14.12.2008 | St. Matthäus 11,2-10 (3. Sonntag im Advent)

DRITTER SONNTAG IM ADVENT – 14. DEZEMBER 2008 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 11,2-10

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist's, von dem geschrieben steht (Maleachi 3,1): »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.«

„Allah ist überaus groß. Ich bekenne, dass es keinen Gott gibt außer Allah. Ich bekenne, dass Mohammed der Prophet Allahs ist. Kommt zum Gebet! Kommt zur Rettung!“ – So lautet der Gebetsruf, der überall auf der Welt von den Minaretten der Moscheen erschallt. Viel wird in unserem Land darüber diskutiert, ob es erlaubt sein soll, dass dieser Gebetsruf auch hier in Deutschland vom Muezzin laut und vernehmbar in der Umgebung verbreitet wird. Kritiker befürchten nicht nur eine Geräuschbelästigung, sondern sehen darin auch die Bekundung eines islamischen Machtanspruchs, den zu tolerieren sie nicht bereit sind. Man kann gewiss so manche Argumente anführen, die diese Kritik unterstützen, wenn man etwa wahrnimmt, dass Moscheeneubauten gerne der Name Fatih Sultans, des Eroberers Konstantinopels, verliehen wird. Was jedoch in der Bewertung des Gebetsrufs des Muezzin oft viel zu wenig beachtet wird, ist die Tatsache, dass dieser Gebetsruf eine direkte Antwort auf die Frage darstellt, um die es im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags geht: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ So fragt Johannes der Täufer Jesus aus dem Gefängnis. Und der Muezzin vom Minarett ruft: Er ist es nicht; Jesus ist ein Prophet, mehr nicht, nicht wichtig genug, um im Glaubensbekenntnis, im Gebetsruf erwähnt zu werden. Ja, ihr sollt auf einen anderen warten, auf ihn, Mohammed, den Propheten Allahs schlechthin.
„Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ – Die Frage des Johannes ist nicht weniger als die Existenzfrage des christlichen Glaubens schlechthin. Von der Antwort auf diese Frage hängt für unseren Glauben nicht weniger als alles, wirklich alles ab. Es sind ja nicht nur die Muslime, die die Frage des Johannes so eindeutig verneinen. Da hat etwa die Baha’i-Religion hier in Deutschland zunehmend Zulauf, die Jesus zu einem Propheten für sein damaliges Zeitalter degradiert, auf den weitere Religionsstifter gefolgt sind, bis hin zu Baha’ullah, dem Gründer der Baha’i, auf den die gesamte Vorgeschichte der Religionen schließlich zuläuft und den angeblich auch die Schriften der Bibel schon angekündigt haben. Und selbst im Bereich der christlichen Kirchen gibt es nicht wenige, die die Frage des Johannes letztlich doch für eine Scheinalternative halten: Es mag ja sein, dass Jesus sich selber für einen Messias gehalten hat, und wir mögen ihn persönlich auch für solch einen Messias halten – aber das heißt ja nicht, dass Gott sich nicht in anderen Religionen noch einmal anders offenbart hat, dass es sich für andere durchaus noch gelohnt hat, auch nach dem Kommen Jesu noch länger zu warten, ob da nicht noch jemand anders kommt, der ihnen Erleuchtung und Gotteserkenntnis schenkt.
Müssen wir die Frage Johannes des Täufers also so klar und eindeutig beantworten, oder können wir die Antwort nicht doch ein wenig in der Schwebe lassen? Nein, wir müssen die Frage Johannes des Täufers überhaupt nicht beantworten. Denn Jesus selber hat diese Frage bereits damals beantwortet, so hören wir es im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags. Allerdings hat Jesus sich nicht damit begnügt, die Frage des Johannes mit Ja oder Nein zu beantworten. Sondern er beantwortet die Frage des Johannes so, dass er zugleich deutlich macht, was denn unter diesem „Kommenden“ überhaupt zu verstehen ist, von dem der Täufer hier redet.
Die Erwartung eines Messias war damals zur Zeit Jesu weit verbreitet. Allerdings wurden mit dieser Erwartung oftmals ganz bestimmte Vorstellungen verknüpft: Wenn der Messias kommt, dann wird er Israel befreien, die Römer aus dem Land jagen. Wenn der Messias kommt, dann wird Gott sein Gericht über die Gottlosen vollziehen. Wenn der Messias kommt, dann bricht Gottes neue Welt an. Doch statt etwas von dieser neuen Welt Gottes zu sehen, starrte der Johannes dort im Gefängnis nur auf irgendwelche Mauern, und was er von dort draußen hörte, klang auch nicht so fürchterlich danach, dass der Messias, wie ihn die Leute sich vorgestellt hatten, tatsächlich gekommen sei: Keine Spur von einem Aufstand gegen die Römer, kein Gericht über die Gottlosen. Stattdessen zieht dieser Jesus, auf den er, Johannes, so große Hoffnungen gesetzt hatte, nur durch die Gegend und predigt, beruft Jünger und heilt Kranke. Alles schön und nett – aber: War das für einen Messias nicht etwas zu wenig? Zweifel kommen bei Johannes offenkundig hoch: Ist Jesus nun der Messias, ist er nun der, den er, Johannes, den Leuten angekündigt hatte – oder hatte Johannes sich in diesem Jesus doch getäuscht? Ja, bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Und Jesus antwortet, wie gesagt, antwortet so, dass erkennbar wird, was es bedeutet, dass er in der Tat der Kommende, dass er in der Tat der Messias ist. Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt. Was im Alten Testament die Propheten über die kommende Heilszeit angekündigt hatten, das erfüllt sich nun – und die Boten des Johannes können es hören und sehen. Hören und sehen – so erschließt sich den Jüngern des Johannes, so erschließt sich auch uns, wer dieser Jesus in Wirklichkeit ist. Das Hören setzt Jesus hier an die erste Stelle, und mit der Predigt des Evangeliums an die Armen schließt er. Und darin schließt er den Johannes und uns ganz direkt zusammen. Johannes saß damals im Gefängnis, konnte nicht selber irgendwelche Tests anstellen, um herauszufinden, wer Jesus wirklich ist – ja, wie hätte er dies auch anstellen sollen!? Er konnte nur auf das Wort seiner Jünger hören, auf das, was diese wiederum selber mit eigenen Ohren vernommen hatten. Und genauso kommen auch wir heute nicht mehr direkt an das Wirken Jesu im Heiligen Land heran; wir können auch nur hören, was die Augen- und Ohrenzeugen vernommen haben, was sie uns berichten und schildern. Doch gerade das reicht, so zeigt es uns Jesus, um erkennen zu können, wer er ist: In der Tat der Kommende, der, der Gottes neue Welt anbrechen lässt, in der es einmal endgültig kein Leid, keine Blindheit und keine Lähmungen, keine Krankheit, keine Taubheit, ja keinen Tod mehr geben wird. Aber das Allerwichtigste stellt Jesus an den Schluss: Woran ich als Messias erkannt werden will, sind nicht zuerst all die Wunder, die ich tue, die Heilungen, die Totenauferweckungen. Sondern woran ich als Messias erkannt werden will, ist die frohe Botschaft, die ich den Armen, den Hoffnungslosen, den Verzweifelten verkündige. Mein Auftrag besteht nicht darin, die Menschen mit einem Strafgericht zu überziehen, sondern sie zu retten. Ja, kommt zur Rettung! Der Ruf des Muezzins ist auch der Ruf Jesu – aber der Ort, wohin Jesus einlädt, ist ein ganz anderer als der, an den der Muezzin ruft: Kommt zur Rettung – das heißt bei Jesus nicht weniger als: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, so ruft es Jesus nur wenige Verse nach unserer Predigtlesung aus.
Jesus verlangt keine Unterwerfung, er beglückt die Welt auch nicht mit wunderbaren moralischen Weisheiten, sondern er kommt einfach, und indem er kommt, bringt er den Menschen Heil und Leben, Rettung von Tod und Teufel, Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott.
Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesu Antwort ist klar für jeden, der Ohren hat zu hören, für jeden, der das Alte Testament kennt, für jeden, der nicht seine eigenen Wünsche und Erwartungen auf Jesus projiziert, sondern sich von seinem Wort die Augen öffnen lässt: Ja, er ist es, der da kommen soll – und das heißt zugleich: Ihr braucht auf keinen anderen zu warten. Da kommt keiner mehr, der das noch überbieten, der das noch irgendwie vollenden könnte, was ich gesagt und getan habe. Was nach mir kommen wird, sind falsche Propheten, Verführer, denen ihr nicht folgen sollt, von denen ihr euch nicht beeindrucken lassen sollt, ganz gleich ob sie nun Mohammed, Baha’ullah oder Sun Myung Mun heißen.
Und was das eigentlich heißt, dass wir nun nicht mehr auf einen anderen zu warten brauchen, das führt Jesus dann im Weiteren hier im Heiligen Evangelium in geradezu atemberaubender Weise aus. Von Johannes dem Täufer spricht er zu der Volksmenge, die zuvor zu Johannes in die Wüste gepilgert war. Ja, wer ist dieser Johannes? Ein religiöser Unterhaltungskünstler? Nein! Ein Prophet, nachdem die Prophetie in Israel doch seit mehr als vierhundert Jahren erloschen schien? Das kommt schon eher hin. Und doch ist Johannes noch mehr: „Dieser ist’s, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.“ So formuliert es Jesus hier.
Schwestern und Brüder, an dieser Stelle müssten wir jetzt eigentlich alle mal unsere Bibeln aufschlagen und genau nachschauen, damit wir anfangen zu kapieren, was Jesus hier eigentlich sagt und behauptet. Den Propheten Maleachi zitiert Jesus hier, und der kündigt im Auftrag Gottes an, dass vor dem großen Kommen Gottes noch ein Bote kommen soll, der Gott selber den Weg bereiten soll. Der Bote ist nun gekommen, sagt Jesus. Und der, der nun nach ihm kommt, ist kein anderer als Gott selbst, Gott in Person. Nein, wenn man Jesus als Messias, als den Kommenden bezeichnet und erkennt, dann sagt man noch viel zu wenig aus. Recht erkannt hat man ihn erst, wenn man bekennt: Er ist Gott selber, Gott in Person. Und dieser Gott hat und ist in sich selber Gemeinschaft, so macht es Jesus hier deutlich: In Maleachi redet Gott einfach von seinem Kommen: Ich will meinen Boten senden, der vor mir her den Weg bereiten soll, so heißt es da bei Maleachi. Doch Jesus zitiert anders: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll. Gott spricht ein Gegenüber an: Vor dir sende ich meinen Boten her. Gott kommt selber zu den Menschen – doch so, dass da einer kommt, zu dem Gott zugleich „Du“ sagt: Gott spricht mit Gott!
Brüder und Schwestern: Merkt ihr: Das ist das genaue Gegenteil zu dem, was der Muezzin von seinem Minarett verkündigt: Ich bekenne, dass es keinen Gott gibt außer Allah. Gott hat keinen Sohn, nur einen Propheten, und der heißt Mohammed. Nein, sagt Jesus, Gott gibt sich selber als ein Gott zu erkennen, der in sich selber Gemeinschaft, in sich selbst ein Gegenüber hat. Nein, so gibt sich Gott nicht nur zu erkennen, so kommt er zu den Menschen. Gott bleibt nicht unendlich fern von ihnen; er kommt in ihre Mitte. Johannes der Täufer hat ihn angekündigt; jetzt ist er da. Hier bin ich. Wenn ihr Gott sucht, so zeigt es Jesus hier, dann haltet euch an mich. In mir, in meiner Person findet ihr den lebendigen Gott und nirgends sonst!
Und da gibt es immer noch Leute, die auf die blödsinnige Behauptung hereinfallen, Kaiser Konstantin habe sich irgendwann im vierten Jahrhundert ausgedacht, dass Gott dreieinig sei! Nein, wir glauben nicht an den dreieinigen Gott, weil wir irgendwelche verrückten Ideen eines römischen Kaisers nachplappern, sondern wir glauben an den dreieinigen Gott, weil Jesus ihn selbst uns so zu erkennen gibt, ja, weil Jesus uns zeigt, dass Gott kein Hirngespinst ist, sondern für uns Menschen begreifbar, anfassbar wird, eben in ihm, Jesus, selbst.
Gott hat sich seinen Weg in diese Welt gebahnt – Schwestern und Brüder, wenn das wirklich stimmt, dann hat das für uns, dann hat das für unser Leben unmittelbare Konsequenzen. Dann kann der Glaube an Gott, der Glaube an Christus eben niemals bloß eine nette Freizeitbeschäftigung sein. „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen?“ – So fragte Jesus die Volksmenge damals. War die Predigt des Täufers für euch so eine Art von religiösem Happening, das man mal eine Zeitlang mitmacht, weil es alle machen, weil es vielleicht auch ganz amüsant ist? Dann habt ihr nichts, aber auch gar nichts kapiert von dem, was Johannes gepredigt hat, sagt Jesus.
„Was seid ihr hinausgegangen in die Kirche zu sehen, ja was macht ihr eigentlich heute Morgen hier in der Kirche?“ – So fragt Jesus auch euch. Warum seid ihr eigentlich hierhergekommen, was wollt ihr hier eigentlich erleben? Eine unterhaltsame religiöse Rede des Pastors, ein wenig Spaß mit den Freunden, ein wenig adventliche Stimmung mit Kranz und Kerzen? Was ist euch an diesem Gottesdienst eigentlich wichtig? Dass er möglichst nicht zu lange dauert? Dass ihr euch in dem bestätigen lasst, was ihr immer schon gedacht habt? Dass der Blumenschmuck auf dem Altar auch schön aussieht? Ach, ihr wisst’s hoffentlich besser, seid hierher gekommen, um ihm, Christus, zu begegnen, ihm allein, um sein Wort zu hören, um seinen Leib und sein Blut zu empfangen, um durch ihn mit Gott selbst Gemeinschaft zu haben. Nein, dann ist der Gottesdienst eben keine Freizeitbeschäftigung, dann geht es nicht darum, ob wir in uns irgendwelche Lust oder irgendein Bedürfnis verspüren, hierher zu kommen. Gott selbst kommt in unsere Mitte – das allein zählt, das allein sollte allemal reichen, um uns aus dem Bett hierher vor seinen Altar zu treiben.
Denn eines macht uns Christus hier ganz klar: Neutral bleiben können wir ihm gegenüber nicht. Wir können ihn nicht einfach bloß ganz gut finden, ihn aber ansonsten in unserem Leben links liegenlassen. Und wir können ihn erst recht nicht bloß als großen Propheten oder weisen Lehrer verehren. Entweder war er total durchgeknallt, als er die Worte sprach, die wir im Heiligen Evangelium gehört haben, oder er ist es tatsächlich, was er zu sein behauptet: Gott selbst in Person, nach dem man auf keinen anderen mehr zu warten braucht. Ja, das klingt irrsinnig; doch Jesus macht uns Mut, seine Worte, ja ihn selber ernst zu nehmen: Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Selig ist, wer meinen Anspruch nicht ablehnt, ihn nicht verkleinert, ihn nicht verharmlost, wer nicht verkündigt: Es gibt keinen Gott außer Allah.
Ja, selig seid ihr, wenn ihr euch zu diesem Christus, Gottes eingeborenem Sohn, bekennt, selig seid ihr, wenn ihr auch dann für ihn einsteht, wenn ihr dafür von anderen ausgelacht oder als Fundamentalisten beschimpft werdet. Ja, selig seid ihr, wenn ihr vor diesem Christus anbetend niedersinkt, wenn ihr seiner Einladung folgt. Denn dann ist Christus auch in eurem Leben am Werk gewesen, er, der Tote aufzuerwecken und sogar euch hierher in die Kirche zu befördern vermag, um euch hier zu begegnen, er, der kommende Gott. Amen.