14.06.2007 | St. Matthäus 9, 35 – 10, 1 (Donnerstag nach dem 1. Sonntag nach Trinitatis)

DONNERSTAG NACH DEM ERSTEN SONNTAG NACH TRINITATIS – 14. JUNI 2007 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 9,35 – 10,1

Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende. Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, daß sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.

Während wir hier unseren Gottesdienst feiern, tagt in Radevormwald die Kirchensynode unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Mission und Gemeindeaufbau – so lautet das besondere Thema dieser Synode, und dieses Thema scheint ja im Augenblick auch besonders nahezuliegen: Jedes Jahr schrumpft unsere Kirche um die Größe einer Gemeinde, und gerade vor wenigen Tagen erreichte uns die Hiobsbotschaft, dass im Haushalt unserer Kirche für das kommende Jahr nach den Prognosen aus den Kirchenbezirken fast eine Viertelmillion Euro fehlen werden. Wenn daran sich nichts ändert, werden weitere Stellenstreichungen und Gehaltskürzungen die Folge sein. Es muss also etwas geschehen; wir müssen unbedingt Mission treiben, möchte man meinen.
Doch die Predigtlesung des heutigen Abends macht uns deutlich, dass wir noch überhaupt nicht kapiert hätten, worum es bei der Mission eigentlich geht, wenn wir sie als Mittel zur Gewinnung neuer Mitglieder, vielleicht gar als Maßnahme zur Verringerung des Finanzdefizits in unserem Kirchenhaushalt ansehen – was von den Planern der Kirchensynode auch sicher nicht so gedacht ist. Wir treiben nicht Mission, um uns als Kirche damit einen Vorteil zu verschaffen, um unsere Zukunft abzusichern. Sondern wir treiben Mission, weil die Menschen es brauchen, weil sie es dringend nötig haben, die rettende Botschaft von Christus zu hören. „Als Jesus das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben“, so heißt es hier in unserer Predigtlesung. Jesus guckt hin und sieht, in was für einer Lage sich die Menschen befinden, blickt tiefer, als die, die er ansieht, es selber überhaupt ahnen und empfinden mögen. Verschmachtet, zerstreut, ohne Hirten – nein, diejenigen, von denen Jesus das damals sagte, mussten sich deswegen nicht unbedingt schlecht fühlen, genauso wenig, wie sich die Leute in unserer Umgebung, die von Christus nichts wissen, schlecht fühlen müssen. Sie mögen das als ganz normal empfinden, ihr Leben ohne ihn, den guten Hirten, zu führen; sie mögen das als ganz normal empfinden, ohne Gottes Wort auszukommen, sich treiben zu lassen von dem, was alle anderen doch auch machen, mögen allemal genug Spaß in ihrem Leben haben. Doch wenn wir die Menschen in unserer Umgebung mit den Augen Christi betrachten, dann gilt für sie eben doch dasselbe, was er damals feststellte: Verschmachtet sind sie, geistlich am Verdursten und Verhungern, selbst wenn sie sich selber vielleicht für ganz religiös halten, esoterisch angehaucht sind oder ihre Sehnsucht nach Leben auf alle möglichen anderen Weisen zu stillen versuchen. Verstreut, ohne guten Hirten sind sie, auch wenn ihnen in der Moschee doch scheinbar so klare Anweisungen für ihr Leben gegeben werden, auch wenn sie doch einen großen Freundeskreis haben, wahrlich nicht unter Einsamkeit leiden. Ja, Christus zerreißt es das Herz, wenn er die Menschen hier in Berlin sieht, das kann er kaum mit ansehen, wie so viele von ihnen in ihrem Leben in die Irre gehen. Und erst recht geht es ihm an die Nieren, wenn er das Leid so vieler Menschen auch in unserer Stadt sieht, wenn er sieht, wie viele Menschen ohne Hilfe, ohne Trost bleiben. Wenn wir auf all diese Menschen blicken, dann merken wir es von allein, dass wir hier in unserer Gemeinde nicht einfach sitzen bleiben können und uns daran erfreuen können, dass es uns hier so gut geht und wir uns alle miteinander so gut verstehen. Dann merken wir von allein, dass wir unser Augenmerk in der Kirche nicht auf alle möglichen Strukturdebatten und -reformen richten können und sollen, sondern einfach wahrnehmen sollen, was hier bei uns eigentlich los ist: Da drohen Menschen verlorenzugehen, ewig verlorenzugehen, und wir haben sie, die rettende Botschaft, die diese Menschen brauchen!
„Die Ernte ist groß“, sagt Christus. Er hält nichts vom Gejammer über schrumpfende Kirchgliederzahlen, nichts vom Klagen darüber, dass es doch immer schwieriger wird, an die Leute heranzukommen. Die Ernte ist groß, hier in Berlin. Ein Drittel der Bevölkerung gehört nur noch einer christlichen Kirche an; weite Teile der jüngeren Generationen wachsen mittlerweile ohne jeglichen Kontakt zum christlichen Glauben auf. Um Millionen von Menschen geht es, allein hier in unserer Stadt.
Was sollen wir also tun? Christus sagt nicht: Die Ernte ist groß, packen wir’s an! Sondern er sagt: „Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“ Mission, Sendung, geht von Gott aus. Mission ist kein Unternehmen, das wir durchführen, das wir in den Griff bekommen können. Sondern wir sind darauf angewiesen, dass Gott sendet, dass er Arbeiter in die so große Ernte schickt, ja, auch hier in Berlin.
Schwestern und Brüder, ist uns das klar, wie dringend nötig es ist, dass wir ihm, dem Herrn der Ernte, mit dieser Bitte immer wieder in den Ohren liegen? Da werden oder sind in unserer eigenen Kirche drei der sieben Pfarrstellen hier in Berlin vakant, und es ist im Augenblick nicht abzusehen, dass sich daran etwas ändert. Da habe ich in den Unterlagen der Kirchensynode mit Erschrecken gesehen, wie mickrig die Liste der Theologiestudierenden ist, wie kurz diese Liste mittlerweile geraten ist. Der Nachwuchs an Pastoren, er droht in unserer Kirche fast ganz zu versiegen, werden wir in Zukunft wohl noch mehr Gemeinden zusammenlegen müssen, weil es für sie keine Pastoren gibt, wenn sich hier nichts ändert. Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende – ja, bittet ihn um der vielen Menschen willen, die das Evangelium brauchen!
Wozu brauchen wir diese Arbeiter? Christus ergreift hier am Schluss unserer Predigtlesung selber die Initiative und beruft die zwölf Apostel, schenkt ihnen Vollmacht über die unreinen Geister, Vollmacht, um Menschen zu heilen. Nein, der Dienst derer, die Christus in das Amt der Kirche ruft, besteht nicht darin, Entertainer oder theologischer Chefberater oder Trainer zu sein. Dieser Dienst ist vor allem immer wieder ein Kampf, ein Kampf mit den Mächten, die Menschen von Christus fernhalten wollen, sie endgültig verschmachten lassen wollen. Und diesen Kampf können wir eben nicht allein führen und gewinnen; in diesem Kampf können wir nur mit der Vollmacht bestehen, die Christus hier den Aposteln schenkt und mit der er seine Kirche seitdem immer wieder beschenkt hat. Kampf mit den gottfeindlichen Mächten, ohne Gewalt, allein mit der Waffe des Wortes, um Menschen mit der Liebe Christi zu erreichen, darin besteht die Aufgabe der Arbeiter in der Ernte.
Und gottlob sieht es Christus selber, dass auch diejenigen, die er mit diesem besonderen Dienst in die Ernte geschickt hat, immer noch viel zu wenig sind, dass diese Arbeiter weitere Mitarbeiter brauchen, noch und noch, angesichts der reichen Ernte, die vor uns liegt. Gottlob gibt es so viele auch hier in unserer Gemeinde, die mithelfen in diesem Dienst, sich gemeinsam mit mir zu den Menschen begeben, wie es Christus damals auch getan hat. Nein, Christus hat auch nicht darauf gewartet, dass die Leute irgendwann mal zu ihm kamen, nein, er ging ringsum in alle Städte und Dörfer, predigte und heilte dort. Tun wir es ihm immer wieder nach, gestärkt mit der Gabe seines Geistes, gestärkt durch sein Wort und Sakrament. Fragen wir nicht danach, was das uns, was das unserer Gemeinde und Kirche bringt. Das kann uns allemal egal sein; darum soll sich Christus selber kümmern. Schauen wir einfach auf die Leute, auf die Menschen, die den einen guten Hirten brauchen. Liegen wir Gott weiter in den Ohren mit unserer Bitte um Arbeiter, und lassen wir uns selber rufen, Zeugen seiner Liebe zu sein bei denen, die Christus noch nicht kennen. Die Ernte ist groß. Amen.