11.05.2008 | Römer 8, 1-11 (Heiliges Pfingstfest)

HEILIGES PFINGSTFEST – 11. MAI 2008 – PREDIGT ÜBER RÖMER 8,1-11

So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht. Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Bist du ein Christ? Um genau diese Frage soll es heute in dieser Predigt gehen. Bist du ein Christ? Es mag dir ein wenig überflüssig vorkommen, dass ich diese Frage ausgerechnet in einem Gottesdienst stelle. Ist doch klar, dass diejenigen, die hier sitzen, Christen sind – sonst wären sie wohl kaum heute Morgen hierher zum Gottesdienst gekommen. Doch ganz so einfach ist die Geschichte dann auch wieder nicht. Denn wenn wir diese Frage beantworten wollen, ob wir eigentlich Christen sind, müssen wir ja zunächst mal wissen, was es eigentlich heißt, ein Christ zu sein. Und genau dabei will uns nun die Predigtlesung des heutigen Festtags weiterhelfen.
Schwestern und Brüder, geben wir es ruhig offen zu: Bei den Worten, die ich euch eben als Predigtlesung vorgetragen habe, werden viele von euch vermutlich nur „Bahnhof“ verstanden haben. Da gebraucht der Paulus so viele Fachbegriffe, die für uns erst einmal eine ganz andere Bedeutung haben, da trägt er hier seine Argumentation so konzentriert vor, dass man schon eine ganze Menge Zeit bräuchte, um das im Einzelnen zu erklären und auseinanderzufisseln. Doch letztlich geht es auch bei Paulus hier um diese eine Frage: Bist du ein Christ?
Und da macht uns Paulus erst einmal dies eine ganz deutlich: Diese Frage ist tatsächlich die wichtigste Frage deines Lebens, denn bei dieser Frage geht es um nicht weniger als um Leben und Tod.
Über den Tod redet man nicht gerne; an den Tod möchte man auch nicht gerne erinnert werden. Das kommt alles noch früh genug, möchte man meinen; jetzt will ich erst einmal, soweit mir dies möglich ist, mein Leben genießen und mir mein Leben nicht durch Gedanken an den Tod versauen. Doch so zu denken, sich so zu verhalten wäre total kurzsichtig, so zeigt es uns St. Paulus hier. Denn hier und jetzt entscheidet sich in meinem Leben, ob der Tod für mich nur der Schlusspunkt meines Lebens ist oder Durchgangstor in ein neues Leben, in dem der Tod dann endgültig keine Rolle mehr spielt. Ach, was sage ich: Wenn das doch nur so einfach wäre, dass der Tod einfach nur der Schlusspunkt unseres Lebens wäre! Das wäre zwar blöde, wenn mit dem Tod einfach alles aus wäre, das wäre dann auch sehr traurig für die Angehörigen; aber man selber bekäme dann ja wenigstens nichts mehr mit; man wäre ja einfach nicht mehr existent. Doch so einfach kommen wir eben nicht davon, so zeigt es uns der Apostel Paulus hier. Sondern wir haben uns nach unserem Tod vor keinem Geringeren als Gott selber mit unserem Leben zu verantworten. Der fragt uns nach unserem Leben, und der spricht dann sein Urteil, ob wir unser Leben verfehlt haben oder nicht, ob unser Leben in der ewigen Gemeinschaft mit ihm endet oder ob wir das bekommen, was wir hier in unserem Leben auch immer schon gewollt haben: eine Existenz ohne ihn, in der wir nur für uns selber bleiben müssen. Die Frage, in welchem Verhältnis wir zu Gott stehen, ist also die Zukunftsfrage unseres Lebens überhaupt; die ist unendlich wichtiger als die Frage, ob unsere Rente sicher ist, ob unser Arbeitsplatz sicher ist, ja selbst als die Frage, wie es mit unserer Gesundheit steht. Und diese Frage, in welchem Verhältnis wir zu Gott stehen, hat nun unmittelbar mit dieser anderen Frage zu tun: ob wir denn Christen sind.
Bist du ein Christ? Diese Frage können wir also nicht mit dem Hinweis darauf beantworten, dass wir ja möglicherweise aus einem christlichen Elternhaus stammen und dass wir eine fromme Großmutter hatten. Diese Frage können wir auch nicht mit dem Hinweis darauf beantworten, dass wir ja mal christlich erzogen und irgendwann auch mal konfirmiert worden sind. Es geht bei der Frage danach, ob wir Christen sind, nicht um unsere Vergangenheit, sondern um unsere Zukunft, es geht nicht um ein unbestimmtes Zugehörigkeitsgefühl, sondern ganz konkret um unser Verhältnis zu Christus; es geht um Leben oder Tod, um Verurteilung oder Freispruch. Um diese Entscheidung kann ich mich nicht mit einem sentimentalen Blick auf das, was früher einmal war, herumdrücken; es geht darum, was jetzt mein Leben ausmacht oder bestimmt.
Bist du ein Christ? Diese Frage können wir auch nicht mit dem Hinweis darauf beantworten, dass wir an Gott glauben. Der Glaube an Gott macht einen Christen nicht zum Christen. Es gibt viele Menschen, die an Gott glauben, aber keine Christen sind, weil sie einer anderen Religion angehören oder weil für sie Gott nur ein allgemeines höheres Wesen ist, das mit unserem Leben hier auf der Erde nicht fürchterlich viel zu tun hat. Es geht nicht darum, dass wir glauben, dass es da oben irgendeinen Gott gibt. Sondern es geht ganz konkret darum, in was für einem Verhältnis wir uns zu Gott befinden und welche Bedeutung Christus dabei hat, ob wir meinen, wir würden unser Verhältnis zu Gott auch ganz gut ohne Christus hinbekommen, oder ob uns klar ist, dass wir ohne Christus keine Chance haben, vor ihm, Gott, mit unserem Leben zu bestehen.
Und damit sind wir schon beim beliebtesten Missverständnis der Frage: „Bist du ein Christ?“ Da gibt es viele, die sagen: Nun ja, ich renne zwar nicht fürchterlich oft zur Kirche; aber ich bemühe mich, nach christlichen Grundsätzen zu leben, immer nett und anständig und hilfsbereit zu sein. Und darum fühle ich mich selber durchaus als Christ, weil ich auch für die Nächstenliebe bin, weil ich christlich lebe.
Doch genau das ist ein ganz großes Missverständnis, so macht es uns St. Paulus hier in den Worten unserer Predigtlesung deutlich. Ich kann mich nicht einfach mal ein bisschen zusammenreißen und als Christ leben. Dazu ist kein Mensch von sich aus in der Lage. Nun gut, wir mögen dazu in der Lage sein, uns äußerlich einigermaßen moralisch anständig zu verhalten. Wir mögen auch dazu in der Lage sein, für andere Menschen Mitgefühl zu empfinden und bereit zu sein, ihnen zu helfen. Das schaffen wir vielleicht, wenn auch oft genug eher schlecht als recht. Aber das ändert nichts daran, dass wir von Anfang unseres Lebens an als Menschen von Gott getrennt und auf uns selbst bezogen sind, um uns selber kreisen, Gottes Anspruch auf unser Leben gerade nicht anerkennen wollen. Genau das meint der Apostel Paulus, wenn er hier in unserer Predigtlesung von „Fleisch“ redet. Damit meint er natürlich nicht irgendwelche argentinischen Rindersteaks, und erst recht geht es ihm hier nicht um das Thema „Sex“ oder „Sexualität“, als ob die etwas Schlimmes und Böses sei. Nein, wenn Paulus hier von „Fleisch“ spricht, dann meint er die Lebensausrichtung, die in uns Menschen ganz tief drinsteckt, diese Lebenshaltung: Ich komme auch ganz gut allein ohne Gott klar; Gott stört mich letztlich nur in meinem Leben; ja, ich weiß selber besser, was für mein Leben gut ist, als was Gott mir sagt. Und weil diese Lebenshaltung so tief in uns drinsteckt, können wir Gott mit einem moralisch halbwegs anständigen Leben, das wir dann auch noch christlich nennen mögen, überhaupt nicht beeindrucken, macht uns dieses Leben auch nicht zu Christen. Im Gegenteil: Wenn wir in dieser Trennung von Gott verharren, dann mögen wir noch so nett und anständig und beliebt bei den Leuten sein, dann mögen wir noch so sehr versuchen, die Zehn Gebote zu halten, dann ändert das alles nichts daran, dass unser Leben schließlich in der endgültigen Trennung von Gott endet, dass wir vor Gott mit unserem Leben eben doch nicht bestehen können, weil wir immer wieder schon an dem ersten Gebot scheitern, weil wir Gott eben nicht über alle Dinge fürchten und lieben und ihm allein vertrauen, weil wir das von uns aus auch gar nicht können.
Bist du ein Christ? Wenn du diese Frage zu Recht mit „Ja“ beantworten kannst, dann liegt das einzig und allein an dem, dessen Namen du als Christ trägst, an ihm, Christus. Der hat dafür gesorgt, dass dein Leben doch eine Zukunftsperspektive bekommt, die du dir selber niemals hättest schaffen können. Der hat die letzte Gottesferne erlitten, der ist für dich am Kreuz gestorben, hat die Strafe für dein Scheitern an Gottes Geboten auf sich genommen, damit sie dich nicht mehr trifft, damit du nicht verdammt wirst, damit dein Leben nicht in der Trennung von Gott endet.
Und an dem, was er da für dich getan hat, gibt er dir nun ganz konkret Anteil, ja hat er dir schon längst Anteil gegeben am Tag deiner heiligen Taufe, so zeigt es uns St. Paulus hier. Nein, die Taufe ist nicht einfach bloß eine nette Zeremonie, keine Namensgebungsfeier, sondern in diesem so unscheinbaren Geschehen hat sich in Wirklichkeit alles, ja tatsächlich alles in unserem Leben verändert. Denn seit unserer Taufe sind wir, so formuliert es der Apostel hier, „in Christus Jesus“. Das klingt jetzt so merkwürdig nach Kirchenslang; aber stell dir das ruhig ganz wörtlich vor: Da in deiner Taufe bist du so eng mit Christus verbunden worden, dass er dich nun umgibt wie ein Gewand, dass du in ihm lebst, dass er, Christus, vor dir, über dir, unter dir, hinter dir ist, ja dass du von daher gewiss sein darfst, dass Gott auf ihn, Christus, blickt, wenn er auf dich schaut, dass er von daher nichts an dir erkennen kann, was in seinen Augen verurteilenswert wäre, weil er ja Christus sieht und das, was er für dich getan hat.
Christsein – das heißt also nicht: eine christliche Abstammung haben; das heißt nicht: irgendwie an Gott glauben; das heißt nicht: versuchen, die Zehn Gebote zu halten. Sondern Christsein heißt: Mit Christus verbunden zu sein, in ihm zu leben und durch ihn ein neues Leben zu haben.
Und diese Verbindung mit Christus, die beschreibt der Apostel Paulus nun noch weiter und spricht davon, dass nicht nur wir in Christus leben, sondern dass ebenso Christus in uns lebt und dass dadurch, dass Christus in uns lebt, auch der Geist Gottes in uns lebt und uns an seinem Leben Anteil gibt. Wenn ich also mit Christus verbunden bin, wenn ich dadurch ein Christ bin, dann ändert sich tatsächlich etwas in meinem Leben: Dann bin ich natürlich nicht mehr von Gott getrennt. Ja, wie sollte ich noch von Gott getrennt sein, wenn sein Sohn in mir lebt, wenn er ganz konkret im Heiligen Abendmahl immer wieder in mir Wohnung nimmt mit seinem Leib und Blut?! Und dann bekommt dadurch auch mein Leben eine ganz neue Ausrichtung: Weil Christus in mir lebt, kann ich an Gott glauben, an ihn, den lebendigen Gott, kann und darf ich ihn meinen Vater nennen, kann und darf ich ihm mit meinem ganzen Leben vertrauen. Weil Gottes Geist in mir am Werk ist, kreise ich in meinem Leben nicht mehr bloß um mich selber, empfinde ich Gottes Gebote nicht mehr als Bedrohung, weil sie mir angeblich mein Leben versauen. Sondern ich merke: Mensch, diese Gebote sind gut für mich; die helfen mir auf meinem Weg zum Ziel, zum ewigen Leben, die bewahren mich davor, von Gott wieder abzukommen. Und ich merke: Ich brauche das Ende meines Lebens nicht mehr zu verdrängen, denn ich weiß: Weil Gottes Leben schaffender Geist in mir wohnt, darum ist der Tod für mich nicht das Ende, darum wird Gott mich auferwecken zu einem neuen Leben, wird mich wieder lebendig machen, weil doch Gottes Geist jetzt schon in mir wohnt.
So einfach ist das also mit dem Christsein: Ein Christ zu sein bedeutet: getauft zu sein, in Christus zu leben, mit Christus dadurch Gemeinschaft zu haben, dass er in uns lebt mit seinem Leib und Blut, von Gottes Geist bestimmt und erfüllt zu sein. Nein, das musst du nicht fühlen und spüren, dass Gottes Geist in dir wohnt. Der arbeitet zumeist ganz unauffällig an dir und in dir, prägt dich immer wieder von neuem, wenn er zu dir kommt, wenn du das Evangelium hörst, wenn du die Vergebung in der Beichte empfängst, wenn du teilhast am Heiligen Mahl. Ja, natürlich wirkt sich das dann auch aus in deinem Reden, in deinem Verhalten; aber das ist alles erst eine Folge dessen, was dich zum Christen macht: dass Christus in dir lebt, dass der Heilige Geist in dir lebt.
Nun klingt das alles so schön einfach, was ich euch da gerade vorgetragen habe: Wer Christ ist, der kreist nicht mehr um sich selbst, dem schenkt der Heilige Geist eine neue Ausrichtung für sein Leben, der ist, um die Worte des Apostels Paulus zu gebrauchen, nicht mehr fleischlich, sondern geistlich.
Doch genau diese Alternative, die mag uns nun nicht einleuchten: Gibt es denn nur dies Entweder-Oder, magst du einwenden; kann man denn nicht auch einfach so ein bisschen Christ sein? Reicht es nicht, mit den Ideen des Christentums zu sympathisieren, reicht es denn nicht, hin und wieder mal ein wenig die Verbindung zur Kirche zu pflegen? Muss sich das denn gleich auf das ganze Leben auswirken, dass man Christ ist? Man muss es doch nicht gleich übertreiben!
Nein, sagt Paulus hier, an diesem Punkt kann es tatsächlich keine Kompromisse geben. Ich kann nicht bloß ein halber Christ sein, denn ein halber Christ ist ein ganzer Unsinn. Es geht doch um diese eine entscheidende Frage, wer oder was die Herrschaft in meinem Leben hat, wer oder was mein Leben bestimmt: ob ich es selber bin oder ob es Christus und sein Geist ist. Ja, das ist die entscheidende Frage, weil es dabei tatsächlich um Leben oder Tod geht, darum, ob ich für immer mit Christus leben werde oder nicht. Und wenn ich meine, ohne Gottes Geist in meinem Leben auskommen zu können, wenn ich meine, ich würde schon alles mit meinem eigenen kleinen Geist schaffen, dann schneide ich mich selber von diesem Leben ab.
Wie gesagt: Es geht dem Apostel Paulus nicht darum, dass wir uns jetzt zusammenreißen und anständig leben sollen. Damit würden wir das Pferd ja wieder von hinten aufzäumen; das klappt nicht. Es geht dem Apostel einzig und allein darum, dass wir den Kontakt zu Christus suchen, dass wir uns immer wieder mit seinem Geist beschenken lassen. Das wird dann nicht ohne Folgen bleiben – schon jetzt in unserem Leben, und dann erst recht, wenn der Bagger die Erde über unseren Sarg geschaufelt haben wird. Denn wenn der Geist dessen, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt. Darum geht es letztlich bei der Frage, ob du Christ bist. Und Gott geb’s, dass du auf diese Frage immer fröhlich Ja antworten kannst – in der Kraft des Geistes Gottes, der auch jetzt in dieser Predigt wieder bei dir am Werk war! Amen.