04.05.2008 | Römer 8, 26-30 (Exaudi)

EXAUDI – 4. MAI 2008 – PREDIGT ÜBER RÖMER 8,26-30

Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, daß sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Seit gut zehn Jahren kann ich von meinem Computer aus E-Mails versenden. Das gehört für mich mittlerweile schon längst zu meinem Alltag, solche E-Mails zu verschicken. Aber nichtsdestoweniger staune ich immer noch darüber, wie das möglich ist, dass ich in meinem Amtszimmer hier in Zehlendorf auf meiner Tastatur herumklappere und dass eine Minute später ein Mensch in Kasachstan, in der Mongolei oder den USA das schon lesen kann, was ich da gerade in die Tasten gehauen habe. Ja, das würde mich schon interessieren, da mal hinter die Kulissen zu blicken, wie so etwas funktioniert, auf welchen Wegen solch eine E-Mail in Sekundenschnelle um die gesamte Welt jagt. Doch wenn ich da hinter die Kulissen schauen würde, würde ich vermutlich nur alle möglichen großen Kästen mit irgendwelchem Schaltkram, von dem ich nichts verstehe, sehen, könnte ich mir trotzdem nur sehr ansatzweise vorstellen, wie solch eine E-Mail auf wundersamen Wegen ihr Ziel erreicht.
Es gibt allerdings noch viel größere Wunder als die, dass E-Mails in Windeseile Empfänger am anderen Ende der Welt erreichen. Noch viel größer ist das Wunder, dass unsere Gebete, die wir sprechen, bei Gott ankommen, ihn erreichen, ja, noch viel größer ist das Wunder, dass wir selber mit unserem Leben schließlich bei Gott ankommen, ihn erreichen. Nein, das ist nicht logisch, das ist eigentlich unvorstellbar, wie das in Wirklichkeit möglich sein soll. Und genau dabei soll und will uns nun die Predigtlesung des heutigen Sonntags Exaudi weiterhelfen: Die lässt uns nämlich nun in der Tat einen geradezu atemberaubenden Blick hinter die Kulissen werfen, dass wir eine Ahnung davon bekommen, was da eigentlich auf für uns zunächst gar nicht erkennbare Weise abläuft, wie das möglich ist, dass unsere Gebete Gott tatsächlich erreichen, ja wie das möglich ist, dass wir am Ende unseres Lebens tatsächlich bei Gott ankommen und nicht bloß irgendwo auf einem Friedhof enden. Und das Wunderbare ist: Der heilige Paulus lässt uns bei unserem Blick hinter die Kulissen nicht einfach bloß auf irgendwelche grauen Schaltkästen schauen, der haut uns erst recht nicht irgendwelche physikalischen Formeln um die Ohren, sondern der erklärt uns das so einfach, dass wir auch als Normalsterbliche einen Einblick, einen Eindruck davon bekommen, wie das möglich ist, dass unsere Gebete Gott erreichen, ja, dass wir selber schließlich Gott erreichen. Und so wollen wir uns das nun noch einmal genauer anschauen,

- wie unsere Gebete bei Gott ankommen
- wie wir selber bei Gott ankommen

I.

Könnt ihr richtig gut beten? Wenn ihr diese Frage ohne Weiteres mit Ja beantworten könnt, dann seid ihr jedenfalls sehr viel besser als der Apostel Paulus. Der erklärt hier in unserer Predigtlesung nämlich ganz unumwunden: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen“. Ein Apostel, der nicht weiß, was er beten soll – das ist schon ein starkes Stück. Als Apostel, als Pastor sollte er doch so etwas wie ein Profi-Beter sein, der anderen vormacht, wie man richtig betet. Doch Paulus erklärt ganz nüchtern, dass er dennoch nicht weiß, was er beten soll. Nein, das heißt nicht, dass Paulus überhaupt nicht gebetet hätte, das heißt auch nicht, dass er nicht irgendwelche Gebetstexte draufgehabt hätte. Natürlich kannte er die Psalmen, kannte gewiss auch viele von ihnen auswendig. Und in seinen Briefen finden wir immer wieder auch wunderbare Gebetsformulierungen, an denen wir uns auch heute noch mit unseren Gebeten orientieren können. Und doch bleibt St. Paulus dabei: Wir wissen nicht, was wir beten sollen. Damit meint er zum einen: Im Vergleich zu dem, was Gott uns schenken kann und will, im Vergleich zu der wunderbaren Zukunftsperspektive, die wir als Christen haben, erscheinen alle unsere menschlichen Worte, erscheinen all unsere Bitten so mickrig, bleiben so weit hinter dem zurück, worum wir eigentlich bitten sollen und dürfen und was wir mit unseren Worten doch gar nicht richtig ausdrücken können. Ja, im Vergleich zu der Wirklichkeit, an der wir Anteil gewinnen sollen und dürfen, klingen unsere Gebete zumeist gewiss sehr putzig, sehr kleinkariert und beschränkt. Nein, das gilt nicht bloß für unsere persönlichen Gebete, die wir zu Hause sprechen mögen, das gilt auch für die schönsten und feierlichsten Gebete in unserer Liturgie, dass sie immer noch weit hinter der Wirklichkeit des Heils zurückbleiben, das uns geschenkt wird. Nein, daran kann auch eine noch so gut besetzte Liturgische Kommission nichts ändern, dass wir letztlich auch im Gottesdienst gar nicht wissen, was wir beten sollen.
Aber nun mögen viele von uns diese Worte des Apostels auch aufgrund ihrer eigenen persönlichen Erfahrung gut nachsprechen können: Da mag es in unserem Leben Situationen geben, in denen es uns einfach nur noch die Sprache verschlägt, in denen wir nicht mehr dazu in der Lage sind, irgendwelche schönen Gebete von uns zu geben, wo uns nichts Anderes mehr über die Lippen kommt als ein lauter oder stummer Schrei. Oder da mögen wir am Ende eines anstrengenden Tages so kaputt sein, dass wir einfach nur noch ins Bett sinken und es einfach nicht mehr schaffen, unsere Gedanken noch zusammenzuhalten, ja überhaupt noch länger als zwanzig Sekunden wach zu bleiben. Oder da mögen uns Glaubenszweifel zu schaffen machen, dass wir uns das einfach so gar nicht vorstellen können, wie das möglich sein soll, dass Gott unsere Gebete überhaupt hört – ganz gleich, ob sie nun schön oder mickrig sein mögen. Da mag uns dann Gott so unendlich weit weg erscheinen, dass wir den Eindruck haben, wir würden einfach nur in ein dunkles Nichts hineinrufen, ohne irgendeine Antwort zu erhalten. Ja, da mögen wir uns dann sehr schnell in den Worten des Apostels wiederfinden können: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt.“
Doch nun lässt uns der heilige Paulus hier einen wirklich atemberaubenden Blick hinter die Kulissen werfen. Er macht deutlich: Unser Gebet ist nicht einfach bloß eine Angelegenheit zwischen uns und unserem Vater im Himmel. Sondern da gibt es eine entscheidend wichtige Zwischenstation, die unsere Gebete auf dem Weg in Gottes Ohr zurücklegen. Und diese Zwischenstation ist der Geist Gottes.
Der Geist Gottes ist kein Punktrichter, der Gebete nach irgendwelchen Maßstäben beurteilt: Der sagt nicht: Ach, das ist ein besonders schönes, gelungenes Gebet, das reiche ich mal an Gott den Vater weiter. Und er sagt auch nicht: Ach, da betet jemand aber besonders intensiv und inbrünstig, da ist jemand ganz besonders gläubig, dessen Gebet lasse ich mal zu Gott dem Vater durch. Im Gegenteil: Der Geist Gottes ist genau dazu da, unserer Schwachheit aufzuhelfen, wie es der Apostel Paulus hier so schön formuliert. Denn er, der Geist Gottes, hat eine ganz besondere Begabung: Der versteht unsere Gebete auch dann, wenn wir sie gar nicht recht in menschlichen Worten auszudrücken wissen. Er, der Geist Gottes, der schaut uns ganz tief ins Herz, der weiß, was wir meinen, auch wenn da über unsere Lippen nur ein paar ganz unbeholfene Worte kommen, wenn wir da nur etwas vor uns dahinstammeln, ja, auch, wenn wir unsere Lippen nur ganz stumm bewegen, ja, wenn wir nur mit unserem Herzen schreien. Das nimmt er wahr, der Heilige Geist, das versteht er, das übersetzt er gleichsam so, dass es in Gottes Ohr wunderbar verständlich klingt, dass Gott der Vater selber darin unser Lob und unsere Klage, unsere Bitten und unseren Dank vernimmt. Nein, er, der Heilige Geist, verdreht und verfälscht dabei nichts; im Gegenteil: Was Gott durch ihn vernimmt, ist ganz authentisch unser Gebet – und doch wird es Gott auf diese Weise so vorgetragen, dass es ihm gefällt, dass er als unser Vater hinhört, es ernst nimmt, sich daran freut, ja, darauf reagiert.
Nein, mit dem, was der Apostel Paulus hier über das Beten und den Heiligen Geist schreibt, will er unser Gebet gerade nicht für überflüssig erklären, so nach dem Motto: Was brauche ich noch zu beten? Gottes Geist sieht doch sowieso, was ich mir wünsche und was mir fehlt; der blickt mir doch sowieso ins Herz hinein und vertritt mich selber vor Gott! Im Gegenteil: Gerade zum Gebet ermutigen will uns Paulus hier: Du brauchst keine Angst zu haben, dass du nicht gut oder vollkommen genug betest, du brauchst keine Angst zu haben, dass du im Gebet irgendwie nicht die richtigen Worte verwendest. Du brauchst keine Angst zu haben, dass Gott deine Gebete missverstehen könnte oder dass sie gar nicht erst bei ihm ankommen. Nein, weil du getauft bist, weil Gottes Geist seit deiner Taufe in dir wohnt, darum hat dein Gebet Verheißung, ganz gleich, welche Form es auch haben mag. Alles, was du Gott sagen willst, kommt an sein Ohr, kommt richtig bei ihm an. Ja, wie sollte uns dieser Blick hinter die Kulissen nicht Lust und Freude am Gebet erwecken, zu Hause ebenso wie hier im Gottesdienst?

II.

Aber nun geht der Apostel Paulus hier noch einen Schritt weiter: Er schildert uns schon allen Ernstes, wie wir selber bei Gott ankommen.
Wie kann St. Paulus uns hier schon schildern, wie wir selber bei Gott ankommen, mögen wir fragen. Wir sind doch noch gar nicht da, wir sind doch noch gar nicht am Ziel. Und was wissen wir, ob wir an diesem Ziel überhaupt ankommen werden? Vielleicht wird unser Glaube im Laufe der Zeit ja immer schwächer, bis schließlich nichts mehr davon übrig bleibt; vielleicht werden wir in unserem Leben von Schicksalsschlägen getroffen, dass wir von Gott, von Christus gar nichts mehr wissen wollen!
Brüder und Schwestern, wir sollten solche Fragen sehr ernst nehmen. Wir sollten uns in unserem Leben niemals in einer falschen Sicherheit wiegen, als sei es ja sowieso logisch und selbstverständlich, dass wir am Ende in den Himmel kommen. Nein, es ist sehr wohl möglich, dass Menschen sich von Christus abwenden und verloren gehen. Und dennoch wagt es der Apostel Paulus hier, uns doch schon zu schildern, wie wir selber am Ende bei Gott ankommen. Wie sollte ihm dies möglich sein?
Ganz einfach: Der Apostel Paulus blickt hinter die Kulissen und stellt fest: Die Zeit, sie hat nur in unserem irdischen, begrenzten Leben ihre Bedeutung. Hier gibt es ein Vorher und ein Nachher, hier warten wir noch auf das, was einst in der Zukunft geschehen wird. Doch hinter den Kulissen, in Gottes Welt, hat diese Zeit ihre Bedeutung verloren: Da ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schon eins, da liegt auch unser Leben schon vor Gott ausgebreitet wie ein Buch. Und so kann der Apostel Paulus hier tatsächlich schon in der Vergangenheitsform von Dingen reden, die aus unserer Perspektive erst in der Zukunft geschehen werden: „Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen, die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.“
Nein, Schwestern und Brüder, das ist nicht einfach bloß ein etwas verrücktes Gedankenexperiment, das uns der heilige Paulus hier zumutet. Sondern das schreibt er uns zum Trost, uns zur Ermutigung, das hat ganz konkrete Auswirkungen in unserem Leben:
„Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“, schreibt Paulus hier. Das klingt so schön, so einleuchtend. Aber wenn du in deinem Leben auf völlige Abwege geraten bist und merkst, was du dir damit in deinem Leben alles so kaputt gemacht hast, dann mag dir das gar nicht unbedingt einleuchten, dass dir auch dies alles zum Besten dienen soll. Wenn du in der Schule eine Sechs geschrieben hast, wenn du deinen Arbeitsplatz verloren hast, dann mag dir das überhaupt nicht einleuchten, dass dir dies alles zum Besten dienen soll. Wenn dich ein Mensch, dem du vertraut hast, betrogen hat, wenn deine Zukunftspläne, die du hattest, von einem Tag auf den anderen zusammenbrechen, dann mag dir das überhaupt nicht einleuchten, dass dir dies alles zum Besten dienen soll. Und wenn du am Sarg eines geliebten Menschen stehst, der dir nach deinem Empfinden viel zu früh genommen wurde, dann mögen dir diese Worte auch nicht einfach mal so locker-flockig über die Lippen kommen: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ Nein, das leuchtet uns gar nicht ein, das mag für uns mitunter sogar eher zynisch klingen.
Doch Paulus lässt uns hier eben nun schon einmal kurz hinter die Kulissen blicken, lässt uns etwas davon erahnen, dass aus Gottes Perspektive sich die Dinge, die wir hier erfahren, noch einmal ganz anders darstellen können. Gott erkennt hier und jetzt schon, wozu das gut ist, was dir im Augenblick noch völlig sinnlos, ja widersinnig erscheint. Gott sieht das schon, warum du gerade auf diesem und keinem anderen Weg in deinem Leben geführt wirst. Ja, er sieht, warum dir dies zum Besten dient, und das heißt ja: warum es dir gerade dazu dient, dass du schließlich am Ende bei ihm und nirgendwo anders ankommst. Dir und mir mag das im Augenblick noch gar nicht einleuchten; aber das ist eben nicht die ganze Realität, die wir erfassen können.
Und zu der anderen, neuen Wirklichkeit, von der Paulus hier spricht, gehört eben dies, dass wir in unserem Leben schließlich dem Bild unseres Herrn Jesus Christus gleichgestaltet werden sollen, dass wir mit ihm immer mehr verbunden, von ihm immer mehr geprägt werden. Und zu dieser Gleichgestaltung gehört eben auch mit dazu, dass wir wie Christus selber und mit ihm den Weg durch Leiden und Tod zur Herrlichkeit gehen, dass wir da nichts überspringen können. Darin liegt dann also doch schon ein kleines Stück der Antwort auf die Frage, warum uns auch Schweres in unserem Leben zum Besten dienen kann: Ja, das kann es, wenn und weil es uns mit Christus verbindet, uns ihm gleichgestaltet, uns gerade so auf das Ziel unseres Lebens vorbereitet, das Leben in der ewigen Gemeinschaft mit unserem Herrn.
Ja, so sieht es Gott jetzt schon, und so lässt er es dir heute in seinem Wort ausrichten, damit du nicht einfach teilnahmslos über dich ergehen lässt, was ja ohnehin für dich vorherbestimmt ist, sondern damit du ihm vertraust, damit du das, was du jeden Tag in deinem Leben erfährst, noch einmal mit anderen Augen sehen kannst. Ja, Menschen, die darum wissen, dass und wie ihre Gebete bei Gott ankommen, Menschen, die darum wissen, dass alles, was sie in ihrem Leben erfahren, ihnen zum Besten dienen muss, die leben anders, die haben es besser. Und Gott will, dass auch du zu diesen Menschen gehörst. Und eben darum hat er dich heute diesen Blick hinter die Kulissen werfen lassen, um deinen Glauben zu stärken. Und gerade so will er dich schließlich bei sich ankommen lassen. Amen.