17.06.2007 | Jesaja 55, 1-5 (2. Sonntag nach Trinitatis)

ZWEITER SONNTAG NACH TRINITATIS – 17. JUNI 2007 – PREDIGT ÜBER JESAJA 55,1-5

Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und eßt! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.

Werbung kann ich nicht ausstehen. Jeden Samstag finde ich in meinem Briefkasten in Plastikfolie eingeschweißt einen ganzen Packen von Werbezetteln vor mit allen möglichen angeblichen Sonderangeboten, bei denen ich zugreifen soll. Ich entferne immer ökologisch korrekt die Plastikfolie und werfe die Werbezettel gleich ungelesen ins Altpapier, denn ich möchte es erst gar nicht erleben, dass die Werbung bei mir Interesse an irgendwelchen Produkten weckt, die ich eigentlich doch gar nicht brauche. Ich habe ein Auto, ich habe einen Fernseher, ich habe eine Waschmaschine, ich weiß, welche Gerichte ich in der Mikrowelle warmmachen kann. Sehr viel mehr braucht man ja eigentlich auch nicht zum Leben. Aber offenbar lohnt sich der Versand solcher Werbezettel trotz Werbemuffeln wie mir, denn sonst würde der ganze Aufwand wohl nicht betrieben werden.
So ganz stimmt das im Übrigen ja auch nicht, dass ich Werbung nicht ausstehen kann. Schließlich arbeite ich ja selber in einem Werbeteam mit hier in unserer Gemeinde, überlegen wir uns regelmäßig, welche Werbemaßnahmen wir starten können, um auf unsere Gemeinde aufmerksam zu machen, um Menschen für unsere Gemeinde, ja überhaupt für den christlichen Glauben zu gewinnen. Werbung für Christus und die Kirche – passt das eigentlich zusammen? Kann man für den christlichen Gottesdienst werben wie für den Sommerschlussverkauf, für das Heilige Abendmahl wie für das neuste Sonderangebot an Nudelgerichten?
Gott selber geht dieses Risiko ein, so erfahren wir es in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags. Da schickt er seinen Propheten allen Ernstes als Marktschreier los, gleichsam als wandelnden Werbezettel, schickt ihn mitten auf den Markt, wo er zwischen all den anderen Händlern nun für das wirbt, was Gott seinem Volk nahebringen will: Kommt her, kauft und esst! Kommt her, kommt her, kommt her! Immer wieder schallt die Werbebotschaft des Propheten über den Marktplatz; er wusste schon etwas davon, dass sich kurze, knackige Botschaften durch Wiederholung besonders tief ins Bewusstsein der Zuhörer einprägen. Ja, Gott beteiligt sich an der Werbeschlacht um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer, er hält sich nicht vornehm zurück und wartet darauf, dass die Leute von selbst zu ihm kommen, von selbst auf den Trichter kommen, dass es da bei ihm etwas zu holen gibt. Nein, er drängt das, was er anzubieten hat, seinen Zuhörern beinahe auf, weil er weiß, wie nötig sie, die Zuhörer, dies haben, weil er keine Möglichkeit auslassen will, sie mit seiner Botschaft zu erreichen. Und doch besteht natürlich ein entscheidender Unterschied zwischen Gottes Werbebemühungen und den Zetteln, die ich bei mir in meinem Briefkasten vorfinde: Auch die günstigsten Sonderangebote, die mir auf diesen Zetteln angepriesen werden, sind niemals ein Ausdruck purer Menschenliebe. Denen, die auf diesen Zetteln werben, geht es nicht zuerst darum, mir etwas Gutes zu tun, sondern sie wollen sich selber etwas Gutes tun, wollen selber ein Geschäft machen und gebrauchen diese Sonderangebote nur als Lockmittel. Wenn Gott hier für seine Produktpalette wirbt, dann will er sich nicht an uns bereichern, dann will er nicht auf unsere Kosten ein Geschäft machen. Ihm geht es bei seinen Werbemaßnahmen nicht um seinen eigenen Vorteil, sondern allein um uns. Unfasslich ist es, was für ein Angebot er uns hier unterbreitet:
Es ist

- kostenlos
- von bester Qualität
- für jeden zu haben

I.

Wenn irgendwo etwas kostenlos angeboten wird, dann bin ich erst einmal skeptisch. „Umsonst ist nur der Tod“, so lautet ein Sprichwort, und an dem ist ja auch was dran. Kostenlose Angebote – sie haben in aller Regel irgendwo einen Haken: Sie sollen mich anlocken, mich dazu veranlassen, schließlich doch etwas zu kaufen, was nicht mehr kostenlos ist. Und letztlich sind in dem Preis für das Produkt, was ich dann anschließend kaufe, die Kosten für das vorherige scheinbare kostenlose Angebot schon mit enthalten.
Es gibt für mich eigentlich nur zwei Argumente, die mein Misstrauen gegenüber kostenlosen Angeboten schwinden lassen: Das eine Argument ist, dass diejenigen, die mir ein solches Angebot machen, mir persönlich sehr zugetan sind und dieses Angebot ein Ausdruck ihrer Liebe zu mir ist. Liebe berechnet in der Tat nicht, sie verschenkt sich einfach. Und das andere Argument, das ich gelten lasse, besteht darin, dass derjenige, der etwas zu verschenken hat, so reich ist, dass er es nicht nötig hat, sich noch weiter zu bereichern, dass ihm das auch nicht wehtut, wenn er etwas von seinem Besitz kostenlos abgibt.
Und eben darum geht es nun auch bei Gottes Werbemaßnahmen, eben darum geht es ganz konkret auch bei dem, was hier in der Kirche geschieht: Was uns hier in der Kirche angeboten wird, das kostet nichts, gar nichts: „Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst!“ – Genau das ist unser Motto. Nein, wir arbeiten hier nicht mit faulen Tricks: Wir locken nicht die Leute an, holen sie in unseren Verein und halten ihnen dann anschließend das Kleingedruckte unter die Nase, in dem nun steht, wozu sie sich alles verpflichtet haben, was sie nun die Mitgliedschaft bei uns kostet. Sekten mögen so arbeiten. Die Kirche Jesu Christi hat dies nicht nötig, denn was sie auszuteilen hat, das stammt ja nicht von ihr selber, das stammt ja von Gott. Und auf Gott treffen genau die beiden Argumente zu, die ich eben genannt habe: Gott bietet uns das, was er uns schenken will, ganz und gar kostenlos an, weil er uns unendlich lieb hat, weil seine Liebe nicht berechnet, sondern weil es ihm wirklich einzig und allein darum geht, dass wir bekommen, was wir brauchen. Und eben darum will er mit uns auch kein Geschäft machen. Und zum anderen kann es Gott sich auch schlicht und einfach leisten, uns zu beschenken, weil er unendlich reich ist, weil er aus einer unendlichen Fülle schöpfen kann, wenn er uns beschenkt. Gott braucht nicht zu knausern, und er knausert auch nicht. Das heißt allerdings nicht, dass ihn selber die Geschenke, die er uns macht, nichts gekostet hätten. Im Gegenteil: Unendlich viel hat er selber aufwenden müssen, um uns jetzt so beschenken zu können. Gekostet haben ihn diese Geschenke, die er jetzt bei uns austeilen lässt, nicht weniger als das Leben seines eigenen Sohnes. Billiger waren die Geschenke auch für ihn nicht zu haben.
Aber gerade weil ihn diese Geschenke selber so unendlich viel gekostet haben, gerade darum mag es Gott so überhaupt nicht, wenn wir anfangen, an seine Geschenke dann doch wieder Bedingungen anzuhängen: Ja, Gott macht natürlich den ersten Schritt, damit wir selig werden, damit wir gerettet werden. Aber dann müssen wir natürlich auch noch etwas tun, wir müssen uns entscheiden, wir müssen nun auch noch gute Werke tun, wir müssen diese oder jene Bedingung doch noch erfüllen, damit wir am Ende auch tatsächlich einmal in den Himmel kommen. „Nein, nein und noch mal nein“, ruft dagegen der Prophet hier aus: Es bleibt dabei: „Kauft ohne Geld und umsonst.“ Allein aus Gnaden bekommt ihr alles, was ihr braucht, von Gott, braucht ihr von euch aus diesen Geschenken nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen. Ja, kommt her mit der ganzen Schuld eures Lebens, kommt her mit all eurem Versagen, kommt her mit eurem schwachen, mickrigen Glauben, kommt her mit der großen Leere, die ihr in eurem Leben empfinden mögt, kommt her mit eurer Krankheit, mit eurem Tod, der euch vor Augen steht. Kommt her – Gott schenkt euch, was ihr braucht, ohne Gegenleistung, ganz umsonst! Was für ein großartiges, was für ein wunderbares Angebot! Das muss man doch einfach bekanntmachen, dafür muss man doch einfach werben, dass die Leute davon erfahren!

II.

Nun könnte man gegen Gottes Werbemaßnahmen ja einen schwerwiegenden Einwand erheben: Schafft vielleicht auch Gott mit seiner Werbung überhaupt erst die Bedürfnisse, die er dann anschließend wieder zu befriedigen verspricht? Kämen wir nicht auch ohne das Angebot, das Gott uns macht, letztlich ganz gut durchs Leben?
Nein, das kämen wir nicht. Denn Gott verspricht uns eben nicht bloß ein nettes Zusatzangebot für unser Leben, sondern er verspricht uns nicht weniger als das Leben selbst, Leben in Fülle, Leben, das diesen Namen wirklich verdient. Ganz plastisch und eindrücklich beschreibt der Prophet hier im Auftrag Gottes dieses Leben: Man kann es vor allem schmecken – schmecken und sehen, wie freundlich der Herr ist. Wein und Milch gebraucht der Prophet hier als Bilder für dieses Leben in Fülle, lädt dazu ein, sich an Köstlichem zu laden, wörtlich übersetzt: sich an richtig fettigem Essen zu erfreuen. Ja, das waren noch Zeiten, als fettiges Essen als Bild für Lebensfreude und Lebensfülle verwendet werden konnte! Und in den folgenden Versen macht der Prophet dann auch deutlich, was dieses Leben in Fülle denn eigentlich ausmacht: Es ist ein Leben in der ewigen Gemeinschaft mit Gott, ein Leben, gekennzeichnet von einer unzerstörbaren Verbindung mit Gott. Das ist es, was das Leben reich, erfüllt und lecker macht.
Wenn Gott dieses Leben uns hier kostenlos anbietet, dann macht er das also nicht, weil sein Angebot nichts taugen würde, weil es so billig wäre, dass man es tatsächlich nur noch verschenken kann. „Was nichts kostet, ist auch nichts wert“, so denken wir ja oft genug in unserem Leben, und entsprechend sind Menschen ja dazu bereit, viel Geld auszugeben, wenn ihnen dafür genau das Lebensglück und die Lebensfülle versprochen wird, die der Prophet hier seinen Zuhörern im Auftrag Gottes verspricht. Ach, wie wenig hat sich da in den letzten zweieinhalbtausend Jahren verändert! „Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“ – So ruft der Prophet hier aus. Ja, wie aktuell ist sein Ausruf auch heute noch: Was gebt ihr hier in Deutschland für ein Schweinegeld aus für allen möglichen esoterischen Firlefanz, für Chakra- und Karmaanalysen und Horoskope, für Reiki und Reinkarnationstherapien, für Tarotberatungen und tibetische Medizin, für Amulette, magische Öle und Kristalle! Wie kommt ihr bloß auf die Idee zu glauben, ihr könntet die Erfüllung eures Lebens darin finden, dass ihr ordentlich Geld verdient, euch ein schönes Auto und ein Häuschen im Grünen zulegt, ein nettes Familienleben pflegt, ein paar Reisen unternehmt und einfach nur Spaß am Leben habt?! All das macht letztlich nicht satt, all das schenkt euch kein Leben, das diesen Namen wirklich verdient. All das, was ihr als Leben bezeichnen mögt, ist letztlich nur ein billiges Nachahmerprodukt, das sich früher oder später als völlig hohl erweist!
Nein, ihr könnt das wahre Leben nicht kaufen, ihr könnt es euch nicht verdienen, und das braucht ihr auch nicht. Ihr bekommt das Leben in Fülle, das wirkliche Leben, geschenkt, geschenkt in allerbester Qualität, ganz umsonst, Leben, das auch dann noch bleibt, wenn euch mal nicht mehr nach Spaß zumute ist, das auch dann noch bleibt und hält und trägt, wenn ihr euch mit keinem Geld der Welt von einer Krankheit freikaufen könnt, Leben, das seine Kraft gerade da erweist, wo euer irdisches Leben an seine Grenzen stößt: Leben, in dem ihr nicht mehr um euch selber, um eure eigenen Wünsche und Bedürfnisse kreist, sondern Leben, das darum so reich ist, weil es seinen Inhalt, seine Fülle aus Gott bezieht, weil es Leben in der Gemeinschaft mit ihm ist, ja, schon hier fühlbar und schmeckbar in der Gemeinschaft mit Christus hier im Heiligen Mahl, Leben, das stärker ist als der Tod, weil der Christus, den wir hier im Heiligen Mahl empfangen, die Macht des Todes ein für allemal gebrochen hat. Ja, kommt her, hört es, schmeckt es, lasst euch immer wieder festmachen in Gottes ewigem Bund, dem neuen Testament, gestiftet durch den Tod Jesu Christi. Da bekommt ihr wirkliches Brot, da werdet ihr satt gemacht, satt für die Ewigkeit. Mensch, dafür muss man doch die Werbetrommel rühren!

III.

Nun rede ich schon die ganze Zeit so selbstverständlich davon, dass diese Worte des Propheten, die wir als Predigtlesung gehört haben, auch uns gelten, auch euch, die ihr heute Morgen hier in Zehlendorf in der Kirche sitzt. Nein, das ist eigentlich gar nicht logisch und selbstverständlich. Denn diese Worte sind natürlich zunächst einmal an das Volk Israel gerichtet, an die Israeliten, die damals im Exil in Babylon saßen und schon keine Hoffnung mehr hatten, dass sich an ihrer Situation jemals noch etwas ändern würde. Denen kündigt der Prophet dieses Leben in Fülle an, denen kündigt er an, dass Gott mit ihnen noch einmal einen neuen Bund schließen wird, einen Bund, der nicht mehr an ein Ende kommen wird, wie das mit dem Bund Gottes mit David und seinem Königshaus scheinbar doch nun der Fall war. Aber dann geht der Prophet weiter, kündigt an, dass auch Menschen, die gar nicht zum Volk Israel gehören, von diesem Bund profitieren werden, mit in diese Bundesgemeinschaft aufgenommen werden: „Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen.“ Gottes großes Angebot, seine Werbemaßnahmen, sie gelten tatsächlich allen Menschen, ohne Ausnahme, ganz gleich, woher sie stammen oder wie alt sie sind, ob sie schon 98 sind oder gerade einmal zwei Wochen wie Amelie. Gottes Angebot gilt nicht nur Kindern und Jugendlichen und nicht nur Senioren, es gilt nicht nur Juden, es gilt nicht nur Deutschen, es gilt auch nicht nur Russen und Ukrainern, es gilt allen Völkern. Es gilt nicht nur den Besserverdienern, und es gilt auch nicht nur den Hartz-IV-Empfängern, es gilt nicht nur den Erfolgreichen und auch nicht nur den Versagern, es gilt einfach grenzenlos. Keinen Menschen gibt es, der von Gottes Einladung ausgeschlossen wäre, weil er irgendeine Bedingung nicht erfüllt.
Und darum tun wir gut daran, als Christen kräftig Werbung zu machen – nein, nicht für uns selber. Wenn wir den Menschen Gottes Einladung, sein Angebot präsentieren, dann machen wir das nicht, um für uns als Kirche einen Vorteil herauszuschlagen, um zusätzliche Kirchenbeiträge zu akquirieren, um unsere Gemeindestatistik zu verbessern. Sondern wir machen es um des HERRN willen, unseres Gottes und damit zugleich um der Menschen willen, die dieses Angebot so dringend brauchen: ein Angebot, das kostenlos und von bester Qualität ist und für alle Menschen gilt: Ja, Leben haben wir anzubieten, ewiges, unvergängliches, vollkommenes Leben, Leben, das so wunderbar ist, dass alle menschlichen Worte zu seiner Beschreibung letztlich versagen. Dieses Leben wurde Amelie heute in der Taufe geschenkt, dieses Leben empfängst auch du nun gleich wieder hier am Altar, und zu diesem Leben laden wir ein: Ja, kommt her und kauft ohne Geld und umsonst, kommt her, kauft und esst, ja, kommt, kommt, kommt – es ist alles bereit! Amen.