18.03.2007 | St. Johannes 6,47-51 (Laetare)

LAETARE – 18. MÄRZ 2007 – PREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 6,47-51

Jesus sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben.  Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon ißt, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.

Beim Essen geht es um nicht weniger als um Leben und Tod. Das hat gerade vor kurzem eine amerikanische Studie bestätigt: Sie hat herausgefunden, dass der übermäßige Genuss von Vitaminen lebensverkürzend wirkt. Was für eine unangenehme Nachricht für all diejenigen, die bisher glaubten, ihr Leben durch die Einnahme von Vitaminen eher verlängern zu können, die entsprechende Nahrungsergänzungsmittel zu sich nahmen und glaubten, dass das Wort „Vitamin“ tatsächlich auch hält, was es verspricht, dass es ein Nahrungsbestandteil ist, der das Leben fördert. Doch weit gefehlt: Mit den vermeintlichen Lebensbringern geht man im Gegenteil dem Tod nur noch schneller entgegen.
Beim Essen geht es um nicht weniger als um Leben und Tod. Nein, das gilt nicht nur für den Konsum von irgendwelchen Vitaminen, das gilt ganz grundsätzlich: Ja, wir müssen essen, um zu leben, um zu überleben. Ohne Essen würden wir verhungern. Ja, wie wichtig das Essen ist, davon können diejenigen unter uns gewiss eine Menge erzählen, die in ihrem Leben es einmal so richtig erfahren haben, was es heißt, hungern zu müssen. Wir essen, um zu leben, um zu überleben. Und doch essen wir uns zugleich mit jeder Mahlzeit unserem Tod entgegen, gilt das für die angeblich gesündeste Ernährung genauso wie für irgendwelches junk food, das heutzutage schon viele Kinder aufgehen lässt wie ein Hefekloß.
Um Essen, von dem man stirbt, und um Essen, von dem man nicht stirbt, geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Sonntags Laetare. Ja, so stellt es uns auch Christus hier sehr deutlich vor Augen: Beim Essen geht es in der Tat um nicht weniger als um Leben und Tod. Und so wollen wir uns anhand unserer heutigen Predigtlesung mit dreierlei Essen beschäftigen:

- mit Essen, das den Tod verschiebt
- mit Essen, das den Tod verdrängt
- mit Essen, das den Tod überwindet.

I.

Seit einiger Zeit machen in unserer Wohlstandsgesellschaft zwei Krankheiten von sich reden: Bulimie und Magersucht. Es sind zumeist junge Frauen, die unter diesen Essstörungen leiden, Essen, das sie zu sich genommen haben, gleich wieder von sich geben oder die Essensaufnahme gleich ganz verweigern – immer aus Furcht davor, sie könnten zu dick sein. Diese Anpassung an den Schlankheitswahn unserer Zeit kann für die Betroffenen lebensgefährlich sein, ja schließlich sogar tödlich enden. Auf jeden Fall ist dieses Verhalten jedoch krank: Ich kann nicht dadurch meinem Traum vom Glück näherkommen, dass ich nichts mehr esse.
Es bleibt uns also nichts Anderes übrig als zu essen, und das ist ja eigentlich auch eine sehr angenehme Beschäftigung. Doch halt, so rufen uns nun die Gesundheitsapostel der verschiedensten Couleur zu, so einfach ist das mit dem Essen nun auch wieder nicht. Wer einfach isst, was ihm Spaß macht, der steht in der Gefahr, zu fett zu werden, zu hohe Cholesterinwerte zu entwickeln, ja, der steht in der Gefahr, sich mit seiner Ernährung tot zu essen. Und Ratschläge, wie man sich denn nun gesund ernährt, wie man sich so ernähren kann, dass man den Tod im Leben nach hinten verschiebt, gibt es natürlich zuhauf, nicht weniger als Warnungen davor, was man alles nicht essen sollte. Fettiges sollte man natürlich vermeiden, wenn man nicht gerade ein Anhänger der Atkins-Diät ist, und wenn man sich dann noch im Fernsehen anhört, was für Gefahren in so vielen Lebensmitteln lauern, was man sich durch sie alles an Krankheiten holen kann, dann bleibt nachher nicht mehr sehr viel übrig, was man guten Gewissens zu sich nehmen kann. Doch es gibt in der Tat Leute, die glauben, sie hätten die Rezepte für eine gesunde Ernährung gefunden, die glauben, sie würden mit ihrer Ernährung einen Beitrag dazu leisten, dass sie steinalt werden und den Tod ganz weit nach hinten in ihrem Leben schieben können.
Und weil das solch eine attraktive Vorstellung ist, durch die Aufnahme von irgendwelchem Essen seine Gesundheit fördern und seinen Tod nach hinten schieben zu können, boomt dann auch ein Markt der ganz besonderen Art, ein Markt, auf dem alle möglichen Produkte und Pillen angeboten werden, die angeblich so ziemlich alles heilen, von Krebs bis zu Depressionen und eingewachsenen Fußnägeln. Ja, bei solchen Aussichten gibt man dann auch gerne mal für ein paar dieser Pillen fünfzig oder sechzig Euro aus; für eine Verschiebung des Todes darf einem doch nichts zu teuer sein. Ob diese Pillen tatsächlich irgendjemandem nützen, abgesehen von denen, die sie verkaufen, mag man tunlichst bezweifeln. Doch selbst wenn sie es täten, selbst wenn das stimmen würde, was sie versprechen, bleibt es eben doch dabei: Gegen den Tod ist am Ende kein Kraut gewachsen. Und wenn ich mich bei meiner Nahrungsauswahl ständig von der Sorge treiben lasse, ich könnte etwas Ungesundes essen, dann ist es sogar recht wahrscheinlich, dass diese Angst vor dem Tod mein Leben so stark verkürzt, dass auch alle Kräuter und Pillen dagegen nicht ankommen.
„Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben“, so stellt Christus hier in unserer Predigtlesung ganz nüchtern fest. Ja, was könnte es für eine gesündere Nahrung geben als die, die Gott selbst seinem Volk vom Himmel herab damals auf dem Sinai schenkte. Doch selbst diese biologisch-dynamisch gewiss einwandfreie Speise konnte nicht verhindern, dass die, die sie aßen, früher oder später eben doch starben. Vielleicht können wir mit unserem Essen unseren Tod hier und da ein bisschen nach hinten schieben; doch den Tod besiegen, ihn beseitigen, das können wir nicht, ganz gleich, was wir für Nahrung oder für Pillen zu uns nehmen mögen.

II.

Angesichts dieser Perspektive legt sich eine andere Haltung sehr viel näher, die uns ebenfalls im Neuen Testament sehr drastisch vor Augen gestellt wird: Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Ja, man kann auch essen, um den Tod schlicht und einfach im Leben zu verdrängen.
„Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ – So direkt würden es heutzutage vermutlich nicht viele formulieren. Doch eben so verhalten sich in Wirklichkeit doch in unserem Land, in unserer Stadt, in unserer Umgebung unzählige Menschen. Essen und Trinken – sie dienen für sie nicht bloß der Nahrungsaufnahme oder der Lebenserhaltung, sondern sie werden geradezu zelebriert, werden für viele zu einem wesentlichen Lebensinhalt. Schon in der Werbung wird uns suggeriert, wir könnten im schönen Essen geradezu die Erfüllung unseres Lebens finden, und nicht anders verhalten sich entsprechend auch viele Leute: Wenn sie von einem Urlaub zurückkehren, dann ist der wesentliche Inhalt ihrer Gespräche, was sie denn dort vor Ort alles gegessen und getrunken haben, und wenn es darum geht, die Freizeit zu gestalten, dann spielt das Essen wieder eine entscheidende Rolle. Der Brunch am Sonntagmorgen wird auf diese Weise zu einem veritablen Gottesdienstersatz.
Nun ist gegen ein gutes, leckeres Essen ja auch wirklich nichts einzuwenden, auch nichts gegen ein schönes Essen im Restaurant. Doch wie hohl ist ein Leben, dessen Inhalt ganz wesentlich im Essen, in der Nahrungsaufnahme besteht! Wie hohl ist ein Leben, in dem es wesentlich nur noch darum geht, zu konsumieren und Spaß zu haben und sich auf diese Weise die paar Jahre, die einem zur Verfügung stehen, ganz nett zu gestalten. Wie hohl ist ein Leben, in dem das Essen den Menschen davon abhält, tiefer über sein Leben und dessen Sinn nachzudenken, ja sich auch mit dem Ende des Lebens auseinanderzusetzen, an dem uns in aller Regel das Essen nicht mehr so schmeckt, an dem wir schließlich kaum noch etwas herunterbekommen, an dem irgendwann einmal Schluss mit lustig ist! Gut essen und irgendwann sterben – nein, das kann, das darf nicht der eigentliche Inhalt unseres Lebens sein und werden, so macht es uns Christus hier deutlich.

III.

Und dann spricht Christus hier von einem ganz anderen Essen, von einem Essen, das den Tod nicht bloß ein bisschen nach hinten schiebt in unserem Leben, das den Tod auch nicht verdrängt, sondern das ihn in der Tat überwindet.
Brot des Lebens verspricht Christus hier seinen Zuhörern, Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. Nein, das ist nicht einfach ein nettes Bild, das Christus hier gebraucht; er redet in der Tat von einer wirklichen Speise, einer Speise, die wir essen, die wir mit unserem Mund zu uns nehmen können und dürfen. Und wer diese Speise zu sich nimmt, wer sie isst, der wird leben in Ewigkeit, so sagt es Christus hier.
Schwestern und Brüder, vielleicht haben wir diese Worte schon zu oft gehört, dass es uns gar nicht mehr gleich von den Sitzen haut, wenn wir vernehmen, was Christus hier sagt: Es gibt eine Speise, die dich nicht bloß ein paar Monate oder Jahre länger leben lässt, sondern die stärker ist als der Tod, die dich in alle Ewigkeit leben lässt. Und diese Speise ist nicht unbezahlbar teuer, die gibt es nicht bloß auf Privatrezept, die bekommst du nicht bloß in kleinen Rationen, für die du immer wieder von neuem Geld abdrücken musst, sondern diese Speise gibt es ganz umsonst, kostenlos. Brüder und Schwestern, könnt ihr das begreifen, dass diese Speise frei erhältlich ist, dass sie auch heute hier in diesem Gottesdienst angeboten wird und dass es so viele Menschen gibt, die daran nicht das geringste Interesse haben? Könnt ihr das begreifen, dass uns heute Morgen hier nicht die Bude eingerannt wird von Leuten, die diese Speise des ewigen Lebens auch haben wollen? Könnt ihr das begreifen, dass es Menschen gibt, die ein Schweinegeld für alle möglichen Produkte ausgeben, die ihr Leben für kurze Zeit verlängern mögen, und an der Speise des ewigen Lebens achtlos vorübergehen? Könnt ihr das begreifen, dass Menschen, die im Unterricht vor ihrer Konfirmation hier in unserer Gemeinde von dieser Speise gehört haben, denen vor Augen gestellt worden ist, wie entscheidend wichtig diese Speise für sie ist, dass sie ihren Tod überwindet und ihnen das ewige Leben bringt, könnt ihr euch vorstellen, dass diese Leute heute Morgen ruhig im Bett liegen können, lieber gemütlich frühstücken oder zu einem Brunch gehen, statt diese Speise zu empfangen? Ja, könnt ihr euch vorstellen, heute hier in eurer Bank ruhig sitzenzubleiben, wenn euch diese Speise heute wieder kostenlos angeboten wird, wenn ihr nur euren Mund aufmachen müsst, damit euch dieses Brot des Lebens in den Mund gelegt wird, könnt ihr euch das vorstellen, dass ihr auf diese Speise verzichten könnt und wollt? Ich kann es nicht, kann und will es nicht begreifen, wie Menschen ohne diese Speise, diese Arznei des ewigen Lebens, dieses Heilmittel der Unsterblichkeit auskommen wollen und können!
Ja, kostenlos könnt ihr diese Speise bekommen; doch das heißt nicht, dass den, der diese Speise euch zubereitet hat, dies nichts gekostet hätte, ganz im Gegenteil: Dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt, sagt Christus. Dieses Brot ist mein Fleisch, sagt Christus, nein, es symbolisiert nicht bloß sein Fleisch, seinen Leib, es ist es wirklich und wahrhaftig, so gewiss die Worte Christi wahr sind und bewirken, was sie sagen. Aber dieses Brot ist nicht einfach nur sein Fleisch, sondern es ist sein Fleisch, das er hingibt am Kreuz für das Leben der Welt; in diesem Brot ist nicht allein Christus leibhaftig gegenwärtig, sondern zugleich auch die unendliche Liebe, mit der er sein Leben auch für dich in den Tod gegeben, sich auch für dich geopfert hat.
Neulich las ich einen bewegenden Bericht von Hermann Scheipers, einem römisch-katholischen Priester, der in der NS-Zeit viereinhalb Jahre im KZ Dachau verbrachte. Im Jahr 1944, so berichtet er, ging es ihm dort so schlecht, dass er in den Invalidenblock des KZs verlegt wurde. Wer dort landete, für den gab es kein Entrinnen mehr, der wurde bald darauf in die Gaskammern von Schloss Hartheim bei Linz in Österreich transportiert. Da kommt im Schutz der Dunkelheit der Jugendpfarrer des Bistums Dresden-Meißen zu ihm und reicht Hermann Scheipers das Kostbarste, was er schenken konnte: seine Brotration für den Tag. Brot war das einzige, was dieser Jugendpfarrer selber noch essen konnte, denn er litt an schrecklichem Durchfall. Hermann Scheipers kam durch dieses Brot wieder soweit zu Kräften, dass er den Invalidenblock im letzten Augenblick wieder verlassen konnte; der Jugendpfarrer jedoch starb wenige Tage darauf den Hungertod im Krankenrevier des Lagers. Mit dem Brot hatte der Jugendpfarrer Hermann Scheipers geradezu buchstäblich sein Leben geschenkt.
Und nicht weniger kostbar ist nun auch dieses Brot, das du Sonntag für Sonntag hier im Heiligen Mahl empfangen darfst. Unendlich kostbar ist es, weil es in Wirklichkeit der Leib deines Herrn ist. Aber unendlich kostbar ist es auch, weil dir Christus damit zugleich sein Leben schenkt, sein Leben, das er für dich am Kreuz in den Tod gegeben hat, um dich zu retten, um dich zu bewahren vor dem ewigen Tod. Wenn er es dir reichen will, nein, dann kannst du es doch nicht ablehnen, dann kannst du dich vor seiner ausgestreckten Hand doch nicht zurückziehen, dann kannst und darfst du sein Opfer doch nicht so gering schätzen, dass du meinst, du hättest es nicht nötig. Leben schenkt er dir durch sein Opfer, nicht nur die Verlängerung deines irdischen Lebens, so wie Hermann Scheipers dies damals im KZ erfuhr, sondern ewiges, unvergängliches Leben, Leben, das erfüllt ist mit Freude ohne Ende.
Nein, sage nicht: Ich glaube doch an Jesus, das reicht auch so. Gewiss, wer glaubt, der hat das ewige Leben, sagt Christus hier. Doch dieser Glaube hat eben eine konkrete Gestalt, er ist nicht bloß ein Gedanke, sondern er hat die konkrete Gestalt des Essens und Trinkens im Heiligen Mahl, ist doch nichts Anderes als Gemeinschaft mit Christus, leibhaftige Gemeinschaft mit Christus.
Darum komm, lass dir dieses Brot des Lebens reichen, heute und immer wieder, wenn dein Herr und Heiland dich ruft. Du brauchst nicht bloß zu versuchen, deinen Tod ein wenig nach hinten zu schieben, und du brauchst ihn erst recht nicht aus deinem Leben zu verdrängen. Er wird dir durch die Gabe des Heiligen Mahls auch nicht erspart. Aber der Tod hat für den, der dieses Brot des Lebens empfängt, seinen Schrecken und seine Macht verloren, wird für die, die dieses Heilmittel der Unsterblichkeit essen, nunmehr zum Durchgangstor zum Leben. Darum komm, mach deinen Mund auf, lass dich mit diesem einzig wahren Lebensmittel speisen. Ja, komm, es geht bei diesem Essen in der Tat um Leben und Tod. Denn wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Amen.