22.06.2007 | 1. Mose 2, 18 (Brautmesse)

BRAUTMESSE – 22. JUNI 2007 – PREDIGT ÜBER 1. MOSE 2,18

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.

Die ältere Dame war am Ende der Rolltreppe im Kaufhaus ins Stolpern geraten, so berichtete mir vor einiger Zeit eine Bekannte. Die Handtasche flog durch die Gegend, und ihr Inhalt breitete sich in einem weiteren Umkreis auf dem Fußboden aus. Schnell eilten einige Leute herbei und sammelten die Habseligkeiten der Dame wieder auf. Darunter befand sich zu ihrer Verwunderung allerdings auch ein Gebiss. „Ach“, erklärte die Dame recht resolut, „das ist das Gebiss von meinem Mann. Das nehme ich immer mit, wenn ich einkaufen gehe; sonst futtert der mir in der Zwischenzeit zu Hause den ganzen Kühlschrank leer.“
Ja, diese Dame hatte ihre eigene ganz persönliche Auslegung der Worte eures Trauspruchs: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Jedenfalls nahm sie ihre Aufgabe als Hilfe, die um ihn sei, offenkundig sehr gewissenhaft wahr. Man mag nun darüber spekulieren, inwiefern ihr Mann diese Auslegung in der gleichen Weise teilte oder ob er es vielleicht doch mitunter als ganz reizvoll angesehen hätte, einmal wirklich allein zu sein.
Doch dass das Alleinsein als Dauerzustand in der Tat nicht gut ist, das ist etwas, was ihr beide aus eigener Erfahrung, ja, aus eigener schmerzlicher Erfahrung selber bezeugen könnt. Nein, es geht dabei ja nicht bloß darum, dass es erwiesenermaßen gesünder ist, zu zweit zu essen, als wenn man nur allein vor sich dahinfuttert. Alleinsein betrifft ja viel umfassendere Bereiche des Lebens: Alleinsein bedeutet: keinen zu haben, der einem hilft, keinen zu haben, mit dem man seine Empfindungen, seine Freude und sein Leid, teilen kann. Alleinsein bedeutet: keinen Gesprächspartner zu haben, keinen zu haben, der bei einem ist, wenn man selber mal wieder in einem tiefen dunklen Loch versinkt. Alleinsein bedeutet: auf körperliche Nähe verzichten zu müssen; ja, Alleinsein bedeutet: in der ständigen Gefahr zu stehen, nur um sich selber zu kreisen, ohne Anregungen und Korrekturen durch ein Gegenüber. Ja, genau dies habt ihr selber in den vergangenen Jahren deutlich gespürt, und man spürt dies natürlich noch einmal ganz besonders deutlich, wenn man eben zuvor auch über viele Jahre das Andere erfahren hatte, erlebt hatte, wie schön es ist, nicht allein zu sein, eine Ehe unter Gottes Segen führen zu dürfen.
„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ – ja, das entspricht eurer beider Erfahrung. Aber es ist noch mehr als bloß eure persönliche Empfindung: Es ist ein Grundsatzurteil Gottes selber über den Menschen überhaupt. Der Mensch ist nicht zum Einsiedler geschaffen, sondern auf Gemeinschaft angelegt, auf Gemeinschaft, die ihre höchste Erfüllung in der Gemeinschaft von Mann und Frau in der Ehe findet. Dass ihr beide euch heute Nachmittag hier vor dem Altar Gottes eingefunden habt, ist also nicht bloß eine verrückte Idee von euch beiden, sondern das hat seinen tiefsten Grund in Gottes Schöpfungsordnung selber, in seinem Willen, dass ihr nicht bloß für euch selbst leben sollt, sondern zur Gemeinschaft miteinander bestimmt seid. Und so habt ihr heute Nachmittag in diesem Gottesdienst gleich einen dreifachen Grund, fröhlich zu feiern und Gott zu danken:

- weil Gott euch füreinander bestimmt hat
- weil ihr eine Hilfe an eurer Seite habt
- weil ihr ein Gegenüber habt

I.

Über ein halbes Jahr ist es nun schon her, dass ihr beide euch beim Standesamt das Jawort gegeben habt. Nach der staatlichen Gesetzgebung seid ihr also schon längst verheiratet. Aber nun seid ihr trotzdem heute Nachmittag hierher gekommen, um euch trauen zu lassen. Nein, das macht ihr nicht bloß, weil sich das nun mal so gehört, weil gerade Pastoren sich in aller Regel doch auch kirchlich trauen lassen. Sondern hier und heute in diesem Gottesdienst geschieht nun noch viel mehr, als damals im Standesamt geschehen ist. Dort im Standesamt habt ihr einen Vertrag miteinander geschlossen, einen Vertrag, der auf eurem Jawort beruht und entsprechend auch wieder rückgängig gemacht werden kann, selbst wenn man damit aus manchen Verpflichtungen, die man bei der standesamtlichen Trauung eingegangen ist, nicht mehr so einfach herauskommt. Wenn es euch in eurer Ehe nur darum ginge, nicht alleine zu sein, dann könntet ihr euch den heutigen Gottesdienst sparen. Doch heute geht es nun um viel mehr: Es geht darum, dass ihr hier vor dem Altar Gottes von Gott selber als Mann und Frau unauflöslich miteinander verbunden werdet. Was heute hier geschieht, das hängt eben nicht bloß an euch und an eurem Jawort; sondern es ist Gott, der hier nun zusammenfügt, was der Mensch nicht scheiden soll. Dass ihr beide zueinander gefunden habt, das erkennt ihr schon als Gottes Fügung und Führung in eurem Leben. Doch was ihr sonst nur ahnen könnt, das wird hier nun ganz konkret, wenn ihr jetzt gleich hier zusammengesprochen werdet. Da erfahrt ihr, wie das, was ganz am Anfang der Menschheitsgeschichte geschah, nun auch für euch Realität und Gegenwart wird: Gott schafft euch gegenseitig eine Hilfe, ein Gegenüber und führt euch gegenseitig einander zu, dass ihr staunen und jubeln dürft: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch – ja, das passt genau, was Gott da gefügt hat, um uns nicht länger allein leben zu lassen.
Eure Ehe – sie ist ein Geschenk eures Schöpfers, das er euch in einem fortgeschrittenen Stadium eures Lebens gemacht hat. Und genau als ein solches Zeichen der liebevollen Zuwendung eures Gottes sollt und dürft ihr dieses Geschenk annehmen und euch jeden Tag von neuem darüber freuen. Ihr wisst beide, dass ihr schon älter als 30 seid; ihr wisst beide, dass ihr nach menschlichem Ermessen nicht unbedingt noch eure Goldene Hochzeit miteinander feiern werdet. Ja, ihr wisst, dass nach menschlichem Ermessen der Zeitpunkt, an dem der Tod euch scheiden wird, an dem einer von euch beiden zurückbleiben wird, für euch näher liegt, als wenn ihr beide jetzt Anfang 20 wärt. Aber der Gedanke daran soll euch eben gerade nicht bedrücken, soll euch im Gegenteil erst recht dankbar wahrnehmen lassen, dass ihr einander jetzt habt, dass Gott euch jetzt zusammengeführt hat und ihr gerade jetzt euren Lebensweg nicht allein, sondern gemeinsam gehen dürft. Nein, ihr seid nicht allein, ihr seid in eurer Ehe auch nicht bloß zu zweit; ihr habt ihn immer mit dabei, ihn, der euch einander als Helfer und als Gegenüber geschaffen und bestimmt hat.

II.

Wenn man sich euren Trauspruch in der Übersetzung Martin Luthers anhört, dann kann man zugegebenermaßen leicht auf irreführende Gedanken kommen: „Ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei“ – das klingt so, als ob der Mann der Pascha wäre, der erfreut zur Kenntnis nimmt, dass Gott der Herr ihm eine Frau als Küchen- und Putzhilfe zur Verfügung gestellt hat, die immer um ihn herumwirbelt, während er auf seinem Paschathron sitzt und die Beine hochhält.
Ich habe nicht den Eindruck, dass so bei euch beiden euer Ehealltag aussieht. Und das ist auch gut so, denn solch ein Zerrbild von Ehe wird uns hier in 1. Mose 2 in Wirklichkeit auch gar nicht vor Augen gestellt. Von einer „Gehilfin“ ist da im Hebräischen erst einmal gar nicht die Rede, sondern ganz neutral von einer Hilfe. Und diese Hilfe ist gerade keine abwertende Bezeichnung, im Gegenteil: die „Hilfe“ wird in der Heiligen Schrift immer wieder als besonderer Ehrentitel Gottes selber angeführt: So wenig, wie Gott dadurch zu unserem Bimbo gemacht wird, dass er unsere Hilfe genannt wird, so wenig gilt dies auch für die Frau, die Gott dem Mann an die Seite stellt. Hilfe ist auch nicht bloß die Frau für den Mann, Hilfe ist auch der Mann für die Frau, so macht es eine wunderbare Auslegung eures Trauspruchs im Buch des Predigers deutlich, wo es heißt: „So ist’s ja besser zu zweien als allein; denn sie haben guten Lohn für ihre Mühe. Fällt einer von ihnen, so hilft ihm sein Gesell auf. Weh dem, der allein ist, wenn er fällt! Dann ist kein anderer da, der ihm aufhilft.“
Ja, wohl euch beiden: Ihr habt nun eine Hilfe an eurer Seite, wenn eure Kräfte schwinden. Ihr habt eine Hilfe an eurer Seite in den ganz praktischen Dingen des Alltags. Ihr habt eine Hilfe an eurer Seite, die eure Freuden und Lasten teilt. Ja, ihr habt vor allem eine Hilfe an eurer Seite, die euch hilft, gemeinsam das Ziel eures Lebens zu erreichen, das ewige Leben. Dafür sollt ihr in eurer Ehe vor allem einander Helfer sein, dass ihr euch Mut macht, bei Christus zu bleiben, dass ihr euch Mut macht, immer wieder aus seiner Vergebung zu leben, und dass ihr dann auch eure Ehe von dieser Vergebung Gottes prägen lasst. Nein, keiner von euch beiden soll auf dem Weg zum Ziel zurückbleiben, liegenbleiben, beide sollt ihr dort ankommen, wo ihr einmal endgültig nie mehr allein sein werdet, wo die Gemeinschaft eurer Ehe einmündet in die noch viel wunderbarere und beglückendere Gemeinschaft aller Heiligen und Vollendeten vor Gottes Thron.

III.

Noch ein Drittes macht euer Trauspruch schließlich in Bezug auf eure Ehe deutlich: Euch wird in der Ehe ein Gegenüber geschenkt, das euch entspricht, das euch so ergänzt, dass ihr merkt: Erst gemeinsam mit diesem Gegenüber bilde ich eigentlich ein Ganzes.
Es ist schon bezeichnend, in welchem Zusammenhang euer Trauspruch im zweiten Kapitel der Heiligen Schrift steht: Da hat Gott schon das ganze Paradies geschaffen, hat dem Menschen dort im Paradies schon konkrete Aufgaben zugewiesen, als er nun feststellt: Da fehlt noch was, da ist noch etwas nicht gut: Der Mensch ist noch allein, er braucht ein Gegenüber. Und dann schafft Gott zunächst einmal alle möglichen Tiere. Doch am Ende der Erschaffung der Tiere heißt es: Aber für den Menschen ward keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre. Tiere mögen ein netter Zeitvertreib sein, ein nettes Hobby darstellen; doch in der Gemeinschaft mit ihnen findet der Mensch seine Bestimmung noch nicht. Ein Dackel kann nicht die Ehefrau ersetzen, und ein Meerschweinchen nicht den Ehemann. Nur in einem anderen Menschen, im jeweils anderen Geschlecht, findet der Mensch die Erfüllung, die Gott für ihn vorgesehen hat.
Gegenüber seid ihr einander, nicht bloß Zweckgemeinschaft zur gemeinsamen Vertreibung der Einsamkeit. Der Apostel Paulus bringt es im Neuen Testament so zum Ausdruck: In eurer Ehe spiegelt ihr die Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Kirche wider, dieses tiefste sakramentale Geheimnis überhaupt. Wie Christus seiner Kirche gedient hat und für sie in den Tod gegangen ist, so dient der Mann in einer christlichen Ehe seiner Frau bis in den Tod. Und diesem Mann ordnet sich wiederum umgekehrt die Frau unter, wie die Kirche sich Christus unterordnet, in dem Wissen, dass sie darin nicht ausgenutzt, nicht unterdrückt wird, sondern in der Gemeinschaft mit ihm, dem Haupt, erst ihre letzte Erfüllung findet. Christus und die Kirche – sie sind ein Leib, und so seid auch ihr beide ein Leib, nicht nur in eurer Liebe zueinander, sondern dadurch, dass ihr immer wieder mit Christus gemeinsam leibhaftig verbunden werdet im Heiligen Mahl, seinen Leib und sein Blut dort empfangt und gerade so immer aufs Neue ein Leib miteinander werdet. Und gerade von daher ist es so gut und sinnvoll, dass ihr eure Ehe heute mit dem gemeinsamen Empfang der Heiligen Kommunion beginnt: Da nimmt Christus nun gleich alles von euch, was in eurem Leben nicht in Ordnung war, die ganze Schuld, das ganze Versagen, das ihr mit eurer Biographie in eure Ehe eingebracht habt. Ja, Christus schenkt euch diesen Neuanfang und schließt euch nun selber zusammen, lässt euch erfahren, dass sich euer Gegenüber im Tiefsten erst da verwirklicht, wo ihr gemeinsam mit Christus eins werdet.
Wie sich das ganz praktisch in eurer Ehe auswirkt, dass ihr füreinander jeweils das Gegenüber, die Entsprechung seid, dass ihr einander ergänzt, das kann ganz unterschiedliche Gestalt annehmen. Wer da auf wessen Zähne und auf wessen Essgewohnheiten aufpassen mag, wer in welchem Bereich eures Zusammenlebens jeweils das Sagen hat, wie ihr Konflikte miteinander löst, dafür gibt es in der Heiligen Schrift keine Einzelanweisungen. Aber Gottes Verheißung habt ihr allemal: dass ihr in eurer Ehe von ihm zusammengeführt seid, dass ihr einander als Helfer und Gegenüber haben dürft, dass Gott euch das wunderbarste Heilmittel gegen das Alleinsein geschenkt hat, das es überhaupt gibt. Gott geb’s, dass ihr von heute an keinen Tag vergehen lasst, an dem ihr ihm dafür nicht von Herzen dankt! Amen.