25.07.2008 | St. Matthäus 20, 20-23 (Tag des Apostels St. Jakobus des Älteren)

TAG DES APOSTELS ST. JAKOBUS DES ÄLTEREN – 25. JULI 2008 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 20,20-23

Da trat zu ihm die Mutter der Söhne des Zebedäus mit ihren Söhnen, fiel vor ihm nieder und wollte ihn um etwas bitten. Und er sprach zu ihr: Was willst du? Sie sprach zu ihm: Lass diese meine beiden Söhne sitzen in deinem Reich, einen zu deiner Rechten und den andern zu deiner Linken. Aber Jesus antwortete und sprach: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Sie antworteten ihm: Ja, das können wir. Er sprach zu ihnen: Meinen Kelch werdet ihr zwar trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben steht mir nicht zu. Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist von meinem Vater.

Alle zwei Jahre müssen wir mit unseren Autos zum TÜV. Da durchleuchten die Experten dann unseren Wagen, bringen auch verborgene Mängel zutage, passen auf diese Weise darauf auf, dass unser Gefährt fahrtüchtig bleibt und wir nicht damit liegen bleiben oder aus technischen Gründen einen Unfall bauen.
Für uns Christen ist es auch hilfreich, wenn wir uns immer wieder einmal einer TÜV-Untersuchung unterziehen, wenn wir unseren Glauben, unser Glaubensleben öfters einmal durchchecken lassen, und zwar nicht bloß alle zwei Jahre. Nun ja, in einer Hinsicht funktionieren ein Auto und unser Glaube ja eigentlich genau entgegengesetzt: Ein Auto wird, je länger es in Betrieb ist, je länger es gefahren wird, immer anfälliger für Pannen, wird im Laufe der Zeit immer klappriger, bis es schließlich nur noch verschrottet werden kann. Unser Glaube hingegen soll im Laufe der Zeit gerade nicht immer wackliger und klappriger werden, sondern wachsen, stärker und stabiler werden. Aber auch bei unserem Glauben geht es darum, dass wir damit auf dem Weg zum Ziel nicht auf der Strecke bleiben, sondern das Ziel erreichen, zu dem wir hinwollen.
Und zu solch einem Glaubens-TÜV können uns nun die Worte des Heiligen Evangeliums des heutigen Aposteltages behilflich sein. Die leuchten auch in unser Leben hinein, beleuchten drei Bereiche unseres Glaubens, die uns immer wieder geistliche Probleme bereiten können, auch wenn wir mit unserem Glauben schon eine ganze Weile unterwegs sind. Wie steht es, so werden wir hier gefragt,

- mit unserem geistlichen Egoismus
- mit unserem Fragen nach Lohn
- mit unserem Umgang mit dem Leiden

I.

Eigentlich hätte Jesus sich in der Geschichte, die uns hier im Heiligen Evangelium erzählt wird, ja kräftig über die beiden Apostel Jakobus und Johannes freuen können. Nun ja, dass sie ihre Mutter vorschicken und nicht gleich selber mit ihm reden, das ist nicht unbedingt die feine Art; aber was sie dann von ihm erbitten, ist doch scheinbar ein Zeichen eines starken Glaubens, eines Glaubens, der weiß, was im Leben wirklich wichtig ist und zählt.
Was würden sich viele Menschen wünschen, was würden auch wir selber uns vielleicht wünschen, wenn wir einen Wunsch frei hätten? Ein dickes Auto vielleicht oder ein Häuschen im Grünen oder einen Lottogewinn oder Gesundheit vielleicht, oder vielleicht auch die Lösung aller familiären Probleme? Nein, nichts von alledem wünschen sich Jakobus und Johannes hier. Sie wünschen sich, so bringt es ihre Mutter hier zum Ausdruck, schlicht und einfach, ganz in der Nähe von Jesus in seinem Reich sitzen zu können. Das ist für sie das Allerwichtigste im Leben, einfach nur für immer bei Jesus zu sein, ganz dicht an ihm dran. Na, ist das nicht ein wirklich schöner, frommer Wunsch, den man nur von Herzen gutheißen kann? Sollten wir uns an den beiden Aposteln da nicht ein Beispiel nehmen, uns eine dicke Scheibe von ihrem Glaubenseifer, von ihrem Glaubenssehnen abschneiden?
Doch halt, ganz so einfach ist es nicht, so macht es Jesus auch in den Versen, die unserer Predigtlesung folgen, noch einmal sehr eindrücklich deutlich: Die beiden wollen ja nicht einfach nur bei ihm, Jesus, sein, sondern sie wollen so dicht an ihm dran sein, dass alle anderen, ja selbst die anderen Apostel dahinter zurücktreten müssen. Den Platz zur Rechten und zur Linken Jesu, den gibt es eben nur einmal; und da müssen dann der Matthäus und der Petrus und der Andreas und der Philippus eben sehen, wo sie bleiben: Hauptsache, wir beide sind an Jesus dran; alle anderen können uns egal sein!
Schwestern und Brüder, solcher geistlicher Egoismus ist seit den Tagen von Jakobus und Johannes in der Kirche nicht ausgestorben. Den gibt es auch heute noch in den unterschiedlichsten Schattierungen: Da hört man es immer wieder einmal aus Gemeinden – sicher nicht hier aus dieser Gemeinde! –, dass es Kämpfe um Plätze gibt, nein, gar nicht erst um Plätze im Himmelreich, sondern schon um Plätze in der Kirchenbank: Hier sitze ich, ich kann nicht anders. Und weh dem, der es wagt, meinen Platz zu belegen! Und da ist man dann auch schon einmal bereit, diesem Anspruch auf den rechten Platz mit einem kleinen Bodycheck Nachdruck zu verleihen. Schließlich möchte ich ja etwas vom Gottesdienst haben! Ach, was für geistliche Schäden haben solche Platzkämpfe in Gemeinden schon angerichtet!
Oder da kommt es vor, dass Menschen mit einer Art von geistlichem Tunnelblick in die Kirche gehen: Hauptsache, ich bin jetzt mit meinem Herrn Jesus zusammen; ob da noch andere neben mir in der Kirche sind, ist mir eigentlich egal. Hauptsache, ich bekomme hier meine geistliche Stärkung; die anderen in der Gemeinde interessieren mich eigentlich gar nicht. Ja, Herr, lass du mich sitzen zu deiner Rechten am Tisch in deinem Reich. Meinetwegen können wir auch zu zweit bleiben!
Oder da kommt es in Gemeinden vor, dass Gemeindeglieder geradezu darum kämpfen, dass alles in der Gemeinde immer nur genauso läuft, wie sie es sich wünschen und vorstellen, und das heißt zumeist: so, wie sie es immer schon gewohnt waren. Dass Veränderungen für andere in der Gemeinde eine Hilfe sein könnten, ist für sie kein Argument: Hauptsache, wir fühlen uns in der Gemeinde wohl; sollen die anderen doch bleiben, wo sie wollen!
Schwestern und Brüder, ich weiß, ich habe diese Erfahrungen jetzt ein wenig zugespitzt; aber grundsätzlich ist dies doch eine Frage, die wir uns alle miteinander zu stellen haben: Wie wichtig sind mir die anderen, mit denen ich zusammen in der Gemeinde bin? Nehme ich sie wahr, erkenne ich, was sie brauchen, um bei Christus, in seiner Nähe zu bleiben? Bin ich dazu bereit, für sie auch zurückzustecken, Verzicht zu üben, oder kommt mir mein geistlicher Egoismus da doch immer wieder in die Quere? Ja, es ist gut, dass uns St. Matthäus hier mit diesen Worten diesem Glaubens-TÜV wieder einmal unterzieht!

II.

In der Frage der beiden Apostel nach ihrem Sitzplatz in der Nähe von Jesus verbirgt sich aber nun noch eine weitere Frage: die Frage nach dem Lohn, die Frage danach, ob es sich denn letztlich lohnt, an Jesus zu glauben und bei ihm zu bleiben. Jakobus und Johannes hatten in den letzten Monaten und Jahren ja so einiges mit Jesus schon mitgemacht. Das war keine Luxusreise gewesen, die sie da unternommen hatten, sondern ein Weg, der manchen Verzicht und manche Entbehrung mit sich gebracht hatte. Ja, das hatten sie ja alles gerne auf sich genommen; aber jetzt wollten sie doch auch möglichst bald etwas davon sehen, dass sich dieser Einsatz auch gelohnt hatte: Wenn Jesus jetzt in Jerusalem sein Reich errichten würde, sich für alle sichtbar als der Messias Israels zu erkennen geben würde, da wollten sie nun auch eine Gegenleistung erhalten für das, was sie bisher mit ihm, Jesus, durchgemacht hatten.
Eines muss man den beiden Aposteln ja lassen: Sie hatten schon ganz schön lange durchgehalten, bevor sie schließlich diese Frage stellten. Heute wird diese Frage oft sehr viel schneller von Menschen gestellt: Was bringt mir eigentlich der Glaube? Lohnt sich das, immer wieder zur Kirche zu rennen, lohnt sich das, sich an Gottes Geboten zu orientieren, oder ist das in unserem Leben mit so vielen Einschränkungen und Nachteilen verbunden, dass ich lieber doch darauf verzichte?
Für viele Menschen ist die Antwort klar: Ich lasse mir doch durch den Glauben nicht mein Leben versauen! Ich will jetzt was vom Leben haben; und da könnte man mich noch so sehr mit Plätzen in der ersten Reihe im Himmel ködern wollen – das ist mir egal. In den Himmel komme ich nachher sowieso, wenn es ihn denn überhaupt gibt; da will ich jetzt erst mal so viel wie möglich aus den Jahren herausschlagen, die mir hier noch zur Verfügung stehen!
Und da mögen wir als Christen dann auch versucht sein, den Leuten demonstrieren zu wollen, warum es sich eben doch lohnt, zu glauben und zur Kirche zu gehen: Da hat man doch ein gutes Gefühl, wenn man einen festen Halt im Leben hat, und da lernt man in der Kirche auch nette Leute kennen, und da gibt es dort in der Kirche auch immer wieder ein ganz ordentliches Unterhaltungsprogramm mit vielen verschiedenen Angeboten. Eigentlich können wir als Kirche mit einem Kaninchenzüchterverein ganz gut mithalten!
Nein, Schwestern und Brüder, wenn wir auf dieser Ebene versuchen zu zeigen, dass es sich lohnt, Christ zu sein, dass es sich lohnt zu glauben, dann können wir nur verlieren. Da gibt es genügend gute Unterhaltungsangebote, zumal hier in Berlin, gegen die wir als Kirche einfach nicht ankommen. Aber auch wenn wir nicht auf dieser Ebene versuchen, uns selber oder anderen zu zeigen, wie lohnenswert der Glaube ist, kennen wir sie vielleicht doch auch aus unserem Leben, diese Frage: Lohnt sich das eigentlich tatsächlich, immer noch am Glauben festzuhalten? Lohnt sich dieser ganze Einsatz? Ich sehe so wenig davon in meinem Leben, dass es mir deshalb besser geht, weil ich an Christus glaube – im Gegenteil: Manchmal habe ich den Eindruck, dass es die Christen besonders trifft, wenn es um Krankheiten und Schicksalsschläge geht!
Ja, es bedarf in der Tat schon einiger geistlicher Übung, diese Frage nach dem Lohn nicht mehr zu stellen, nicht mehr zu rechnen, nicht darum zu glauben, weil es mir was bringt – entweder jetzt oder aber auch später im Himmel. Es bedarf schon einiger geistlicher Übung, bis es uns aufgeht, dass die Gemeinschaft mit Christus schon selber Lohn genug ist, dass daneben alles andere, was scheinbar so lohnenswert ist, zweitrangig wird!

III.

„Ihr wisst nicht, was ihr bittet“, antwortet Jesus auf die Frage der beiden Apostel, vorgebracht von ihrer Mutter. „Ihr wisst nicht, was ihr bittet“, sagt Jesus und erläutert dies mit einer Gegenfrage: Wie geht ihr eigentlich mit dem Leid in eurem Leben um? Ist das Leiden nur eine lästige Störung auf eurem Weg, oder seid ihr dazu bereit, Leiden ganz bewusst anzunehmen als Teil des Weges, den ihr in meiner Nachfolge geht? Der Jakobus hat damals ganz vollmundig geantwortet: Ja, wir können den Kelch des Leidens trinken, den du, Jesus, auch trinken wirst, ja, ich bin bereit, mit dir und für dich zu leiden. Jesus lässt diese Antwort so stehen, auch wenn er wahrscheinlich still gedacht hat: Lieber Jakobus, auch hier weißt du eigentlich gar nicht, was du da sagst. Aber es hat dann nicht lange gedauert, da hat es der Jakobus sehr direkt erfahren, was Jesus ihm damals, wenige Tage vor seinem Einzug nach Jerusalem, gesagt hatte: Ja, ihr werdet meinen Kelch trinken, jawohl, du, Jakobus, auch. Nein, es hat nicht lange gedauert, bis Jakobus selber dieser Kelch gereicht wurde: Der erste der Apostel war er, der um seiner Zugehörigkeit zu Christus willen getötet wurde, von König Herodes mit dem Schwert hingerichtet. Menschlich gesprochen war das ein Irrsinn: Hätte Jakobus sich damals rechtzeitig vor Ostern ausgeklinkt, dann hätte er noch ein schönes Leben haben können, da oben in der schönen Landschaft am See Genezareth, hätte dort seinen Lebensabend genießen können. Doch Jakobus hat den Kelch angenommen, hat zu dem Leidensweg in der Nachfolge seines Herrn Ja gesagt.
Wie sieht es bei uns aus? Um unseres Glaubens willen werden wir alle miteinander nicht verfolgt; da brauchen wir uns jedenfalls vorläufig noch keine Sorgen zu machen. Doch Leiden bleibt eben auch uns nicht in unserem Leben erspart. Und da stellt sich auch uns die Frage: Wie gehen wir mit dem Leiden, das uns in unserem Leben zugemessen wird, um? Lassen wir durch dieses Leid unseren Glauben in Frage stellen? Steckt in uns doch irgendwo diese Erwartungshaltung drin: Wenn ich nur richtig glaube und anständig lebe, müsste der liebe Gott mich doch eigentlich fairerweise auch belohnen und mich vor Leid verschonen!? Lehnen wir uns innerlich doch irgendwo gegen das Leiden auf, das uns zugeteilt wird, halten wir es für ungerecht?
In der Epistel des heutigen Aposteltages haben wir es eben gehört: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Ja, genau dazu will Christus auch uns hier in diesen Worten des Heiligen Evangeliums anleiten, uns alles, ja auch das Leiden zum Besten dienen zu lassen, zur Stärkung und Vertiefung unseres Glaubens, auch wenn dies aller Einsicht und aller Erfahrung widersprechen mag. Und darum spricht Matthäus eben auch gerade die Frage nach unserem Umgang mit dem Leid bei seinem Glaubens-TÜV an, weil er weiß, wie wichtig und aktuell gerade diese Frage in unserem Leben immer wieder für uns wird.
Schwestern und Brüder, es mag sein, dass wir nach diesem Glaubens-TÜV den Eindruck gewonnen haben, dass es bei uns mit unserem Glauben wohl nichts wird mit der TÜV-Plakette, dass wir bei diesem TÜV doch wohl nur glatt durchfallen können. Ach, wie gut, dass es in Wirklichkeit in unserem Glauben nicht um unsere Leistung geht, die wir erbringen müssen, dass unser Heil nicht von unserer Glaubensstärke abhängt! Ach, wie gut, dass uns gerade auch die Erkenntnis unserer Glaubensschwächen immer wieder neu wahrnehmen lässt, was letztlich allein zählt: dass wir in der Gemeinschaft mit Christus bleiben, mit ihm, der auch unsere Schwächen und unser Versagen trägt und immer wieder von uns nimmt. Ja, diese Gemeinschaft mit Christus, die will uns St. Matthäus ans Herz legen, denn wenn uns das klar ist, dass wir jetzt schon in dieser Gemeinschaft leben, dann brauchen wir nicht andere Menschen wegzuboxen, um selber an Christus dranzubleiben, dann erfahren wir im Gegenteil, dass wir gerade in der Zuwendung zu anderen immer dichter an Christus herankommen. Ja, diese Gemeinschaft mit Christus ist in der Tat Lohn genug, Lohn, der auch alles Leiden aufwiegt. „Duld ich schon hier Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu, meine Freude!“ Amen.