10.12.2008 | Offenbarung 2, 1-7 (Mittwoch nach dem 2. Sonntag im Advent)

MITTWOCH NACH DEM ZWEITEN SONNTAG IM ADVENT – 10. DEZEMBER 2008 – PREDIGT ÜBER OFFENBARUNG 2,1-7

Dem Engel der Gemeinde in "Ephesus" schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern: Ich kenne deine Werke und deine Mühsal und deine Geduld und weiß, dass du die Bösen nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, die sagen, sie seien Apostel und sind's nicht, und hast sie als Lügner befunden und hast Geduld und hast um meines Namens willen die Last getragen und bist nicht müde geworden. Aber ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe verlässt. So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte - wenn du nicht Buße tust. Aber das hast du für dich, dass du die Werke der Nikolaïten hassest, die ich auch hasse. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.

In der Woche nach dem Ewigkeitssonntag geriet ich bei einem Gemeindebesuch in größere Umbaumaßnahmen: Der aus zahlreichen Einzelteilen bestehende Plastiktannenbaum wurde gerade im Wohnzimmer aufgebaut. Ja, das ist ein Phänomen, das ich in den letzten Jahren immer mehr beobachte: Die Weihnachtsbäume, die früher am Heiligen Abend aufgestellt wurden, halten jetzt schon in der Adventszeit oder noch früher Einzug in die Wohnzimmer und Vorhallen öffentlicher Gebäude. Nun hängt die Feier des Weihnachtsfestes wahrlich nicht am Baum mit seinen immergrünen Blättern. Aber die Aufstellung des Weihnachtsbaums im November ist ein Indiz dafür, dass immer weniger Menschen noch etwas von dem eigentlichen Sinn der Adventszeit wissen, dass die Adventszeit vom Weihnachtsfest beziehungsweise dem, was heute aus dem Weihnachtsfest geworden ist, gleichsam aufgesogen wird: Man begibt sich in der Adventszeit schon von einer Weihnachtsfeier zur nächsten, in den Geschäften wird bereits fröhlich Weihnachtsmusik gespielt, und auch im allgemeinen Sprachgebrauch wird aus der Adventszeit zunehmend die Vorweihnachtszeit.
Was haben wir dem als Christen nun eigentlich entgegenzusetzen, worum geht es denn nun eigentlich in der Adventszeit? Genau das macht uns die Predigtlesung dieses heutigen Abends deutlich. Kein Geringerer als der erhöhte Christus selber leitet uns hier in diesen Worten dazu an, wie wir in der rechten Weise Advent feiern können. Ein Stichwort erscheint in seinen Worten an die Gemeinde in Ephesus hier gleich zweimal: das Stichwort „Geduld“. Ja, um Geduld geht es in besonderer Weise in dieser Adventszeit. Gewiss, die Geduld, die die Christen in Ephesus damals aufzubringen hatten, hatte noch einmal eine ganz andere Gestalt als die Geduld, die wir nun in der Adventszeit einüben sollen und dürfen. Die Christen in Ephesus mussten sich damals nicht bloß zusammenreißen, dass sie nicht zu früh mit ihrer Weihnachtsfeier begannen, sondern sie hatten es sehr persönlich erfahren, dass wir als Christen, auch als christliche Gemeinde, noch unterwegs sind, noch nicht am Ziel sind. Schikanen und Anfeindungen hatten sie bereits durchgemacht; vermutlich hatten so manche Gemeindeglieder um ihres Glaubens willen bereits im Gefängnis gesessen. Ja, die Christen in Ephesus, sie wussten genau, dass ihr Glaube etwas ganz Anderes war als bloß eine rührselige Stimmung, die einen in der dunklen Jahreszeit bei Kerzenschein immer wieder mal überkommt. Christus freut sich in seinem Brief, den er den Christen in Ephesus zukommen lässt, über diese Geduld, die die Epheser bewiesen haben, darüber, dass sie ihren Glauben nicht preisgegeben haben, als das Festhalten an ihm mit Nachteilen verbunden war, dass sie nicht nur einen Schönwetterglauben gepflegt haben. Was Christus an unsere Gemeinde hier in Berlin schreiben würde – wir wissen es nicht. Jedenfalls leiten seine Worte an die Christen in Ephesus auch uns dazu an, wie wir in der rechten Weise, mit Geduld, diese Adventszeit begehen können: Es geht in dieser Adventszeit

- um Lehre
- um Umkehr
- um den Paradiesesbaum

I.

Wenn man sich die Briefe anschaut, die Christus in der Johannesoffenbarung an die sieben Gemeinden in Kleinasien richtet, dann ist es schon interessant, ja überraschend, wofür sich der erhöhte Christus in den Gemeinden so alles interessiert. Der interessiert sich beispielsweise ganz konkret für die Lehrstellung der Gemeinden, dafür, was dort verkündigt wird und welche Lehren als Irrlehren entlarvt und zurückgewiesen werden. Da gab es damals beispielsweise Wanderprediger, die in die Gemeinden kamen und den Anspruch erhoben, sie würden im Auftrag Christi die christliche Botschaft verkündigen. Und da gab es sicher auch welche, die genau dies taten. Aber es gab eben andere, die eine Botschaft verkündigten, die das Evangelium ein wenig oder sogar sehr deutlich verfälschte. Und darauf musste man natürlich erst mal kommen, dass das, was da so fromm klang, in Wirklichkeit eine andere Botschaft war, dass sie gerade nicht mit der Botschaft der Apostel vereinbar war. Christus lobt die Christen hier in Ephesus dafür, dass sie diesen Durchblick gehabt haben, dass sie Leute überführt haben, die sich als Apostel ausgaben und es in Wirklichkeit gar nicht waren. Ja, das konnten sie, weil sie in der christlichen Lehre fest gegründet waren, weil sie sich nicht damit begnügten, irgendwie ein bisschen religiös zu sein. Und darum hatten auch die Nikolaiten bei ihnen keine Chance, eine Gruppierung, die wir heute vielleicht als Esoteriker bezeichnen würden, Leute, die unter einem christlichen Deckmantel eine Botschaft der Selbsterlösung verkündigten, eine Botschaft, die aus Christus letztlich nur noch einen großen Lehrer machte, der die Menschen dazu anleitete, den göttlichen Seelenfunken in sich selbst zu entdecken. Mit seinem Körper konnte man nach dieser Lehre machen, was man wollte, denn der war ja nicht wichtig. Hauptsache, man pflegte zugleich seinen inneren Kern. Das klang ja alles sehr spirituell; aber es war eben nicht die christliche Botschaft. Und da kann Christus hier sogar richtig drastisch werden: „Das hast du für dich, dass du die Werke der Nikolaiten hassest, die ich auch hasse.“ Nein, Christus ist offenkundig kein religiöser Softie, der alles gut findet, was die Leute so glauben, so lange sie sich dabei wohlfühlen. Sondern er hasst falsche Lehre, er hasst es, wenn Menschen dazu angeleitet werden, anders zu glauben und zu leben, als es der Botschaft entspricht, die die Apostel in seinem Auftrag verkündigt hatten.
Und damit sind wir nun wieder bei der Adventszeit des Jahres 2008. Christus ist es heute noch genauso wichtig, dass seine Gemeinde rechte und falsche Lehre voneinander unterscheiden kann, dass sie nicht hereinfällt auf Nachahmerprodukte, dass sie sich nicht mit irgendeiner allgemeinen Religiosität zufriedengibt, sondern sich allein an der apostolischen Botschaft orientiert. Und das setzt eben voraus, dass seine Gemeinde diese Botschaft auch kennt, dass sie die christliche Lehre von anderen Lehren klar unterscheiden kann. Und genau das ist eben ein Sinn der Adventszeit, dass wir uns mehr Zeit nehmen als sonst, um uns auf die christliche Botschaft zu besinnen, um uns mit den Inhalten des christlichen Glaubens zu befassen. Genau dazu dienen ja unter anderem auch die zusätzlichen Wochengottesdienste der Adventszeit, dass wir uns durch die Verkündigung den Blick auf die christliche Lehre schärfen lassen. Geradezu grotesk wäre es, wenn wir auf diese Möglichkeiten des geistlichen Wachstums verzichten würden mit der Begründung, wir hätten jetzt in der Adventszeit doch so viel anderes zu tun. Nein, gerade dazu ist die Adventszeit da, sich wieder neu mit den Grundlagen des Glaubens zu befassen, um fit zu sein für den geistlichen Kampf, in den wir als Christen unweigerlich gestellt sind.

II.

Doch nun bekommt die christliche Gemeinde in Ephesus eben nicht nur Lob von Christus zu hören, sondern auch eine scharfe Warnung. Überraschend kommt diese Warnung, wo doch eigentlich so vieles so gut in der Gemeinde lief: Sie war rechtgläubig, sie war missionarisch aktiv, sie hatte sich auch in Zeiten der Anfeindung bewährt. Doch eines missfällt Christus sehr deutlich an der Gemeinde: Sie hat die erste Liebe verlassen. Damit ist wohl ein Doppeltes gemeint. Zum einen beschreibt Christus hier ein Phänomen, das auch uns nicht unbekannt ist: Wenn Menschen neu zum christlichen Glauben finden, dann sind sie oftmals am Anfang ganz begeistert mit dabei, sind Feuer und Flamme für das, was sie nun im Glauben entdeckt haben. Doch nach einer Weile lässt diese Begeisterung dann oftmals merklich nach; und nicht selten passiert es, dass gerade solche Leute, die am Anfang ganz besonders begeistert waren, nach dieser ersten Phase später schließlich von diesem Glauben nur noch wenig wissen wollen. Aber zum anderen meint Christus mit dieser ersten Liebe auch den Umgang der Gemeindeglieder untereinander: Ja, der Glaube an Christus, er wirkt sich eben nicht zuletzt darin aus, dass die Gemeindeglieder einander in Liebe begegnen, dass die christliche Gemeinde ein Ort ist, wo Menschen anders miteinander umgehen, als dies sonst oft genug der Fall ist. Aber das kann eben auch in einer christlichen Gemeinde passieren und passiert tatsächlich immer wieder, dass Gemeindeglieder von dieser Liebe zueinander nichts mehr erkennen lassen, dass sie sich streiten wie die Kesselflicker, dass sie hinter dem Rücken anderer über sie herziehen, dass Machtkämpfe und Egotrips in der Gemeinde ausgetragen werden. Nein, auch das ist Christus nicht egal, im Gegenteil: Der Gemeinde in Ephesus droht Christus an, dass er von ihr nichts mehr übriglassen wird, wenn sie nicht zur ersten Liebe zurückkehrt, wenn sie sich immer weiter von ihren Ursprüngen entfernt, was die Freude im Glauben, was die Liebe untereinander betrifft.
Ja, um Advent geht es auch hier wieder. Denn die Adventszeit ist, so zeigt es schon die liturgische Farbe Violett, eine Bußzeit, eine Zeit, die uns dazu dienen soll, innezuhalten, zu bedenken, wo auch in unserem Leben, wo im Leben unserer Gemeinde Umkehr geboten ist. Wo ist mein Glaubensleben mittlerweile so sehr zur Routine geworden, dass mich die Freude des Glaubens gar nicht mehr erreicht und anrührt? Gibt es Bereiche in meinem Leben, in denen ich meinen Glauben nur noch als lästige Pflicht empfinde? Und wie sieht es mit unserem Umgang untereinander in der Gemeinde aus? Ist er geprägt von der herzlichen Liebe zueinander, die Christus nicht nur von der Gemeinde in Ephesus, sondern auch von uns erwartet? Mögen wir diese Tage der Adventszeit nutzen, um uns darüber Gedanken zu machen, um den Ruf zur Umkehr wieder neu zu vernehmen, den Christus auch an uns, an unsere Gemeinde richtet. Es geht doch auch um unsere Zukunft!

III.

Doch Christus droht der Gemeinde in Ephesus nicht bloß, er lockt und wirbt vielmehr, stellt ihr eindringlich das Ziel vor Augen, das doch auch sie erwartet: „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.“ Ja, die Adventszeit ist in ganz besonderer Weise eine Zeit der Vorfreude, einer Vorfreude, die sich eben nicht bloß auf die Bescherung am Heiligen Abend, nicht bloß auf das Weihnachtsfest richtet, sondern auf die Zukunft, die uns als Christen erwartet. Ja, gerade darum leitet uns die Adventszeit zur Geduld an, weil das Ziel, das vor uns liegt, so großartig ist, dass sich dafür wirklich alles Warten lohnt. Und unter diesem Aspekt kann es dann sogar sinnvoll sein, Christbäume schon in der Adventszeit aufzustellen. Ich weiß nicht, ob ihr es eben beim Hören der Predigtlesung gleich mitbekommen habt, dass dieser letzte Vers der biblische Hintergrund für den Brauch ist, in unseren Kirchen Weihnachtsbäume aufzustellen. Sie sollen an den Paradiesesbaum erinnern, von dessen Früchten wir einmal für immer werden essen dürfen, an diesen Baum des Lebens, dessen Früchte uns ewig leben lassen. Die immergrünen Nadeln des Baumes sind ein Symbol für das ewige Leben, das niemals verwelken wird. Ich fürchte, dass die wenigsten, die sich in diesen Tagen ihren Plastikweihnachtsbaum zusammengeschraubt und ihn mit bunten Girlanden versehen haben, diesen biblischen Sinn des Christbaums im Auge haben. Aber das braucht uns als Christen ja nicht daran zu hindern, bei jedem geschmückten Weihnachtsbaum, den wir jetzt schon sehen und erst recht dann am Christfest selber sehen werden, an diesen Paradiesesbaum zu denken und dadurch immer wieder unseren Blick auf das Ziel unseres Lebens zu lenken. Dann wird manches, worüber wir uns in diesen Tagen und Wochen aufregen mögen, mit einem Mal ganz unwichtig, dann wird uns vielmehr klar, was allein letztlich in unserem Leben zählt: Dass wir da bei diesem Baum des Lebens einmal ankommen. Ja, möge uns diese Adventszeit genau dazu helfen! Amen.