21.03.2007 | 2. Korinther 12, 6-10 (3. Fastenpredigt - „Wie kann Gott das zulassen?“ : Paulus)

MITTWOCH NACH LAETARE – 21. MÄRZ 2007 – PREDIGT ÜBER 2. KORINTHER 12,6-10

Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

„Wie kann Gott das zulassen?“ – Um diese Frage soll es auch heute wieder in dieser Fastenpredigt im heutigen Wochengottesdienst der Fastenzeit gehen. „Wie kann Gott das zulassen?“ – In den vergangenen Wochen haben wir uns mit der Geschichte vom Sündenfall, der Ursprungsgeschichte allen menschlichen Leides, befasst und mit Hiob, der die Frage danach, wie Gott das zulassen kann, was er erfahren muss, in persönlicher Betroffenheit in besonderer Schärfe formuliert. Auch heute wollen wir wieder einen Betroffenen zu Wort kommen lassen, einen, der in seinem Leben schweres Leid am eigenen Leibe erfahren hat und der hier davon berichtet, wie er selber damit umgegangen ist und umgeht. Und indem er davon berichtet, stellen wir fest, dass die beiden Hauptakteure der Lesungen der beiden letzten Wochen auch heute wieder auf dem Plan sind: Gott und der Satan.
Da berichtet der Apostel Paulus hier in seinem zweiten Brief an die Korinther von dem Pfahl im Fleisch, der ihm so sehr zu schaffen macht. Seit fast 2000 Jahren versuchen nun die Ausleger, zu ergründen, was der Paulus mit diesem Pfahl im Fleisch wohl gemeint hat: War es eine schwere Versuchung zu einer bestimmten Sünde, der er immer wieder zu erliegen drohte? War es eine schmerzhafte Augenkrankheit, die er möglicherweise im Galaterbrief anzudeuten scheint? War es ein epileptisches Leiden, wie manche vermutet haben? Waren es schwere Depressionen, die ihm zeitweilig zu schaffen machten? War es eine andere körperliche Krankheit, die wir nicht genauer bestimmen können? Wir wissen es nicht, können nur so viel festhalten, dass das offenbar keine Kleinigkeit war, die Paulus da zu schaffen machte, dass ihn dieser Pfahl im Fleisch so sehr gequält hat, dass er, Paulus, zu Christus gefleht hat, dass er dieses Leiden von ihm nehme, nicht nur einmal, sondern dreimal, wie damals Christus im Garten von Gethsemane. Nein, Paulus wirft hier nicht mit medizinischen Fachbegriffen um sich, sondern er deutet sein Leiden hier gleich geistlich, spricht davon, dass in diesem Leiden des Satans Engel ihn mit Fäusten schlägt. Ein eindrückliches Bild ist das, das er hier für seine Leidenserfahrung gebraucht, und zugleich ist es hier wieder spannend zu erkennen, in welches Verhältnis Paulus hier Satan und Gott, konkret Satan und Christus setzt. Ja, auch Paulus kann davon reden, dass Leiden, dass Krankheit vom Satan gewirkt sein kann, dass der sich in diesem Leiden, in dieser Krankheit austobt wie ein Boxer, der auf einen Sandsack einprügelt. Wie der Satan schon in der Ursprungsgeschichte allen Leides, der Sündenfallgeschichte, seine Hand im Spiel hatte, wenn man diesen Ausdruck einmal auf eine Schlange anwenden darf, so ist der Satan auch jetzt noch im Leiden der Menschen am Werk, freut sich geradezu daran, wenn Menschen erfahren müssen, wie kaputt diese Schöpfung ist, wie wenig sie nur noch dem ursprünglichen guten Willen des Schöpfers entspricht. Doch zu viel Ehre will Paulus dem Satan dann auch wieder nicht antun: Er fängt nicht an, mit dem Satan zu verhandeln, dass er ihn in Ruhe lässt, nein, er wendet sich gleich an den Chef persönlich, an Christus, dass er dafür sorge, dass der Satan von ihm weiche. Wie schon bei Hiob ist es Gott, ist es hier ganz konkret Christus, der dem Satan die Erlaubnis gibt, Menschen Leid zuzufügen, und es ist Gott, es ist Christus, der dem Satan auch jederzeit seine Grenzen setzen kann. Der Teufel bleibt auch hier bei Paulus wieder Gottes Teufel, mit Martin Luther zu sprechen. Doch nun wollen wir uns in dieser Predigt nicht erneut mit dem Verhältnis von Gott und Teufel befassen, sondern wollen darauf achten, wie Paulus hier als Betroffener mit seinem Leiden umgeht und wie er es deutet, dürfen aus seinen Worten drei wichtige Hinweise entnehmen, wie wir als Christen mit dieser Frage „Wie kann Gott das zulassen?“ umgehen können und dürfen, wenn es um Leid geht, das direkt uns und unser Leben betrifft. Paulus spricht hier

- vom Gebet im Leid
- vom Sinn des Leides
- von der Annahme des Leides

I.

„Wie kann Gott das zulassen?“ – Man könnte sich eine Antwort auf diese Frage ja so vorstellen, dass Gott irgendwann ganz am Anfang mal so etwas wie ein Computerprogramm für diese Weltgeschichte und damit auch für unser Leben gestartet hat und dass er dieses Programm nun einfach ablaufen lässt. Und in diesem Programm hat er nun mal auch alle möglichen Leidenserfahrungen eingebaut, und da bleibt uns nun nichts Anderes übrig, als diese Leidenserfahrungen still und demütig anzunehmen, weil man ja doch nichts dagegen machen kann. Man kann das Ganze dann auch ein wenig heidnischer formulieren, dass es nun mal das Schicksal ist, das alles so vorbestimmt hat, wie es einmal kommen wird, dass es vielleicht gar irgendwelche Sternenkonstellationen sind, durch die unser Leben so gelenkt und beeinflusst wird, wie dies nun einmal der Fall ist.
Paulus sieht das anders. Natürlich kann auch er reden von dem Ratschluss Gottes, den er schon vor der Erschaffung der Welt gefasst hat. Doch das bedeutet nicht, dass Paulus in blinder Schicksalsgläubigkeit nun alles über sich ergehen lässt, was er in seinem Leben nun mal erfahren muss. Nein, Paulus wird im Gegenteil aktiv: Er betet, er fleht Gott an, fleht ganz konkret Christus an, dass er sein Leiden beenden, es von ihm nehmen möge. Nein, das mit dem Beten ist nicht bloß eine irrationale, emotionale Reflexhandlung, die man bei etwas gründlicherem Nachdenken eigentlich auch sein lassen könnte. Sondern Paulus rechnet ganz selbstverständlich damit, dass Gott, dass Christus sein Gebet ernst nimmt, dass er darauf reagiert, ja dass er dazu in der Lage und dazu bereit ist, seine Pläne aufgrund dieses Gebets noch einmal zu überdenken und zu ändern. Nein, natürlich ist Gott umgekehrt auch kein Automat, den man mit seinen Gebeten nach Belieben manipulieren und steuern könnte, sodass man sich von ihm immer gerade das holen könnte, was man in diesem Augenblick haben möchte. Paulus muss hier erfahren, dass Christus sein Gebet nicht so erhört, wie er es sich gewünscht hätte. Aber er erfährt zugleich, dass Christus doch auf sein Gebet antwortet, wenn auch ganz anders als gedacht, dass Christus so auf sein Gebet antwortet, dass Paulus am Ende erklären kann, er sei nun guten Mutes, obwohl Christus sein Leiden nicht, wie erbeten, von ihm genommen hat.
Ja, wir dürfen als Christen darum beten, dass Christus unserem Leiden ein Ende setzen möge, wir dürfen darum beten, dass Christus ein Leiden von uns nehmen möge. Wir brauchen in unserem Leiden nicht bloß stumm zu bleiben, wir brauchen auch nicht bloß zu klagen, so sehr wir eben auch dies dürfen. Und wir brauchen uns eben auch nicht bloß mit dem abzufinden, was doch unausweichlich zu sein scheint. Christen sind erst recht keine Masochisten, die sich erst dann so richtig gut fühlen, wenn sie ordentlich leiden können. Nein, wir dürfen uns darüber freuen, wenn des Satans Engel uns nicht mit Fäusten schlägt, wenn er innehält, wenn Christus ihm seine Grenzen setzt. Und eben darum dürfen wir bitten, ja, auch wiederholt und immer wieder, dürfen darauf vertrauen, dass Christus uns hört, ja, dass er uns antwortet. Dass seine Antwort nicht immer einfach eine Erfüllung unserer Wünsche bedeutet, auch das können wir allerdings von dem Apostel lernen.

II.

Christus erhört Gebete. Er macht Menschen wieder gesund, mitunter auch auf ganz wunderbare Weise, ganz gewiss, davon könnten wir auch hier in unserer Gemeinde schon so Manches erzählen. Doch so wenig es für uns als Christen ein Tabu zu sein braucht, um Gesundheit, um das Ende eines Leidens zu beten, so wenig entspricht es umgekehrt der Verkündigung des Apostels, dass wir nur richtig beten, nur richtig glauben müssen – und schon lösen sich all unsere Probleme, all unsere Leiden in Luft auf.
Der Apostel Paulus hatte damals in Korinth mit Leuten zu tun, die zu solchen Ansichten neigten. Sie glaubten, sie seien so erfüllt mit dem Heiligen Geist, dass sie doch schon ein bisschen oberhalb des Erdbodens schwebten, dass man ihnen doch gleich ansehen könne, wie glücklich man sich als Christ doch fühle, und dass sie das Leiden nun als Christen doch eigentlich schon hinter sich gelassen hätten. Und eben darum sahen sie den Apostel Paulus auch mit solcher Skepsis, weil der ja nun für alle erkennbar ein kranker Mann war. Also konnte bei dem ja wohl irgendwas nicht stimmen mit seinem Glauben, mit seiner Verkündigung, wenn es ihm dabei zugleich so schlecht ging.
Leiden ist grundsätzlich etwas Schlechtes, das man vermeiden kann und letztlich sogar um jeden Preis vermeiden sollte – genau dieses Denken prägt auch weithin unsere heutige Gesellschaft. Dass ein Kind behindert sein könnte, ist schon Grund genug, es bereits vor seiner Geburt umzubringen, wobei ja noch nicht einmal gesagt ist, dass etwa Kinder mit einer geistigen Behinderung unter dieser Behinderung tatsächlich auch selber leiden. Und bei einer Umfrage vor einigen Wochen hat eine recht hohe Prozentzahl der Befragten hier in unserem Land angegeben, dass sie sich lieber gleich selber umbringen würden, wenn sie wüssten, dass ihnen sonst ein längeres Leiden am Ende ihres Lebens bevorsteht. Besser gar nicht leben als zu leiden – diese Einstellung ist heute weit verbreitet.
Paulus sieht das hier ganz anders. Nein, er hält hier keinen Vortrag über das Leiden im Allgemeinen und Besonderen, sondern er spricht von sich ganz persönlich. Aber er spricht so von sich, dass er damit auch uns als Christen dazu anleiten will, unser Leiden noch einmal anders wahrzunehmen. Zum einen kann er seinem Leiden hier eine erzieherische Funktion zuschreiben: Mein Leiden hilft mir, nicht abzuheben, so schreibt er hier; das brauche ich geradezu, damit ich mich nicht überhebe angesichts meiner geistlichen Erfahrungen. Gott holt uns wieder auf den Teppich, wenn auch wir abzuheben drohen, wenn wir in der Gefahr stehen zu glauben, wir hätten in unserem Leben alles selber im Griff, könnten alles selber meistern, seien nicht auf ihn angewiesen. Ich wiederhole noch einmal: Das ist kein allgemeingültiger Lehrsatz, das ist auch keine Erklärung für alles Leid, das auf dieser Welt geschieht, auch nicht für alles Leid, das wir in unserem Leben erfahren. Das mag uns mitunter schon so bedrücken, dass wir nun wahrlich nicht mehr auf die Idee kommen, von uns aus irgendwelche geistlichen Flugversuche zu unternehmen. Aber ich habe auch in meinem Dienst nicht wenige Menschen kennengelernt, die auch für ihr Leben genau das bezeugt haben, was der Apostel hier beschreibt, die mir gesagt haben, dass sie dankbar sind, dass Gott sie mit ihrer Krankheit, mit ihrem Leiden auf den Teppich geholt hat, ihnen geholfen hat, noch einmal ganz neu zu erkennen, wie sehr sie auf ihn, Gott, ganz und gar angewiesen sind. Nein, für sie war und ist das Leiden eben nicht bloß etwas Schlechtes.
Und Paulus geht hier sogar noch einen Schritt weiter: Er sagt: Mein Leiden hat mich selber noch dichter an den Kern meiner Verkündigung persönlich herangeführt; ich habe es in meinem Leiden selber erfahren, dass auch in meinem Leben nichts anderes zählt als die Gnade Gottes, dass ich nicht selber etwas vor Gott leisten und darstellen kann, sondern ganz auf das angewiesen bin, was er mir schenkt. Ja, immer dichter bin ich in meinem Leiden mit Christus verbunden worden, habe ich seine Gegenwart, seine Kraft gerade in meiner Schwachheit erfahren. Ja, es ist der gekreuzigte Herr, der so auch in meinem Leben Gestalt annimmt. Ich wiederhole noch einmal: Paulus redet hier erst einmal ganz persönlich von sich. Aber auch in dem, was ich gerade dargelegt habe, will er uns helfen, uns und unser Leben, gerade auch unser Leiden noch einmal in einem neuen Licht zu sehen: Ja, es kann ein Geschenk sein, gerade auch im Leiden erfahren zu können, wie wir mit allem, was wir haben und sind, ganz an Christus und an seiner Gnade hängen, kann es geschehen, dass gerade in unserem Leiden und durch unser Leiden Christus in unserem Leben ganz groß wird. Wie oft habe ich auch dies schon in meinem Dienst miterleben dürfen. Nein, das heißt nicht, dass wir als Christen nicht versuchen sollten, Menschen in ihrem Leiden beizustehen und Leiden zu lindern, so gut es uns möglich ist. Aber gerade in einer Zeit, in der Leidensvermeidung um jeden Preis angesagt zu sein scheint, sollen und dürfen wir als Christen auch bezeugen, dass Leiden für uns als Christen auch einen Sinn haben kann, dass es nicht immer gleich automatisch etwas Schlechtes sein muss. „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Möge dieses Wort unseres Herrn uns helfen, auch in unserem Leben auch und gerade im Leiden einen Sinn wahrnehmen zu können!

III.

Ganz verschiedene Weisen des Umgangs mit dem Leiden haben wir in den Worten der Heiligen Schrift bereits kennengelernt: das Verdrängen und Verleugnen bei Adam und Eva, die Klage und die Wut bei Hiob, das Flehen und Verhandeln bei Paulus. Doch Paulus wurde von Christus schließlich dahin geführt, dass er sein Leiden annehmen konnte, nicht zähneknirschend, nicht ohnmächtig resignierend, sondern so, dass er sagen konnte, er sei in seinem Leiden guten Mutes.
Das eigene Leiden so annehmen zu können, ist nicht etwas, was wir selber machen und bewirken können, das bleibt Geschenk und Gnade, das ist eine Haltung, zu der wir von Christus in unserem Leben oftmals nur ganz langsam geführt werden. Und wenn Christus uns dahin führt, dass auch wir mit Paulus sprechen können: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“, dann heißt das nicht, dass unsere Frage danach, wie Gott all das Leid in dieser Welt zulassen kann, damit zugleich einfach verstummt. Und doch öffnet Paulus uns hier die Augen dafür, dass Christus auch uns in unserem Leben einen Weg führen will, einen Weg, auf dem wir nicht immer gleich alles verstehen können, auf dem wir im Gebet Gott auch immer wieder bitten dürfen, uns noch einmal anders zu führen, einen Weg, auf dem aber schließlich auch unser Leiden einen Sinn bekommen kann, einen Weg, der auch uns schließlich dahin bringen kann, dass wir Leiden annehmen und darin mit Paulus sogar guten Mutes sein können. Ja, einen Weg will Christus uns führen, der uns dahin bringt, dass wir dies eine bekennen können: Wie gut, dass ich Christ bin, wie gut, dass ich getauft bin und in der Gemeinschaft mit Christus leben darf. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Amen.