15.10.2008 | Sprüche 29, 18. 20. 22-25 (Mittwoch nach dem 21. Sonntag nach Trinitatis)

MITTWOCH NACH DEM 21. SONNTAG NACH TRINITATIS – 15. OKTOBER 2008 – PREDIGT ÜBER SPRÜCHE 29,18.20.22-25

Wo keine Offenbarung ist, wird das Volk wild und wüst; aber wohl dem, der auf die Weisung achtet!
Siehst du einen, der schnell ist zu reden, da ist für einen Toren mehr Hoffnung als für ihn.
Ein zorniger Mann richtet Streit an, und ein Grimmiger tut viel Sünde. Die Hoffart des Menschen wird ihn stürzen; aber der Demütige wird Ehre empfangen. Wer mit Dieben gemeinsame Sache macht, hasst sein Leben; den Fluch hört er aussprechen und zeigt's nicht an. Menschenfurcht bringt zu Fall; wer sich aber auf den HERRN verlässt, wird beschützt.

Erstaunliches konnte man vor einigen Tagen auf der ersten Seite des TAGESSPIEGEL lesen. Die große Schlagzeile dieser Tageszeitung, die eigentlich nicht unbedingt als Missionsblatt oder als Ableger des vatikanischen Osservatore Romano bekannt ist, lautete am vorletzten Dienstag: „Regierung sucht Rettung – Kurse stürzen ab“, und darauf folgte ein Artikel, der mit den Worten begann: „Rezessionsängste und Sorgen vor einer weiteren Ausweitung der Finanzkrise haben die Börsen weltweit einbrechen lassen.“ Und dann geht es in dem ganzen langen Artikel nur um die neusten Meldungen zu dieser internationalen Finanzkrise. Doch dann fügte der TAGESSPIEGEL an all diese Meldungen einen letzten Abschnitt an, den ich hier wörtlich zitieren möchte: „Papst Benedikt XVI. nannte die Krise eine Mahnung, sich nicht auf falsche Werte zu verlassen. Der Zusammenbruch der großen Banken zeige, dass Geld einfach verschwinden könne und letztlich nichts sei. Wer nur auf Sichtbares setze, baue auf Sand. Bestand habe allein das Wort Gottes.“ Punkt – Ende der Meldung auf Seite 1. Das war dem TAGESSPIEGEL offenbar wichtig genug, diese Stimme zu Wort kommen zu lassen, die das ganze Chaos, das sich da im Augenblick in der internationalen Finanzwirtschaft abspielt, noch einmal aus einer völlig anderen Perspektive wahrnimmt und zeigt, wie aktuell der christliche Glaube gerade auch heute ist.
Und damit, Schwestern und Brüder, sind wir eigentlich auch schon mitten drin in der heutigen Tageslesung aus dem Buch der Sprüche. Diese Sprüche, von denen wir eben einige vernommen haben, sind eigentlich uralt, wurden vor weit mehr als 2000 Jahren aufgeschrieben. Doch das, worum es in diesen Sprüchen geht, hat bis heute nichts an Bedeutung verloren. Denn in diesen Sprüchen geht es immer wieder darum, die ganz alltäglichen Geschehnisse des Lebens noch einmal aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen: aus der Perspektive, dass Gott selber der Schöpfer und auch der Richter allen Lebens ist, dass alles, was wir in unserem Leben erfahren, mit Gott zu tun hat und eigentlich von ihm her erst seine eigentliche, letzte Bedeutung erhält, oder: mit den Worten des Alten Testaments selber: „Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang.“ Ja, diese Sprüche, auch die, die wir eben gehört haben, leiten uns dazu an, auch all die Dinge und Ereignisse, die uns in diesen Wochen so sehr bewegen mögen, noch einmal neu zu bedenken und dabei Zusammenhänge zu entdecken, die uns im Trubel des alltäglichen Geschehens oft genug verborgen bleiben:
„Wo keine Offenbarung ist, wird das Volk wild und wüste; aber wohl dem, der auf die Weisung achtet!“ – So beginnt unsere heutige Tageslesung. Wo ein Volk sich nicht mehr am Wort Gottes orientiert, nicht mehr um seine Verantwortung vor Gott weiß, da verwildert es, da treten andere Maßstäbe an die Stelle dieses Wortes – und das hat Konsequenzen, so beschreibt es der erste Spruch unserer Tageslesung hier.
Wir wissen aus vergangenen Zeiten, dass es nicht gut ist, wenn die Kirche versucht, den Staat gleichsam als ihr Instrument zu nutzen, um über den Staat ihre Interessen und ihre Vorteile durchzusetzen. Nein, die Kirche selber hat kein anderes Machtmittel in der Hand als das Wort Gottes, und wenn sie der Versuchung erliegt, mit anderen Mitteln ihre Macht zu sichern, dann ist das weder der Kirche noch dem Staat gut bekommen. Aber das heißt nicht, dass die Kirche nicht dennoch eine Verantwortung, einen Auftrag auch gegenüber dem Staat, gegenüber der Gesellschaft hätte. Ja, das wissen wir, dass Gottes gute Ordnungen nicht nur für Christen, sondern für alle Menschen gut sind. Das wissen wir, dass sich nicht nur Christen, sondern alle Menschen einmal vor Gott werden verantworten müssen, weil alle Menschen von Gott geschaffen worden sind. Und darum haben wir als Christen, haben wir als Kirche den Auftrag, auch gegenüber der Gesellschaft Gottes Willen zu bezeugen, den er uns offenbart hat – nicht, um uns als Kirche damit einen Vorteil zu verschaffen, sondern um der Gesellschaft zu dienen. Denn wo keine Offenbarung ist, kein Wort Gottes, da wird das Volk wild und wüst, so bezeugt uns Gottes Wort selber hier.
Als die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes damals die Verantwortung vor Gott an den Anfang der Präambel des Grundgesetzes stellten, taten sie dies auf dem Hintergrund der Erfahrung des Dritten Reiches, auf dem Hintergrund der Erfahrung, was passiert, wenn ein Volk nicht mehr um seine Verantwortung vor Gott weiß. Dann setzt sich der Mensch absolut – und verwildert damit zugleich, denn der Mensch ist eben nicht edel, hilfreich und gut, sondern kreist zunächst einmal immer nur um sich selber und seinen eigenen Vorteil. Gewissensschärfung ist darum ein wichtiger Auftrag der Kirche, Gewissensschärfung, die Menschen daran erinnert, dass sie sich mit ihrem Handeln und Tun vor Gott zu verantworten haben. Und das gilt dann für den Börsenmakler oder den Hypothekenhändler genauso wie für den Schüler, der von seinen Mitschülern hört, dass es doch völlig normal ist, nebenan im Supermarkt das eine oder andere mitgehen zu lassen. Merkt doch keiner – und Lidl ist doch allemal reich genug! Ja, wohl dem Volk, in dem die Menschen nicht nach dem Motto leben: Unterm Strich zähl ich.
Ja, wer um Gott als den Herrn und Richter alles Lebens weiß, der hat eine andere Lebensperspektive, so fahren die Sprüche hier fort. Der lässt sich nicht mitreißen von augenblicklichen Stimmungen, der redet überlegt und nicht voreilig, der wägt ab, statt sich von Emotionen zu vorschnellem, unüberlegtem Handeln verleiten zu lassen. Panik oder Vergeltung bestimmen nicht sein Handeln, sondern vielmehr Gelassenheit, die erst einmal hinhört auf das, was Gott und was der andere, mit dem man redet, zu sagen hat, ja, die Bereitschaft, zu vergeben, statt im Zorn selber schuldig zu werden. „Siehst du einen, der schnell ist zu reden, da ist für einen Toren mehr Hoffnung als für ihn. Ein zorniger Mann richtet Streit an, und ein Grimmiger tut viel Sünde.“ – So heißt es hier.
Ach, Schwestern und Brüder, ich brauche das wohl gar nicht auszuführen, was das für das Alltagsgeschäft in Politik und Wirtschaft, was das aber auch für unser ganz persönliches Leben heißen würde, wenn wir uns nach diesen Worten richten würden!
Und es wird noch aktueller: „Die Hoffart des Menschen wird ihn stürzen; aber der Demütige wird Ehre empfangen.“ Wer immer weiter nach oben will, immer mehr haben, immer mehr verdienen will, wer den Sinn seines Lebens nur darin sucht, möglichst viel zu bekommen, möglichst viel Beachtung zu finden – der wird früher oder später den großen Crash erleben, so können wir es schon hier in der Heiligen Schrift nachlesen. Ein völlig alternativer Lebensstil wird uns dagegen hier empfohlen: Der Demütige wird Ehre empfangen, derjenige, der sein Leben an Christus ausrichtet, an ihm, der von sich sagt: Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Die Demütigen – ja, das sind oft genug diejenigen, die in unserer Gesellschaft scheinbar die Verlierer sind, diejenigen, die als Ehrliche die Dummen sind, diejenigen, die nicht alles ausprobieren, was möglich ist, sondern sich von Gott selbst in ihrem Leben Grenzen, gute, heilsame Grenzen setzen lassen.
Und dann werden die Sprüche hier schließlich noch handfester: Wer mit Dieben gemeinsame Sache macht, hasst sein Leben. Wer um seines eigenen finanziellen Vorteils willen fünfe gerade sein lässt, krumme Touren, faule Geschäfte mitmacht – der hasst sein Leben, der ruiniert sich selbst: Originalton Wort Gottes seit mehr als 2000 Jahren!
Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, das klingt jetzt alles so einsichtig und vernünftig. Und doch: Wie schwer tun auch wir selber uns damit, uns nicht von dem beeindrucken und beeinflussen zu lassen, was alle anderen in unserer Umgebung doch auch tun und für richtig halten. Doch „Menschenfurcht bringt zu Fall“, so betonen es die Sprüche hier. Wer sein Leben nur danach ausrichtet, was alle andere denken und machen, der hat letztlich keinen Halt in seinem Leben, dessen Leben wird am Ende in einem großen Absturz enden. „Bestand hat allein das Wort Gottes“, so verkündigen es TAGESSPIEGEL und Papst, oder, mit den Worten der Sprüche: „Wer sich aber auf den HERRN verlässt, wird beschützt.“ Nein, das heißt nicht, dass Christen nicht auch von Finanz- und Wirtschaftskrisen, ja noch von ganz anderen persönlichen Krisen betroffen sein können. Aber beschützt und bewahrt bleiben diejenigen, die ihr Leben auf Gott und sein Wort gründen, allemal. Denn sie haben einen festen Grund für ihr Leben, den sie nicht selber gelegt haben, nicht mit ihrem anständigen Leben, nicht mit ihrem vernünftigen Handeln, nicht mit ihrem eigenen Erkenntnisvermögen: Dieser feste Grund ist allein das Versprechen und Geschenk des ewigen Lebens, das Gott uns in seinem Wort, das er uns ganz konkret in der Taufe gegeben hat. Wer auf diesem festen Grund steht, der hat ihn, den Überblick, um dann auch so handeln zu können, wie es die Sprüche hier beschreiben. Ja, wer auf diesem Grund steht, der wird am Ende nicht abstürzen, dessen Leben wird nicht in einem großen Crash enden, sondern einmünden in Gottes neue Welt, die absolut krisenfest ist. Ja, wer auf diesem Grund des Wortes Gottes steht, der hat es auch schon hier in dieser Welt besser, weil er weiterblickt und nicht in Panik verfällt, weil er sich nicht hin- und hertreiben lässt, sondern weiß, wo er geborgen ist. Möge uns Christus selber durch seinen Heiligen Geist immer wieder diesen klaren Durchblick schenken! Amen.