer auf Augenhöhe mit dem Geist der Zeit bleiben. Nein, unser christlicher Glaube ist keine Idee, die sich geschmeidig an die jeweiligen Zeitumstände anpassen lässt, sondern unser christlicher Glaube beruht darauf, dass Jesus Christus schon gestern gewesen ist, gestern, ja damals vor knapp zweitausend Jahren getan hat, was auch für uns heute von unverminderter Bedeutung bleibt.
Doch dieser Jesus Christus ist eben nicht bloß eine Person der Vergangenheit. Er ist heute derselbe, der er auch vor zweitausend Jahren war, ja, er ist heute derselbe, der er schon war, bevor die Welt geschaffen wurde. Wir sind heute Abend nicht zu einer Gedenkveranstaltung zusammengekommen, sondern haben uns rufen lassen von dem lebendigen Herrn, der auch jetzt wieder in unserer Mitte gegenwärtig ist, den nicht die Zeit verändert hat, sondern der der Herr der Zeit ist und bleibt. Er hat es nicht nötig, mit der Zeit zu gehen, er ist nicht abhängig vom Applaus der Massen, von den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, und er gibt sich auch nicht damit zufrieden, den Johannes Heesters in Großformat zu spielen, bei dem alle einfach darüber staunen, dass es ihn immer noch gibt. Heute und hier kommt er mit seiner Zeit in unsere Zeit hinein, will sich mit dir verbinden, damit du dich an ihm festhalten kannst, damit du hier und jetzt dem Strom des ewigen Werdens und Vergehens entnommen wirst. Nein, der ständige Wandel im Lauf der Zeit, den du in deinem Leben wahrnimmst, der dir gerade an diesem Abend so deutlich vor Augen steht, ist eben nicht die ganze Realität. Mitten in diesem Strom, mitten in diesem Wandel steht er, der Herr, er, der gestern und heute derselbe ist, der auch deinem vergänglichen Leben Ewigkeitsbedeutung schenken will.
Ja, um nicht weniger als um Ewigkeit geht es bei Christus. Du findest ihn eben nicht bloß in der Vergangenheit, damals vor zweitausend Jahren, du findest ihn nicht bloß jetzt und hier: Er kommt zugleich auch auf dich zu, ist deine Zukunft, ja die Zukunft der ganzen Welt, denn er ist derselbe auch in Ewigkeit. Wer sich an ihn hält, der unterliegt nicht einfach dem Gesetz des Vergehens, sondern der bleibt, wie Christus selber bleibt, ein und derselbe, er, der für uns am Kreuz gehangen hat, er, der dir jetzt begegnet mit seinem Leib und Blut, er, der einmal für alle Menschen sichtbar erscheinen wird. Ja, was Christus dir hier und heute verspricht und schenkt, das wird nicht morgen überholt sein, das wird er nicht irgendwann noch einmal überarbeiten und revidieren müssen; das gilt uneingeschränkt, gilt in Ewigkeit.
Und darum wäre es ein solcher Irrsinn, wenn wir glaubten, wir könnten es dadurch vermeiden, mit der Zeit gehen zu müssen, dass wir mit der Zeit gehen, dass wir uns an den Strom der Zeit anpassen. „Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben“, so warnte der Verfasser des Hebräerbriefes damals die ersten Leser seines Briefes, so warnt er auch heute, am Ende dieses Jahres 2007, uns hier in Berlin. Lasst euch in der Kirche doch nicht von dem Wahn umtreiben, ihr könntet dadurch eure Zukunft als Kirche sichern, dass ihr euch an das anpasst, was gerade trendy ist, was die Leute gerne hören wollen. Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, im Strom der Zeit gäbe es doch gar keine feste Wahrheit, Wahrheit sei doch immer nur ein Prozess, und letztlich sei doch der Weg das Ziel. Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, die in Frage stellen, dass Christus der einzige Weg zu Gott ist, die in Frage stellen, dass unser ganzes Heil in seinem Tod und seiner Auferstehung begründet liegen. Bastelt euch keine Patchwork-Religion zusammen, auch wenn das heute in ist, lasst euch doch nicht irremachen von Behauptungen, dieses oder jenes könne man doch heute nicht mehr glauben oder behaupten. Wir glauben nicht an eine Idee in ihrer geschichtlichen Entwicklung; wir glauben an Jesus Christus, der derselbe ist und bleibt, gestern, heute und in Ewigkeit; wir setzen unsere ganze Hoffnung auf ihn, lassen dadurch unser Herz fest werden, wie es der Hebräerbrief so schön formuliert.
Fest soll unser Herz werden, nicht biegsam und nach allen Seiten offen. Fest soll es werden, nicht stur und starr, nicht so, dass es nicht mehr wahrnehmen würde, was in dieser Welt passiert, nicht so, dass wir nicht mehr dazu in der Lage wären, mit Menschen in unserer Umgebung zu kommunizieren, ganz im Gegenteil. Aber fest soll es werden, weil es einen Halt hat, der sich nie mehr ändert: die Gnade, Gottes Zuwendung, die er dir ganz konkret in deiner Taufe geschenkt hat. Die bleibt, und wenn sich sonst alles in der Welt ändert, und wenn wir uns in unserem Leben auf noch so viele Neuerungen werden einstellen müssen. Ja, alle werden wir am Ende einmal gehen müssen, ganz gleich, ob wir nun mit der Zeit gegangen sind oder nicht. Doch wer in seinem Leben ein festes Herz hatte, gegründet in Gottes Versprechen, dessen Gang wird am Ende kein Untergang sein, sondern ein Heimgang in die Ewigkeit, ein Heimgang zu dem, der gestern und heute derselbe ist und auch in Ewigkeit, ein Heimgang zu ihm, Jesus Christus. Amen.