25.02.2007 | St. Lukas 22, 31-34 (Invokavit)

INVOKAVIT – 25. FEBRUAR 2007 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 22,31-34

Jesus sprach zu Petrus: Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, daß du mich kennst.

Heute findet im Anschluss an den Gottesdienst unsere Jahreshauptgemeindeversammlung statt. Da wird es um viele Zahlen gehen, um Statistiken, um Kassenabschlüsse und Haushaltspläne. Das ist alles notwendig und, da wir nun mal immer noch hier auf Erden leben, durchaus auch wichtig. Doch die Gefahr besteht natürlich, dass wir über all diesen Zahlen den Eindruck gewinnen oder vermitteln, als sei unsere Gemeinde eine Art von Verein, der einfach nur richtig gemanagt werden müsse, als hätten wir es durch unseren Einsatz, durch unsere Planungen und Programme in der Hand, wie es mit unserer Gemeinde weitergeht. Nein, völlig an der Oberfläche blieben wir mit solch einer Betrachtungsweise, würden dem, was in unserer Gemeinde in Wirklichkeit geschieht, damit in keiner Weise gerecht werden.
Wie gut ist es von daher, dass uns der Evangelist St. Lukas in der Predigtlesung des heutigen Sonntags unter die Oberfläche blicken lässt, uns ein wenig von dem wahrnehmen lässt, was sich nicht nur damals in der Nacht des Verrates Jesu abgespielt hat, sondern was sich auch in unserer Gemeinde immer und immer wieder abspielt. Wir sind, so zeigt es uns St. Lukas hier, eine Gemeinde, die

- vom Satan angefochten ist
- vom Versagen ihrer Glieder gezeichnet ist
- von der Fürbitte Christi lebt

I.

Vom Satan redet Christus hier in unserer Predigtlesung, und das mag bei denen, die diese Worte hören und lesen, ganz unterschiedliche Empfindungen auslösen: Da gibt es die einen, denen reichlich unwohl wird, wenn in der Kirche immer noch vom Teufel, vom Satan geredet wird. Wir sind doch aufgeklärte, erwachsene Menschen; wir glauben doch nicht mehr an den Weihnachtsmann oder an irgendwelche Gespenster. Da sollten wir uns doch die Rede vom Teufel lieber verkneifen und den Teufel dorthin verbannen, wo er hingehört: in Karnevalsumzüge oder Witzesammlungen. Ja, das sollten wir schon allein deshalb tun, weil die Kirche in der Vergangenheit den Teufel doch immer wieder dazu gebraucht oder missbraucht hat, um den Menschen Angst einzujagen und sie damit in die Kirche zu treiben. Und dagegen müssen wir doch heute mit allem Nachdruck betonen, dass Gott die Liebe ist und dass daneben der Teufel in Wirklichkeit keinen Platz mehr hat.
Und da gibt es auf der anderen Seite diejenigen, die den Teufel ganz ernst nehmen wollen, so ernst, dass sie ihn hinter jeder Ecke vermuten, dass aller neumodischer Kram erst einmal im Verdacht steht, dass sich dahinter doch wieder nur der Satan verstecken könnte, hinter dem Fernsehen und dem Internet und dem Strichcode auf den Waren im Supermarkt.
Doch beide Einstellungen werden der eigentlichen Bedrohung, die der Satan in Wirklichkeit darstellt, letztlich nicht gerecht. Nein, ich kann den Satan, den Teufel nicht einfach zu einer Märchenfigur erklären. Dazu spricht Christus selber viel zu deutlich und eindeutig von ihm, weiß davon, dass der Teufel eben nicht bloß eine Witzfigur ist, die wir nicht weiter ernst zu nehmen brauchen. Und die Tatsache, dass die Kirche den Teufelsglauben sicher auch in vielfältiger Weise in ihrer Geschichte missbraucht hat, bedeutet ja nicht, dass man deswegen den Teufel ganz abschaffen könnte, so als ob wir die Möglichkeit hätten, über seine Existenz nach unseren Wünschen zu verfügen.  Doch ebenso wenig werden wir der Bedrohung durch den Teufel gerecht, wenn wir uns durch die Angst vor dem Teufel lähmen lassen, wenn wir ihm damit auch in unserem Leben eine Macht einräumen, die ihm doch nun wirklich nicht zusteht. „Der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen“, sagt Christus. „Der Satan hat begehrt“ – das heißt: Er hat Gott dafür gleichsam um Erlaubnis bitten müssen, dass er tätig werden darf – und tätig werden will und darf er zunächst und vor allem in der Kirche. Nein, der Teufel ist eben nicht bloß irgendwo außerhalb der Kirche am Werk; dann könnten wir uns ihn ja vielleicht ganz gut vom Leibe halten. Den Teufel interessieren die Leute, die mit Christus nichts zu tun haben wollen, gar nicht so sehr. Die hat er ohnehin auf seiner Seite. Ihn interessieren vielmehr diejenigen, die er in der Taufe hatte herausrücken müssen. Sie will er wieder zurückholen, will sie wieder aus dem Machtbereich Christi herausreißen.
Brüder und Schwestern: Wie das möglich ist, warum Gott diesem Treiben des Teufels nicht längst ein Ende bereitet hat – wir wissen es nicht; ich weiß es auch nicht. Es hat auch wenig Zweck, nun lange darüber zu spekulieren, wie sich das denn nun mit dem Wirken des Teufels und mit Gottes Zulassung eigentlich so verhält. Sondern wir sollen schlicht und einfach der Realität ins Auge blicken, die auch die Realität unserer Gemeinde darstellt: „Der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen.“ Wenn man damals den Weizen geerntet hatte, dann musste das Ernteergebnis anschließend erst einmal gesiebt werden: der brauchbare Weizen fiel durch das Sieb hindurch; die unbrauchbaren Bestandteile blieben im Sieb hängen. Eine Trennung von Brauchbarem und Unbrauchbarem fand durch das Sieben statt, blieb nach dem Sieben erheblich weniger übrig als vorher. Genauso will der Satan auch in unserer Gemeinde tätig sein: Er will aussortieren, scheinbar Unbrauchbares für sich reklamieren, Menschen, die zur Gemeinde gehörten, vom Rest der Gemeinde trennen.
„Siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen.“ Genau das haben wir auch in unserer Gemeinde im vergangenen Jahr wieder erleben müssen: Da ist die Zahl der Gemeindeglieder, die in diesem vergangenen Jahr kein einziges Mal das Heilige Mahl empfangen haben, die den Kontakt zur Gemeinde verloren haben, im letzten Jahr deutlich angestiegen: Menschen, die bei ihrer Konfirmation Gott versprochen hatten, auch weiter regelmäßig zum Gottesdienst zu kommen und das Heilige Mahl zu empfangen, wollen von diesem Versprechen nun nichts mehr wissen. Kirche und christlicher Glaube sind für sie eine Episode geblieben, jetzt, wo sie scheinbar so viel Wichtigeres zu tun haben, als noch zur Kirche und zum Gottesdienst zu kommen. Ja, Satan siebt, auch in unserer Mitte, sollen und dürfen wir unsere Augen vor dieser Realität nicht verschließen. Satan siebt: Er sorgt dafür, dass Menschen in der Gemeinde Enttäuschungen erleben und damit scheinbar so einen guten Grund haben, der Gemeinde fernzubleiben. Satan siebt, auch in unserer Mitte, macht Mitarbeitern deutlich, dass sie doch mit ihren Schwächen, mit ihrem Versagen völlig ungeeignet sind, sich in die Gemeinde einzubringen, freut sich darüber, wenn Menschen auf seine Einflüsterungen hereinfallen.
Ja, Schwestern und Brüder, natürlich geht es uns statistisch gesehen in unserer Gemeinde immer noch sehr gut, könnten wir, wenn wir wollten, auch alle möglichen angeblichen Erfolgsmeldungen vorweisen. Doch das sollte uns nicht davon abhalten, ganz nüchtern wahrzunehmen, dass das alte Sprichwort Recht hat, das feststellt: Wo Gott sich eine Kirche baut, da baut sich der Teufel gleich daneben eine Kapelle. Nein, wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, betont der Apostel Paulus. Mögen wir dies in allem, was wir heute auf der Gemeindeversammlung zu bedenken haben, niemals vergessen!

II.

Aber nun geht St. Lukas hier in unserer Predigtlesung noch einen ganzen Schritt weiter: Er macht deutlich, dass die christliche Gemeinde eben nicht allein vom Satan angefochten, sondern auch vom Versagen ihrer Glieder gezeichnet ist.
Um Simon Petrus geht es ganz konkret in der Geschichte, die uns der Evangelist hier erzählt, um ihn, den Sprecher der Apostel, um ihn, dem Jesus selbst den Ehrennamen „der Fels“ gegeben hatte. Er war gerade mit dabei gewesen, als Christus ihm und den anderen Aposteln Anteil gegeben hatte am Heiligen Mahl, als Christus ihn und die anderen Apostel beauftragt hatte, die Feier des Heiligen Mahles nun auch in Zukunft weiterzuführen, jetzt, wo seine Verhaftung, sein Verrat unmittelbar bevorstand. Und da legt Petrus nun, wie es so seine Art ist, ein vollmundiges Bekenntnis ab, kündigt Christus an, dass er dazu bereit ist, mit ihm ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Doch er, Christus, kennt Petrus genau, weiß, wie er sich noch in derselben Nacht verhalten wird, wie er noch in derselben Nacht dreimal beteuern wird, diesen Jesus nicht zu kennen, nichts mit ihm zu tun zu haben.
Genau so, Schwestern und Brüder, sieht sie aus, die Wirklichkeit der christlichen Gemeinde, nein, nicht nur damals im Kreis der zwölf Jünger, sondern auch heute noch, auch bei uns. Da kommen wir hier in der Kirche zusammen, bekennen miteinander, dass Christus allein unser Herr ist, dass es niemanden gibt, der für uns über diesem Christus steht, bekennen, dass wir uns ihm mit unserem ganzen Leben anvertrauen, fallen vor ihm hier am Altar auf die Knie. Doch wie wenig von dem, was wir hier im Gottesdienst bekennen, ist dann oft genug in unserem Verhalten im Alltag noch zu erkennen: Es geht für uns ja noch nicht einmal darum, dass wir nun ins Gefängnis oder in den Tod um Jesu willen marschieren sollen. Es geht dann oft genug um viel Einfacheres: Ob wir den Mund aufbekommen, wenn wir auf unser Christsein angesprochen werden, ob uns das eher peinlich ist oder wir tatsächlich davon so fröhlich berichten, wie wir hier im Gottesdienst fröhlich davon singen. Es geht darum, ob unsere Mitmenschen im Alltag etwas davon mitbekommen können, dass wir uns als Christen nicht an dem orientieren, was alle anderen doch auch machen, sondern Christi Wort und Weisung tatsächlich unser Leben bestimmen lassen. Es geht darum, ob wir mit den Gemeindegliedern, mit denen wir hier am Altar gemeinsam den Leib und das Blut des Herrn empfangen haben, anschließend tatsächlich auch noch so liebevoll umgehen oder ob wir um manche doch lieber einen Bogen machen, lieber hinter ihrem Rücken als mit ihnen reden.
Ja, die Gemeinde ist gezeichnet vom Versagen ihrer Glieder, gerade auch vom Versagen derer, denen Christus die Leitung der Gemeinde anvertraut hat. Aber das ist ja nun zugleich das Aufregende und Tröstliche: Jesus sieht voraus, wie sehr der Petrus versagen wird, wie schäbig er sich verhalten wird. Er sieht ganz klar, dass auf diesen Petrus menschlich gesprochen keinerlei Verlass ist – und doch lässt Jesus ihn nicht fallen, ersetzt ihn nicht durch einen zuverlässigeren Kandidaten, begnügt sich nicht damit, eine kleine feine Kerntruppe von Leuten zu schaffen, die keine Versager sind. Nein, er überträgt dem Versager Petrus jetzt schon, vor seiner größten Niederlage, überträgt ihm jetzt schon eine ganz wichtige Aufgabe, die Brüder zu stärken, macht deutlich, dass er seine Kirche gerade mit Versagern zu bauen und zu erhalten gedenkt.
Und genau das gilt eben auch für uns: Wenn ich wieder einmal auf ein Jahr meiner Arbeit in der Gemeinde zurückblicke, dann tritt mir mein Versagen jedes Mal sehr deutlich vor Augen, erkenne ich, wie wenig ich dem Auftrag gerecht geworden bin, den mir Christus anvertraut hat, habe ich vor Augen, wie viele von euch ich auch in diesem letzten Jahr wieder enttäuscht, vielleicht auch verletzt haben mag. Doch wie gut und tröstlich ist es, dass Jesus eben auch Versager wie mich weiter in seiner Arbeit gebrauchen kann, wie gut und tröstlich ist es, dass er seine Gemeinde insgesamt, die vom Versagen ihrer Glieder gezeichnet ist, nicht fallen lässt, sondern an ihr festhält und sie trägt, mit all ihrem Versagen und durch alles Versagen hindurch!

III.

Und damit sind wir schon bei dem Dritten und Entscheidenden, was uns St. Lukas in den Worten unserer heutigen Predigtlesung vor Augen stellt: Wir leben als Gemeinde ganz von der Fürbitte Christi.
Gemeindeversammlungen sind immer wieder ein Anlass, Gemeindegliedern Dank auszusprechen für die Arbeit, die sie im vergangenen Jahr geleistet haben. Und das ist ja durchaus auch schön und angemessen. Aber darüber dürfen wir eben niemals übersehen, dass wir es letztlich nur einem allein zu verdanken haben, dass wir heute wieder solch eine Gemeindeversammlung halten dürfen, dass es unsere Gemeinde überhaupt noch gibt: ihm, Christus, unserem Herrn, und seiner Fürbitte für uns. Wir hätten unsere Gemeinde nicht erhalten können gegen die Anfechtungen des Satans; wir hätten unseren eigenen Glauben nicht erhalten können gegen seine Angriffe, und wir hätten unsere Gemeinde auch nicht erhalten können mit all dem Versagen, das auch uns in unserem Verhalten als Christen zeichnet. Nein, Christus allein ist es gewesen, der für unsere St. Mariengemeinde, der für dich und für mich eingetreten ist mit seiner Fürbitte bei seinem himmlischen Vater. Er selber hat sich den Angriffen des Satans entgegengestellt, ist nicht dazu bereit, Gemeindeglieder preiszugeben, einen Unterschied zu machen zwischen denen, die es verdient haben, in der Gemeinde dabeizubleiben, und denen, bei denen es angeblich nicht schade ist, wenn sie den Kontakt zu ihm verlieren. Nein, Christus tritt für alle ein: für dich selber mit deinem oftmals so mickrigen Glauben, für dich selber, der du ihn mit deinem Verhalten im Alltag oftmals so sehr enttäuscht hast und immer wieder enttäuschst. Christus tritt ein für diejenigen, die nicht mehr hierher zum Gottesdienst kommen, weil sie zu schwach, zu krank sind. Christus tritt ein für deine Kinder und Enkel, die nichts mehr von ihm und seiner Kirche wissen wollen. Christus tritt ein für all die Gemeindeglieder, die einmal mit so vollem Munde hier ihr Konfirmationsversprechen abgelegt haben und jetzt so gar nichts mehr davon wissen wollen. Nein, Christus will und wird dem Satan das Feld nicht überlassen. Dass Menschen versagen und schuldig werden, ist für ihn kein Grund, sie nicht mehr in seiner Gemeinde gebrauchen zu können, im Gegenteil: Menschen, die am eigenen Leibe erfahren haben, wie sie versagt haben und wie Christus ihnen vergeben hat, die werden ganz anders die Liebe und Barmherzigkeit ihres Herrn bezeugen können, als dies diejenigen könnten, die eigentlich alles immer richtig gemacht zu haben meinen. Ja, diejenigen, die wie Petrus ganz tief unten waren, die werden dann auch barmherziger mit denen umgehen können innerhalb und außerhalb der Gemeinde, die in gleicher Weise versagen.
Und darum dürfen wir nun unsere Gemeindeversammlung gleich ganz fröhlich halten: Nicht wir müssen unsere Gemeinde erhalten; Christus will und wird es tun, wird auch weiter für unsere Gemeinde eintreten und beten, wird auch weiter für ihre Glieder, für euch, kämpfen, will und wird auch weiter mit Versagern seine Kirche bauen. Ja, versagen und schuldig werden, das werden wir auch weiterhin in unserem Leben. Hauptsache, unser Glaube hört nicht auf, der Glaube an ihn, Christus, der allein uns retten kann. Und dafür, dass unser Glaube nicht aufhört, sorgt Christus eben auch: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Diese Zusage unseres Herrn, die trägt uns, die trägt uns in unserer Gemeinde, die trägt einen jeden einzelnen von uns – ja, schließlich auch noch im Sterben. Amen.