31.12.2008 | St. Lukas 12, 35-40 (Altjahrsabend)

ALTJAHRSABEND – 31. DEZEMBER 2008 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 12,35-40

Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun. Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie. Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.

Als ich am vorletzten Sonntag morgens die Treppe herunterkam, traute ich meinen Augen nicht: Meine Amtszimmertür, die ich einige Stunden zuvor noch fest abgeschlossen hatte, stand offen, und als ich durch die Tür hindurchblickte, sah ich den Tresor, der sonst von meinen Büchern gut versteckt wird, geöffnet und leer vor mir. Einbrecher waren nachts in unser Gemeindehaus eingedrungen, hatten zahlreiche Türen in unserem Haus aufgebrochen und schließlich bei mir im Amtszimmer große Beute gemacht.
Ich hatte das Gefühl, ich sei irgendwie im falschen Film: An alles Mögliche hatte ich an diesem Morgen gedacht, als ich die Treppe herunterkam: Dass ich mir noch einmal die Taufansprache anschauen müsste, dass ich gleich noch einen Konfirmanden mit dem Auto abholen müsste, dass ich nicht vergessen dürfte, die Heizung in der Kirche anzuschalten, damit wir hier nachher nicht frieren. Nur an Einbrecher hatte ich nicht im Traum gedacht, die waren so weit außerhalb meines Vorstellungsvermögens, dass ich eine Weile brauchte, bis ich überhaupt in der Realität angekommen war. Und dann begann ich, mir alle möglichen Vorwürfe zu machen: Mensch, wärst du doch in der letzten Nacht länger wach geblieben, hättest du doch bloß wie die Nächte zuvor bis halb drei oder drei im Amtszimmer gesessen! Dann hätten die Einbrecher wohl nicht mehr genügend Zeit für ihren Beutezug gehabt. Und hättest du dir doch bloß mal die Kästchen im Regal hinten in der Ecke genauer angeschaut, die dort seit 17 Jahren herumstanden; dann hättest du den zweiten Tresorschlüssel, von dem du nichts wusstest, vielleicht doch noch eher als die Einbrecher entdeckt, und sie hätten damit den Tresor nicht öffnen können. Und hättest du doch einfach schon etwas früher mit der Rendantur abgerechnet, dann wäre da nicht mehr so viel Geld im Tresor gewesen. Ja, hättest du, hättest du doch! Aber nun war es zu spät, nun konnte ich nichts mehr ändern, jetzt, wo der Einbruch passiert war, jetzt, wo die Einbrecher eingedrungen waren, während ich direkt über ihnen tief geschlafen hatte. Und dann kam zu den Vorwürfen die schmerzliche Erkenntnis: Diese Leute haben ja überall bei mir herumgewühlt, haben Dinge bei mir gefunden, von denen ich selbst nichts wusste, haben die persönlichsten Dinge in den Händen gehabt. Das sitzt einem dann doch noch eine ganze Weile später in den Knochen.
Ja, die Worte Jesu aus dem Heiligen Evangelium des heutigen Altjahrsabends verstehe ich nun noch viel besser als zuvor: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Ja, so ist, so kann ich Jesus nur beipflichten. Aber nun tritt Jesus hier nicht als Werbevertreter für Alarmanlagen auf, sondern er gebraucht dieses Bild von dem Dieb, um uns deutlich zu machen, wie plötzlich, wie unerwartet auch der Tag seines Kommens einmal in unser Leben einbrechen wird: Der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.
Ja, das Bild, das Jesus hier gebraucht, das passt sehr gut: Wenn er, Christus, eines Tages sichtbar wiederkommen wird, dann werden die meisten Menschen genauso überrascht sein wie ich am vorletzten Sonntag nach dem Einbruch: An alles Mögliche hatten sie in ihrem Leben gedacht: Daran, wie es wohl finanziell und wirtschaftlich bei ihnen im kommenden Jahr aussehen würde, daran, ob sie auch genügend Zeit für ihre Hobbys haben würden, daran, wohin die nächste Urlaubsreise gehen würde, daran, wie es ihrer Gesundheit wohl in der kommenden Zeit ergehen würde. Nur eines hatten sie überhaupt nicht im Blick: Dass sich all diese scheinbar so wichtigen Fragen einmal als völlig unwichtig, als überflüssig herausstellen könnten angesichts des wiederkommenden Herrn. Nein, dass das tatsächlich real so passieren könnte, wie es in der Bibel angekündigt worden war, damit hatten sie überhaupt nicht gerechnet, das lag doch völlig außerhalb ihrer Vorstellungen. Aber nun, so werden diese Menschen es dann feststellen müssen, ist es zu spät. Nun ist es zu spät, der Einladung zum Gottesdienst noch zu folgen, die man die ganze Zeit zuvor meinte nicht ganz so ernst nehmen zu müssen. Später, ja später, so hatte man es sich vorgenommen, später wollte man dann schon irgendwann einmal wieder sich blicken lassen; aber jetzt gab es doch erst einmal wichtigere, dringendere Dinge zu tun – so hatte man gemeint. Aber jetzt, jetzt war es zu spät, die Prioritäten im Leben noch einmal neu zu setzen. Jetzt konnte man nur noch feststellen, dass man sein Leben, das wahre Leben schlicht und einfach verpennt hatte. Ja, hättest du doch, hättest du doch – diese Gedanken werden so vielen Menschen dann durch den Kopf gehen: Hättest du doch bloß ernst genommen, was dir so belanglos und überflüssig vorkam, hättest du doch bloß nicht dein Leben verpennt! Und dann – dann werden wir alle miteinander feststellen müssen, dass der Herr, der da kommt, noch tiefer in die letzten Winkel unseres Lebens hineinschauen wird, als die Einbrecher es bei mir in meinem Amtszimmer in der letzten Woche gemacht haben. Ja, erschrecken werden wir darüber, was er, Christus, dort dann alles finden wird, wovon wir nicht die geringste Ahnung haben, was er alles ans Tageslicht befördern wird, was uns nur zutiefst beschämt dastehen lassen wird.
Nein, Schwestern und Brüder, dass ich hier so ausführlich von dem Einbruch berichte, das hängt nicht damit zusammen, dass ich es für ganz angenehm hielte, diese scheußliche Geschichte auf diese Art und Weise noch einmal loswerden und verarbeiten zu können. Sondern mir ist an diesem Vergleich mit dem Dieb in der Nacht noch einmal ganz neu aufgegangen, wie wichtig es für uns ist, dass wir die Worte Jesu, die Worte der Heiligen Schrift, die vom Kommen des Herrn handeln, auch wirklich ernst nehmen. Woran mögen wir heute an diesem letzten Tag des Jahres alles denken: Viele von uns werden an diesem Tag vor allem zurückblicken, werden denken an Schweres, was sie in diesem Jahr in ihrem Leben erfahren haben, werden sich vielleicht auch an besondere Höhepunkte des Jahres erinnern. Dass da etwas, nein: jemand auf uns zukommt, dessen Kommen viel, viel wichtiger ist als alle Vergangenheit in unserem Leben – wer hat dies wirklich immer so klar im Blick?! Und da mag es andere auch in unserer Mitte geben, deren Gedanken heute am letzten Tag dieses Jahres tatsächlich nach vorne gerichtet sind: Wie sehr wird mich die Finanz- und Wirtschaftskrise im neuen Jahr treffen, wie wird sich meine Gesundheit weiter entwickeln, wie soll ich bloß mit all den Problemen klarkommen, die ich in der kommenden Zeit auf mich zurollen sehe? Ja, nach vorne blicken wir, machen uns auch hier alle möglichen Gedanken – und übersehen dabei wieder so leicht, dass wir doch auch in diesem neuen Jahr 2009 zunächst und vor allem ihm, Christus, entgegengehen, dass wir nicht wissen können, ob diese Silvesterfeier nicht die letzte ist, die wir hier auf Erden erleben werden.
Aber nun müssen wir genau hinschauen, was denn nun der Vergleichspunkt ist, weswegen Jesus hier dieses Bild von dem Dieb, der in der Nacht kommt, verwendet: Ihm geht es darum, dass er einmal plötzlich, völlig unerwartet wiederkommen wird, ihm geht es nicht darum, dass wir uns vor ihm fürchten müssten, wie man sich vor einem Einbrecher fürchtet. Jesus wird kommen wie ein Dieb, aber er wird nicht kommen als ein Dieb, er wird gerade nicht kommen, um uns etwas wegzunehmen, sondern um uns im Gegenteil etwas zu schenken.
An seine Jünger richtet Jesus die Verse des Heiligen Evangeliums dieses Abends, nicht an die große Volksmenge. Und für die, die zu ihm gehören, wird der, der da kommt, eben gerade kein Unbekannter sein. Die, die in der letzten Woche unser Haus durchwühlt haben, die waren und sind uns unbekannt. Der, der am Ende unseres Lebens, am Ende dieser Welt auf uns zukommen wird, den kennen wir genau: Es ist doch unser Herr, so stellt es uns Christus selber vor Augen. Ganz vertraut ist er uns: Er hat uns doch schon längst zu seinem Eigentum gemacht in unserer Taufe, er hat uns in seinen Dienst gerufen; immer und immer wieder sind wir mit ihm zusammengewesen. Nein, vor diesem Herrn brauchen wir nicht zu zittern, vor diesem Herrn brauchen wir nichts in Sicherheit zu bringen, dessen Kommen sollten wir gerade nicht zu verhindern suchen. Ganz im Gegenteil: Was dieser Herr uns verspricht, was er bei seinem Kommen tun wird, das ist so wunderbar, so unglaublich, dass der schwäbische Bibelausleger Albrecht Bengel diese Worte unseres Evangeliums nicht zu Unrecht als die „größte Verheißung der Heiligen Schrift“ bezeichnet hat. Da wird Christus, der Herr des ganzen Universums, der, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, da wird dieser Christus in seiner ganzen Herrlichkeit kommen. Und dann – dann wird dieser Christus kommen, uns an seinen Tisch bitten und uns bedienen, Sklavendienste an uns verrichten, er, der Herr der ganzen Welt! Nein, dieser Christus, der da kommen wird, ist doch kein anderer als der, der am Gründonnerstag seinen Jüngern die Füße gewaschen hat, der sich am Karfreitag aus reiner Liebe für uns hat ans Kreuz nageln lassen, damit unsere Schuld uns nicht länger von Gott trennt.
Für das Kommen dieses Herrn sollen wir wachen, dafür sollen wir bereit sein, für diesen größten und wunderbarsten Tag unseres Lebens, an dem Christus uns an seinem Tisch bedienen wird. Vorfreude soll und darf es also sein, die uns wach bleiben lässt, die uns nach vorne blicken lässt, trotz all dessen, was uns im Augenblick noch so bedrücken und herunterziehen mag, was uns im Augenblick noch an diesem alten Jahr hängen lässt. Wir Christen sehen nicht mit schlotternden Knien dem Weltuntergang entgegen, sondern sehnen uns nach dem großen Tag, an dem unser Herr als unser Diener erscheinen wird, sein Werk der Liebe an uns vollenden wird bei dem Festmahl, das kein Ende mehr kennen wird. Darum, darum allein sollte uns dieser große Tag nicht unvorbereitet treffen.
Aber wie können wir uns nun auf diesen großen Tag vorbereiten, dem wir entgegengehen, wie können wir unser Leben so gestalten, dass es tatsächlich immer wieder von Neuem geprägt ist von der Vorfreude auf den kommenden Herrn? Christus selber formuliert es hier in zwei Bildern: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.“
„Lasst eure Lenden umgürtet sein“ – das ist eine Anspielung auf die Passahgeschichte: Damals, vor dem Auszug aus Ägypten, sollten die Israeliten ihr Passahlamm essen mit umgürteten Lenden. Das hieß: Sie sollten ihre langen Gewänder hochkrempeln und mit einem Gürtel festbinden, sodass sie sich beim schnellen Laufen nicht in diesen Gewändern verhedderten, sondern zügig losmarschieren konnten aus der Sklaverei in die Freiheit.
Und genauso sollen auch wir an diesem Silvesterabend dastehen: Überlegen sollen wir uns, was uns am Ende dieses Jahres alles daran hindert, unser Leben auf den kommenden Christus auszurichten, ihm gleichsam entgegenzulaufen. Gibt es da noch Schuld aus diesem vergangenen Jahr, die dich bedrückt und lähmt? Christus will sie dir gleich wieder wegnehmen, wenn du seinen Leib und sein Blut hier am Altar empfängst, damit du wirklich frei und ungehindert in das neue Jahr marschieren kannst. Gibt es da noch etwas, was zwischen dir und anderen Menschen steht, was dich bedrückt und lähmt? Dann mache dich gleich im neuen Jahr daran, das auszuräumen und zu klären, dass auch dies dich nicht daran hindert, Christus, deinem Herrn, entgegenzugehen. Gibt es Sorgen, die du mit ins neue Jahr schleppst und in denen du dich immer wieder verhedderst? Christus will sie dir abnehmen, lädt dich ein, diese Sorgen bei ihm abzuladen, weil er für dich sorgen will auf deinem Weg zum großen Ziel. Nein, nichts soll dir die Vorfreude auf sein Kommen nehmen! Spürst du an diesem Jahreswechsel deine Einsamkeit ganz besonders? Dann lass dich von ihm, deinem Herrn, trösten: Er will dir helfen und den Weg ins neue Jahr gemeinsam mit dir gehen.
Und „lasst eure Lichter brennen“, das ist das andere, wozu uns Christus hier anleitet: Lichter, die brauchen wir, wenn es draußen dunkel ist, die brauchen wir, damit wir selber Orientierung haben und auch anderen Orientierung geben können. Ja, Lichter, die können anzeigen, dass wir noch warten, bereit sind, unseren Herrn zu empfangen. Sein Wort ist dieses Licht, das Christus uns anvertraut hat. Das gibt uns die Orientierung, die wir brauchen, auch in diesem neuen Jahr, das nun vor uns liegt. Das bewahrt uns davor, in die Irre zu laufen, einfach hinter allen anderen herzulaufen, zu tun und zu denken, was alle anderen auch tun und denken. Lasst eure Lichter brennen – ja, nehmt euch Zeit für Gottes Wort in diesem neuen Jahr, im Gottesdienst, in den Gesprächskreisen, in der persönlichen Andacht, lasst euch von diesem Wort euer Leben täglich neu erhellen, ja, lasst euch von diesem Wort täglich neu zum Warten ermutigen, zum Warten auf das Kommen des Herrn.
Und wenn uns das Warten dann doch so lang wird, wenn so viele andere Dinge sich immer wieder vor ihn, den kommenden Herrn, in unserem Leben schieben? Dann ist es umso wichtiger, dass wir immer wieder von Neuem an der Generalprobe teilnehmen, zu der uns Christus auf unserem Lebensweg immer wieder einlädt: Ja, er kommt doch jetzt schon zu uns, bittet uns jetzt schon an seinen Tisch, dient uns jetzt schon, macht sich für uns ganz klein, so klein, dass wir ihn mit unserem Mund empfangen dürfen. Es ist kein anderer Herr als der, der einmal an seinem großen Tag sichtbar für alle Menschen erscheinen wird, es ist kein anderer Herr, der heute Abend zu dir kommt, um dich selber vorzubereiten, um dir beim Warten zu helfen, ja, um dir wieder neu diese Vorfreude auf sein Kommen ins Herz zu legen, die du selber gar nicht aus dir hervorbringen könntest.
Ja, wer sich so von Christus immer wieder bedienen lässt, der ist vorbereitet, der kann das Alte zurücklassen und sich fröhlich und getrost dem neuen Jahr zuwenden. Was auch kommen mag – ER kommt gewiss auf uns zu. Wenn es dann soweit sein wird, dann werden wir immer noch überrascht sein, ganz gewiss. Aber auf die Überraschung dürfen wir uns jetzt schon von Herzen freuen! Amen.